Eine 46-jährige Patientin stellte sich wegen zunehmend störender vertikaler Diplopie und störender Kopfneigung im Herbst 2021 in unserer Klinik vor. Die Beschwerden hatten schon 2009 begonnen. Eine neurologische Abklärung inklusive kraniale Magnetresonanztomographie (MRT) nach Beginn der Symptome wären unauffällig gewesen. Im Herbst 2019 war andernorts wegen der zunehmenden Symptome eine erneute neurologische Abklärung mit MRT veranlasst worden.
Auswärtige Befunde 2019
Die dortige Untersuchung ergab im Prismenabdecktest ein latentes Außenschielen von 5° in der Ferne und 1° in der Nähe mit Höherstand des linken Auges (LA) von 8° bzw. 6°. An der Tangentenskala nach Harms wurde im Geradeausblick, Abblick und Linksblick eine Auswärtsverrollung von 10° gemessen, die im Aufblick und Rechtsblick auf 6° abnahm. Das Höhenschielen nahm bei Kopflinksneigung auf 10° zu. Die Patientin neigte den Kopf 10° nach rechts mit minimaler Kinnsenkung. Die Senkung des LA war in Adduktion eingeschränkt. Die Angaben im Bagolini-Test entsprachen der Hypertropie. Im Lang-Stereotest I wurden nur die Umrisse der Figuren gedeutet. Der übrige Augenbefund war unauffällig, der Visus beidseits normal.
Anzeige
Es wurde die Diagnose einer Trochlearisparese links gestellt und nach erneut unergiebiger neurologisch-radiologischer Abklärung am LA eine Faltung des M. obliquus superior von 7 mm durchgeführt. Eine Woche postoperativ bestand weiterhin Diplopie. Die Schielwinkel waren mit 2° bzw. 5° Außenschielen und einem Höherstand des LA von 9° bzw. 5° wenig verändert. Die Auswärtsverrollung war unverändert, außer im Rechtsblick (Zunahme auf 10°) und im Aufblick (Abnahme auf 4°). Bei Kopflinksneigung wurde ein Innenschielen von 1° mit Höherstand des LA von 8° gemessen. Die Angaben im Bagolini-Test entsprachen der Hypertropie. Im Lang-Stereotest I wurde der Stern erkannt. Die Motilität und der übrige Augenbefund waren regelrecht.
Befunde im Herbst 2021
Bei der Erstvorstellung in unserer Klinik betrug die Kopfzwangshaltung 15° Rechtsneigung und 5° Senkung. Der Höherstand des LA betrug in Primärposition 11°, die Auswärtsverrollung 9°. Beides nahm bei Kopflinksneigung zu, jedoch nicht im Abblick (Abb. 1a). Die monokulare Exkursion war beidseits frei, insbesondere auch die Hebung des LA in Adduktion, es bestand also kein konsekutives Brown-Syndrom. Der Bagolini-Test und der Lang-Stereotest I waren positiv, der übrige Augenbefund war ebenfalls regelrecht.
×
Bei der Betrachtung der mitgebrachten präoperativen kranialen MRT-Aufnahmen aus dem Jahr 2019 fiel distal der Trochlea eine zystische Verdickung der linken Obliquus-superior-Sehne auf (Abb. 2).
×
Wie lautet Ihre Diagnose?
Therapie und Verlauf
Wegen der persistierenden Beschwerden wurde ein erneuter Eingriff indiziert. Im ersten Schritt erfolgte die Inspektion der Obliquus-superior-Sehne mit Exzision von pathologischem Gewebe unter Erhalt der Sehne, die in der Technik nach Küper [3] um 6 mm gefaltet wurde (Abb. 3). Die Vertikal- und Exzyklodeviation war danach auf ca. die Hälfte reduziert (Abb. 1b). Die histologische Untersuchung der Anomalie ergab fibrosiertes Bindegewebe mit chronischen Entzündungszeichen. Der verbliebene Höherstand des LA von 7° im Geradeaus- und 14° im Abblick wurde nach knapp 4 Monaten im Sinne einer Gegenparese durch eine Rectus-inferior-Rücklagerung von 4,5 mm am rechten Auge korrigiert. Bei der Untersuchung 7 Wochen postoperativ bestand ein gut kompensierter Höherstand des LA von 3° ohne Zyklodeviation, und die Patientin profitierte von einem großen, zentrierten Fusionsblickfeld (Abb. 1c).
×
Anzeige
Diskussion
Veränderungen der Obliquus-superior-Sehne, welche die Passage durch die Trochlea stören, verursachen ein Hebungsdefizit in Adduktion im Sinne eines Brown-Syndroms, wenn sie sich proximal der Trochlea befinden. Wenn sie wie im beschriebenen Fall dicht distal der Trochlea liegen, ist die Senkung besonders in Adduktion eingeschränkt, weil die Kraftübertragung vom M. obliquus superior auf das Auge unterbrochen ist (Abb. 4). Außerdem wird seine einwärts rollende Wirkung behindert. So kann das Schielwinkelmuster einer Trochlearisparese entstehen. Der vorgestellte Fall zeigt, dass sich beim Verdacht auf eine Trochlearisparese die bildgebende Diagnostik, in erster Linie die Magnetresonanztomographie nicht auf den Verlauf des N. trochlearis beschränken sollte, sondern die Orbita, speziell den M. obliquus superior und dessen Sehne, einbeziehen sollte, um auch dort befindliche Störungen zu erkennen und in der Konsequenz eine rechtzeitige konservative Behandlung (z. B. mit oralen Kortikosteroiden oder Triamcinolon bzw. Betamethason-Injektionen paratrochlear) zu ermöglichen [4, 5]. Deren Erfolgsaussicht ist im Frühstadium am besten. Bei subakuten, erst kurz währenden Symptomen kann eine MRT Hinweise auf eine aktiv entzündliche Schwellung liefern. In solchen Fällen wurde eine ringförmige Kontrastverstärkung der Trochlea mit zentraler Aussparung beobachtet, die an eine Öse erinnert („eyelet sign“) [1]. Bei länger bestehenden Symptomen, die wie in unserem Fall keine Kontrastmittelverstärkung der runden Läsion zeigen, was gegen eine aktive Entzündung spricht, ist eine antiinflammatorische Behandlung nicht mehr Erfolg versprechend. Es bleibt die Operation als Therapie der Wahl. Bei unserer Patientin hatte die Diagnose keinen Einfluss auf den Therapieerfolg. Vermutlich hat der M. obliquus superior nach jahrelang fehlender Kontraktibilität seine Kontraktilität eingebüßt. Vielleicht konnte die Sehne auch nicht ausreichend mobilisiert werden. Das Ergebnis unseres ersten Eingriffs, den wir der schwächeren Obliquus-inferior-Rücklagerung vorzogen [2], zeigt jedenfalls keine wesentliche Restfunktion: Die Exzyklotropie ist reduziert, das Senkungsdefizit – Parese bleibt Parese – besteht weiter und wird durch den zweiten Eingriff äquilibriert. Die operative Behandlung entsprach somit, außer der Biopsie, der Behandlung einer Trochlearisparese.
×
Diagnose: LA: Obliquus-superior-Sehnenanomalie distal der Trochlea
Fazit für die Praxis
Eine vermutete Trochlearisparese erfordert bei unklarer Genese eine kraniale MRT.
Außer dem Verlauf des N. trochlearis sollten die Orbitae, besonders der M. obliquus superior und dessen Sehne, dargestellt werden.
Die Fragen an den Radiologen sollten genau formuliert werden.
Stets sollte auch eine eigene Beurteilung der MRT-Aufnahmen erfolgen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
D.A. Starosta und M. Gräf geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Orbitale und periokuläre metastatische Tumoren galten früher als sehr selten. Aber mit der ständigen Aktualisierung von Medikamenten und Nachweismethoden für die Krebsbehandlung werden neue Chemotherapien und Strahlenbehandlungen eingesetzt. Die …
Metastasen bösartiger Erkrankungen sind die häufigsten Tumoren, die im Auge diagnostiziert werden. Sie treten bei ungefähr 5–10 % der Patienten mit soliden Tumoren im Verlauf der Erkrankung auf. Besonders häufig sind diese beim Mammakarzinom und …
Die überschießende Wundheilung in der filtrierenden Glaukomchirurgie ist ein zentraler Faktor für ein operatives Versagen. Nach der Einführung der Trabekulektomie in den 1960er-Jahren wurden viele Faktoren erkannt, die mit einer vermehrten …
Peri- sowie intraokuläre Metastasen sind insgesamt gesehen selten und meist Zeichen einer fortgeschrittenen primären Tumorerkrankung. Die Therapie ist daher zumeist palliativ und selten kurativ. Zudem ist die Therapiefindung sehr individuell. Die …
Update Augenheilkunde
Bestellen Sie unseren Fach-Newsletterund bleiben Sie gut informiert.