Gesättigte Fettsäuren
Wenngleich die Effektstärken gering sind, ist eine weitere Erklärung für die Verschiebung im Lipoproteinprofil durch SFA die genetische Prädisposition [
33]. So ist für Varianten im ApoE-Gen (
APOE) eine ungünstige metabolische Lipoproteinantwort auf alimentäre SFA beschrieben [
51]. Konkret konnte gezeigt werden, dass Träger der weniger häufigen
APOE4-Allele nach einer definierten Menge von SFA [
63] und postprandial [
64] einen ausgeprägteren Lipidanstieg im Plasma aufweisen, als Nicht-
APOE4-Träger [
33]. Diese Gen-Diät-Interaktionen (Nutrigenetik) zeigten sich auch für Adipositas. So interagierte der Konsum von SFA mit einem gewichteten genetischen Risikoscore für das Adipositasrisiko [
64]. Dabei fand sich die Assoziation zwischen SFA-Aufnahme und Body-Mass-Index (BMI) nur in der oberen Terzile, d. h. es sprechen jene 33 % der Bevölkerung mit einer stärkeren genetischen Disposition zur Adipositas sensitiver auf SFA an [
64].
Diese Daten weisen darauf hin, dass es genetische Unterschiede bei der Metabolisierung von SFA gibt. Ein regelmäßiges Monitoring von Biomarkern ist somit bei Ernährungsinterventionen wie auch bei pharmakologischen Interventionen anzuraten, solange prädiktive Biomarker für Therapieansprechen nicht verfügbar sind [
65].
Sterole
Als Folge der empfohlenen Meidung von SFA wurden ab den 70er-Jahren vermehrt pflanzliche Öle und Streichfette mit hohen Anteilen an ungesättigten Fettsäuren „zur Senkung des Cholesterinspiegels“ empfohlen. Eine vermehrte Aufnahme von Phytosterinen (2 g/Tag) über solche sog. Functional Foods – wie beispielsweise Margarine – senkt LDL‑C um bis zu 10 %. Dies hat zur Empfehlung von Phytosterinen zur LDL-C-Senkung in der aktuellen ESC/EAS-Leitlinie zum Management der Dyslipidämien geführt [
47], der das Paradigma zugrunde liegt, dass jede LDL-C-senkende Lebensstilmaßnahme empfehlenswert sei. In den letzten Jahrzehnten kamen noch „funktionelle Nahrungsmittel“ hinzu, die mit Phytosterinen angereichert sind, um über deren Cholesterinresorption hemmende Wirkung das LDL‑C noch ausgeprägter zu senken [
47].
Der Serumcholesterinspiegel wird einerseits durch die endogene Cholesterinbiosynthese (hepatische und extrahepatische Cholesterinbiosynthese) und andererseits durch die intestinale Cholesterinresorption reguliert [
66]. Die Cholesterinhomöostase wird somit durch ein Gleichgewicht zwischen Cholesterinresorption und Cholesterinsynthese erreicht: Menschen mit hoher intestinaler Cholesterinresorption weisen eine niedrige endogene Cholesterinsynthese auf, während Menschen mit niedriger intestinaler Cholesterinresorption durch eine hohe endogene Cholesterinsyntheseleistung gekennzeichnet sind [
67]. Lathosterol, eine Vorstufe der endogenen Cholesterinbiosynthese, kann als Marker für die Cholesterinsynthesekapazität bestimmt werden [
68]. Diese individuellen Unterschiede in der Cholesterinhomöostase sind genetisch reguliert und haben einen starken Einfluss auf die Effektivität LDL-C-senkender Medikamente, was sich auch in einer unterschiedlichen Reduktionsrate von kardiovaskulären Ereignissen widerspiegelt. So profitieren Menschen mit hoher intestinaler Cholesterinresorption deutlich weniger von einer Statintherapie [
69], während Menschen mit hoher intestinaler Cholesterinresorption und damit erhöhten Phytosterinkonzentrationen besonders von einer Hemmung der Cholesterinresorption durch Ezetimib profitieren [
70].
Nur in pflanzlichen Organismen werden Phytosterine (Campesterin und Sitosterine) synthestisiert. Sie unterscheiden sich strukturchemisch von Cholesterin lediglich durch eine Methyl- bzw. Ethylgruppe. Deren Resorption dient zur Bestimmung der intestinalen Cholesterinresorptionskapazität [
68]. Cholesterin und Phytosterine liegen ungefähr zu gleichen Anteilen in der westlichen Ernährung vor (400 mg/Tag). Beide werden in Mizellen transportiert und über NPC1-L1 („Niemann-Pick C1-like 1“) in den Enterozyten aufgenommen. Im Enterozyten (und später auch im Hepatozyten) werden sie aber voneinander unterschieden. Während das intestinal resorbierte Cholesterin bis zu 50 % verestert und im weiteren Verlauf dem Stoffwechsel zur Verfügung steht, werden die Phytosterine „erkannt“ und über ABCG5/8 („ATP-binding cassette sub-family G member 5/8“) in das Darmlumen zurückgepumpt. Dieser Mechanismus funktioniert beim „gesunden“ Menschen so effektiv, dass 98 % der Phytosterine wieder intestinal ausgeschieden werden und die Phytosterinkonzentration im Blut etwa 1000-fach geringer ist als die des Cholesterins [
71].
Bei der sehr seltenen autosomal-rezessiv vererbten Erkrankung Sitosterolämie ist aufgrund eines Defekts von ABCG5/8 die Phytosterinausscheidung kompromittiert. Es kommt zu einem bis zu 100-fachen Anstieg der Phytosterinkonzentrationen im Plasma [
72]. Diese Menschen sind gekennzeichnet durch eine sehr frühe maligne Atherosklerose, hochgradige Aortenstenosen und oft durch einen frühzeitigen kardiovaskulären Tod. Das Verständnis dieser Erkrankung sowie weitere epidemiologische Untersuchungen haben den Verdacht genähert, das Phytosterine
per se atherogen sind. Diese Hypothese wurde in einer kürzlich publizierten genetischen Analyse an knapp 100.000 Menschen verifiziert. Helgadottir et al. untersuchten den Einfluss aller in den Cholesterin- und Phytosterinstoffwechsel eingebundenen Gene auf das kardiovaskuläre Risiko [
73]. In ihrer Analyse unterschieden sie Gene, die Cholesterin, aber nicht Phytosterine beeinflussen, wie beispielsweise ApoB, LDL-Rezeptor, HMG-CoA(3-Hydroxy-3-Methylglutaryl-Coenzym-A)-Reduktase und Proproteinkonvertase Subtilisin/Kexin Typ 9 (PCSK9), von Genen, die Cholesterin und Phytosterine beeinflussen wie ABCG5, ABCG8 und NPC1L1. Für jede Erhöhung des Non-HDL‑C um 1 mmol/l steigerten Gene, die nur Cholesterin beeinflussen, das kardiovaskuläre Risiko um den Faktor 1,5. Gene, die neben dem Serumcholesterinspiegel auch den Serumphytosterinspiegel durch Minder- respektive Überexpression des Steroltransporters ABCG5 (und NPC1L1), beeinflussen, erhöhten das Risiko jedoch 2‑fach.
Zusammenfassend ist zu sagen, dass der sehr seltene komplette Funktionsverlust des Proteins ABCG5/8 (= Sitosterolämie) von in der Prävalenz unterschätzten genetischen Varianten abzugrenzen ist, welche zwar eine geringer ausgeprägte, aber klinisch relevante Sterolaufnahmestörung verursachen [
73], und es über die vermehrte Zufuhr von Phytosterinen auch zu einer Verdopplung der Phytosterinkonzentrationen im Plasma kommen kann [
74]. Insbesondere Menschen mit einer genetischen Konstellation von ABCG5/8 und NPC1L1, die zu einer vermehrten Sterolaufnahme führt, sind hierbei besonders gefährdet [
67]. Vor dem Hintergrund der Atherogenität ist die Empfehlung von Phytosterinen zur LDL-C-Senkung in der aktuellen ESC/EAS-Leitline zum Management der Dyslipidämien [
47] kritisch zu sehen, und möglicherweise wird sich eine Änderung dieser Empfehlung ergeben [
71,
73].
Umgekehrt könnten Patienten mit Varianten in den Genen, die für die apikalen Steroltransportproteine ABCG5/G8 kodieren, von einer Reduktion von diätetischen Sterole und von einer pharmakologischen Therapie mit Ezetimib besonders profitieren.
Diese Erkenntnis hat weitreichende Konsequenzen, da sie verständlich macht, dass die Betrachtung von LDL‑C für die Einschätzung des kardiovaskulären Risikos und für personalisierte Therapieentscheidungen nicht ausreichend ist. Die genauere gaschromatographische Bestimmung der individuellen Unterschiede im Hinblick auf die Cholesterinhomöostase von Lathosterin (Marker für endogene Cholesterinsynthese) wie auch von Campesterin und Sitosterin (als Marker für Cholesterinresorption) ermöglicht eine differenziertere Betrachtung und Identifizierung von Menschen mit einer hohen Sterolresorption. Diese „high resorber“ sollten frühzeitig diätetisch betreut und einer individualisierten lipidsenkenden Therapie zugeführt werden [
67].