Eine 80-jährige Frau stellte sich zur Abklärung abdomineller Schmerzen vor. Vorausgegangen war die Diagnosestellung einer Autoimmunhepatitis mit Einleitung einer immunsuppressiven Therapie und Auftritt zweier Pneumonien mit opportunistischen Erregern. Die Bildgebung erbrachte einen „omental cake“ mit Verdacht auf Peritonealkarzinose. Bei Auftritt eines akuten Abdomens erfolgte eine explorative Laparotomie, hierbei zeigten sich intraabdominelle Abszesse. Anhand von Blutkulturen und des intraoperativ gewonnenen Materials wurde eine disseminierte Nocardiose diagnostiziert. Die Patientin verstarb aufgrund einer fulminant verlaufenen Sepsis.
Hinweise
Redaktion
H. Haller, Hannover (Schriftleitung)
B. Salzberger, Regensburg
C.C. Sieber, Nürnberg
×
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
Anamnese
Bei einer 80-jährigen Patientin wurde im Juli 2021 eine Autoimmunhepatitis anhand typischer Laborbefunde (ANA-IIFT 1:400; ANA-Screening 2. Muster 1:3200; Sp100-AK positiv, p‑ANCA-IIFT 1:1024) und Histologie (chronisch aktive, überwiegend portale Hepatitis mit Übergreifen auf die Intermediärzone sowie periportale Fibrose) diagnostiziert und mittels Prednisolon (initial 40 mg/Tag) und Azathioprin (50 mg/Tag – entsprechend 1,5 mg/kg KG) therapiert. Nach Ansprechen folgten im Verlauf erneute Hospitalisierungen bei Herpes-simplex(HSV)-1-Pneumonie und pulmonaler Aspergillose (HR-CT Thorax mit kleinflächigem Infiltrat am kleinen Lappenspalt rechts mit Milchglastrübung; bronchoalveoläre Lavage [BAL] mit Nachweis von 248.000 HSV-1-Viruskopien/ml, später BAL-Nachweis von Aspergillus-Antigen und Kultur von Aspergillus fumigatus). Diese wurden mittels Aciclovir (1200 mg/Tag über 14 Tage) und Voriconazol (400 mg/Tag für zunächst 6 Wochen) therapiert. Aufgrund der immunsuppressionsassoziierten Infektionen erfolgte eine Immundiagnostik mit Nachweis einer absoluten CD4+-T-Lymphozytenzahl von 96 Zellen/µl. Die Kombinationstherapie wurde beendet und eine Erhaltungstherapie mittels Budesonid eingeleitet (3 × 3 mg/Tag). Sonstige Vorerkrankungen lagen nicht vor.
Klinischer Befund
09/21 erfolgte die erneute Vorstellung der Patientin, seit dem Vorabend waren Bauchschmerzen und Fieber aufgetreten. Das Abdomen zeigte sich über allen Quadranten druckschmerzhaft. Die Körpertemperatur betrug 38,3 °C tympanal. Die Therapie bestand aus Budesonid 9 mg/Tag und Voriconazol 400 mg/Tag.
**Glomeruläre Filtrationsrate nach „Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration“ Formel
Pfeilmarkierungen entsprechend Abweichung von Referenzwerten
Weitere Diagnostik
Im Röntgen des Thorax zeigten sich Infiltrate im rechten Mittelfeld und beiden Unterfeldern. Aufgrund des ausgeprägten klinischen Befunds folgte eine CT des Abdomens mit Verdacht auf Peritonealkarzinose und wenig Aszites. Es zeigte sich das Bild eines Retentionsmagens bei vermutetem CUP(„cancer of unkown primary“)-Syndrom, DD infektiös-entzündliches Geschehen. Weiter fanden sich Wandverdickungen und -betonung des gesamten Kolonrahmens und der Verdacht auf Dünndarmsubileus (Abb. 1).
×
Weiteres Vorgehen
Seitens Chirurgie wurde aufgrund des Malignitätsverdachts zunächst keine Indikation zur operativen Therapie gestellt. Unter stuhlregulierenden Maßnahmen kam es zunächst zu einer Beschwerdebesserung. Eine kalkulierte antibiotische Therapie mittels Piperacillin/Tazobactam wurde nach Asservierung von Blutkulturen eingeleitet. Es erfolgte die stationäre Aufnahme in die Gastroenterologie. Am Folgetag zeigte sich eine diffuse Abwehrspannung mit folgender Labordiagnostik (Tab. 2):
Tab. 2
Laborbefunde des Folgetages
P Harnstoff
< 71
mg/dl
94↑
P Kreatinin (Jaffé)
0,5–0,9
mg/dl
2,07↑
Geschätzte GFR (MDRD)
> 60
ml/min pro 1,73 m2
24,5↓
Geschätzte GFR (CKD-EPI)
> 90
ml/min pro 1,73 m2
22,1↓
P Cholinesterase
5320–12.920
U/l
992↓
P CRP
0–0,5
mg/dl
32,83↑
P Prokalzitonin
0–0,5
ng/ml
a28↑↑
P Albumin
35–52
g/1
15,7↓
P Osmolalität
280–300
mosmol/kg
302↑
Erythrozyten
4,1–5,3
/pl
3,03↓
Hämoglobin
120–160
g/l
108↓
Hämatokrit
36–45
%
31,5↓
MCV
82–101
fl
104,0↑
MCH
27–34
pg
35,6↑
Thrombozyten
140–440
/nl
139↓
In der erneuten chirurgischen Konsultation wurde aufgrund des progredienten Erkrankungsbilds die Indikation zur Notfalllaparotomie gestellt, die noch am selben Tag erfolgte.
Anzeige
Der Befund wurde als Abszess im Omentum majus des rechten Oberbauchs mit Peritonitis und kleinknotigen Raumforderungen am gesamten Dünndarmmesenterium und paralytischem Ileus zusammengefasst.
Während des postoperativen Verlaufs auf der Intensivstation kam es zu einem fulminanten Schockgeschehen und Versterben der Patientin.
Mikrobiologie
Die Blutkulturen und Op.-Materialien (Abstrich aus Bauchhöhle und Omentum) erbrachten den Nachweis von Nocardia farcinica. In der Obduktion fand sich eine Peritonitis mit Herden im gesamten Bauchraum, auf Organen, Fettgewebe und Verwachsungen des Dünn- und Dickdarms (Abb. 2 und 3). Histologisch handelte es sich um Gram- und Grocott-positive Erreger. Pulmonal zeigten sich eine akute Bronchopneumonie sowie multiple granulomartige Abszesse (Abb. 4). Im Urogenitalsystem fanden sich Abszesse in der Niere und im perirenalen Fettgewebe. In der Leber zeigten sich eine Fibrose und beginnende kleinknotige Leberzirrhose. Als Todesursache wurde ein infektiös-toxisches Herz-Kreislauf-Versagen bei Sepsis aufgrund disseminierter Nocardiose mit septikopyämischen Herden in Thorax, Abdomen und Retroperitoneum konstatiert.
×
×
×
Diskussion
Nocardien sind obligat aerobe, stäbchenförmige, grampositive Bakterien. Die Gattung Nocardia hat über 50 Spezies, eine zunehmende Zahl wird als potenziell pathogen für den Menschen eingestuft [2, 7]. Nocardien kommen in stehenden Gewässern, Tierfäkalien und im Boden ubiquitär vor [2]. Die Infektion erfolgt durch Inhalation oder Wundkontamination.
Risikofaktoren für die Entwicklung von Nocardiosen sind onkologische Leiden, Immunsuppression sowie zugrunde liegende Lungenerkrankungen. In 20–30 % der Fälle kann keine Immundefizienz nachgewiesen werden [2, 7, 9].
Der kulturelle Nachweis dauert etwa 2 Wochen, der Nachweis aus Blutkulturen gelingt selten – eine Alternative bietet die Polymerase-Kettenreaktion [2, 3, 5, 7].
Pulmonale und disseminierte Nocardiosen verlaufen schwerwiegend, bei Immunsuppression verlaufen trotz adäquater Therapie über 50 % der disseminierten Nocardiosen letal [9].
Als Therapie der Wahl wird Trimethoprim/Sulfamethoxazol (TMP/SMX) mit 15 mg/kg pro Tag oder eine hoch dosierte Sulfonamidmonotherapie (z. B. Sulfadiazin 1 g/4–6 h) beschrieben. Bei Immunsuppression und disseminierter Erkrankung sollte TMP/SMX zusammen mit Amikacin, Imipenem oder Meropenem verabreicht werden, bis ein Antibiogramm vorliegt – für viele Spezies sind Resistenzinterpretationen möglich [1]. Die Empfehlung zur Dauer der Therapie variiert (nach Ausprägung der Erkrankung und Immunstatus) zwischen 3 und 12 Monaten. Ab einer Therapiedauer von 3 Monaten sind Rezidive selten, unter Immunsuppression soll grundsätzlich 12 Monate behandelt werden [7, 10].
Anzeige
Eine Drainageanlage bei Abszessen sowie antimikrobielle Therapie ist häufig ausreichend, selten bedarf es operativer Sanierung [6].
Als häufigste Präsentationen sind Wundinfektionen, pulmonale Infektionen oder zerebrale Abszedierungen beschrieben. Isolierte abdominelle/retroperitoneale Nocardiosen sind äußerst selten mit weltweit wenigen Fällen [4, 9]. Infektionen bei peritonealer Dialyse wurden in seltenen Fällen beschrieben [8, 9]. Etwas häufiger finden sich disseminierte Nocardiosen mit abdomineller Beteiligung nach Transplantation oder Immunsuppression [1, 8].
Die häufigsten nachgewiesenen Spezies bei disseminierten Nocardiosen mit abdomineller Beteiligung waren N. asteroides und N. farcinica, wie auch in dem Fall [9].
Die Diagnosestellung ist oft schwierig; häufig wird die abdominelle Nocardiose als Peritonealkarzinose, abdomineller Tumor oder Tuberkulose interpretiert [1, 7]. Hier wurde eine Peritonealkarzinose vermutet, die anhand des Akutverlaufs und der diesbezüglich unauffälligen Sonographiebefunde in der Vorgeschichte unwahrscheinlich erschien. Beachtenswert ist die geringe Dosierung der Immunsuppression, unter der Infektion und fulminanter Verlauf auftraten. Seit 2000 sind ähnliche Verläufe unter intensiver Immunsuppression, nicht jedoch unter oraler Budesonidtherapie berichtet [9].
Anzeige
Die initiale Therapie der autoimmunen Lebererkrankung erfolgte leitliniengerecht mit Prednisolon und Azathioprin. Diskussionswert ist, ob Azathioprin zum Zeitpunkt der Infektion noch residual wirksam war und zum Verlauf beigetragen hat; zwischen Absetzen und Nachweis der Nocardiose lagen 18 Tage. Spekulativ bleibt, ob ein früheres Absetzen der Kombinationstherapie oder eine alleinige Budesonidtherapie den Verlauf hätte verhindern können.
Fazit für die Praxis
Die Nocardiose ist eine seltene Infektionserkrankung. Wundinfekte, pulmonale Infektionen sowie zerebrale Abszedierung sind häufiger, allerdings finden sich bei disseminierter Nocardiose seltener auch peritoneale und retroperitoneale Beteiligungen. Betroffen sind überwiegend Patienten unter Immunsuppression, mit Lungenerkrankungen oder peritonealer Dialyse. Bereits niedrige Dosen immunsuppressiver Therapie sind ein Risiko für schwerwiegende Verläufe. Die Diagnosestellung basiert auf der Identifikation des Erregers in gewonnenem Material.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J. Schlottmann, S. Miller, C. Scheurig-Münkler, C. Merkl, T. Weber, S. Eser, A. Fuchs, H. Messmann und A. Probst geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Mit e.Med Innere Medizin erhalten Sie Zugang zu CME-Fortbildungen des Fachgebietes Innere Medizin, den Premium-Inhalten der internistischen Fachzeitschriften, inklusive einer gedruckten internistischen Zeitschrift Ihrer Wahl.
Mit e.Med Allgemeinmedizin erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Premium-Inhalten der allgemeinmedizinischen Zeitschriften, inklusive einer gedruckten Allgemeinmedizin-Zeitschrift Ihrer Wahl.
Bei Reizdarmsyndrom scheinen Diäten, wie etwa die FODMAP-arme oder die kohlenhydratreduzierte Ernährung, effektiver als eine medikamentöse Therapie zu sein. Das hat eine Studie aus Schweden ergeben, die die drei Therapieoptionen im direkten Vergleich analysierte.
Ob bei einer Notfalloperation nach Schenkelhalsfraktur eine Hemiarthroplastik oder eine totale Endoprothese (TEP) eingebaut wird, sollte nicht allein vom Alter der Patientinnen und Patienten abhängen. Auch über 90-Jährige können von der TEP profitieren.
Wenn unter einer medikamentösen Hochdrucktherapie der diastolische Blutdruck in den Keller geht, steigt das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse: Darauf deutet eine Sekundäranalyse der SPRINT-Studie hin.
Insektenstiche sind bei Erwachsenen die häufigsten Auslöser einer Anaphylaxie. Einen wirksamen Schutz vor schweren anaphylaktischen Reaktionen bietet die allergenspezifische Immuntherapie. Jedoch kommt sie noch viel zu selten zum Einsatz.
Update Innere Medizin
Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.