Stichprobencharakteristika
Insgesamt nahmen 49 Therapiesuchende an der Studie teil; 3 Therapiesuchende wurden jedoch im Nachhinein von der Studie ausgeschlossen: Ein Patient, weil er zum Zeitpunkt des Interviews akut psychotisch exazerbiert war, und 2 Therapiesuchende, weil sie ihr Einverständnis zur Studie ohne Angabe weiterer Gründe widerriefen. Daraus ergibt sich eine Gesamtteilnehmerzahl von 46 Probanden, von denen 37 jeweils zu t1 und t2 interviewt wurden, wobei ein/e Therapiesuchende/r zu t2 „lost to follow-up“ war, sodass nur das Interview zu t1 ausgewertet wurde. Ergänzend dazu berichteten 8 Therapiesuchende einmalig retrospektiv (nur zu t2). Insgesamt wurden 83 Interviews ausgewertet; eine theoretische Sättigung der Antworten wurde erreicht.
Dabei wurden 41 % der Therapiesuchenden während und nach ihrer Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie interviewt (alle jeweils zu t1 und t2), weitere 41 % kontaktieren das Studienteam über ihre Zuweiser (7 davon berichteten retrospektiv), und 18 % der Therapiesuchenden wurden nach einem Kontakt zur medizinischen Notaufnahme befragt (wovon ein Patient ebenfalls nur retrospektiv berichtete).
Das durchschnittliche Alter betrug 40 Jahre (SD ± 15); 54 % der Therapiesuchenden waren weiblichen, 46 % männlichen Geschlechts. „Depressive Beschwerden“ wurden von 80 % der Therapiesuchenden berichtet. Ängste und Panikattacken beklagten 57 % der Therapiesuchenden. Schwierigkeiten in sozialen Interaktionen wurden von 24 % als problematisch thematisiert. Somatische Beschwerden wurden von 22 % der Therapiesuchenden angegeben. Stress, Suizidgedanken, erlebte Traumata, Ess- und Zwangsstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten und Substanzabhängigkeiten wurden als weitere Belastungen genannt, wobei Mehrfachnennungen grundsätzlich möglich waren.
Präferenzen vor Beginn der Suche
Während des ersten Interviews konnten die Aussagen der Therapiesuchenden 11 Unterkategorien (
„passende Chemie/Sympathie“, „therapeutische Kompetenzen“, „Interventionen/Problembewältigung“, Geschlechtspräferenz, Therapieverfahren, „Alltagskompatibilität“, Alterspräferenz, Kassensitz/Approbation, keine Präferenz, Praxisräume, Sonstiges) zugeordnet werden. In Tab.
1 werden dabei sowohl die Anzahl der Therapiesuchenden, welche die Präferenz äußerten, als auch die Häufigkeit der Äußerungen zu der Präferenz abgebildet.
Tab. 1
t1: Präferenzen zu Beginn der Suche
Therapeutische Kompetenzen | 15 | 18 |
Interventionen/Problembewältigung | 15 | 18 |
Geschlecht | 12 | 15 |
Therapieverfahren | 11 | 13 |
Alltagskompatibilität | 6 | 6 |
Alter | 5 | 6 |
Kassensitz/Approbation | 4 | 5 |
Keine Präferenz | 4 | 4 |
Praxisräume | 2 | 3 |
Sonstiges | 2 | 2 |
Es wurde von 19 Therapiesuchenden betont, dass die „passende Chemie“ zwischen ihnen und dem/der Therapeut:in für sie relevant sei („Mir ist es wichtig, dass die Chemie stimmt, aber das weiß man vorher nicht, man muss einfach zum Termin hin und ggf. dann den Therapeuten wechseln“ – ID218). Bestimmte „therapeutische Kompetenzen“ (z. B. Vertrauen, Sympathie) wünschten sich 15 Therapiesuchende („Ich wünsche mir jmd., dem ich persönliche Dinge anvertrauen kann. Dinge, die ich nicht unbedingt über mich preisgeben möchte. Es müsste jmd. sein, dem ich vertrauen kann, der gut zuhören kann und der auch sympathisch ist.“ – ID211). Darüber hinaus hofften 15 Therapiesuchende auf „konkrete Problemlösestrategien“ („Also ich erwarte, dass mein Therapeut gut analysiert, wo das Problem liegt. Und mir hilft, eine Struktur zu finden. Also, warum ich in diese Erkrankung gefallen bin. Dass er mir Lösungen anbietet, nicht nur Kritik oder Analyse, sondern auch Lösungen, wie ich da rauskommen kann“ – ID116). Hinsichtlich der Geschlechtspräferenz äußerten sich 12 Therapiesuchende, wobei 4 Patienten und eine Patientin angaben, dass ihnen das Geschlecht egal sei („Ich habe, was das Geschlecht angeht, keine Präferenzen. Das ist relativ egal.“ – ID120). Jeweils 3 Patientinnen und 3 Patienten würden eine Therapeutin präferieren. Ein Patient suchte explizit einen männlichen Therapeuten.
Bezüglich des Therapieverfahrens gaben 7 Therapiesuchende an, dass sie auf der Suche nach einer Verhaltenstherapie seien („Auf jeden Fall Verhaltenstherapie“ – ID313), 3 Therapiesuchende präferierten eine tiefenpsychologische Therapie („Also ich will einen Therapeuten haben, die tiefenpsychologisch mit mir was macht.“ – ID314), und eine Aussage galt nur der priorisierten Suche nach einem spezifischen Therapieverfahren, ohne zu äußern, um welches Verfahren es sich handeln solle.
Weiterhin relevant schien die „Alltagskompatibilität“, also die Vereinbarkeit von Beruf und Alltag mit der Therapie, was sich z. B. über einen individuellen Entfernungsradius darstellt, in welchem 6 Therapiesuchende bevorzugt nach einer Therapie suchen wollten („Und es wäre mir halt noch wichtig, dass die Termine auch so gesetzt sind, dass ich noch ein normales Arbeitsleben führen kann“ – ID320).
Alterspräferenzen wurden von 5 Therapiesuchenden berichtet, wobei 2 Therapiesuchende ältere („Ich denke mal, ein junger Therapeut wäre jetzt auch nicht so geeignet wie jemand, der vielleicht etwas älter ist“ – ID213), 2 Therapiesuchende jüngere Therapeut:innen bevorzugten („Ehrlich gesagt, dass er nicht so alt ist“ – ID306). Ein Therapiesuchender merkte an, dass das Alter für ihn keine Rolle spielen würde.
Die Abrechnung über einen Kassensitz und die „fachkundig spezifische Approbation“ der Therapeut:innen seien für 4 Therapiesuchende relevant („Naja, er sollte eine Zulassung haben. Also, Arzt oder Psychologe sein.“ – ID113).
Weitere 4 Therapiesuchende äußerten, keine Präferenzen zu haben („Nein [ich habe keine Präferenzen]. Hauptsache, ich bekomme einen Therapeuten.“ – ID313).
Von klaren Vorstellungen bezüglich der Praxisräume berichteten 2 Therapiesuchende („Und die Praxis. Auch die sollten ‚klar‘ gestaltet sein. Kein ‚Schnickschnack‘ oder Deko oder so. Es soll Geborgenheit vermitteln, aber auch keine Ablenkung im Raum bestehen. Weniger kann manchmal mehr sein. Ich will da keine Urkunden oder so sehen.“ – ID113).
Sonstige Präferenzen, wie z. B. Englisch als Therapiesprache oder die Beurteilung der Therapeut:innen anhand ihrer Namen, wurden jeweils von einer Person genannt („Ist vielleicht ein bisschen unlogisch, aber ich gehe oft nach den Namen. Ob der Name mir gefällt.“ – ID110).
Zu ergänzen ist, dass 8 Therapiesuchende nur über unzureichende Grundkenntnisse berichteten (z. B. im Hinblick auf die verschiedenen Therapieverfahren), wodurch die Suche gar nicht habe spezifiziert werden können („Aber mit diesen spezifischen Psychotherapieformen kenne ich mich jetzt auch nicht aus. Und das war ebenso das Nächste, wo ich dachte, keine Ahnung, was ich davon jetzt als Suchanfrage überhaupt angeben soll“ – ID318).
Präferenzen 3 Monate später
Im zweiten Interview erklärten 14 Therapiesuchende (31 %), dass sie eine Psychotherapie beginnen konnten oder einen Platz in Aussicht hatten. Im Hinblick auf die Therapiepräferenzen gaben 15 Therapiesuchende an, ihre Präferenzen im Suchprozess berücksichtigt zu haben (Tab.
2). Dabei stand bei 9 Therapiesuchenden die
Alltagskompatibilität im Fokus
(„Die räumlichen Nähe, dass ich jetzt nicht eine Stunde fahren muss, aber so im Großraum … habe ich mich im Prinzip auf alle möglichen Therapeuten gemeldet.“ – ID120). Ein gutes Bauchgefühl bzgl.
passender Chemie sei für 5 Therapiesuchende bei der Suche relevant gewesen, wobei dies z. B. am Klang der Stimme während der Terminvereinbarung beurteilt wurde
(„Ich habe mit der Therapeutin selbst gesprochen. Diese Stimme und so, das passte sofort. Also das war nichts Unangenehmes. Ich habe da schon sehr auf meinen Bauch gehört.“ – ID103).Tab. 2
t2: Präferenzen wurden als Suchkriterien genutzt
Alltagskompatibilität | 9 | 9 |
Passende Chemie/Sympathie | 5 | 5 |
Therapieverfahren | 4 | 5 |
Geschlecht | 3 | 3 |
Bewertung | 1 | 1 |
Alter | 1 | 1 |
Ein bestimmtes Therapieverfahren war für 4 Therapiesuchende von Relevanz („Ich habe meine Verhaltenstherapie bekommen. Da kann ich eigentlich nicht meckern.“ – ID104). Für 3 Therapiesuchende sei das Geschlecht wichtig gewesen („Und es ist auch eine Frau. Was mir halt auch lieber war.“ – ID117), eine Patientin habe sich an Bewertungen im Internet, z. B. Google-Rezensionen, orientiert („Bei manchen sind die Bewertungen mehr negativ als positiv. Und das hat halt eben auch dazu geführt, dass ich gedacht habe, nein, probierst es erst gar nicht.“ – ID102), und für einen Patienten sei es von Bedeutung gewesen, dass der/die Therapeut/in im ähnlichen Alter sei („Ich hatte ja gesagt, dass es mir wichtig ist, dass die Person vielleicht ein bisschen in meinem Altersbereich ist.“ – ID201).
18 Therapiesuchende äußerten, die Suche nur zu Beginn nach ihren Präferenzen ausgerichtet zu haben (Tab.
3). Dabei berichteten 10 Therapiesuchende, dass der Wunsch nach „schneller Hilfe/Unterstützung“ priorisiert worden sei und andere Präferenzen deswegen nicht länger als entscheidende Suchkriterien einbezogen wurden (
„Nein, in dem Moment, wo es mir elendig ging, bin ich nicht mehr wählerisch geworden. Ich wollte einfach alles, was mir angeboten wird, annehmen.“ – ID116)
Tab. 3
t2: Präferenzen wurden nicht länger als Suchkriterien genutzt
Geschlecht | 4 | 5 |
Therapieverfahren | 3 | 3 |
Alltagskompatibilität | 2 | 3 |
Präferenzen verändert | 2 | 2 |
Passende Chemie/Sympathie | 1 | 1 |
Alternative Behandlung | 1 | 1 |
So wurde das Therapeutengeschlecht von 4 Therapiesuchenden nicht länger als entscheidungsrelevant betrachtet („Ich wollte halt am Anfang eher einen männlichen Psychologen haben. Aber, je mehr ich gemerkt habe, dass ich eigentlich kaum eine Wahl habe, da wurde das immer weniger. Mit der Zeit war mir das Geschlecht egal, Hauptsache, einen Platz bekommen oder Hilfe“ – ID320). Auch gaben 3 Therapiesuchende an nicht mehr ausschließlich im präferierten Therapieverfahren zu suchen („[Nach Verhaltenstherapie] war ich erst gegangen. Da war aber das Angebot relativ doch klein. Und dann habe ich gedacht, nein, ich rufe einfach alle an und frage erst hinterher.“ – ID319). Der Such-Entfernungsradius (Alltagskompatibilität) wurde von 2 Therapiesuchenden erweitert („Das war mir am Ende so ziemlich egal, wie weit die weg sind, so. Ich wollte nur einen Psychologen.“ – ID313).
Weitere 2 Therapiesuchende änderten ihre Präferenzen während der Suche („Ehrlich gesagt, habe ich ganz anders gesucht, als ich gedacht habe. Ich habe mich ein bisschen reingelesen. Also ich habe überlegt, ob diese Traumatherapie, dieses EMDR heißt das, ob das nicht was für mich wäre.“ – ID317). Eine Patientin äußerte, dass ihr Wunsch nach dem „optimalen Therapeuten“ (Passende Chemie/Sympathie) für sie nicht länger realistisch sei („Ja, also ich denke nicht mehr, dass ich den Therapeuten finden werde, der einfach optimal für mich wäre.“ – ID311), und ein Patient wandte sich einer alternativen Behandlungsform zu („Ich habe im Internet gesucht, und manche hatten Bilder auf der Webseite. Die Person muss mir sympathisch sein. Aber nach einigen erfolglosen Telefonaten habe ich aufgegeben. Ich habe schneller einen Termin bei meinem Heilpraktiker bekommen.“ – ID211).