Die Erstvorstellung des 84-jährigen Mannes erfolgte in unserer Ambulanz mit Zustand nach einem stumpfen Trauma gegen die linke Gesichtshälfte 14 Tage zuvor. Damals war es zu einer sofortigen Schwellung frontal links sowie zu einer Abschürfung und einem Monokelhämatom im Bereich der linken Orbita gekommen. Es gab keine Anzeichen einer Commotio cerebri. Der Patient beschrieb ein ausstrahlendes brennendes Gefühl in der linken Gesichtshälfte seit 3 Tagen. Außerdem gab er an, dass die Schwellung im Bereich der linken Stirn ebenfalls seit 3 Tagen progressiv und schmerzhaft sei.
Anamnestisch gab der Patient einen Zustand nach einer VVI-Schrittmacher-Implantation im April 2021 mit konsekutiver Antikoagulation mit Rivaroxaban (Xarelto) an. Außerdem litt der Patient an einer Lungenfibrose sowie an einem Zustand nach einem ST-Hebungsmyokardinfarkt im Jahr 2010.
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Klinischer Befund
Klinisch stellte sich der Patient mit einer elastischen, nichtverschiebbaren, druckdolenten Raumforderung von ca. 2 × 2 cm im linken Frontalbereich sowie einem Monokelhämatom im Bereich der linken Orbita vor. Ein Pulsieren der Raumforderung war nicht erkennbar (Abb. 1).
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Aufnahmelabor
Das Labor ergab in Hinblick auf das kleine Blutbild, die Gerinnung, die Elektrolyte und das C‑reaktive Protein Normalwerte.
Weiteres Prozedere
Aufgrund des unklaren Befundes wurde eine Computertomographie des Schädels angefertigt. Die Aufnahmen zeigten eine linke supraorbitale/temporale subkutane, ovale, glatt begrenzte Raumforderung mit einem Längsdurchmesser von 14 mm und einer Wanddicke von etwa 8 mm. Die Läsion war deutlich hypervaskularisiert und stand in Verbindung mit der A. temporalis superficialis (Abb. 2 und 3).
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Wie lautet Ihre Diagnose?
In Anbetracht der Anamnese eines stumpfen Frontaltraumas wurde die Diagnose eines Pseudoaneurysmas gestellt.
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Therapie und Verlauf
Der Patient wurde zur Embolisation des Pseudoaneurysmas sowie zur Planung der chirurgischen Entfernung im weiteren Verlauf auf unserer Station aufgenommen.
Die Punktion des Pseudoaneurysmas mit einer Butterfly-Kanüle erfolgte am nächsten Tag. Die Darstellung durch die Kanüle zeigte, dass das Pseudoaneurysma etwa 15 mm groß war. Es zeigte einen gewundenen kleinen arteriellen Ast der oberflächlichen A. temporalis superficialis, der etwa 5 mm proximal des Pseudoaneurysmas in Richtung Glandula lacrimalis verlief (Abb. 4).
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Die Embolisation wurde über die Butterfly-Kanüle eingeleitet. Nach der Applikation von 1 ml Onyx war das Pseudoaneurysma weitgehend gefüllt, aber es gab noch pulsierende Anteile rostral. Daher wurden mit einer zweiten Butterfly-Kanüle weitere 0,5 ml Onyx appliziert. Weder in der Ultraschalluntersuchung noch in der Angiographie zeigte sich am Ende eine Blutfüllung des Pseudoaneurysmas und es gab keinen Hinweis auf eine Embolusverschleppung (Abb. 5).
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Es wurde ein Druckverband angelegt und der Patient eine Nacht lang in Hinblick auf Nachblutungen überwacht.
Aufgrund des komplikationslosen Eingriffs konnte der Patient unser Krankenhaus am folgenden Tag verlassen und stellte sich eine Woche später wie geplant zur Exstirpation des sklerosierten Pseudoaneurysmas in Lokalanästhesie erneut vor (Abb. 6 und 7).
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Die Histopathologie zeigte ein in Organisation befindliches Hämatom mit Einschluss von Entzündungszellen und schwärzlich pigmentiertem Fremdmaterial (Onyx-Embolus) (Abb. 8).
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Der Patient konnte die Station nach einer Nacht zur Nachblutungsüberwachung verlassen. Die weitere Betreuung des Patienten einschließlich Nahtentfernung erfolgte durch den Hausarzt.
Definition
Ein Aneurysma ist eine Ausbuchtung oder ein Defekt in der Wand eines Gefäßes, wobei verschiedene Schichten betroffen sind. In den meisten Fällen handelt es sich um arterielle Aneurysmen. Je nach Defekt unterscheidet man zwischen einem Aneurysma verum (Ausbuchtung aller Wandschichten), einem Aneurysma dissecans (Ruptur der Intima und Spaltung der Gefäßwand mit Bildung eines zweiten Lumens) und einem Pseudoaneurysma.
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Bei der Entstehung eines Pseudoaneurysmas kommt es im Rahmen einer Perforation der Gefäßwand zu Blutungen in das umliegende Gewebe. In der Folge bildet sich ein extravaskuläres Hämatom, das in seiner Ausdehnung durch das umliegende Gewebe begrenzt wird. Mit der Zeit kommt es zu einer bindegewebigen Organisation des Hämatoms, was zur Bildung einer „falschen“ Gefäßwand und eines „falschen“ Aneurysmas führt [1]. Pseudoaneurysmen machen nur 1 % aller Aneurysmafälle aus [2].
In den meisten Fällen entstehen sie iatrogen im Rahmen von Gefäßpunktionen bei arteriellen Katheterisierungen oder Bypassoperationen. In seltenen Fällen können sie auch durch eine Infektion oder ein stumpfes Trauma entstehen, wie in diesem Fall [3‐5]. Dies geht auch aus der Tatsache hervor, dass seit der Erstbeschreibung durch Bartholin im Jahr 1740 nur über 386 Pseudoaneurysmen der A. temporalis superficialis in der Literatur berichtet wurde [2].
Allerdings ist diese Arterie durch ihre exponierte Lage, den direkten Knochenkontakt und die nur geringe Weichteilbedeckung durch die dünnen Mm. temporales und frontales prädestiniert [6]. Klinisch zeigt sich eine typische, schmerzlose, pulsierende Raumforderung an der Traumastelle [7]. Im Laufe der Zeit kann die Raumforderung an Größe zunehmen und die umgebenden Strukturen können verschoben werden, was zu beispielhaften neuropathischen Symptomen führt. Darüber hinaus kann es je nach Lage des Pseudoaneurysmas zu Einschränkungen des Sehvermögens, Schwindel, Blutungen, Kopf- und Ohrenschmerzen oder Einschränkungen der Mimik kommen. Bei der Auskultation kann ein systolisches Rauschen gehört werden. Hirnnervenlähmungen, Parästhesien und Gefäßbeeinträchtigungen wurden ebenfalls beschrieben und können bei einer Ruptur des Pseudoaneurysmas auftreten [8, 9].
Zu den spezifischen Risikofaktoren für die Entstehung von Pseudoaneurysmen gehören das weibliche Geschlecht, ein Alter von über 65 Jahren, arterielle Hypertonie oder eine bestehende Thrombozytenaggregation [10].
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Die Duplexsonographie wird als niedrigschwellige Erstdiagnose zur Verifizierung der Verdachtsdiagnose empfohlen. Diese zeigt i. d. R. einen turbulenten Fluss und eine Gefäßerweiterung innerhalb des Pseudoaneurysmas [11]. Andere bildgebende Verfahren sind die CT- und MR-Angiographie, die jedoch mit einer deutlich erhöhten Strahlenbelastung für den Patienten verbunden sind oder bei posttraumatischen Situationen mit möglicherweise im Patienten verbleibenden Metallteilen kontraindiziert sind [2, 9]. Die selektive Angiographie gilt jedoch nach wie vor als Goldstandard. Sie ist zwar die invasivste Form der Diagnostik, bietet aber die detailliertesten Ergebnisse mit der Möglichkeit einer gleichzeitigen Intervention durch Embolisation [12].
Diagnose: Pseudoaneurysma der A. temporalis superficialis
Typische Indikationen für die Behandlung eines Pseudoaneurysmas sind die Reduktion einer möglichen posttraumatischen Ruptur und Blutung, ausgeprägte Kopfschmerzen und Schmerzen v. a. im Gesichtsbereich. Auch kosmetische Gründe können ein entsprechender Anlass für eine Therapie sein. Eine konservative Therapie wird nicht mehr empfohlen. Standardtherapie ist derzeit die Embolisation des Pseudoaneurysmas und die konsekutive operative Entfernung des embolisierten Pseudoaneurysmas [9]. Eine Rekonstruktion der Gefäßverbindungen ist aufgrund der ausgeprägten Vaskularisation der Gesichtsregion nicht notwendig. In ausgewählten Einzelfällen kann jedoch eine End-zu-End-Anastomose erforderlich sein, um die Blutversorgung kritischer Strukturen intra- und extrakraniell sicherzustellen [12].
Fazit für die Praxis
Ein mögliches posttraumatisches Auftreten eines Pseudoaneurysmas ist auch bei eher atypischen Befunden ohne eindeutige Hinweise auf ein solches in Betracht zu ziehen.
Wir empfehlen die standardmäßige Durchführung einer Duplexsonographie, um die Verdachtsdiagnose vor chirurgischen Behandlungen zu verifizieren.
Pseudoaneurysmen sind und bleiben ein Bereich der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Disziplinen.
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Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
M. Ebeling, K. Efinger, A. Sakkas, N. Maag, A. Schramm, F. Wilde und S. Pietzka geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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