Skip to main content

2020 | Buch

Historische Fälle aus der Medizin

Erstbeschreibungen von der Ahornsiruperkrankung bis zum Pfeifferschen Drüsenfieber

verfasst von: Prof. Dr. Dr. h. c. Hansjosef Böhles

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

insite
SUCHEN

Über dieses Buch

Ein Fallbuch für alle, die sich für den Ursprung von Erkrankungen aus der Kinderheilkunde und der Inneren Medizin interessieren. Wollten Sie immer schon mal wissen, wie Emil Pfeiffer das Drüsenfieber beobachtete und beschrieb? Wer war dieser Arzt und wie ging es nach der Publikation weiter? In welchem kulturellen Umfeld entstand seine Erstbeschreibung und was wissen wir heute über das Krankheitsbild? 35 kommentierte historische Kasuistiken klassischer und seltener Erkrankungen in deutscher und teilweise englischer oder französischer Sprache, aus denen wir heute noch lernen können.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter
Kapitel 1. Hyperthyreose Morbus Graves und Morbus Basedow, 1835
Zusammenfassung
Im frühen 19. Jahrhundert ergeben sich die ersten Hinweise auf die Zusammenhänge zwischen der Schilddrüse und anderen Organsystemen:
Hansjosef Böhles
Kapitel 2. Purpura Schönlein, 1837
Zusammenfassung
Schönlein bezeichnete die von ihm beobachteten Hautblutungen als „Peliosis“. Die griechische Wortwurzel „pelios“ bezeichnet eine farbliche Veränderung durch ausgetretenes Blut. Schönlein beschreibt „Peliosis“ als „Purpura, Petechia sine febre, fieberlose Petechien, Blutfleckenkrankheit. C h a r a c t e r. Blaue Flecken auf der Haut, die vom Blute herrühren, das sich im malpighischen Netze unter der Epidermis ergiesst. Die Flecken sind permanent, verschwinden nicht unter dem Drucke des Fingers […].“ Er unterteilt die Peliosis in drei Formen. Peliosis Werlhofii, Peliosis rheumatica und die Peliosis senilis. Letztere sind „Todtenflecken“. […] „Sie sind die ersten Andeutungen des Aufhörens der Gefässthätigkeit. Sie sind kein Gegenstand der Behandlung.“ Bis Schönlein war hauptsächlich nur die von Paul Gottlieb Werlhof (1699–1767) 1735 in Hannover beschriebene „Purpura haemorrhagica“ bekannt. Schönlein publizierte selbst nur eine einzige Arbeit, nämlich seine Dissertationsarbeit „Von der Hirnmetamorphose“; seine Vorlesungen und Lehrmeinungen wurden von seinen Schülern niedergeschrieben und unter seinem Namen veröffentlicht. Die Beschreibung durch den Pädiater Henoch (1820–1910) 1874 (s. unten) erfolgte 37 Jahre später und fügte der Beschreibung von Schönlein die Beschreibung abdomineller Beschwerden hinzu. Im klinischen Alltag sprechen wir heute von der Purpura Schönlein-Henoch.
Hansjosef Böhles
Kapitel 3. West-Syndrom (infantile Spasmen), 1841
Zusammenfassung
Auch in unseren Tagen sind Krampfanfälle bei jungen Säuglingen ein für die betroffenen Familien erschreckendes Erlebnis. Somit können wir die Sorge des Vaters und Arztes W.J. West verstehen, der in seiner Verzweiflung den Fall seines Sohnes im Februar 1841 in The Lancet publiziert. Als BNS-Anfälle („Blick-Nick-Salaam-Anfälle“, engl. „infantile spasm“) ist diese schwerwiegende Epilepsieform in die medizinische Literatur eingegangen.
Hansjosef Böhles
Kapitel 4. Morbus Addison (die Nebennierenrindeninsuffizienz), 1855
Zusammenfassung
Es war das Interesse Addisons an Erkrankungen der Haut, die sein Interesse auf die nachfolgend beschriebenen Patienten lenkte. Der dunkle Hautteint brachte den ärztlichen Beschreiber sogar zur Überlegung, ob nicht ein Elternteil schwarz gewesen sein könnte.
Hansjosef Böhles
Kapitel 5. Down-Syndrom, 1866
Zusammenfassung
Der moderne Leser erschrickt über die direkte, für uns nicht politisch korrekte Bezeichnung geistig retardierter Personen als „Idioten“. Down lag nichts ferner als eine Diskriminierung der von ihm beschriebenen und mit großer Zuneigung betreuten Patienten. Es war sein Anliegen, ein Klassifizierungssystem zur besseren ätiologischen Einteilung zu finden. Sein Einteilungsvorschlag folgte ethnischen Kategorien.
Hansjosef Böhles
Kapitel 6. Anorexia nervosa, 1873
Zusammenfassung
Fastenregeln waren im Mittelalter ein Zeichen religiöser Spiritualität und wurden als heilige Handlungen („Anorexia mirabilis“) angesehen [1]. Medizinische Aspekte kamen erst langsam gegen Ende des 18. Jahrhunderts auf. Als eine der ersten medizinischen Beschreibungen gilt der Bericht des englischen Arztes Richard Morton (1637–1698), den er in seinem 1694 in englischer Sprache erschienenen Buch „Phthisiologia: Or, a Treatise of Consumptions“ niederlegte. Ein Fall handelt von einem 18-jährigen Mädchen, das ohne Anzeichen für eine andere Erkrankung in extremer Weise fastete. Morton, der die Diagnose „Nervous Atrophy, or Consumption“ stellte, beschrieb sie als „Skeleton only clad in skin“ (Haut und Knochen) und „continual poring upon books“ („dauernd über Büchern brütete“). Sie verweigerte jegliche Behandlung und starb drei Monate später. Aber erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde die Nahrungsverweigerung als ein rein medizinisches Problem beschrieben. Fast zeitgleich publizierten Lasègue in Frankreich und Gull in England ihre Berichte. C. Lasègue [2] prägte dabei den Begriff „Anorexia hysterica“ und W.W. Gull [3] unseren modernen Begriff „Anorexia nervosa“.
Hansjosef Böhles
Kapitel 7. Die Erb’sche Plexusparese, 1874
Zusammenfassung
Bei der Geburt eines Kindes wird normalerweise das Köpfchen zuerst geboren. Die Probleme aus abnormen Geburtslagen wie vor allem der Steißlage werden heutzutage gerne durch einen Kaiserschnitt umgangen. In früheren Zeiten dagegen versuchte man vor der Geburt noch eine sog. äußere oder innere Wendung durchzuführen. Bei der inneren Wendung war es teilweise nicht zu vermeiden, dass auf einen Arm Zug ausgeübt werden musste oder dass bei der Lösung der Schulter inadäquate Kräfte auf axilläre Nervenstränge einwirkten und dadurch Läsionen verursachten.
Hansjosef Böhles
Kapitel 8. Purpura Henoch, 1874
Zusammenfassung
Einer der ersten an einer naturwissenschaftlichen Medizin orientierten Internisten des frühen 19. Jahrhunderts war Lukas Schönlein (1793–1864). Er hatte 1829 eine kutane Purpura beobachtet und nachfolgend 1837 in seinem Lehrbuch beschrieben (s. unten). Die Beschreibung durch den Pädiater Henoch erfolgte 37 Jahre später und fügte der Beschreibung von Schönlein die Betonung abdomineller Beschwerden hinzu. Im klinischen Alltag sprechen wir heute von der Purpura Schönlein-Henoch.
Hansjosef Böhles
Kapitel 9. Myotonia congenita Thomsen, 1875/1876
Zusammenfassung
Ich erinnere mich an unseren Professor für Neurologie, der uns lehrte: „Wenn Sie im Winter an einer Haltestelle stehen und Sie sehen in der Entfernung die Straßenbahn kommen und neben Ihnen beginnt ein Mann trippelnde Gehbewegungen zu machen, dann hat dieser eine Myotonia congenita Thomsen. Er ist nicht in der Lage, einfach einzusteigen, wenn sich die Türen der Straßenbahn öffnen, ohne sich vorher warmgelaufen zu haben.“ Es handelt sich bei dieser Arbeit um die erste Beschreibung einer angeborenen Myotonie durch Dr. J. Thomsen (Myotonia congenita Thomsen) [1]. Thomsen beschrieb die bei 16 Mitgliedern der eigenen Familie aufgetretenen Fälle, von seiner Ur-Großmutter bis zu seinen eigenen Kindern (5 Generationen). Ausschlaggebend dafür, diese Publikation zu schreiben, war, wie Thomsen selbst angibt, dass bei der militärischen Musterung seines jüngsten Sohnes dieser für einen Simulanten gehalten worden war.
Hansjosef Böhles
Kapitel 10. Morbus Gaucher, 1882
Zusammenfassung
Die nachfolgende Erstbeschreibung ist die Promotionsarbeit von Philippe Charles Ernest Gaucher, die dieser am 28. Januar 1882 der Medizinischen Fakultät der Universität Paris vorgelegt hat. Er hat die Arbeit der Erinnerung an seine Mutter und an seinen Onkel Dr. Philippe Gaucher, der ihn zum Medizinstudium brachte, gewidmet. Der Umfang der Arbeit beträgt 34 Seiten.
Hansjosef Böhles
Kapitel 11. Morbus Hirschsprung, 1888
Zusammenfassung
Bei dieser Arbeit handelt sich um die offizielle Erstbeschreibung des Megacolon congenitum durch Aplasie der Ganglienzellen des Darmes (Plexus submucosus Meissner, Plexus myentericus Auerbach). In der von Virchow gegründeten medizinhistorischen Sammlung der Charité befindet sich ein über einen Meter hohes säulenartiges Standgefäß mit dem Megakolon eines Patienten mit Morbus Hirschsprung. Als Todesursache wird angegeben, dass er von seiner eigenen „Kotsäule“ erdrückt worden war. Im Jahr 1886 trug Harald Hirschsprung in Berlin bei der Tagung der Gesellschaft für Kinderheilkunde die nachfolgende Krankengeschichte eines Säuglings vor, der an einer Verstopfung bei massiver Erweiterung der Kolons litt. Hirschsprung besuchte gerne die Jahrestagungen der Deutschen Gesellschaft für Kinderheilkunde. Sein Besuch erfreute die deutschen Kollegen immer sehr, da er sie gerne mit Zigarren aus der eigenen Familienmanufaktur beschenkte. Die 1886 vorgetragenen Fälle publizierte er 1888 in deutscher Sprache.
Hansjosef Böhles
Kapitel 12. Zöliakie (einheimische Sprue), 1888
Zusammenfassung
In den Innenstädten werden zunehmend Restaurants mit dem Hinweis „glutenfreie Ernährung“ beworben. Der Bedarf ergibt sich aus der Tatsache, dass immer häufiger hinter unklaren Allgemeinbeschwerden eine Zöliakie als Ursache erkannt wird. Das große Varianzspektrum der klinischen Merkmale ist seit dem Beginn der Erkrankungsberichte ein besonderes Merkmal. Damit sind wahrscheinlich auch die vielen Irrwege, die bis zur Klärung des Problems beschritten werden mussten, zu erklären. Samuel Gee war nicht der erste Arzt, der auf die abdominellen Probleme hinwies, aber er war der Erste, der eine moderne Gesamtzusammenstellung der Symptome gab. Heute erweist sich die Zöliakie als eine beunruhigend häufig auftretende Erkrankung, die zunehmend hinter teilweise unbedeutenden Teilsymptomen des Körpers erkannt wird.
Hansjosef Böhles
Kapitel 13. Infektiöse Mononukleose (Pfeiffersches Drüsenfieber), 1888
Zusammenfassung
Emil Pfeiffer hielt nur zwei kurze Vorträge über das nach ihm benannte „Drüsenfieber“; den ersten 1888 auf der Versammlung Deutscher Naturforscher und Ärzte in Köln, der 1888 im Jahrbuch für Kinderheilkunde unter dem Titel „Drüsenfieber“ publiziert wurde. Der weitschweifige und etwas umständliche Beginn der Arbeit zeugt davon, dass wissenschaftliche Mitteilungen noch mit Bedacht und ohne großen Zeitdruck gemacht wurden.
Hansjosef Böhles
Kapitel 14. Neurogene Muskelatrophie Typ Werdnig-Hoffmann, 1891
Zusammenfassung
Zwei Neurologen beschreiben im gleichen Jahr, 1891, an verschiedenen Orten die gleiche Erkrankung, ohne etwas voneinander zu wissen. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kommt es zur Beschreibung einer Vielzahl neurologischer Erkrankungen, die mit den Eigennamen der Erstbeschreiber sich auch noch heute in der modernen Literatur finden. In Frankreich ist dies vor allem das Umfeld von Martin Charcot (1825–1893) an der Salpétrière in Paris und in Deutschland die entstehende Neurologie an der Universität Heidelberg im Umfeld von Wilhelm A. Erb (1840–1921).
Hansjosef Böhles
Kapitel 15. Marfan-Syndrom, 1896
Zusammenfassung
Die nachfolgende Erstbeschreibung skeletaler Auffälligkeiten wurde von Dr. Marfan erstmals als Vortrag in der Sitzung der „Société Médicale des Hôpitaux“ vom 28. Februar 1896 gehalten. Die außergewöhnlich langen schmalen Gliedmaßen waren von der Mutter schon bei der Geburt des Kindes bemerkt worden. Im Alter von sechs Jahren wurde die Patientin von weiteren Ärzten untersucht, denen dann bereits die Diagnostik mit den 1895 von Röntgen entdeckten X-Strahlen zur Verfügung stand.
Hansjosef Böhles
Kapitel 16. Koplik-Flecke bei Masern, 1896
Zusammenfassung
Mein Professor für Kinderheilkunde an der Universität Erlangen, Professor Windorfer, fragte uns neue Studenten in der ersten Stunde: „Was sind Kinderkrankheiten?“ Seine Antwort war: „Das sind derartig ansteckende Erkrankungen, dass eine Person keine Chance hat, durch die Kindheit zu kommen, ohne angesteckt zu werden.“ Exemplarisch für diese hohe Infektiosität sind die Masern. Die Krankheitsbezeichnung Masern leitet sich von lateinisch „morbilli“ ab und ist im Grunde die Verkleinerungsform von „Morbus“, dem Ausdruck für Krankheit. Die Masern sind weltweit immer noch für die höchsten Sterblichkeitszahlen im Kindesalter verantwortlich. Die Thematisierung der Masernerkrankung ist wegen der unverständlicherweise hohen Zahl von „Impfverweigerern“ von allergrößter gesundheitspolitischer Bedeutung.
Hansjosef Böhles
Kapitel 17. Morbus Still (systemische juvenile idiopathische Arthritis), 1897
Zusammenfassung
Das Wort „Rheumatismus“ wurde 1642 erstmals von dem französischen Arzt Guillaume de Baillou (1538–1616) gebraucht. Er betonte dabei, dass es sich bei der „Arthritis“ um eine systemische Erkrankung handeln würde. Seine Gedanken legte er in seinem Buch „Liber de Rheumatismo et Pleuritide dorsali“ nieder. De Baillou sollte auf Wunsch von Heinrich IV. Arzt des „Dauphins“ werden, was er jedoch ablehnte, um sich seinen Studien widmen zu können. Er war 1578 auch der Erste, der den Keuchhusten („Tussis quintina“) beschrieb. Er gilt außerdem mit seinem Buch „Epidemorium & Ephemeridium Libri duo“ als Begründer der modernen Epidemiologie. Die erste Beschreibung einer juvenilen Arthritis wird Cornil 1864 zugeschrieben. Er berichtete über eine 29-jährige Frau, die seit dem 12. Lebensjahr an chronischen Gelenkentzündungen litt. Nachfolgend wird die erste Beschreibung der systemischen Erkrankungsform im Kindesalter vorgestellt.
Hansjosef Böhles
Kapitel 18. Morbus Fröhlich (Dystrophia adiposogenitalis), 1901
Zusammenfassung
In der klinischen Praxis der Kinder- und Jugendmedizin gibt es kaum eine Diagnose, die so häufig aus fehlendem Wissen und damit Verlegenheit gestellt wurde, wie „Morbus Fröhlich“. Insbesondere bei Knaben mit einer konstitutionellen Entwicklungsverzögerung und einem gewissen Übergewicht war es bisher geläufig, „Morbus Fröhlich“ als Diagnose zu lesen. Die nachfolgend dargestellte Arbeit von Fröhlich, die konstant fehlverstanden und falsch zitiert wurde, zeigt, dass Tumoren mit großem suprasellärem Anteil unter Einbezug hypothalamischer Kerngebiete zu einer hormonellen Störung bei gleichzeitiger Adipositasentwicklung führen können [1].
Hansjosef Böhles
Kapitel 19. Kuhmilchproteinintoleranz, 1905
Zusammenfassung
Hippocrates (460–370 BC) beschrieb als Erster die Beziehung zwischen dem Auftreten von Erbrechen, Urtikaria, Kopfschmerzen und Milch. Etwa 100 Jahre vor unserer Zeitrechnung schrieb der römische Dichter Titus Lucretius: „was für den einen Nahrung ist, ist für andere Gift“. Nach jahrhundertelangem „Schweigen“ berichtet Thomas Willis (1621–1675) von einem durch Nahrungsaufnahme ausgelösten Asthmaanfall. Mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts mehren sich die Beobachtungen von gastrointestinalen Störungen bei Säuglingen nach dem Genuss von Kuhmilch. Allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel treten bei 6–8 % der Kinder in den ersten Lebensjahren auf [1]. Die Prävalenzrate nimmt dann ständig ab und pendelt sich bei Erwachsenen auf 2–3 % ein. Im Kindesalter sind nur wenige Nahrungsmittel wie Kuhmilch, Hühnerei, Soja, Weizen, Nüsse und Fisch für über 90 % der allergischen Reaktionen verantwortlich. Lange, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, hatte man jedoch keine Vorstellungen über die Ursachen auffälliger klinischer Krankheitsbilder, wie z. B. die Kuhmilcheiweiß-Allergie.
Hansjosef Böhles
Kapitel 20. Galaktosämie, 1908
Zusammenfassung
Die Anfänge der Kohlenhydratchemie gehen ins frühe 19. Jahrhundert zurück. Im Jahr 1811 beobachtete Gottlieb Sigismund Constantin Kirchhoff (1764–1833), Apotheker am Hof des Zaren in St. Petersburg, dass nach dem Erhitzen von Stärke mit Schwefelsäure ein Sirup entsteht, aus dem Glukose isoliert werden konnte. Analysen von Joseph Louis Gay-Lussac (1778–1850) und Louis Jacques Thénard (1777–1857) ergaben, dass Zucker, Stärke und Zellulose Wasserstoff und Sauerstoff zu gleichen Anteilen wie in Wasser enthielten. Diese Verbindungen wurden 1827 von William Prout (1785–1850) als „Saccharine“ zusammengefasst. Erst 1844 jedoch wurde von Carl Schmidt (1822–1894) erstmals die Bezeichnung „Kohlenhydrate“ gebraucht. Andere Verbindungen wurden entweder der „öligen“ oder der „albuminären“ Klasse zugeordnet. Erst in den 3 letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erhielten die Kohlenhydrate wieder verstärkte Aufmerksamkeit. Zu Beginn dieser Zeit waren die einfachen Zucker Glukose, Fruktose, Galaktose und Sorbose bekannt. Saccharose war ein kommerziell verfügbarer Zucker, der zu Fruktose und Glukose hydrolysiert werden konnte. Erst 1871 jedoch wurde seine Struktur als Disaccharid von Rudolf Fittig (1835–1910) vorgeschlagen. Gleichfalls war Laktose der Milch geläufig, und es war bekannt, dass sie in Galaktose und Glukose gespalten werden konnte. Im Jahr 1875 hat Emil Fischer (1852–1919) Phenylhadrazin entdeckt, welches mit einfachen Zuckern reagiert und kristallisierbare Verbindungen bildet, die getrennt werden können und dadurch eine Darstellung unterschiedlicher Zucker möglich machen. Zwischen 1883 und 1894 hatte er die Strukturformeln der meisten Zucker dargestellt.
Hansjosef Böhles
Kapitel 21. Thyreoiditis lymphomatosa Hashimoto, 1912
Zusammenfassung
Um 1900 war es Paul Ehrlich (1854–1915), der Probleme aus der Bildung von tierischen Antikörpern vorhersagte, wenn diese gegen ein Körpergewebe gerichtet sind. Er prägte dafür den Namen „Horror Antitoxicus“ [1]. Girolamo Fracastoro (1478–1553), der vor allem wegen seines epischen Gedichtes „Syphilis sive morbus gallicus“ (Syphilis oder die Französische Krankheit) als Namengeber der Syphilis erinnert wird, ist auch der Autor des 1546 erschienenen Buches mit einer Theorie über Infektionen durch kleinste Partikel mit dem Titel „De sympathia et antipathia rerum liber unus. De contagione et contagiosis morbis et curatione.“ [2]. Mit einer gewissen Vorstellungskraft kann man in dem Titel auch einen ersten Hinweis auf die Begrifflichkeit „Selbst“ und „Nicht-Selbst“ des Körpers sehen. Charles Eucharist de Medicis Sajous (1852–1929) publizierte 1903 „The Internal Secretions and the Principles of Medicine“, in dem er die Vermutung aufstellte, dass die Nebennieren, die Hirnanhangsdrüse (gl. pituitaria) und die Schilddrüse die Immunmechanismen des Körpers kontrollieren [3].
Hansjosef Böhles
Kapitel 22. Globoidzellleukodystrophie; (Morbus Krabbe), 1913
Zusammenfassung
Das altgriechische Wort „skleros“ bedeutet „hart“. Eine Sklerose ist somit eine Gewebeverhärtung. Pathoanatomisch liegt einer Sklerose des Gehirngewebes immer eine Entmarkung infolge einer Entzündungsreaktion zugrunde. In der Zeit der vorzustellenden Erstbeschreibung hat sich Knud Krabbe für die diffuse Gehirnsklerose bei Kindern zu interessieren begonnen. Es waren nur zwei Formen der Zerebralsklerose bekannt, die syphilitische Form und die Schilder-Encephalitis periaxialis diffusa, eine demyelinisierende Erkrankung unbekannter Ursache. Es ist der Verdienst von Krabbe, diesen beiden Formen eine dritte, die familiäre infantile Form, hinzugefügt zu haben. Er beschreibt die klinischen und histologischen Befunde bei zwei Geschwistern, die an einer diffusen Sklerose des Gehirns gestorben waren. Er bemerkte das familiäre Auftreten der Erkrankung, den frühen Beginn der Spastizität und den frühen Tod der Kinder. Die nachfolgende Beschreibung betrifft den ersten, auf Deutsch publizierten Fall [1]. Drei Jahre später, 1916, wird Krabbe fünf weitere Fälle in englischer Sprache publizieren [2].
Hansjosef Böhles
Kapitel 23. Mukopolysaccharidose Typ 2 (Morbus Hunter), 1917
Zusammenfassung
Im und kurz nach dem Ersten Weltkrieg wurden 1917 in London [1] und 1920 in München [2] zwei im Prinzip ähnliche Erkrankungen beschrieben. Erst Jahre später wird als Gemeinsamkeit eine Störung lysosomaler Enzyme erkannt. Diese konnte jedoch erst definiert werden, nachdem die Darstellung der Lysosomen als zelluläre Ultrastruktur gelungen war. Im Jahr 1924 entwickelte Theodor Svedberg (1884–1971) die Ultrazentrifuge, mit der es schließlich möglich wurde, diese zellulären Substrukturen voneinander zu trennen. Er erhielt dafür 1926 den Nobelpreis für Chemie. Lysosomen und Peroxisomen wurden erstmals von dem Belgier de Duve (1917–2013) isoliert, der dafür 1974 mit dem Medizinnobelpreis ausgezeichnet wurde.
Hansjosef Böhles
Kapitel 24. Mukopolysaccharidose Typ 1 (Morbus Hurler), 1920
Zusammenfassung
Die nachfolgende Erstbeschreibung von zwei Kindern (Georg K. 4 ¾ Jahre und Paul O. 23 Monate) durch Gertrud Hurler ist eine viel zitierte Arbeit, welche die Grundlage für das Verständnis für die klinische Präsentation von lysosomalen Speichererkrankungen im Allgemeinen und Störungen der Glukosaminoglykane (GAG) im Besonderen darstellt. GAG bilden die Grundstrukturen der extrazellulären Matrix der Bindegewebe. Die Hilflosigkeit, mit der man in jenen Tagen derartigen Erkrankungen gegenüberstand, zeigt sich am „Herumirren“ und der Klinikzuordnung, die Frau Hurler zu Beginn ihrer Arbeit beschreibt: „Im November 1918 kam in dem damals 4 ¾ jährigen Knaben Georg K. der erste Fall zur Beobachtung. Er befand sich zu dieser Zeit in Behandlung der psychiatrischen Universitätsklinik und wurde durch das freundliche Entgegenkommen von Herrn Geheimrat Prof. Dr. Kraepelin, dem auch an dieser Stelle verbindlichster Dank ausgesprochen werden soll, für einige Tage der Universitätsklinik zur Beobachtung überwiesen.“ Die Arbeit ist insofern erstaunlich, als sie wesentlich mehr Aufmerksamkeit erhielt als die bereits 2 Jahre vorher (1917) durch Charles Hunter (1873–1955) in englischer Sprache erfolgte klassische Publikation der Mukopolysaccharidose Typ 2 (s. unten). Dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass das Englische als Wissenschaftssprache erst nach dem Zweiten Weltkrieg ihren „Höhenflug“ begann.
Hansjosef Böhles
Kapitel 25. Stevens-Johnson-Syndrom (Erythema exsudativum multiforme major), 1922
Zusammenfassung
Der Begriff „Allergie“ wurde 1906 von dem Wiener Pädiater Clemens von Pirquet geprägt. Die vielfältigen pathophysiologischen Reaktionen im Rahmen immunologischer Abläufe von Allergien wurden jedoch erst 57 Jahre später, 1963, durch Robert R.A. Coombs und Philip G.H. Gell [1] durch die Einteilung in 4 Typen geordnet. Die Typen I bis III sind humoral vermittelt, während der Typ IV zellulär, durch sensibilisierte T-Lymphozyten bedingt ist. T-Lymphozyten wirken über entzündungsfördernde „Lymphokine“. Die von Stevens und Johnson beschriebenen Haut- und Schleimhautveränderungen werden zwischenzeitlich als Reaktionen im Sinne einer Typ-IV-Allergie eingestuft. Nachfolgend berichten die Autoren über zwei Jungen im Alter von 7 und 8 Jahren, die mit auffälligen Hauteffloreszenzen, Fieber und entzündlich veränderter Mundschleimhaut in das Bellevue Hospital New York aufgenommen worden waren. Es ist die Beschreibung des einen 8-jährigen Jungen wiedergegeben.
Hansjosef Böhles
Kapitel 26. von Willebrand-Jürgens-Syndrom, 1926
Zusammenfassung
Die beiden Autoren beginnen die Arbeit mit der Feststellung, dass die „hämorrhagische Diathese“ ein „verworrenes Gebiet“ darstellt, das aber in den letzten Jahren übersichtlicher geworden sei. Sie beschrieben drei Familiengruppen mit sich gleichenden Anamnesen. Die Anamnese ergab, dass fünf von sieben Geschwistern im Kindesalter an unkontrollierbaren Blutungen gestorben waren. Unter 66 Familienmitgliedern fand von Willebrand sieben beteiligte Knaben und 16 betroffene Mädchen. Er bezeichnete die Gerinnungsstörung als „Pseudohämophilie“ [1, 2], weil im Unterschied zur klassischen Hämophilie eine verlängerte Blutungszeit und auch eine dominante Vererbung vorlagen. Die Erkrankung wurde 1926 erstmals von Prof. Erik Adolf von Willebrand, einem finnischen Arzt für innere Medizin, beschrieben [1]. Im Jahr 1924 wurde ihm ein 5-jähriges Mädchen mit einer schweren Blutungsdiathese in seiner Klinik in Helsingfors (Helsinki) vorgestellt. Sie kam von den zwischen Finnland und Schweden gelegenen Aaland-Inseln. Ihre 1882 geborene Mutter wie auch ihr Vater stammten aus einer „Bluter“-Familie. Von Willebrand bezeichnete die Erkrankung zunächst als „Pseudohämophilie“. Die Abgrenzung gegenüber der Hämophilie gelang erst 1933 in der Zusammenarbeit mit dem Leipziger Hämatologen Rudolf Jürgens [3].
Hansjosef Böhles
Kapitel 27. Die perniziöse Fanconi-Anämie, 1927
Zusammenfassung
Fanconi war ein sehr fleißiger Arzt und Wissenschaftler, weshalb einige Erkrankungen seinen Namen tragen oder von ihm entdeckt wurden. Seine Beschreibung einer Form einer aplastischen Anämie eröffnete, wie sich im Verlauf der Jahre zeigen sollte, eine neue Erkrankungskategorie, Erkrankungen mit einer vermehrten Chromosomenbrüchigkeit. Diese führen häufig ab dem zweiten Lebensjahrzehnt zu hämatologischen und auch nichthämatologischen malignen Erkrankungen. Damit gehört die Fanconi-Anämie in eine gemeinsame Krankheitsgruppe mit der Ataxia teleangiectasia und dem Bloom-Syndrom.
Hansjosef Böhles
Kapitel 28. Glykogenose Typ I; (Morbus von Gierke), 1929
Zusammenfassung
Im Jahr 1855 hielt Claude Bernard einen Vortrag vor dem „Collège de France“ und berichtete, dass Glukose, die über die Portalvene in die Leber gelangt, in eine weißliche, stärkeähnliche Substanz transformiert wird. Diese kann „vor unseren Augen“ wieder in Zucker zurückverwandelt werden. Als Mechanismus vermutete er Gärung. Zwei Jahre später konnte er diese Substanz in reiner Form isolieren; er nannte sie „Glykogen“, weil er darin die Quelle des Blutzuckers sah. Im Jahr 1929 kam es zu der dargestellten, klassischen Publikation mit der Beschreibung einer pathologischen Leberglykogenspeicherung bei einem 8-jährigen Mädchen. Noch im gleichen Jahr folgerte Rudolph Schoenheimer (1898–1941) aus biochemischen Untersuchungen, dass die Glykogenspeicherung bei der Patientin eine Folge einer gestörten fermentativen Glykogenolyse sein musste [1].
Hansjosef Böhles
Kapitel 29. Ullrich-Turner-Syndrom, 1929–1938
Zusammenfassung
Über Patientinnen mit Ullrich-Turner-Syndrom wurde in den vergangenen Jahrhunderten verschiedentlich berichtet (s. 28.5). In der kinderärztlichen Sprechstunde der letzten ca. 50 Jahre kam es über die Jahre zu einer unterschiedlichen Gewichtung der Vorstellungsgründe dieser Patientinnen. Zunächst wurden Mädchen wegen einer nicht eintretenden Pubertätsentwicklung und ausbleibender Menarche vorgestellt. Zwischenzeitlich ist die bestehende Kleinwuchsproblematik zum Hauptvorstellungsgrund geworden. Die genetische und die hormonelle Klärung der Problematik geben Antwort auf beides.
Hansjosef Böhles
Kapitel 30. Ileitis regionalis (Morbus Crohn), 1932
Zusammenfassung
Die entzündlichen Darmerkrankungen, „Colitis ulcerosa“ und „Morbus Crohn“, sind keine „neuen“ Erkrankungen, sondern wurden schon in zurückliegenden Jahrhunderten beschrieben. Aber die Ätiologie dieser Erkrankungsgruppe ist bis heute noch nicht geklärt. Im Jahr 1859 wurde in London der Fall der damals 42-jährigen Isabella Bankes beschrieben, die nach einigen Monaten mit Durchfällen und Fieber verstarb [1]. Bei der Autopsie fanden sich transmurale ulzerative Entzündungen des Kolons und des terminalen Ileums und wurde als „simple ulcerative colitis“ diagnostiziert. Über ein Jahrhundert später wurde der Fall als Morbus Crohn reklassifiziert [2]. Im Jahr 1913 beschrieb der schottische Chirurg Kennedy Dalziel aus Glasgow 13 Patienten, die für ihre klassischen Befunde bemerkenswert sind [3]. Der erste Patient, ein Arzt, hatte seit 1901 krampfartige, abdominelle Beschwerden und Durchfälle, die sich zu intestinalen Obstruktionen steigerten und schließlich zum Tod führten. Dalziel unterschied den histologischen Befund bewusst von der Tuberkulose. Im Jahr 1925 berichteten amerikanische Ärzte von „unspezifischen“ hyperplastischen und granulomatösen intestinalen Läsionen, die als „hyperplastic intestinal tuberculosis“ bezeichnet wurden [4]. Die klinischen und pathologischen Auffälligkeiten waren einander bemerkenswert ähnlich: Es handelte sich um relativ junge Patienten, Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene, die auffällig häufig bereits appendektomiert worden waren. Die klinischen Symptome waren Fieber, Bauchkrämpfe, Durchfall und Gewichtsverluste. Erst durch die Arbeit von Burrill Crohn kam es zu einer Abgrenzung von Tuberkulose von entzündlichen Darmerkrankungen.
Hansjosef Böhles
Kapitel 31. Kwashiorkor, 1933
Zusammenfassung
Wie wir zwischenzeitlich wissen, ist Kwashiorkor ein weltweites Erkrankungsproblem, das nicht nur in tropischen afrikanischen Ländern vorkommen kann, sondern als eine Form des Eiweißmangels auch aus dem Deutschland der 1920er-Jahre bekannt ist. Adalbert Cerny (1863–1941) und Arthur Keller (1868–1934) haben in ihrem klassischen Lehrbuch der Ernährungslehre „Des Kindes Ernährung, Ernährungsstörungen und Ernährungstherapie“ den Begriff „Mehlnährschaden“ geprägt, der im Grunde mit Kwashiorkor übereinstimmt. Sie schreiben dazu wörtlich: „Die relative Seltenheit des Mehlnährschadens ist darauf zurückzuführen, dass die Milch als ein für Säuglinge notwendiges Nahrungsmittel allgemein anerkannt ist und dass infolgedessen erst außergewöhnliche Verhältnisse Anlass zu einer ausschließlichen Ernährung mit Mehlabkochungen geben, deren Folge der Mehlnährschaden ist. Den Ärzten ist die Tatsache, dass Säuglinge durch vorwiegende oder ausschließliche Mehlverabreichung geschädigt werden können, bekannt.“
Hansjosef Böhles
Kapitel 32. Phenylketonurie, 1934
Zusammenfassung
Auch bei dieser Erkrankung sind es einige Zufälle, die zu ihrer Beschreibung geführt haben. Dies beginnt einerseits mit dem Chemie- und Medizinstudium von Følling, das ihn erst zu der entscheidenden chemischen Aufarbeitung der Urinproben der Patienten befähigte, und endet andererseits bei der Asthmaerkrankung des Patientenvaters, der feststellte, dass sich seine Beschwerden durch den Geruch der Ausdünstungen seines Kindes verschlechterten. Im Jahr 1963 wurde von Guthrie in den USA ein mikrobiologischer Test zur Bestimmung der Blut-Phenylalanin-Konzentration eingeführt, wodurch die Messung der Serum-Phenylalanin-Konzentration und somit die Erkennung einer Phenylketonurie möglich wurde. Seither ist es möglich, die Erkrankung so frühzeitig zu erkennen, dass eine erfolgreiche diätetische Behandlung und eine normale geistige Entwicklung möglich sind.
Hansjosef Böhles
Kapitel 33. Ahornsiruperkrankung (Maple Syrup Urine Disease; MSUD), 1954
Zusammenfassung
Am Anfang der chemischen Analytik von Stoffwechselerkrankungen standen die Sinneseindrücke, die Substanzen vermittelten, d. h. welche Farbe sie hatten, wie sie rochen und wie sie schmeckten. Erst durch diese Einsicht werden Bezeichnungen wie z. B. Diabetes mellitus (der Honigschmeckende) und Diabetes insipidus (der Geschmacklose) nachvollziehbar. In dieser Tradition ist auch noch die Bezeichnung Ahornsiruperkrankung zu sehen. Gerade bei angeborenen Stoffwechselerkrankungen wird dem untersuchenden Arzt nahegelegt, besonders auf den Geruch der Körperausscheidungen zu achten. Dies traf auch für die von Menkes beschriebenen Kinder zu, deren Mutter berichtete, dass der Urin ihrer Kinder nach Ahornsirup gerochen hätte.
Hansjosef Böhles
Kapitel 34. Morbus Hartnup, 1956
Zusammenfassung
Im Jahr 1735 beschrieb Gaspar Casal (1680–1759), ab 1751 Leibarzt des spanischen Königs Fernando VI. (1713–1759), im asturischen Oviedo die Pellagra. Er sah in der von den Einheimischen „mal de la rosa“ genannten Erkrankung eine besondere Form der Lepra. Die bei diesen Patienten typischerweise im Halsbereich auftretende dunkle und schuppige Haut wird immer noch „Casal’sches Halsband“ genannt. In Italien geht Francesco Frapolli auf die Erkrankung ein („Animadversiones in morbum, vulgo palagram“) und gebraucht 1771 erstmals die Bezeichnung „Pel(l)agra“, was so viel wie „rauhe Haut“ bedeutet. Erst 1937 konnte Conrad Arnold Elvehjem (1901–1962) zeigen, dass Pellagra durch einen Nikotinsäuremangel entsteht, und 1946 wies W.A. Krehl (1914–1991) die Umwandlung von Tryptophan in Nikotinsäure nach. Tryptophan wird zusammen mit den neutralen Aminosäuren im Darm von einem gemeinsamen Carrier resorbiert. Ein angeborener Defekt dieses Transportproteins führt zu einem Tryptophanmangel und in Folge zu einem Nikotinsäuredefizit. Es ist der Familienname dieses nachfolgend beschriebenen 12-jährigen Jungen, E. Hartnup, der zur Bezeichnung der gesamten Erkrankung herangezogen wurde. Die Mutter des Jungen berichtete, dass ihre älteste Tochter P.H. mit ähnlichen Symptomen als Pellagra behandelt worden war. In der Papierchromatographie des Urins zeigten beide Geschwister ein identisches Aminosäureausscheidungsmuster, das aber keiner bisher bekannten Erkrankung zugeordnet werden konnte.
Hansjosef Böhles
Kapitel 35. Bartter-Syndrom, 1962
Zusammenfassung
Im renalen Tubulusapparat findet sich eine Anhäufung von Transportproteinen des Elektrolytstoffwechsels und des Säure-Basen-Haushaltes. Zwischenzeitlich können allen Transportfunktionen eigene genetische Störungen und Erkrankungen zugeordnet werden. Diese sind nach den Eigennamen der Erstbeschreiber benannt, wie z. B. das im Anschluss dargestellte Bartter-Syndrom, das Gitelman-, das Liddle- und das Dent-Syndrom. Ihnen allen sind eine Hypokaliämie und eine metabolische Alkalose gemeinsam. Diuretika üben ihre Funktion aus, indem sie Störungsmechanismen imitieren. So führen Furosemid zu Veränderungen wie beim Bartter-Syndrom und Thiazide wie beim Gitelman-Syndrom.
Hansjosef Böhles
Kapitel 36. Menkes Kinky Hair Disease, 1962
Zusammenfassung
Einzelne metabolische Erkrankungen weisen spezifische strukturelle Veränderungen des Haares auf. Es handelt sich beispielsweise dabei um sog. Trichothiodystrophie-Syndrome mit einem Mangel an schwefelhaltigen Aminosäuren, insbesondere von Cystein. Diese „Schwefelmangelhaare“ sind oft ein Teilsymptom neuroektodermaler Störungen. Weitere auffällige Haarveränderungen sind die Trichorrhexis nodosa beim Argininosuccinat-Lyase-Mangel (Argininmangel), die Trichorrhexis invaginata („Bambushaare“) beim Netherton-Syndrom und „geknickte, drahtartige Haare“ („Kinky-Hair“) mit Pili torti beim Menkes-Syndrom als Folge eines Kupfermangels. Diese Haare sind abnorm brüchig, struppig und kaum frisierbar.
Hansjosef Böhles
Metadaten
Titel
Historische Fälle aus der Medizin
verfasst von
Prof. Dr. Dr. h. c. Hansjosef Böhles
Copyright-Jahr
2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-59833-7
Print ISBN
978-3-662-59832-0
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-59833-7

Neuer Typ-1-Diabetes bei Kindern am Wochenende eher übersehen

23.04.2024 Typ-1-Diabetes Nachrichten

Wenn Kinder an Werktagen zum Arzt gehen, werden neu auftretender Typ-1-Diabetes und diabetische Ketoazidosen häufiger erkannt als bei Arztbesuchen an Wochenenden oder Feiertagen.

Neue Studienergebnisse zur Myopiekontrolle mit Atropin

22.04.2024 Fehlsichtigkeit Nachrichten

Augentropfen mit niedrig dosiertem Atropin können helfen, das Fortschreiten einer Kurzsichtigkeit bei Kindern zumindest zu verlangsamen, wie die Ergebnisse einer aktuellen Studie mit verschiedenen Dosierungen zeigen.

Spinale Muskelatrophie: Neugeborenen-Screening lohnt sich

18.04.2024 Spinale Muskelatrophien Nachrichten

Seit 2021 ist die Untersuchung auf spinale Muskelatrophie Teil des Neugeborenen-Screenings in Deutschland. Eine Studie liefert weitere Evidenz für den Nutzen der Maßnahme.

Fünf Dinge, die im Kindernotfall besser zu unterlassen sind

18.04.2024 Pädiatrische Notfallmedizin Nachrichten

Im Choosing-Wisely-Programm, das für die deutsche Initiative „Klug entscheiden“ Pate gestanden hat, sind erstmals Empfehlungen zum Umgang mit Notfällen von Kindern erschienen. Fünf Dinge gilt es demnach zu vermeiden.

Update Pädiatrie

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.