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Erschienen in: Forum der Psychoanalyse 4/2020

30.10.2020 | Psychoanalyse des Sports

Bergsteigen als Kunst des Scheiterns

Freie Assoziationen zur Frage, wer da ruft, wenn der Berg ruft

verfasst von: Prof. Dr. med. Dr. phil. Rolf-Peter Warsitz

Erschienen in: Forum der Psychoanalyse | Ausgabe 4/2020

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Auszug

Dort in geflügelten Gedanken von Körperlichem auf Unkörperliches übergehend, sprach ich … zu mir selber: Was Dir heute bei Besteigung dieses Berges so oftmals widerfahren, wisse, dass dies auch dir wie vielen andern auf dem Weg zum seligen Leben widerfährt, aber es wird darum von den Menschen nicht hoch angeschlagen, weil des Körpers Bewegungen einem jeden offenkundig sind, die der Seele aber unsichtbar und verborgen. Siehe nun, auch die Seligkeit steht auf erhabener Höhe; ein schmaler Pfad führt zu ihr hin, viele Hügel ragen dazwischen, und von Tugend zu Tugend muss mit fürsichtigen Schritten gewandelt werden. Auf dem Gipfel ist das Ende und Ziel unseres Lebens, auf ihn ist unsere Wallfahrt gerichtet. Dorthin wollen wir gelangen, aber wie Ovid sagt: Velle, parum est, cupias, ut re potiaris. oportet1. (Petrarca 1986 [1336], S. 37, 38)
Fußnoten
1
Das Zitat lautet übersetzt in etwa so: Es ist nötig, dass man begehrt, Wollen ist nicht genug, man soll begehren (Ovid, ex ponto, LCL 151, S. 374, Z 35).
 
2
In Parenthese sei erwähnt, dass der Daseinsanalytiker Ludwig Binswanger – als Schweizer mit dem Bergsteigen wohl vertraut – ein solches Sichversteigen, solche Verstiegenheit nicht nur in theoretischen Diskursen als erste der drei Formen des missglückten Daseins bezeichnete (Binswanger 1993 [1942], S. 241 ff.).
 
3
Vgl. Karl Jaspers über Nietzsche: „Größe und Verhängnis“ (Jaspers 1974).
 
4
Für die des Idiolekts der Ureinwohner nicht Mächtigen sei eine Übersetzung gewagt: „Vater, Vater, lass’ mich ziehen, den Berg, ich muss ihn unterkriegen“.
 
5
Jenes Drama der Aporie wiederholte sich dann am Nanga Parbat in Nepal, den die deutschen Männer berannten, als erwartete sie dort das Paradies – diesmal vergeblich. Ein Österreicher war es (wie der Führer selbst), Hermann Buhl, das große Vorbild von R. Messner, der den Nanga Parbat im Alleingang erstmals bezwang, und noch spätere Gedächtnisexpeditionen (zur Ehre der vielen Toten früherer Versuche, u. a. die legendäre im Jahr 1970 mit Günther und Reinhold Messner) versuchten, diese Scharte des nationalen Selbstgefühls auszuwetzen und das Schuldgefühl ob der vielen Toten zu besänftigen (mittlerweile brüderlich-europäisch vereint mit den Spitzenalpinisten anderer Alpenanrainerstaaten [Messner 2017, S. 119 ff.]).
 
6
Zu deutsch: „Ja, ja, was sagst du, Sepp? – Sie ist wieder da, die Gailtalerin ist wieder da … das wird nicht gutgehen! … Nein, das wird auch nicht gutgehen.“
 
7
Zu deutsch: „Erst musst Du hinauf, dann bin ich Dein!“
 
8
Zu deutsch: „Ja, ja, klettern kann er ja schon, der Bub’, aber der Berg, der kennt kein Einsehn nicht!“
 
9
Zu deutsch: „Ich muss hinauf, hinauf, hinauf“ (Ende).
 
Literatur
Zurück zum Zitat Allmann G (2017) Sturz in die Tiefe: Wie ich 800 Meter fiel und mich zurück ins Leben kämpfte. Piper, München Allmann G (2017) Sturz in die Tiefe: Wie ich 800 Meter fiel und mich zurück ins Leben kämpfte. Piper, München
Zurück zum Zitat Ambros W, Prokopetz J, Tauchen MO (1991) Der Watzmann ruft. Polygram, Wien Ambros W, Prokopetz J, Tauchen MO (1991) Der Watzmann ruft. Polygram, Wien
Zurück zum Zitat Apter M (1994) Im Rausch der Gefahr. Warum immer mehr Menschen den Nervenkitzel suchen. Kösel, München Apter M (1994) Im Rausch der Gefahr. Warum immer mehr Menschen den Nervenkitzel suchen. Kösel, München
Zurück zum Zitat Auer H (2019) Südwand. Vom Free-Solo-Kletterer zum Profilbergsteiger. Piper, München Auer H (2019) Südwand. Vom Free-Solo-Kletterer zum Profilbergsteiger. Piper, München
Zurück zum Zitat Aufmuth U (1984) Die Lust am Aufstieg. Was den Bergsteiger in die Höhe treibt. Drumlin, Weingarten Aufmuth U (1984) Die Lust am Aufstieg. Was den Bergsteiger in die Höhe treibt. Drumlin, Weingarten
Zurück zum Zitat Aufmuth U (1986) Risikosport und Identitätsbegehren. Überlegungen zum Extremalpinismus. In: Gebauer G (Hrsg) Sport – Eros – Tod. Suhrkamp, Frankfurt, S 188 Aufmuth U (1986) Risikosport und Identitätsbegehren. Überlegungen zum Extremalpinismus. In: Gebauer G (Hrsg) Sport – Eros – Tod. Suhrkamp, Frankfurt, S 188
Zurück zum Zitat Aufmuth U (1996) Lebenshunger. Die Sucht nach Abenteuern. Walter, Olten Aufmuth U (1996) Lebenshunger. Die Sucht nach Abenteuern. Walter, Olten
Zurück zum Zitat Balint M (1960) Angstlust und Regression. Beitrag zur psychologischen Typenlehre. Rowohlt, Reinbek Balint M (1960) Angstlust und Regression. Beitrag zur psychologischen Typenlehre. Rowohlt, Reinbek
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Zurück zum Zitat Francia L (2000) Der untere Himmel. Frauen in eisigen Höhen. Econ/ Ullstein, Berlin Francia L (2000) Der untere Himmel. Frauen in eisigen Höhen. Econ/ Ullstein, Berlin
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Zurück zum Zitat Gadamer HG (1977) Philosophische Lehrjahre. Klostermann, Frankfurt Gadamer HG (1977) Philosophische Lehrjahre. Klostermann, Frankfurt
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Metadaten
Titel
Bergsteigen als Kunst des Scheiterns
Freie Assoziationen zur Frage, wer da ruft, wenn der Berg ruft
verfasst von
Prof. Dr. med. Dr. phil. Rolf-Peter Warsitz
Publikationsdatum
30.10.2020
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Forum der Psychoanalyse / Ausgabe 4/2020
Print ISSN: 0178-7667
Elektronische ISSN: 1437-0751
DOI
https://doi.org/10.1007/s00451-020-00411-8

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