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Open Access 2022 | Pharmakologie und Toxikologie | OriginalPaper | Buchkapitel

19. Ergebnisse des AMNOG-Erstattungsbetragsverfahrens

verfasst von : Dr. med. Antje Haas, Dr. Anja Tebinka-Olbrich, Dr. Daniel Erdmann, Susanne Henck, Maximilian Blindzellner, Dr. rer. medic, M.Sc. Christine Göppel, Lukas Lehmann

Erschienen in: Arzneimittel-Kompass 2022

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

Zusammenfassung
Seit mehr als zehn Jahren werden neu eingeführte Arzneimittel in Deutschland auf ihren Zusatznutzen untersucht und Preise auf Basis dieser Bewertung vereinbart. Dabei nimmt die Zahl der jährlich durchgeführten Nutzenbewertungen und der sich daran anschließenden Verhandlungsserien zum Erstattungsbetrag über die Zeit zu. Der Umsatz von AMNOG-Arzneimitteln sowohl im ambulanten als auch im stationären Sektor wächst stark.
Im vorliegenden Kapitel werden zunächst die veröffentlichten Nutzenbewertungen des G-BA zusammengefasst und auf Ebene der Therapiegebiete analysiert. Danach werden die Verhandlungsergebnisse und der zu beobachtende starke Ausgabenanstieg betrachtet sowie die Rolle des AMNOG im Krankenhaus und nach Ablauf von Unterlagen- und Patentschutz näher beleuchtet.
Im Weiteren wird der Frage nachgegangen, wie bei begrenzten Ressourcen nutzengerechte Arzneimittelpreise gewährleistet werden können. Vor der Prämisse, dass in Deutschland zusatznutzenadäquate Preise vereinbart werden sollen und die Preisbildung nach AMNOG als Value-based Pricing kategorisiert wird, wird untersucht, welche der Aspekte, die unter den Begriff Value gefasst werden, systematisch in die G-BA-Nutzenbewertung eingehen und welche nicht oder nur implizit berücksichtigt werden.
Zum Abschluss wird skizziert, welche gesetzgeberischen Fortentwicklungen notwendig sind, um eine tatsächlich am Zusatznutzen orientierte Preisfindung zu gewährleisten. Das aktuelle Regelungsumfeld führt dazu, dass derzeit nahezu alle Argumentationslinien zu einem Preis zugunsten des pharmazeutischen Unternehmers führen, während die Korrelation zwischen Zusatznutzen und Preis durch gesetzgeberische Entscheidungen, Schiedsstellenpraxis und Rechtsprechung gelöst wurde. Damit sich einerseits der Erstattungsbetrag in Zukunft wieder stärker an nachgewiesenem Zusatznutzen orientiert und andererseits die finanzielle Stabilität der GKV erhalten bleibt, wird erörtert, inwieweit die Kriterien zur Findung des Erstattungsbetrages rationaler und interessengerechter gestaltet werden können.

19.1 AMNOG: Ziel, Funktionsweise und Ergebnisse

19.1.1 Bewertung des Zusatznutzens

Im Zentrum des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) vom 27. Dezember 2010 steht die Sicherstellung einer zweckmäßigen, qualitativ hochwertigen und wirtschaftlichen Arzneimittelversorgung. Das Gesetz verpflichtet pharmazeutische Unternehmer, für jedes ab dem 1. Januar 2011 in den deutschen Markt eingeführte erstattungsfähige Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff den Zusatznutzen gegenüber einer zweckmäßigen Vergleichstherapie nachzuweisen (§ 35a SGB V). Auf Basis des Beschlusses des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Nutzenbewertung verhandeln der GKV-Spitzenverband (GKV-SV) und der pharmazeutische Unternehmer für das Arzneimittel einen neuen Abgabepreis, den sog. Erstattungsbetrag (§ 130b SGB V), es sei denn, der G-BA hat das Arzneimittel direkt einer Festbetragsgruppe zugeordnet. Zunächst darf der pharmazeutische Unternehmer den Preis für das Arzneimittel frei bestimmen. Nach aktueller Gesetzeslage gilt der Erstattungsbetrag erst nach einem Jahr (Stand: Mai 2022) als höchstmöglicher Abgabepreis des pharmazeutischen Unternehmers.
Die Zusatznutzenbewertung wird spätestens sechs Monate nach Markteintritt des Arzneimittels mit dem Beschluss des G-BA abgeschlossen und veröffentlicht. Der G-BA trifft darin sowohl eine Aussage über die Wahrscheinlichkeit als auch über das Ausmaß des Zusatznutzens. Bei 59 % der 349 bis zum 1. April 2022 im Rahmen des § 35a SGB V bewerteten Arzneimittel1 hat der G-BA einen Zusatznutzen feststellen können, davon in 52 % der Fälle sogar in allen Patientengruppen des jeweiligen G-BA-Beschlusses. Für neu zugelassene Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten (sog. Orphan-Arzneimittel) wird qua Gesetz ein Zusatznutzen fiktiv angenommen. Vor diesem Hintergrund ergibt es Sinn, die Ergebnisse der Bewertungen des G-BA nach Ausmaß und Wahrscheinlichkeit auf der Ebene der durch den G-BA vorgegebenen Patientengruppen in Abb. 19.1 nach Orphan-Arzneimitteln und allen anderen Arzneimitteln (hier als „Nicht-Orphan-Arzneimittel“ bezeichnet) zu trennen.
Die 349 durch den G-BA untersuchten Arzneimittel werden in insgesamt 1.108 Patientengruppen eingesetzt. Einen Beleg für einen Zusatznutzen konnte der G-BA bei Nicht-Orphan-Arzneimitteln bis zum Stichtag 1. April 2022 nur für 10 von 889 Patientengruppen (1,1 %) ableiten. Ein Hinweis für einen Zusatznutzen konnte für 94 (10,6 %) und ein Anhaltspunkt für einen Zusatznutzen konnte für 165 (18,6 %) Patientengruppen festgestellt werden. Für 620 der 889 Patientengruppen (69,7 %) attestierte der G-BA keinen Zusatznutzen.
Orphan-Arzneimittel weisen häufig eine unzureichende Datenlage auf, sodass keine gesicherte Aussage zum Zusatznutzen abgeleitet werden kann. In diesen Fällen erhalten Orphan-Arzneimittel regelmäßig nur aufgrund der gesetzlichen Zusatznutzenfiktion einen Zusatznutzen. So kann es auch nicht überraschen, dass der G-BA bei 104 der 219 (47,5 %) Patientengruppen von Orphan-Arzneimitteln nur einen „nicht quantifizierbaren Zusatznutzen“ bescheinigte. Orphan-Arzneimittel, die in der Vergangenheit einen Jahresumsatz von mehr als 50 Mio. € innerhalb der GKV erzielten, durchliefen eine reguläre Vollbewertung, an deren Ende dem Wirkstoff für bestimmte oder sogar für alle Patientengruppen auch kein Zusatznutzen attestiert werden konnte. Da zunehmend Orphan-Arzneimittel den Schwellenwert von 50 Mio. € übersteigen, liegt der Anteil der Patientengruppen von Orphan-Arzneimitteln, die keinen Zusatznutzen aufweisen, zum Stichtag 1. April 2022 bei 25,6 %. Somit weisen nahezu drei von vier bewerteten Patientengruppen von Orphan-Arzneimitteln entweder keinen Zusatznutzen oder einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen auf, was die Problematik der gesetzlich privilegierten Sonderstellung von Orphan-Arzneimitteln aufzeigt.

Zur Entwicklung der G-BA-Beschlusszahlen seit 2011

Abb. 19.2 stellt die Anzahl der G-BA-Beschlüsse und deren jeweilige Verfahrensgrundlage für die Jahre 2011 bis 2021 dar.
Insgesamt zeigt sich, dass die Gesamtzahl der durch den G-BA veröffentlichten Nutzenbeschlüsse im Zeitverlauf deutlich zugenommen hat. Im Jahr 2021 wurde mit 145 Bewertungen (+65 % im Vergleich zu 2020) ein neues Allzeithoch erreicht.
Mit knapp 53 % aller seit dem Jahr 2011 bis zum 31. Dezember 2021 jemals durchgeführten Bewertungen ist die Gruppe der Erstbewertungen insgesamt am bedeutsamsten und auch absolut betrachtet kam es im Jahr 2021 mit 60 entsprechenden Verfahren zu einem neuen Höchststand in dieser Kategorie. Wie bereits im Vorjahr wurden die meisten Bewertungen im Jahr 2021 aufgrund der Zulassung eines neuen Anwendungsgebiets durchgeführt. Die entsprechende Zahl wuchs von gerade einmal vier Bewertungen im Jahr 2013 bis auf 62 im Jahr 2021 an. Mit 12 abgeschlossenen Bewertungen stellen „Neubewertungen nach Fristablauf“ im Jahr 2021 die drittgrößte Gruppe dar. Danach folgen die „Vollbewertung von Orphan Drugs“ (8) und die Neubewertung aufgrund des Vorliegens „neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse“ (3).

Therapiegebietsspezifische Analyse der G-BA-Bewertungen

Abb. 19.3 stellt die Verteilung der 349 durch den G-BA zum Stand 1. April 2022 bewerteten Arzneimittel auf einzelne Therapiegebiete dar und verdeutlicht zudem, wie viele Wirkstoffe je Therapiegebiet in allen bewerteten Patientengruppen einen Zusatznutzen aufweisen (1. Wert innerhalb des Tortendiagramms), bei wie vielen Wirkstoffen je Therapiegebiet zumindest teilweise (2. Wert) und für wie viele Wirkstoffe im jeweiligen Therapiegebiet kein Zusatznutzen festgestellt werden konnte (3. Wert).
Die Abbildung verdeutlicht, dass Onkologika mit 30 % aller bewerteten Wirkstoffe das größte Therapiegebiet darstellen. Auffällig ist zudem, dass der G-BA bei 41 der analysierten 103 Onkologika (= 40 %) für alle bewerteten Patientengruppen einen Zusatznutzen anerkannt hat. Kein anderes Therapiegebiet weist einen höheren Anteil an Wirkstoffen mit 100 % Zusatznutzen über alle Patientengruppen hinweg auf.
Am zweithäufigsten wurden bislang Wirkstoffe aus dem Therapiegebiet „Stoffwechselkrankheiten“ bewertet. Zu diesem Therapiegebiet zählen neben Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus auch seltene, erblich bedingte Erkrankungen wie z. B. Mukoviszidose. Auch in diesem Therapiegebiet liegt für 23 von 63 Wirkstoffen in allen Patientengruppen ein Zusatznutzen vor. Dies sind – abgesehen von einer Ausnahme – durchgängig Orphan-Arzneimittel. Das drittgrößte Therapiegebiet unter den AMNOG-Arzneimitteln sind „Infektionskrankheiten“. Hierunter fallen insbesondere Arzneimittel, die gegen eine Form der Hepatitis wirken (14) und Arzneimittel zur Behandlung einer HIV-Infektion (18). Unter den übrigen Therapiegebieten fällt auf, dass bei den „Augenerkrankungen“, den „Krankheiten des Blutes und der blutbildenden Organe“ sowie in der Gruppe der „anderen Therapiegebiete“ mehr Wirkstoffe keinen Zusatznutzen aufweisen als es Wirkstoffe mit einem (mindestens für eine Patientengruppe festgestellten) Zusatznutzen gibt. In den übrigen vier Therapiegebieten weisen hingegen mehr Wirkstoffe (zumindest teilweise) einen Zusatznutzen auf als es Wirkstoffe ohne Zusatznutzen gibt.

19.1.2 Erstattungsbetrag: Der zusatznutzenorientierte Preis

Abb. 19.4 enthält eine Übersicht zu den Arzneimitteln mit Erstattungsbetrag, aufgeteilt nach den Ergebnissen der Zusatznutzenbewertung. Demnach weisen zum Stichtag 1. April 2022 bereits 306 Wirkstoffe einen Erstattungsbetrag auf. Die Differenz zu den jemals im G-BA bewerteten Arzneimitteln ergibt sich dabei aus den noch laufenden Verhandlungen und der Zahl an Marktaustritten (sog. „Opt-out“).
Von den Arzneimitteln mit Erstattungsbetrag weisen 62 % in wenigstens einer Patientengruppe einen Zusatznutzen auf (190 von 306), die Mehrzahl davon für das gesamte Arzneimittel (100). Den übrigen 90 Arzneimitteln dieser Gruppe attestierte der G-BA lediglich teilweise einen Zusatznutzen, sodass für sie ein angemessener Mischpreis zwischen den Vertragspartnern vereinbart werden muss, der einerseits den fehlenden Zusatznutzen mit dem Preisdeckel aus der zweckmäßigen Vergleichstherapie und andererseits den preissteigernden Effekt eines Zusatznutzens berücksichtigt. Für 116 Arzneimittel liegt demnach in keiner Patientengruppe ein Zusatznutzen vor. Für 72 dieser Arzneimittel ohne Zusatznutzen existiert mehr als eine Patientengruppe, woraus die Herausforderung erwächst, etwaige Unterschiede im Preisniveau der zweckmäßigen Vergleichstherapie in den einzelnen Patientengruppen angemessen bei der Findung eines einheitlichen Erstattungsbetrages zu berücksichtigen. Ohne Zusatznutzen sollen die Kosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie den Preisdeckel bilden – hierbei handelt es sich um das einzige gesetzliche Preisbildungskriterium.

Zur Ausgabenrelevanz von AMNOG-Arzneimitteln

Der AMNOG-Prozess verfolgt u. a. das Ziel, den Preis neuer Arzneimittel auf ein Niveau unterhalb der frei gewählten Einstiegspreise zu verhandeln. Im Jahr 2021 lagen die Ausgaben für AMNOG-Produkte gut 4,8 Mrd. € unterhalb der (hypothetischen) Ausgaben bei Fortgeltung des Einstiegspreises. Dies entsprach einer durchschnittlichen Preisreduktion von 23 % auf der Ebene „Abgabepreis pharmazeutischer Unternehmer minus Netto-Herstellerabschlag“.
Abb. 19.5 und 19.6 stellen die wirtschaftliche Bedeutung von AMNOG-Arzneimitteln im ambulanten Sektor der GKV in Abhängigkeit ihres Zusatznutzens im Zeitraum von 2011 bis 2021 dar. Dabei werden in der oberen Teilgrafik für alle AMNOG-Wirkstoffe die aufsummierten monatlichen Absatzzahlen (gemessen in DDD; Defined Daily Doses) und in der unteren Teilgrafik die entsprechenden monatlichen Umsatzzahlen abgetragen. Insgesamt beliefen sich demnach im Jahr 2021 die GKV-Ausgaben für AMNOG-Arzneimittel brutto auf 17,9 Mrd. €, was einem Anteil an den Gesamtausgaben der GKV für Arzneimittel von etwa 34 % entspricht (Datenbasis Bruttoumsatz laut GKV-Spitzenverband 2021a).
Arzneimittel mit gemischtem Zusatznutzen weisen demnach die größte Versorgungsrelevanz für die GKV auf. Im Jahr 2021 lag ihr Anteil an verordneten DDDs bezogen auf alle abgegebenen AMNOG-Arzneimittel bei 71 % und ihr Umsatzanteil immerhin bei 53 %. Es folgen Arzneimittel ohne Zusatznutzen mit einem 22%igen DDD- und 21%igen Umsatzanteil. Orphan-Arzneimittel standen im Jahr 2021 zwar lediglich für 0,87 % DDD-Anteil, aber mit knapp 3,4 Mrd. € für 18,9 % des mit AMNOG-Produkten im ambulanten Sektor erzielten Umsatzes. Somit liegt ihr Umsatzanteil im Jahr 2021 bereits 21,8-mal über ihrem Verordnungsanteil. Dieser Faktor ist in den letzten Jahren immer weiter angestiegen. So betrug der Umsatzanteil der Orphan-Arzneimittel bei 1,0 Mrd. € Umsatz im Jahr 2017 „nur“ das 16,3-Fache des Absatzanteils. Auch dies zeigt, dass die Privilegierung der Orphan-Arzneimittel auch auf der Ausgabenseite eine wachsende Herausforderung für die GKV darstellt.

19.1.3 AMNOG als lernendes System

Erstattungsbetrag im Krankenhaus

In den ersten Jahren nach seinem Inkrafttreten blieb unklar, welche rechtliche Bindungswirkung das AMNOG-Verfahren auf die Arzneimittelversorgung im stationären Sektor ausübt. Dies änderte sich jedoch durch das im Jahr 2017 in Kraft getretene GKV-Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG). Dieses stellte klar, dass Arzneimittel auch im stationären Sektor höchstens zu dem zwischen pharmazeutischem Unternehmer und GKV-Spitzenverband vereinbarten Erstattungsbetrag abgegeben werden dürfen. Die steigende Relevanz des Erstattungsbetrages für den stationären Sektor wird u. a. auch dadurch deutlich, dass ausweislich der Daten nach § 21 KHEntgG allein im Jahr 2020 mindestens 934 Mio. € für AMNOG-regulierte Arzneimittel ausgegeben wurden. Diese Ausgaben verteilten sich auf insgesamt 119 Wirkstoffe. Leider liegen dem GKV-Spitzenverband zum derzeitigen Zeitpunkt noch keine Daten für das Jahr 2021 vor, sodass der erwartete Ausgabeneffekt für Einmal-(Gen)therapien in diesen Daten noch nicht vollständig abgebildet wird. Auffällig ist allerdings, dass bereits im Jahr 2020 immerhin 123 Mio. € für Arzneimittel für neuartige Therapien (Advanced Therapy Medicinal Products; ATMPs) ausgegeben wurden, was einem Anstieg von fast 500 % gegenüber 2019 entspricht. Mit einem Umsatz von mehr als 250 Mio. € war erneut Nusinersen (Spinraza®)2 das umsatzstärkste AMNOG-Arzneimittel im Krankenhausbereich, gefolgt von Pembrolizumab (Keytruda®)3 (ebenfalls im dreistelligen Millionenbereich) und Onasemnogen-Abeparvovec (Zolgensma®)2 auf Platz 3 mit deutlich über 50 Mio. €.

Der Erstattungsbetrag nach Ablauf von Unterlagen- und Patentschutz

Spätestens seit dem Inkrafttreten des Fairer-Kassenwettbewerb-Gesetzes (GKV-FKG) am 1. April 2020 steht fest, dass Verträge nach § 130b SGB V nur in einem begrenzten Zeitrahmen ab dem Inverkehrbringen eines Arzneimittels zwischen dem GKV-Spitzenverband und pharmazeutischen Unternehmern vereinbart werden dürfen. Die Regelung wurde zwischenzeitlich durch das Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz (GVWG) leicht modifiziert und ist nunmehr in § 130b Absatz 8a SGB V aufzufinden. Demnach gilt spätestens mit dem Wegfall des Unterlagen- und Patentschutzes eines Arzneimittels nur noch der zuletzt gültige Erstattungsbetrag als höchstens zulässiger Abgabepreis für alle Nachahmerpräparate fort. Der Gesetzgeber hatte zudem den Partnern der Rahmenvereinbarung nach § 130b Absatz 9 SGB V aufgetragen, das Nähere zur Bestimmung des höchstens zulässigen Abgabepreises in die Rahmenvereinbarung aufzunehmen, was im zweiten Quartal 2022 entsprechend vollzogen wurde. Eine Operationalisierung erfolgt über das zu jedem Wirkstoff zu vereinbarende Preisstrukturmodell, das eine Art von Berechnungsformel darstellt. Es ermöglicht einem Generikaanbieter, zusammen mit dem fortgeltenden Erstattungsbetrag den höchstens zulässigen Abgabepreis für ein Arzneimittel zu bestimmen.
Mit Stand vom 1. April 2022 waren bereits für 19 grundsätzlich von der Regelung betroffene Arzneimittel sowohl der Patent- als auch der Unterlagenschutz abgelaufen. Da einige dieser Arzneimittel von der Nutzenbewertung freigestellt oder in eine Festbetragsgruppe eingruppiert wurden oder die Arzneimittel mittels der rahmenvertraglich geregelten „Opt-out“-Regelung vom Markt gegangen sind, bestand zum Zeitpunkt des Wegfalls des Unterlagen- und Patentschutzes lediglich für zehn dieser Arzneimittel ein Vertrag nach § 130b SGB V, sodass sich ein Erstattungsbetrag auf entsprechende Nachahmerpräparate erstrecken konnte.
Das erste AMNOG-Produkt mit einem Markteintritt von Generika war Cabazitaxel im Jahr 2021. Damals wählten Generika-Unternehmen teilweise Einstiegspreise oberhalb des fortgeltenden Erstattungsbetrages. Bei den beiden weiteren AMNOG-Wirkstoffen, bei denen es noch bis zum Stichtag 1. April 2022 zu Markteintritten von Generika kam, meldeten die Hersteller hingegen stets einen Abgabepreis unterhalb oder auf der Höhe des fortgeltenden Erstattungsbetrages und hielten sich somit durchgängig an die gesetzlichen Vorgaben. Diese Entwicklung bewertet der GKV-Spitzenverband positiv.

19.2 Nutzengerechte Preise bei begrenzten Ressourcen

19.2.1 Zusatznutzen-basierter Value von Arzneimitteln

Health Technology Assessment-Verfahren (HTA) können grundsätzlich ein Value-based Pricing (VBP) umfassen. So sprechen Kristensen et al. von value for money (Kristensen et al. 2019). Eine allgemeingültige Definition des Begriffs Value (dt. Wert) existiert nicht. In Deutschland werden Aussagen zum Value eines Arzneimittels mithilfe der Bewertung des Zusatznutzens getroffen. Vorliegend soll vor diesem Hintergrund untersucht werden, welche der Aspekte, die allgemein unter den Begriff Value gefasst werden, systematisch in die Nutzenbewertung eingehen und welche nicht oder nur implizit berücksichtigt werden.

Value-Dimensionen

Das HTA Core Model® der EUnetHTA nennt neun sogenannte Dimensionen eines Health Technology Assessment (EUnetHTA 2016; Kristensen et al. 2017):
1.
Gesundheitsproblem und derzeitige Nutzung der Technologie
 
2.
Technische Charakteristika
 
3.
Sicherheit
 
4.
Klinischer Nutzen
 
5.
Kosten und ökonomischer Nutzen
 
6.
Ethische Analyse
 
7.
Organisatorische Aspekte
 
8.
Soziale Aspekte
 
9.
Rechtliche Aspekte
 
Darüber hinaus werden international zunehmend auch umweltbezogene Aspekte als HTA-Dimension diskutiert (Marsh et al. 2015; Polisena et al. 2018). Einzelne Dimensionen können in unterschiedlicher Weise Eingang in einen HTA-Bericht finden – dabei sind insbesondere qualitative und quantitative Vorgehensweisen zu differenzieren (Lühmann und Raspe 2008; Lühmann et al. 2014).

Definition des Begriffs Value im Rahmen der Nutzenbewertung

Der Value eines Arzneimittels bemisst sich in Deutschland primär am medizinischen Nutzen und Schaden für die Patientinnen und Patienten. Im Sinne des Arzneimittelmarktneuordnungsgesetzes (AMNOG) ist der Nutzen eines Arzneimittels definiert als der patientenrelevante therapeutische Effekt, insbesondere hinsichtlich der Verbesserung des Gesundheitszustands, der Verkürzung der Krankheitsdauer, der Verlängerung des Überlebens, der Verringerung von Nebenwirkungen oder der Verbesserung der Lebensqualität (§ 2 Absatz 3 AM-NutzenV). Auf Grundlage des AMNOG beantwortet die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V die Frage, ob ein neues Arzneimittel für die Patientinnen und Patienten tatsächlich einen größeren Nutzen hat als die aktuelle Standardtherapie. Die Bewertung des Zusatznutzens ist damit auf eine Bewertung der Dimensionen Sicherheit (3.) und klinischer Nutzen (4.) der Therapie beschränkt, wobei die Charakteristika der Grunderkrankung (1.) zumindest mitberücksichtigt werden (§ 5 Absatz 7 Satz 1 AM-NutzenV). Ökonomische Parameter wie die Jahrestherapiekosten und die Zahl der infrage kommenden Patientinnen und Patienten werden nach Bewertung der Angaben des pharmazeutischen Unternehmers durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) im Nutzenbewertungsbeschluss dargestellt.

Value-Begriff im internationalen Vergleich

International ist der in der deutschen Nutzenbewertung vorausgesetzte Value-Begriff keinesfalls unumstritten. Tab. 19.1 zeigt die Dimensionen des Health Technology Assessment ausgewählter europäischer Länder (Angelis et al. 2018; Beletsi et al. 2018; Angelis et al. 2020; Epstein und Espín 2020)
Tab. 19.1
Dimensionen der HTA unterschiedlicher europäischer Länder. (Nach Angelis et al. 2018; Beletsi et al. 2018; Angelis et al. 2020; Epstein und Espín 2020)
 
Frankreich
(HAS/CEESP)
Schweden
(TLV)
England
(NICE)
Italien
(AIFA)
Niederlande
(ZIN)
Polen
(AOTMiT)
Spanien
(RedETS/ISCIII oder ICP)
Deutschland
(IQWiG/G-BA)
1. Gesundheitsproblem und derzeitige Nutzung der Technologie
X
X
X
X
X
X
X
X
2. Technische Charakteristika
X
/
X
/
/
X
X
/
3. Sicherheit
X
X
X
X
X
X
X
X
4. Klinischer
Nutzen
X
X
X
X
X
X
X
X
5. Kosten und ökonomischer Nutzen
X
X
X
X
X
X
X
/
6. Ethische
Analyse
/
X
X
/
X
/
/
/
7. Organisatorische Aspekte
/
X
/
/
/
/
/
/
8. Soziale Aspekte
/
X
X
X
X
/
X
/
9. Rechtliche Aspekte
/
Legende: X: expliziter Einbezug in die Bewertung; /: keine Berücksichtigung; : keine Informationen
Arzneimittel-Kompass 2022
Die auffälligste Diskrepanz ergibt sich hinsichtlich der Dimension Kosten und ökonomischer Nutzen (5.). In allen betrachteten europäischen Ländern ist die Kosten-Dimension explizit Teil der HTA und wird dabei regelmäßig im Rahmen einer Kosten-Effektivitäts- bzw. Kosten-Nutzen-Bewertung einbezogen, in fünf der sechs Länder ergänzt durch eine Budget-Impact-Analyse. Allein in Deutschland werden ausschließlich klinische Bewertungsdimensionen berücksichtigt. Eine Betrachtung weiterer zentral-, ost- und südosteuropäischer Länder bestärkt weitgehend die Sonderstellung der deutschen Nutzenbewertung in Europa (García-Mochón et al. 2017). Soziale Aspekte (8.) werden in fünf der in der Tabelle dargestellten Länder berücksichtigt, eine ethische Analyse (6.) wird hingegen nur in drei Ländern durchgeführt.

Weitere Einflussfaktoren auf die Bewertung des Value von Arzneimitteln

Ein wichtiger Stellenwert kommt auch der Frage zu, welche Aspekte – über die kausal begründeten Therapieeffekte hinaus – die Bewertung des Value beeinflussen. Der HTA-Prozess zielt darauf ab, eine möglichst einheitliche Bewertung sicherzustellen. Zu diesem Zweck sind wesentliche Prozessschritte gesetzlich oder durch interne Regularien stark formalisiert und reguliert (Assessment). Dies äußert sich beispielsweise in den Forderungen nach einer systematischen Literaturrecherche oder der Bewertung der Nachweise nach den internationalen Standards der evidenzbasierten Medizin (§ 35a Absatz 1 Satz 8 Nr. 2 SGB V, § 5 Absatz 2 f. AM-NutzenV) (IQWiG 2022a). Für die Feststellung einer Gesamtaussage zum Zusatznutzen (Appraisal) erfolgt eine Wertung und Gewichtung der Ergebnisse auf Endpunktebene innerhalb und über die einzelnen Bewertungsdimensionen hinweg. Diesem Vorgang ist ein gewisser Beurteilungsspielraum inhärent (Hofmann et al. 2014; Gagnon et al. 2020; Rawlins 2014).
Nach § 5 Absatz 7 Satz 1 AM-NutzenV sind Ausmaß und therapeutische Bedeutung des Zusatznutzens durch den G-BA unter Berücksichtigung des Schweregrades der Erkrankung zu quantifizieren. Krankheitsbezogene Werturteile sind damit als Element der Nutzenbewertung vorgesehen, wenngleich weder gesetzlich noch untergesetzlich konkret spezifiziert. Die Bewertung des Schweregrades einer Erkrankung ist individuell, aber auch kulturell sehr unterschiedlich (Bletzer 1993; Scott et al. 2016). In einer US-amerikanischen Untersuchung wurden Blindheit, Alzheimer-Demenz und Krebs am häufigsten als schlimmste Erkrankung bewertet (Scott et al. 2016). Eine bundesweite Befragung des Forsa-Instituts im Auftrag der DAK-Gesundheit zeigte, dass in Deutschland Krebs, Alzheimer-Demenz und Schlaganfall die meistgefürchteten Krankheiten sind, wobei große Alters- und Geschlechterunterschiede bestehen (DAK-Gesundheit 2018). Auch Krankheiten, die Kinder betreffen, werden gemeinhin als schlimmer bewertet.
Ein systematischer Einflussfaktor liegt im frühen Zeitpunkt der Nutzenbewertung. Zum Zeitpunkt der Zulassung ist die Datenlage zu einem Arzneimittel regelmäßig begrenzt. Dies führt gleichzeitig zu verzerrten Bewertungen des Nutzens. So überschätzen Studien einer früheren Studienphase und Studien, die vorzeitig beendet werden, den Therapieeffekt systematisch um 25 bis 30 % (Bassler et al. 2010; Liang et al. 2019). Manch postulierte Therapieerfolge lassen sich auf Basis der Studienlage zur Zulassung schlicht nicht nachweisen, wie eine potenzielle Heilung durch die Therapie. Gleichzeitig werden Nebenwirkungen zum Zeitpunkt der Marktzulassung systematisch unterschätzt, insbesondere bei Arzneimitteln mit schwacher Studienlage (Berlin et al. 2008; Mostaghim et al. 2017; Downing et al. 2017; Shepshelovich et al. 2018). Diese Herausforderungen lassen sich zumindest teilweise durch eine systematische Aktualisierung der Bewertung lösen (Deutscher Ethikrat 2011; GKV-Spitzenverband 2021b; Sehdev und Chambers 2022).
Weiterhin wird beschrieben, dass insbesondere im Rahmen einer Bewertung nicht explizit berücksichtigte HTA-Dimensionen eines Arzneimittels in gewissem Maße doch – als implizite Werturteile – auf die summarische Bewertung einwirken (Hofmann et al. 2014; Goetghebeur et al. 2017; Gonçalves 2020). Dies ist mit Blick auf die Nutzenbewertung in Deutschland von besonderer Relevanz. Wie oben gezeigt ist die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V im internationalen Vergleich relativ unidimensional ausgestaltet. Argumente in Bezug auf diese nicht explizit bewerteten Nutzendimensionen, die in das Verfahren eingebracht werden, werden nicht systematisch erörtert und hinterfragt und bleiben so regelmäßig unwidersprochen.
Tatsächlich spielen diese Aspekte in relevantem Umfang eine Rolle im Rahmen der mündlichen Anhörung beim G-BA, wie eine Auswertung der Eingangsstatements der Vertreterinnen und Vertreter pharmazeutischer Unternehmer im ersten Halbjahr 2022 zeigt (Tab. 19.2). In 68 % der Eingangsstatements der pharmazeutischen Unternehmer wurde neben den Dimensionen Gesundheitsproblem und derzeitige Nutzung der Technologie (1.), Sicherheit (3.) und klinischer Nutzen (4.) auf mindestens eine weitere HTA-Dimension eingegangen. Am häufigsten wurden technische Charakteristika (2.), organisatorische (7.) und soziale Aspekte (8.) adressiert. Kosten und ökonomischer Nutzen der Therapie (5.) war als einzige Dimension in keinem der Eingangsstatements ein Thema.
Tab. 19.2
Häufigkeit der von pharmazeutischen Unternehmern im Eingangsstatement zur mündlichen Anhörung nach § 35a SGB V adressierten HTA-Dimensionen; Anhörungen der ersten Jahreshälfte 2022, Stand: 9. Mai 2022
 
N
%
1. Gesundheitsproblem und derzeitige Nutzung der Technologie
50
100
2. Technische Charakteristika
27
54
3. Sicherheit
34
68
4. Klinischer Nutzen
47
94
5. Kosten und ökonomischer Nutzen
0
0
6. Ethische Analyse
3
6
7. Organisatorische Aspekte
12
24
8. Soziale Aspekte
12
24
9. Rechtliche Aspekte
1
2
Gesamt
50
100
Arzneimittel-Kompass 2022
Schließlich können auch die Kosten einer Therapie implizit die individuelle subjektive Bewertung ihres medizinischen Nutzens beeinflussen. So wurde nachgewiesen, dass Patientinnen und Patienten dasselbe Medikament als messbar wirksamer empfinden, wenn es als teuer angepriesen wird (Waber et al. 2008; Espay et al. 2015).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass sich die Nutzenbewertung durch ein Bestreben hin zu wissenschaftlicher Systematik und Reproduzierbarkeit auszeichnet, externe Einflussfaktoren auf die finale Entscheidung zum Zusatznutzen und damit zum Value des Arzneimittels allerdings weiterhin bestehen bleiben.

19.2.2 Grenzen des Value-based Pricing à la AMNOG

Der Begriff Value-based Pricing (VBP) ist ein weiter Terminus, der aus Sicht der pharmazeutischen Industrie das AMNOG-System in andere Bepreisungsstrategien einordnet. So stelle neben einer Bepreisung auf Basis der Kosten (costs) oder der Preise der Konkurrenzprodukte (competitors) VBP auf die Wahrnehmung des Values des angebotenen Gutes aus Sicht des Nachfragers (consumer) unter Einbeziehung seiner Zahlungsfähigkeit bzw. -bereitschaft ab (Dintsios und Chernyak 2021). Tatsächlich dient diese Vokabel als eine Art „Schirmbegriff“ für verschiedene Argumente, die die Bindung des Preises an den vom G-BA festgestellten Zusatznutzen lockern und zum Nutzennachweis nicht geeignete Aspekte eines Arzneimittels in die Verhandlungen einspeisen. Oft handelt es sich um krankheitsbezogene Werturteile, die hinter den Argumenten stehen. Explizit hat der Gesetzgeber solche Werturteile zu Orphan-Arzneimitteln, Reserveantibiotika oder für Arzneimittel, die für Kinder zugelassen sind (PUMAS), durch Nachweisprivilegierungen, die bis zu einer Freistellung von einem Nutzennachweis reichen, zum Ausdruck gebracht.

Grenzen des Value-based Pricing à la AMNOG: Der Preis folgt dem Zusatznutzen

Verstünde man VBP regulativ, wäre der Zusatznutzen nach § 35a SGB V als alleiniges Preisbildungskriterium konsequent. Dies ist praktisch weder bei Arzneimitteln mit noch ohne Zusatznutzen der Fall. In Patientengruppen mit Zusatznutzen schlagen sich oft die Wunschpreise der pharmazeutischen Unternehmer im Ergebnis des Verhandlungsverfahrens nieder, da es keine expliziten gesetzlichen Vorgaben zur Monetarisierung des Zusatznutzens gibt. Die Abgabepreise in anderen europäischen Ländern sind zwar gesetzlich vorgegeben, aber faktisch überwiegend in ihrer tatsächlichen Höhe nicht bekannt. Das Ergebnis wird zudem durch die Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel verwässert, zumal wenn es sich um nicht nutzenbewertete Arzneimittel aus dem Bestandsmarkt handelt.
Dafür sprechen von den Unternehmen gewählte Einführungsreihenfolgen und die Preisintransparenz im internationalen Raum: Deutschland ist aufgrund der Erstattungsfähigkeit ab der Zulassung und der Preisfreiheit im ersten Jahr häufig eines der ersten Länder, in denen Arzneimittel in der EU auf den Markt gebracht werden (IQWiG 2022b). Andere Länder warten die deutschen Preisverhandlungen ab, um auf dem niedrigeren deutschen Erstattungsbetrag aufsetzen zu können, oder haben längere Preisbildungsprozesse. Ausgehandelte Preise anderer europäischer Länder existieren daher in relevantem Umfang meist erst, wenn der deutsche Erstattungsbetrag bereits feststeht (Vogler et al. 2019). Auch danach bleiben international vielerorts die vom Unternehmen gewählten Preise als einzig öffentlich einsehbare Preise gelistet; die verhandelten tatsächlichen Preise in der EU sind in der Regel vertraulich. Auch eine geringe Gewichtung des EU-Preis-Kriteriums ändert qualitativ nichts daran, dass die Preisvorstellung des Unternehmers über das EU-Preis-Kriterium in die Erstattungsbetragsfindung eingespeist wird. Dies wirkt sich speziell auf die Preise für Orphan-Arzneimittel aus. Aufgrund der oft unzureichenden Datenlage bleibt das Kriterium des „Zusatznutzens“ nicht konkretisierbar; vergleichbare Arzneimittel fehlen häufig, sodass als einziger Benchmark die EU-Preise wirken (Haas et al. 2020).
Das Kriterium der Jahrestherapiekosten vergleichbarer Arzneimittel setzt hingegen das Prinzip des Konkurrenzpreises um: Nicht Value, sondern Preisvorstellungen anderer Unternehmen werden zum Preisfaktor. Da der Gesetzgeber 2014 die Nutzenbewertung von Arzneimitteln, die sich vor dem 1. Januar 2011 in Verkehr befanden (sog. „Bestandsmarkt“), abgeschafft hat, haben über dieses Kriterium auch die frei gewählten Preise von Bestandsmarktarzneimitteln bleibenden, preiserhöhenden Eingang in die Preisverhandlungen gefunden, speziell im Bereich der Onkologie (Richard et al. 2021). Dies mag in Deutschland ein weiterer Grund dafür sein, weshalb bei dieser Indikation in besonderem Maße keine Korrelation zwischen Zusatznutzen und Vergütungshöhe feststellbar ist (Ludwig und Vokinger 2021). Mit einer im System angelegten Preisfortschreibung geht zwangsläufig eine Schwächung des Evidenzanreizes einher.
Bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen darf die Preisobergrenze des § 130b Absatz 3 Satz 1 SGB V in Höhe der Jahrestherapiekosten der zweckmäßigen Vergleichstherapie (zVT) unterschritten werden (BSG 2021); unterhalb der Preisobergrenze besteht theoretisch Gestaltungsspielraum für eine auf Unterschieden beim Value basierte Bepreisung zur Entlastung der GKV. Dennoch wird de facto die Korrelation zwischen mangelndem Value und Erstattungsbetrag einseitig zugunsten der Unternehmen ausgelegt oder sogar durch den Gesetzgeber geschwächt: Seit 2011 gab es noch nie einen Schiedsspruch, der eine Unterschreitung der Jahrestherapiekosten der wirtschaftlichsten zVT festgesetzt hat. Im Gegenteil: Die Schiedsspruchpraxis hat die Preisobergrenze jahrelang auf immer wieder neue Art nach oben ausgedehnt (Haas et al. 2020).
Die vom Unternehmer durch Unterlassen von Evidenzeinreichung erzeugbare Unsicherheit wirkt sich zusammen mit der Drohung des Marktrückzuges zugunsten des pharmazeutischen Unternehmers aus. Immerhin setzen seit 2019 Schiedsentscheidungen wieder vermehrt die wirtschaftlichste zVT als Preisobergrenze an (Verfahren 5 P 7–20, 10 P 12–20, 17 P 28–21). Einer dieser Sprüche ist durch ein Urteil des Bundessozialgerichts 2021 bestätigt worden (BSG 2021). Auch wenn dies eine Trendwende darstellt, wirken die überpreisten Arzneimittel durch die AMNOG-Binnenbezüge sich bereits als zweckmäßige Vergleichstherapie oder als vergleichbares Arzneimittel in der nächsten Generation der Verhandlungen preishebend aus. Das Narrativ von der „Versorgungslücke“ hat inzwischen zur gesetzlichen Modifikation geführt, dass die zuvor uneingeschränkte Preisobergrenze seit 2017 in Ausnahmefällen überschritten werden darf (AMVSG 2017). Ein Prinzip „better safe than sorry“ hebelt die Intention des Gesetzes aus, dass keine Mehrkosten ohne ein Mehr an Nutzen anfallen sollen (vgl. Abb. 19.5, Abschn. 19.1).

Relativierung der Korrelation zwischen Value und Mischpreis

Das Preisrecht nach Arzneimittelgesetz (AMG) sowie das aktuelle Zulassungsrecht machen im Regelfall derzeit einen einheitlichen Erstattungsbetrag über alle Patientengruppen mittels Mischpreis rechtlich unumgänglich (BSG 2018).4 Damit verdeckt der Mischpreis aber Unterschiede im Zusatznutzen in den einzelnen Indikationen und relativiert damit die Korrelation zwischen Value und Erstattungsbetrag. Dem Mischpreis darf zudem laut BSG (BSG 2018) eine nicht empirisch gestützte, sondern auf Erwartungen basierende Gewichtung von Patientengruppen mit Zusatznutzen zugrunde gelegt werden.
Gerade der Wirkstoff Dapagliflozin zeigt, dass ein für sich genommen niedrig wirkender Preis pro Mengeneinheit aufgrund hoher Absatzmengen ein Jahresausgabenvolumen bedeuten kann, das für die Krankenkassen einen signifikanten Budget Impact darstellt. Dies kann sogar bis zur Beitragssatzrelevanz reichen: Im Jahr 2012 hatte der G-BA im Anwendungsgebiet Diabetes Typ 1 keinen Zusatznutzen feststellen können. Im Jahr 2021 kam es zur Erweiterung der Zulassung des Wirkstoffs Dapagliflozin auf das neue Anwendungsgebiet „Behandlung der Herzinsuffizienz“; der G-BA stellte in drei von acht Patientenuntergruppen einen Anhaltspunkt auf einen geringen Zusatznutzen fest. Die Schiedsstelle setzte einen Erstattungsbetrag für beide Indikationen mit und ohne Zusatznutzen fest, der zu einem Preisanstieg von 1,19 € auf 1,96 € Therapiekosten pro Tag, also um plus 70 % führte. Unter der Annahme, dass sich die Gesamtanzahl an potenziellen Patientinnen und Patienten für alle mittlerweile zugelassenen Anwendungsgebiete auf insgesamt 7,1 Mio. Patienten beziffert, kommt man für diesen Wirkstoff allein auf ein potenzielles Ausgabenvolumen von 5 Mrd. €.
Angesichts dieses Beispiels verwundert es nicht, dass der größte Anstieg der Ausgaben auf Arzneimittel mit gemischtem Zusatznutzen entfällt (vgl. Abb. 19.5, Abschn. 19.1). Zugleich führt das Beispiel vor Augen, dass die GKV vor einem unangemessenen Preis-Mengen-Verhältnis oder einer massiven Steigerung des Ausgabevolumens nicht hinreichend geschützt ist, da diese Aspekte derzeit nur als optionale Vereinbarungsinhalte ausgestaltet sind.

Grenzen des Value-based Pricing à la AMNOG: Der Preis folgt nicht der Zahlungsfähigkeit der Nachfragenden

Legt man eine Bepreisung zugrunde, die auf die Zahlungsfähigkeit bzw. Zahlungsbereitschaft der Nachfragenden abstellt (Dintsios und Chernyak 2021), zeigt sich, dass diese Definition im Kontext von AMNOG schlicht ungeeignet ist. In einem krankenkassenbasierten Gesundheitssystem sind Nachfragende und Zahlende des Produktes (Patientinnen und Patienten und Versichertengemeinschaft) nicht deckungsgleich und zudem besteht eine asymmetrische Informations- und Entscheidungssituation mit dem zusätzlichen Akteur Ärzteschaft. Die Zahlungsfähigkeit der einzelnen Versicherten soll im Krankheitsfall in der GKV gerade keine Rolle spielen. Passender erscheint es daher, die GKV als Nachfragende zu begreifen, die sich aufgrund ihrer Leistungspflicht jedoch nicht einfach ab einem bestimmten Preis gegen ein Produkt entscheiden kann. Man kann hier genau genommen nicht von einer Zahlungsbereitschaft, sondern Zahlungspflicht sprechen. Hingegen kann das pharmazeutische Unternehmen sich bei Missfallen mit dem Ergebnis der Nutzenbewertung ohne Verhandlung („Opt-out“) oder aber bei Unzufriedenheit mit einem Erstattungsbetrag vom deutschen Markt zurückzuziehen („Außer Vertriebnahme“). Verstärkt wird diese Asymmetrie dadurch, dass ein patentrechtlich geschütztes Angebotsmonopol besteht. Ein Marktrückzug des pharmazeutischen Unternehmens aus Deutschland führte in solchen Fällen lediglich dazu, dass die ggf. noch höheren Kosten für den Import aus anderen Ländern zu übernehmen sind. Oft bleibt es jedoch nur bei einer Androhung der Marktrücknahme. Es lassen sich sieben Marktrücknahmen im direkten zeitlichen Zusammenhang mit einem Schiedsverfahren identifizieren, die mehrheitlich in der Frühphase des AMNOG zustande kamen.
Zugleich kann die Zahlungsfähigkeit der „Nachfragerin“ GKV nicht preisbegrenzend wirken, da die GKV – anders als Großbritannien beispielsweise – keine Budgetgrenze kennt und auch nicht wie Frankreich das Umsatzwachstum von pharmazeutischen Unternehmen auf eine jährliche Zuwachsrate kappt. Der Grundsatz der Beitragssatzstabilität ist lediglich als Programmsatz ausgestaltet, der keine absolute Ausgabenobergrenze einzieht und Beitragserhöhungen letztlich nicht verhindert (Krauskopf 2021). Eine beitragssatzrelevante Finanzdimension in Form eines Zehntel-Beitragssatzpunktes ist ab 1,6 Mrd. € erreicht. Insofern ist unterhalb dieses Volumens der Beitrag einzelner Vereinbarungen zum Ziel der Beitragssatzstabilität kaum messbar. Es bedarf einer operationalisierbaren Verknüpfung zwischen den Erstattungsbeträgen (ggf. in einem Anwendungsgebiet) und der Auswirkung auf die GKV-Finanzen. Die Berücksichtigung von Gesamtausgabevolumen oder Mengenaspekten ist gegen den Willen des Unternehmens in Schiedsverfahren derzeit nicht durchsetzbar (Verfahren 16 P 21–20; 18 P 30–21). Im Gegenteil: Das pharmazeutische Unternehmen hat in Deutschland die ökonomisch geradezu paradoxe Möglichkeit, Mengenausweitungen mit einem steigenden Preis zu verbinden (Verfahren 18 P 30–21).
Die Wahrnehmung des Values aus Sicht der Nachfragenden kommt dadurch zum Tragen, dass neue Arzneimittel hochgradig mit der Hoffnung auf längere Lebenszeit, Linderung von Schmerz und auf mehr Teilhabe am Leben durch verringerte Nebenwirkungen verbunden sind. Die emotionale Komponente des VBP kann Unternehmen helfen, wesentlich höhere Preise als mit anderen Bepreisungsmodellen zu realisieren (Liozu 2017). Entsprechende Öffentlichkeitsarbeit erzeugt eine Art gesellschaftliche Toleranzentwicklung, durch die exorbitante Preise zunehmend Akzeptanz finden sollen: Im Jahr 2014 hatten die Preisvorstellungen des pharmazeutischen Unternehmens dem Arzneimittel Sovaldi mit dem Wirkstoff Sofosbuvir den Beinamen „1.000-Dollar-Pille“ zugetragen und für Schlagzeilen gesorgt. Mittlerweile wird nur noch über Therapiekosten in Höhe von 2–3 Mio. € pro Gentherapie öffentlich diskutiert.
Als Fazit bleibt: Nahezu alle Argumentationslinien des VBP führen derzeit zu einem Preis zugunsten des pharmazeutischen Unternehmens – die Verbindung zwischen Zusatznutzen und Preis wird schrittweise relativiert. Damit der Preis wieder stärker den Nutzen als das „wesentliche Orientierungskriterium“ (BSG 2018) und damit den wirklichen Innovationsgrad des neuen Arzneimittels widerspiegelt, müssen die Kriterien zur Findung des Erstattungsbetrages rationaler gestaltet werden.

19.3 Strukturelle qualitätsorientierte Maßnahmen um Kostendämpfung ergänzen

In den vergangenen Jahren sind viele Gelegenheiten, die Arzneimittelausgaben qualitäts- und zusatznutzenbasiert zu gestalten, verpasst worden. Qualitätsbezogene Vorschläge des GKV-Spitzenverbandes wie die Weiterentwicklung von der schmalen Bewertung einzelner Wirkstoffe im Vergleich zu einer konkreten Vergleichstherapie hin zu einer horizontalen Bewertung von indikationsbezogenen Therapiestrategien unter Verortung sämtlicher medikamentöser Therapieoptionen und nicht-medikamentöser Behandlungen zueinander (Stackelberg et al. 2018) oder die Möglichkeit indikationsspezifischer Preise (Haas et al. 2016) wurden vom Gesetzgeber nicht aufgriffen oder erste Schritte dahin sogar explizit abgelehnt (AMVSG 2017). Die Bereitschaft bei den Politikverantwortlichen, sich einem Interimspreismodell, d. h. einem auf der Preisebene ansetzenden Modell zur Verbesserung der Evidenzlage bei beschleunigten Zulassungen zuzuwenden (GKV-Spitzenverband 2021b), ist noch nicht zu erkennen. Die eher langfristig angelegten strukturellen Neuregelungen zur Betonung der Qualitätsdimension von Arzneimitteln über die anwendungsbegleitenden Datenerhebungen (AbD) geht zwar in die richtige Richtung, ist aber von der Datengrundlage bis hin zum derzeit hochaufwändigen Verfahrensablauf dringend weiterentwicklungsbedürftig.
Im Leistungsbereich „Arzneimittel“ steigen derweil die Ausgaben kontinuierlich und die Ausgabensteigerung fällt überdurchschnittlich im Vergleich zu den allgemeinen Leistungsausgaben aus. Daher ist jetzt der Zeitpunkt, effektive Maßnahmen zur rationalen Preisbildung und Ausgabensenkung zu ergreifen. Dabei gilt es, den international einmaligen unmittelbaren Zugang zu neuen Arzneimitteln ab Zulassung für die Patienten zu erhalten.
Die derzeitigen Kriterien für den Erstattungsbetrag führen insbesondere bei hochpreisigen Vergleichstherapien zu unangemessenen Ergebnissen. Damit der Preis wieder stärker den Nutzen und Innovationsgrad des neuen Arzneimittels widerspiegelt, müssen die Kriterien rationaler gestaltet werden. Dies wird erreicht durch die stärkere Operationalisierung des Grundsatzes „keine Mehrkosten ohne ein Mehr an Nutzen“. Entsprechend ist dafür Sorge zu tragen, dass die Preisobergrenze bei Arzneimitteln ohne Zusatznutzen wieder verpflichtend einzuhalten ist. Außerdem sollte eine Preisdifferenzierung von patentgeschützten Me-toos ermöglicht werden. Unsichere Studienergebnisse sollten generell mit einem Preisabschlag beantwortet werden, um einen finanziellen Anreiz zur Evidenzgenerierung zu setzen. Statt der Kosten vergleichbarer Arzneimittel sollten die tatsächlichen Forschungs- und Entwicklungskosten berücksichtigt werden, die selbstverständlich manipulationsfrei und um öffentliche Subventionen und Marketingkosten bereinigt von den Unternehmen darzustellen sind. Als Gegengewicht zu dem „Preisanker“-Effekt des freigewählten Einstandspreises muss über die rückwirkende Geltung des Erstattungsbetrages ab dem 1. Tag ein Anreiz zu angemesseneren Erstjahrespreisen gesetzt werden.
Neben hohen Preisen für Neueinführungen verfolgen pharmazeutische Unternehmen auch Strategien, um die Mengen (und damit die Umsätze) ihrer Arzneimittel zu steigern. Während Preisregelungen aber verpflichtender Teil der Erstattungsbetragsverhandlungen sind, gilt für Mengenaspekte derzeit noch: Eine Berücksichtigung ist nur möglich, wenn beide Verhandlungspartner das wollen. Deshalb sollten Mengenaspekte künftig in Erstattungsbetragsverhandlungen verpflichtend berücksichtigt werden.
Ein anderer wirksamer Ansatzpunkt wäre die Einhegung des Ausgabenanstiegs aufgrund des Einsatzes von Arzneimitteln in jeglicher Kombination: Der Umsatz der AMNOG-Arzneimittel, die explizit für einen Einsatz in Kombination zugelassen sind, belief sich im Jahr 2020 allein im ambulanten Bereich auf 7,5 Mrd. €. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Anstieg um 32 %. Der Umsatzanteil der Orphan-Arzneimittel, die in Kombination zugelassen sind, stieg zuletzt sogar um mehr als 50 % (Parow et al. 2022). Das AMNOG-Verfahren mit Nutzenbewertung und Erstattungsbetragsverhandlungen beschränkt sich auf laut Fachinformation explizit in Kombination mit anderen Wirkstoffen zu verordnende Arzneimitteltherapien.5 Nicht erfasst werden jedoch alle implizit zugelassenen Kombinationen und alle Kombinationen mit Bestandsmarktarzneimitteln. Die Problematik der Kombinationstherapien über eine Multiple-Therapien-Nutzenbewertung und Mehrparteienverhandlungen zu lösen, ist komplex und benötigt Zeit. Die Ausgabenentwicklung erfordert hingegen sofortiges Handeln. Als Übergangslösung bedarf es daher eines einfachen Instruments wie eines zusätzlichen Herstellerabschlages auf den kombinierten Einsatz von Arzneimitteln. Ein Abschlag auf den Erstattungsbetrag von 20 % ergäbe abhängig vom Ergebnis der Erstattungsbetragsverhandlung ein Einsparvolumen von 185 bis 250 Mio. €/Jahr (BMG 2022).
Des Weiteren sollte die Wirtschaftlichkeitsproblematik des packungsgrößenbedingten Verwurfes angegangen werden. Durch eine zu große Packungsgröße werden Krankenkassen gezwungen, mehr Wirkstoffmenge zu bezahlen, als für die ausreichende Versorgung des Patienten notwendig ist. Für die USA wurde hochgerechnet, dass 10 % der Ausgaben für onkologische Arzneimittel (ca. 2,8 Mrd. $) jährlich für Verwurf ausgegeben werden (Bach et al. 2016). Das präzise datenauslesbare Kostenvolumen für den sog. „unvermeidbaren Verwurf“ bei parenteralen Zubereitungen im AMNOG- und Bestandsmarkt betrug im Jahr 2021 rund 50 Mio. €. Hinzu kommen datentechnisch derzeit überhaupt nicht erfassbare Kosten durch den Verwurf von individuell dosierten Fertigarzneimitteln beim Patienten. Die Ausgabenrelevanz von Verwurf bei Patientinnen und Patienten nimmt aufgrund der Tendenz zu immer höheren Packungspreisen für Fertigarzneimittel zu. Im wachsenden Segment der hochpreisigen Orphan-Arzneimittel sind Verwürfe besonders ausgabenträchtig.
Die Redewendung vom „lernenden System“ mit Bezug auf das AMNOG-Verfahren ist mehr als eine Floskel. Tatsächlich wird das AMNOG als Regulierungssystem eines der versorgungsrelevantesten wie ausgabeträchtigsten Leistungsbereiche der GKV in Wechselwirkung mit den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen und finanzstrukturellen Grundentscheidungen zur GKV immer neu kalibriert werden müssen.
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Fußnoten
1
Zählung auf Wirkstoffebene, exkl. Festbetrags-Schnelleingruppierungen.
 
2
Die Wirkstoffe Nusinersen und Onasemnogen-Abeparvovec sind Gentherapien, die zur Behandlung von 5q-assoziierter spinaler Muskelatrophie (SMA) zugelassen sind.
 
3
Der Wirkstoff Pembrolizumab ist ein monoklonaler Antikörper, der zur Behandlung zahlreicher Tumorarten zugelassen ist.
 
4
Nach derzeitigem Zulassungsrecht erhält ein Wirkstoff in der Regel nur eine Zulassung, die um neue Indikationen erweitert wird (Konzept „Globalzulassung“). Ausnahme ist, dass derselbe Wirkstoff eine Zulassung als Orphan-Arzneimittel und als Arzneimittel in einer Nicht-Orphan-Designation eine Zulassung auf Antrag des Unternehmers erhalten kann. Aufgrund § 78 Absatz 3 Satz 1 SGB V hat der Unternehmer für dasselbe Arzneimittel einen einheitlichen Abgabepreis sicherzustellen.
 
5
Daneben gibt es Arzneimittel, die aufgrund der ärztlichen Therapiefreiheit in Kombination eingesetzt werden können, aber nicht müssen (sog. „implizite Kombinationstherapien“).
 
Literatur
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Metadaten
Titel
Ergebnisse des AMNOG-Erstattungsbetragsverfahrens
verfasst von
Dr. med. Antje Haas
Dr. Anja Tebinka-Olbrich
Dr. Daniel Erdmann
Susanne Henck
Maximilian Blindzellner
Dr. rer. medic, M.Sc. Christine Göppel
Lukas Lehmann
Copyright-Jahr
2022
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-66041-6_19