Skip to main content

08.02.2024 | Typ-2-Diabetes | Nachrichten

Rund um die Muskelmasse

Diabetes und Sarkopenie: Ein Teufelskreis!

verfasst von: Dr. med. Bianca Bach

print
DRUCKEN
insite
SUCHEN

Wer gesund altern möchte, braucht Muskeln. Das betrifft besonders Menschen mit Diabetes, die sonst schnell in eine Abwärtsspirale geraten. Denn Sarkopenie und Diabetes mellitus beeinflussen sich gegenseitig.

Lässt die Muskulatur nach, verstärkt das einen Diabetes mellitus. Der wiederum schwächt die Muskulatur. Kritisch wird das gerade dann, wenn Menschen allgemein an Muskulatur und Kraft verlieren: im Alter. Insulinresistenz und Hyperglykämie und somit auch eine schlechte Blutzuckereinstellung beschleunigen die Entstehung einer altersbedingten Sarkopenie. Kein Wunder, dass Menschen mit Diabetes im Vergleich zur Normalbevölkerung zwei- bis dreimal so häufig eine Sarkopenie entwickeln. Umgekehrt begünstigt der Muskelschwund eine diabetische Stoffwechsellage. Die Beziehung zwischen Sarkopenie und Diabetes ist ein Teufelskreis.

Sarkopenie ist ein häufiges altersassoziiertes Syndrom, das zu einem Verlust an Muskelmasse, verminderter Muskelkraft und progredienten Funktionseinschränkungen führt. Bis zum Alter von 80 Jahren können Menschen 30 bis 40 Prozent ihrer Muskelmasse einbüßen (Diseases 2023; 11: 175–187). Schlecht für die Lebensqualität: Die Menschen werden gebrechlich, stürzen leicht, müssen öfter ins Krankenhaus. Zumal die Sarkopenie als komplexe multifaktorielle Erkrankung außer mit Diabetes mit noch mehr chronischen Erkrankungen assoziiert ist, zum Beispiel mit ebenfalls bei Älteren gehäuft vorkommenden kardiovaskulären und neurodegenerativen Erkrankungen und Krebs.

In einer Metaanalyse mit Daten von fast 17.000 Menschen mit Diabetes waren höheres Alter, männliches Geschlecht, chronische Hyperglykämie und Osteoporose signifikante Risikofaktoren für eine Sarkopenie. Sie wurde im Studienkollektiv bei 18 Prozent der Menschen mit Diabetes beobachtet (Diabetol Metab Syndr 2021; 13: 93).

Die zugrunde liegenden Mechanismen sind nicht ganz verstanden. Fest steht: Die Muskulatur ist mehr als ein bloßes Bewegungsorgan. Sie produziert – vor allem, wenn sie genutzt wird – wichtige Botenstoffe, die auf Stoffwechsel, Immunsystem und Gefäße einwirken.

Im Alter wird unter Einfluss von Insulin und Aminosäuren im Muskel weniger Protein gebildet als in jungen Jahren. Weil weniger Muskel da ist, um Glukose zu speichern, ist zugleich die Glukoseverwertung beeinträchtigt. Das führt in einen Teufelskreis aus Insulinresistenz und beschleunigtem Muskelabbau. Ein schlecht eingestellter Blutzucker ist entsprechend ungünstig. Menschen mit diabetischer Mikroangiopathie und Beteiligung von Netzhaut, Niere und peripheren Nerven haben ein besonders hohes Risiko für eine Sarkopenie.

Medikamente mischen mit

Die Muskulatur ist deshalb bei Personen mit Diabetes immer mit im Blick zu behalten. Wichtig ist, Energieaufnahme und -verbrauch gut auszubalancieren.

Neben einem in Sachen Bewegung und Ernährung angepassten Lebensstil spielt vor allem die medikamentöse Behandlung eine wichtige Rolle. Denn auch die kann sich auf die Muskeln auswirken – nicht nur über die blutzuckersenkende Wirkung. Glinide und Sulfonylharnstoff wirken sich negativ auf eine Sarkopenie aus, Metformin, Insulin-Sensitizer und Dipeptidyl-Peptidase (DDP)-4-Inhibitoren minimieren sie. Bei bereits etablierter Insulinresistenz bringt Insulin über die blutzuckersenkenden Effekte hinaus wenig (Drugs & Aging 2023; 40: 703–719).

Derzeit werden einige Antidiabetika für Menschen mit Typ-2-Diabetes hinsichtlich ihrer Effekte auf die Muskelmasse untersucht, außer DDP-4-Inhibitoren etwa auch die Natrium-GlukoseCo-Transporter-2 (SGLT2)-Inhibitoren und Glukagon-like Peptide-1 (GLP-1)-Analoga. Von Interesse sind auch Wirkstoffe, die im Alter die nachlassende Funktion der Mitochondrien anvisieren.

Antikörper im Krafttest

Ein möglicher Therapieansatz bei Kombination aus Adipositas und Diabetes ist auch Bimagrumab. Der Antikörper blockiert Activin-Typ-II-Rezeptoren (ActRII) auf Fettzellen und Myozyten und regt das Skelettmuskelwachstum an. In einer doppelt verblindeten Placebo-kontrollierten Phase-II-Studie wurden seine Wirkung auf Körperzusammensetzung und Blutzuckerkontrolle, sowie seine Sicherheit bei 75 Erwachsenen mit Typ-2-Diabetes, einem Body Mass Index von 28 bis 40 und HbA1c-Spiegeln von 6,5 bis 10 Prozent untersucht (JAMA Netw Open. 2021; 4 (1): e2033457). Neben Diät und Trainingsberatung erhielten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer über 48 Wochen alle vier Wochen entweder eine Infusion von 10 mg / kg Bimagrumab in fünfprozentiger Dextrose-Lösung oder ausschließlich die Dextrose-Lösung.

Primärer Endpunkt war die Reduktion der Körperfettmasse, die sich in der Bimagrumab-Gruppe im Mittel um 20,5 Prozent – 7,5 kg – verringerte, unter Placebo hingegen nur um 0,5 Prozent (0,18 kg).

Mehr Muskeln, weniger Bauch

Signifikant waren auch die Unterschiede bei den sekundären Endpunkten: Die Magermasse nahm unter dem Antikörper um durchschnittlich 1,7 kg zu und unter Placebo um 0,4 kg ab. Nach 48 Wochen hatte der Hüftumfang unter Bimagrumab um 9 cm abgenommen, der HbA1c-Wert war um 0,76 Prozentpunkte gefallen, das Körpergewicht hatte um 6,5 Prozent (5,9 kg) abgenommen. In der Placebo-Gruppe kam es zu Steigerungen um 0,5 cm und 0,04 Prozentpunkte und beim Gesamtgewicht zu einem Abfall um bloß 0,8 Prozent (0,8 kg).

Bemerkenswert ist laut den Autoren und Autorinnen der Zuwachs an Magermasse trotz negativer Energiebilanz und Gewichtsabnahme. „Typischerweise werden bei kalorienarmer Ernährung Abnahmen der Magermasse beobachtet, die nur teilweise ausgeglichen werden, wenn das Programm zur Gewichtsreduktion die Verordnung eines Trainings moderater oder hoher Intensität beinhaltet.“

Sicherheit und Verträglichkeit waren in beiden Gruppen ähnlich. In der Bimagrumab-Gruppe stiegen bei mehr Patientinnen und Patienten initial vorübergehend Leberwerte und Pankreasenzyme. Die spezifischen Wirkmechanismen des Antikörpers sind noch nicht im Detail verstanden.

Adipositas-Paradox im Alter

Wichtig ist es, eine Sarkopenie auch da auf dem Schirm zu haben, wo man sie nicht direkt sieht. Denn sie kommt nicht zwangsläufig in Gestalt eines gebrechlich aussehenden, augenscheinlich abgemagerten Menschen daher. Gerade bei Diabetes mellitus Typ 2 kann die meist vorhandene Adipositas über den desolaten Zustand der Muskulatur hinwegtäuschen. Nach einer Metaanalyse beträgt die Prävalenz der sogenannten sarkopenischen Adipositas bei Menschen mit Diabetes 27 Prozent (Clin Nutr ESPEN 2023; 58: 128–135).

Prognostisch ist die Bedeutung der sarkopenischen Adipositas umstritten. Paradoxerweise scheint sich das begleitende Übergewicht jenseits von 65 Jahren positiv auszuwirken und mit einer höheren Lebenserwartung einherzugehen. So hatten in einer Metaanalyse ältere Menschen mit sarkopenischer Adipositas ein um 15 Prozent niedrigeres Mortalitätsrisiko als solche mit Sarkopenie ohne Adipositas (Ageing Res Rev 2024; 93: 102164).

Diagnose der Sarkopenie

Hinweise auf eine Sarkopenie ergeben sich mitunter schon aus der Anamnese. Bis zu 70 Prozent der Personen mit Diabetes haben Probleme, körperliche Routineaufgaben zu erfüllen (Diabetes Care 2010; 33 (5): 1055–1060). Besonders deutlich sind die Einschränkungen an den unteren Extremitäten: Gerade in den Beinen geht Kraft verloren.

Klinische Kraft- und Funktionstests, wie die Messung der Handgriffstärke oder der Knie-Extensions- und -Flexions-Kraft, der Timed-up-and-go-Test oder die Messung der Gehgeschwindigkeit helfen bei der Einordnung. Beim Stuhl-Aufsteh-Test zum Beispiel soll die zu testende Person so schnell wie möglich fünfmal ohne Armeinsatz – die Arme werden vor der Brust gekreuzt – aus einem Stuhl aufstehen. Es wird vermerkt, wie viele Sekunden sie dafür braucht. Wenn sie sich nicht fünfmal bis zu seiner subjektiv üblichen Streckung aufrichten kann, notiert der Arzt oder die Ärztin, wie oft sie es geschafft hat.

Zur Abschätzung der Muskelmasse können DEXA (dual-energy X-ray-Absorptiometrie), bioelektrische Impedanzanalyse oder Computertomografie herangezogen werden.

Empfehlung der Redaktion

DIAD – Die Initiative gegen Diabetes und Adipositas von Springer Medizin

Diabetes Typ 2 und Adipositas zeigen in Deutschland eine steigende Tendenz. 8,7 Millionen diagnostizierte Erkrankte sowie immer mehr diagnostizierte Kinder und Jugendliche stellen das Gesundheitssystem vor große Herausforderungen, insbesondere durch die schwerwiegenden Folgeerkrankungen. Deshalb haben wir die Initiative DIAD ins Leben gerufen, mit einem interprofessionellen Ansatz, um fortzubilden und gemeinsam einen Beitrag zu leisten, auf die Probleme, den Stellenwert von Prävention, neuen Therapien sowie die Patientenversorgung aufmerksam zu machen und zu helfen, diese zu optimieren.



Quelle: Ärzte Zeitung

Weiterführende Themen

Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft

Kurz, prägnant und aktuell: Die Praxisempfehlungen der Deutschen Diabetes Gesellschaft. 

Passend zum Thema

ANZEIGE

IPD-Fallzahlen & Pneumokokken-Impfung bei Kindern in Deutschland

Das Niveau der postpandemischen Fallzahlen für invasive Pneumokokken-Erkrankungen (IPD) ist aus Sicht des Referenz-Zentrums für Streptokokken in Aachen alarmierend [1]. Wie sich die monatlichen IPD-Fallzahlen bei Kindern und Jugendlichen von Juli 2015 bis März 2023 entwickelt haben, lesen Sie hier.

ANZEIGE

HPV-Impfung: Auch für junge Erwachsene sinnvoll und wichtig

Auch nach dem 18. Lebensjahr kann eine HPV-Impfung sinnvoll und wichtig sein. Viele gesetzliche Krankenkassen übernehmen die Kosten auch zu einem späteren Zeitpunkt noch.

ANZEIGE

Impfstoffe – Krankheiten vorbeugen, bevor sie entstehen

Seit mehr als 130 Jahren entwickelt und produziert MSD Impfstoffe für alle Altersgruppen. Hier finden Sie nützliche Informationen und Praxismaterialien rund um das Thema Impfen.

MSD Sharp & Dohme GmbH