Bei Patienten mit einem akuten
Unguis incarnatus in moderater/schwerer Ausprägung oder mit einem chronischem
Unguis incarnatus sollte eine chirurgische Therapie diskutiert werden (Abb.
2). Die chirurgischen Therapieansätze lassen sich in nagelerhaltende Eingriffe und erweiterte chirurgische Maßnahmen mit dauerhafter Verschmälerung der Nagelplatte untergliedern.
Nagelerhaltende Eingriffe (Notaufnahme)
Bei Patienten mit akutem
Unguis incarnatus in moderater/schwerer Ausprägung, d. h. mit Schmerzen, florider Inflammation und/oder hypertrophem Granulationsgewebe, empfehlen wir die lokale Inspektion und Therapie in Leitungsanästhesie nach Oberst (LA) mit Blutsperre. Dieser Eingriff wird im aseptischen Bereich der Notaufnahme unter sterilen Kautelen durchgeführt. Im klinischen Alltag hat sich die Verwendung eines Handschuhfingers als Blutsperre etabliert [
26]. Von einem Klemmen des Gummizügels wird abgeraten, da durch den hohen Druck Nervenschäden beschrieben sind [
27]. Zudem sollte die Größe des Handschuhfingers dem Zehenumfang angepasst werden.
Zuerst sollte das hypertrophe Granulationsgewebe mit einem scharfen Löffel oder dem Skalpell entfernt werden [
28]. Anschließend erfolgt die weitere Exploration des Raums zwischen Nagelplatte und Nagelwall. Sollte sich ein abszedierender Verhalt zeigen, kann dieser über denselben Zugang entlastet werden. Parallele Inzisionen am Nagelwall von lateral sollten nicht durchgeführt werden, da die verbleibende, häufig schmale, Hautbrücke nekrotisch werden kann. Zeigen sich in der Exploration Nagelreste oder Fremdkörper, müssen diese entfernt werden. Besonders ist auf ein spitzes laterales Nagelspikulum zu achten. In der Literatur werden in diesem Fall zwei verschiedene Vorgehen beschrieben [
1,
11,
18]. Einige Autoren empfehlen die alleinige Glättung des Nagelspikulums, durch Entfernung eines Nagelkeils (Abb.
3b). Andere Arbeiten empfehlen die Schienung des lateralen Nagelspikulums mit einem Nagelröllchen (Abb.
3c; [
29]). Dafür kann der Schutzschlauch der Nadel einer Butterfly-Flügelkanüle verwendet werden. Dieser sollte proximal abgeschrägt und längs gespalten werden. Anschließend wird die Schiene über das Spikulum und den gesamten Nagelrand geschoben und mittels Naht oder Steri-Strip auf dem Nagel fixiert. So kann die Schiene mit dem Nagel auswachsen [
30,
31], der Nagelwall wird geschützt, und die Entzündung klingt ab [
21,
31].
Wichtig ist, dass das Spikulum in diesem Fall nicht geglättet wird, da es der Schienung zusätzliche Stabilität verleiht [
21,
31].
Für die alleinige Entfernung des Granulationsgewebes und die anschließende Glättung des lateralen Nagelspikulums sind Rezidivraten bis zu 30–70 % beschrieben [
1,
32]. Da hier die sorgfältige Entfernung des lateralen Matrixhorn und der Nagelmatrix ausbleibt, kann die Nagelplatte weiter entlang des Nagelwalls wachsen und zur ständigen Irritation führen [
33]. Für die Schienung mittels Nagelröllchen sind deutlich geringere Rezidivraten bis zu 10 % beschrieben [
30,
34,
35]. Jedoch ist der Erfolg stark von der Compliance der Patienten abhängig.
Erweiterte operative Maßnahmen (Operationssaal)
Bei Patienten mit chronischem
Unguis incarnatus ist nur bei florider Infektion eine sofortige Exploration indiziert (Abb.
2). Liegt diese nicht vor, sollte das weitere Vorgehen in enger Kooperation mit der Fußchirurgie abgestimmt werden. Hier bedarf es häufig erweiterter operativer Maßnahmen, die durch dauerhafte Verschmälerung der Nagelplatte das Einwachsen des Nagels verhindern. Diese Eingriffe sollten durch einen Facharzt im Rahmen einer elektiven ambulanten Operation durchgeführt werden.
In Deutschland kommt immer noch führend die Nagelkeilresektion (z. B. nach Emmert) zur Anwendung (Abb.
3d; [
36]). Auch diese wird, ebenso wie die oben beschriebenen nagelerhaltenden Eingriffe, in LA und lokaler Blutsperre durchgeführt. Bei der Nagelkeilresektion erfolgen das Ausschneiden des erkrankten randständigen Zehennagelviertels sowie die Keilexzision von Nagelwall und Nagelbett mit vollständiger Entfernung der Nagelmatrix bis auf die Endphalanx der Zehe [
36]. Allerdings sind Rezidivraten bis zu 20 % sowie schlechte ästhetische und funktionelle Ergebnisse beschrieben [
37‐
39]. Ursächlich für die hohe Rezidivrate sind a.e. die unvollständige Resektion des lateralen Matrixhorns und der lateralen Nagelmatrix durch die keilförmige Exzision. Dies führt zu bizarren und schmerzhaften Nagelspikula. Des Weiteren kann es zu Nagelplattendeviation in Narbenrichtung kommen. Weiterhin problematisch sind die oft ausgeprägten postoperativen Schmerzen sowie mögliche Wundheilungsstörungen. Hier sind Infektionsraten bis zu 20 % beschrieben [
5,
21,
40]. Aus diesen Gründen wird diese Operationstechnik kritisch diskutiert [
21,
37‐
39,
41‐
43].
Heutzutage wird von vielen Autoren die schonendere selektive Nagelmatrixablation als Behandlungsstandard angesehen [
11,
17,
18,
21,
39,
40,
44‐
46]. Das Ziel ist die selektive Entfernung des lateralen Nagelrands, inklusive des Matrixhorns und der dazugehörigen Nagelmatrix. Im Gegensatz zur Emmert-Plastik erfolgt keine Entfernung des Nagelwalls. Für die selektive Nagelmatrixablation sind zwei verschiedene Techniken beschrieben: die chirurgische oder chemische Ablation der Nagelmatrix.
Bei der chirurgischen Ablation erfolgt, analog zur Emmert-Plastik, das Setzen eines Hautschnitts in Verlängerung des Nagelwalls nach proximal bis kurz vor das (distale) Interphalangealgelenk (Abb.
3e). Alternativ kann die Inzision nach lateral geschwungen durchgeführt werden [
21]. Anschließend wird der Nagel vom lateralen Nagelwall und vom Nagelbett gelöst. Dann erfolgt die Identifikation der Grenze zwischen gesundem und erkranktem Nagel. An dieser Grenze wird an der distalen Nagelplatte das Skalpell (15er-Klinge) mit nach oben gerichteter Klinge angesetzt. Dann wird das Skalpell, geführt durch die Nagelfaserrichtung, über die zuvor durchgeführte Hautinzision, bis an das proximale Ende der Nagelmatrix gedrückt. Dadurch wird zum einen das Nagelbett geschont, zum anderen wird der zu resezierende laterale Nagelteil, inklusive Nagelhorn, klar definiert. Dieser Nagelstreifen wird in toto entfernt. Schließlich erfolgt das sorgsame Entfernen des dazugehörigen Nagelmatrixepithels mit dem scharfen Löffel. Der proximale Hautschnitt wird mit 2 Einzelknopfnähten verschlossen.
Bei der chemischen Ablation der Nagelmatrix kann auf den proximalen Hautschnitt vollständig verzichtet werden (Abb.
3f). Nach Mobilisation des lateralen Nagelwalls wird nun das proximale Nagelhorn luxiert. Anschließend wird die Grenze zwischen gesundem und erkranktem Nagel definiert und, analog zu der chirurgischen Exzision, der erkrankte Nagelstreifen reseziert. Das Nagelmatrixepithel wird nun nicht chirurgisch, sondern chemisch abladiert. Dafür wird zuerst der proximale Nagelwall stumpf mobilisiert und anschließend das Nagelmatrixepithel mit in Phenol getränkten sterilen Wattestäbchen abladiert. Das Nagelmatrixepithel wird unter drehenden Bewegungen für je 3‑mal 1 min unter Druck mit dem Wattestäbchen eingerieben [
5,
47]. Dabei sollten die Drehbewegungen von der Nagelplatte weg, hin zum ipsilateralen Nagelwall erfolgen, um eine Schädigung der medialen Nagelmatrix sowie des Restnagels zu verhindern. Die Phenolisierung verursacht eine kontrollierte Nekrose des Matrixepithels und des darunter liegenden Bindegewebes [
21]. Der Situs muss zum Zeitpunkt der Phenolapplikation bluttrocken sein, da das Phenol sonst lediglich die Blutproteine koaguliert und seine Wirkung nicht am Matrixepithel entfaltet. Abschließend folgt die Spülung des Situs mit NaCl‑, Ringer-Lösung oder medizinischem Alkohol zur Verdünnung des Phenols am Auftragungsort [
48].
In der Literatur wird die Überlegenheit einer der beiden Methoden kontrovers diskutiert. Mehrere Studien konnten zeigen, dass die chirurgische Resektion zwar zu weniger Rezidiven führt, die chemische Ablation aber insgesamt bessere postoperative Ergebnisse erzielt [
44,
49]. Die Rezidivraten werden meistens zwischen 5 und 18 % angegeben [
18,
44,
45,
49‐
52]. Ein Cochrane Review aus 2012 von Eekhof et al. (24 Studien, 2826 Patienten) kam, allerdings bei eingeschränkter Studienlage, zu dem Schluss, dass die chemische Ablation der chirurgischen Resektion hinsichtlich der Rezidivrate überlegen ist [
17]. Allerdings kritisieren einige Autoren, dass die chemische Ablation in stark sezernierenden Wunden resultieren kann. Dies ist wiederrum mit einer erhöhten Infektionsrate assoziiert [
40,
53]. Zudem wird kontrovers diskutiert, ob die Phenolapplikation ein gesundheitliches Risiko für den Anwender darstellt [
54‐
56]. Aus diesen Gründen empfehlen wir, auch aufgrund der Tatsache der ausgewiesenen chirurgischen Expertise an unserem Haus, die selektive chirurgische Nagelmatrixresektion.
Zahlreiche weitere Verfahren sind beschrieben, werden in der Routine jedoch nicht eingesetzt. Beispielsweise erfolgt der Einsatz von CO
2-Lasern und Elektrokautern zur Nagelmatrixentfernung [
11,
18,
57‐
59]. Auch kann der laterale Nagelwall elliptisch oder halbmondförmig exzidiert und readaptiert werden. Dadurch wird eine plane Fläche und damit Raum für die laterale Nagelplatte geschaffen [
60,
61]. Totale Nagelextraktionen sind beschrieben, werden heutzutage aber nicht mehr empfohlen [
21].