Die Sehschärfeprüfung ist die wohl häufigste Untersuchung der Augenheilkunde. Auf den ersten Blick erscheint sie fast trivial. Die Beschäftigung mit den psychophysischen Grundlagen lohnt sich jedoch, um methodische Grenzen und Fallstricke zu verstehen. Nicht bei allen Erkrankungen ist die Sehschärfe jedoch das geeignetste Maß, um das Sehvermögen zu charakterisieren. Die Prüfung der Kontrastempfindlichkeit kann hier eine wertvolle Ergänzung darstellen, erfolgt bisher jedoch eher selten. Dabei ist sie methodisch kaum anspruchsvoller als die Sehschärfeprüfung.
Eine morphologische Veränderung im Sehsystem oder ein aus dem Referenzbereich fallender physiologischer Parameter mag zwar medizinische Bedeutung haben und ursächlich für ein vermindertes Sehvermögen sein. Es ist aber das Sehvermögen selbst, im Sinne der subjektiv erlebten Wahrnehmung, das maßgeblich für die visuelle Leistungsfähigkeit und Lebenszufriedenheit ist und nicht immer in offensichtlicher Weise durch Morphologie und physiologische Maße erklärt ist.
Es gibt unterschiedliche Anlässe für eine Prüfung des Sehvermögens. Eine Auswahl ist in Tab. 1 dargestellt. Die verschiedenen Anlässe unterscheiden sich in ihren Anforderungen.
Tab. 1
Beispielhafte Anlässe für einen Test des Sehvermögens
Anlass
Anforderungen an einen Test
Diagnostik
Sensitiv, spezifisch (auch gegenüber Differenzialdiagnosen)
Verlaufsbeobachtung und Studien
Quantifizierend, reproduzierbar
Gutachten und Eignungsprüfung
Regelkonform, repräsentativ
Beratung
Repräsentativ
Sensitivität und Spezifität sind die klassischen Anforderungen an einen diagnostischen Test. Mit „quantifizierend“ ist gemeint, dass der Test tatsächlich den Schweregrad einer Erkrankung widerspiegelt. Dies soll natürlich reproduzierbar geschehen, ein Test soll also bei gleichem Schweregrad der Erkrankung stets das gleiche Ergebnis liefern, idealerweise ohne große Test-Retest-Variabilität. Für mache Anwendungsfälle gibt es recht genaue Vorschriften, wie der Test durchzuführen ist, etwa bei Gutachten und Eignungsprüfungen. Dort, aber auch wenn es etwa darum geht, einen Patienten hinsichtlich lebenspraktischer Fragen zu beraten, sollte ein Test des Sehvermögens natürlich idealerweise möglichst repräsentativ für die jeweiligen Sehanforderungen sein.
Grundlagen der Psychophysik
Die Bestimmung des subjektiven Sehvermögens erfolgt mithilfe psychophysischer Verfahren, d. h., es werden Testreize dargeboten und der Patient muss mitteilen, was er glaubt, gesehen zu haben. Ein konkretes Beispiel ist die Präsentation von Landolt-Ringen (Abb. 1) auf einer Sehtafel, wobei der Patient die Aufgabe bekommt, jeweils die Position der Lücke mitzuteilen. Offenkundig ist diese Aufgabe sehr einfach, wenn der Landolt-Ring groß genug ist (sofern zumindest ein gewisses Sehvermögen besteht), die Antworten werden dann in der Regel korrekt sein. Bei sehr kleinen Ringen ist es praktisch unmöglich, die Position der Lücke zu erkennen. Dann wird der Patient nur noch zufällig raten können, sodass lediglich eine gewisse Restwahrscheinlichkeit besteht, die Position der Lücke zufälligerweise richtig anzugeben. Zwischen diesen Extremen befindet sich ein gradueller Übergangsbereich, innerhalb dessen sich die sogenannte Schwelle befindet (Abb. 2). Dort wird in zufälliger Weise, beschrieben durch den Kurvenverlauf dieser „psychometrischen Funktion“, mal korrekt, mal falsch geantwortet. Insgesamt beinhaltet ein psychophysischer Test deshalb zwangsläufig eine Zufallskomponente, die zu einer gewissen Variabilität führt, wenn der Test mehrfach wiederholt wird.
×
×
Vorstehend wurde angenommen, dass der Test als Forced-Choice-Aufgabe gestaltet wurde. Dies bedeutet, dass der Patient in jedem Fall antworten muss und dass er sich dabei für eine der möglichen Reizvarianten entscheiden muss. Wäre auch „ich kann es nicht erkennen“ zulässig, so würde sich die Persönlichkeit des Patienten stärker auswirken, da ein Zaghafter hier möglicherweise andere Kriterien anwenden würde als ein Beherzter. Interessanterweise schreiben die Normen zur Sehschärfeprüfung das Forced-Choice-Verfahren nicht explizit vor (Wesemann et al. 2020), es kann jedoch als lege artis angesehen werden.
Für die meisten Sinnesleistungen gilt das Weber-Fechner-Gesetz (Seidel 2022): Bei der Frage, wie unterschiedlich stark zwei Sinnesreize wahrgenommen werden, kommt es demnach auf den prozentualen Unterschied an. Das heißt, bei schwachen Sinnesreizen wird schon ein kleiner absoluter Unterschied bemerkt, während bei starken Sinnesreizen ein wesentlich größerer absoluter Unterschied notwendig ist. Möchte man nun Messwerte mit einer Skala beschreiben, bei der gleiche Schritte auf der Skala gleich stark wahrgenommene Reizänderungen bedeuten, so muss man eine logarithmische Skala verwenden. Dies gilt auch bei den hier behandelten Messgrößen Sehschärfe und Kontrastempfindlichkeit, für die für bei Rechnungen (z. B. Datenauswertungen und Statistik in Studien) logarithmierte Werte verwendet werden sollten. Es ist sinnvoll, diese Gesetzmäßigkeit bereits bei der Testdurchführung zu berücksichtigen. Gewissermaßen besagt das Weber-Fechner-Gesetz, dass das Sehsystem eine Logarithmierung durchführt. Dementsprechend werden die Sehzeichen auf einer Sehschärfetafel exponentiell skaliert (einheitlicher Faktor zwischen den Größen aufeinanderfolgender Zeilen, d. h. eine geometrische Folge), sodass diese Logarithmierung im Sehsystem einen linearen Zusammenhang (d. h. in der Wahrnehmung gleiche Größenunterschiede) bewirkt.
Sehschärfe (Visus)
Eine allgemeine Definition der Sehschärfe könnte lauten: „Es ist das Vermögen, feine visuelle Reizstrukturen aufzulösen und wahrzunehmen.“ Diese Definition liefert ein intuitives Grundverständnis, hilft aber in der Praxis nur begrenzt. Dort ist die Sehschärfe operationell definiert: Sie ist das Ergebnis eines festgelegten Messprozesses. Das bedeutet jedoch: So wie es viele denkbare Messprozesse geben kann, gibt es auch viele mögliche Arten der Sehschärfe.
Für eine Vereinheitlichung sollen die einschlägigen Normen sorgen. Diese haben zwar selbst keinen Gesetzesrang, Rechtsverbindlichkeit können sie jedoch insbesondere erlangen, wenn Gesetze auf sie Bezug nehmen oder Vertragspartner ihre Anwendung vereinbaren. Das internationale Normsehzeichen gemäß ISO 8596 ist der Landolt-Ring in 8 möglichen Orientierungen (International Organization for Standardization2017). Auf diesem bauen auch die nationalen deutschen Normen zur Testdurchführung auf, z. B. DIN 58220-3 für Gutachten (DIN e.V. 2021). In der klinischen Praxis zeigen sich jedoch auch Vorteile anderer Sehzeichen, wie beispielsweise Ziffern, die von den Patienten einfacher benannt werden können. Daneben wurden im Laufe der Zeit noch zahlreiche weitere Arten von Sehzeichen vorgeschlagen, von denen hier nur die E-Haken genannt seien, welche unter anderem regional für Screeninguntersuchungen bei Vorschul- und Schulkindern (Sturm et al. 2016; Bach et al. 2016) sowie bei der Klassifizierung von Athleten im Sehbehindertensport (Ravensbergen et al. 2018) Verwendung finden und wie die Landolt-Ringe auch für Personen geeignet sind, die nicht mit dem lateinischen Alphabet vertraut sind.
Typischerweise sind Sehtafeln so gestaltet, dass die Sehzeichengrößen von oben nach unten abnehmen und zeilenweise einheitlich sind.1 Sowohl bei der normgerechten Sehschärfeprüfung als auch zumeist bei der klinischen Routineuntersuchung wird die Tafel zeilenweise gelesen und es wird die letzte Zeile bestimmt, bei der eine Mindestzahl von Sehzeichen korrekt angegeben wurde, z. B. 3 von 5 Zeichen (Abbruchkriterium). Die betreffende Sehzeichengröße entspricht etwa dem von der psychometrischen Funktion bekannten Schwellenwert, hat jedoch eine kleine systematische Abweichung aufgrund des genauen Abbruchkriteriums und der Tatsache, dass die Tafel systematisch von großen zu kleineren Sehzeichen durchlaufen wird, statt dass größensymmetrisch um die Schwelle herum getestet wird. Ungeachtet dessen hat das Messergebnis aufgrund der oben beschriebenen Zufallskomponente bei Messwiederholungen einen gewissen Streubereich, sodass eine Abweichung von einer Zeile nicht selten vorkommt, und auch eine Abweichung von 2 Zeilen gelegentlich auftreten kann (Petersen 1993). In klinischen Studien wird die Sehschärfe häufig mit den sogenannten ETDRS-Tafeln bestimmt (ETDRS = Early Treatment of Diabetic Retinopathy Study), wobei es für diese auch spezielle Vorgaben zum Testablauf gibt und eine buchstabenweise Wertung üblich ist (Ferris et al. 1982).
Manche computerbasierte Sehschärfetests verwenden komplexere Algorithmen zur Auswahl der Sehzeichengrößen in Abhängigkeit von der Antwort des Patienten und ermöglichen dadurch eine besonders effiziente Messung, die zudem weitgehend ohne Einfluss des Untersuchers ablaufen kann (z. B. Bach 1996).
Zahlreiche Parameter und Designfaktoren können Einfluss auf das Ergebnis eines Sehschärfetests haben. Neben der Art der Testreize spielt auch ihre Anordnung eine Rolle. Beispielsweise führen kleine Abstände der Sehzeichen aufgrund von „Konturintegration“ zu schlechterer Erkennbarkeit (Trennschwierigkeiten, „crowding“), dies tritt besonders bei Amblyopie verstärkt auf. Mit längerer Betrachtungsdauer, bis in den Bereich mehrerer Sekunden, verbessert sich das Ergebnis eines Sehschärfetests, was den Test möglicherweise zusätzlich empfindlich für Persönlichkeitseigenschaften (Ungeduld vs. Akribie) macht (Heinrich et al. 2010). Führt man Sehschärfetests sehr häufig durch, kann auch eine Verbesserung durch Trainingseffekte auftreten, selbst wenn ein Auswendiglernen der gezeigten Sehzeichen ausgeschlossen werden kann (Heinrich et al. 2011).
Die erreichbaren Sehschärfewerte hängen zudem vom Kontrast der verwendeten Sehzeichen ab. In der Regel wird die Sehschärfe mit hochkontrastigen Sehzeichen bestimmt. In bestimmten Fällen haben sich niederkontrastige Sehtafeln jedoch als sensitiveres Werkzeug gezeigt, etwa bei Optikusneuritis (Küchlin et al. 2023).
Zur Überprüfung, ob verschiedene Sehschärfetests vergleichbare Ergebnisse liefern, sind Vergleichsuntersuchungen erforderlich. Idealerweise sollte hierbei auch ein breites Spektrum an Sehstörungen berücksichtigt werden, da nicht von vorneherein sicher ist, dass sich verschiedene Arten der visuellen Beeinträchtigung in gleicher Weise auf die Erkennbarkeit unterschiedlicher Sehzeichen auswirken. Die publizierten Empfehlungen zur Durchführung von Vergleichsuntersuchungen schreiben dies allerdings nicht vor (z. B. International Council of Ophthalmology 1988). Während Unterschiede zwischen Buchstaben, Zahlen und Landolt-Ringen wohl nicht sehr groß sind, es wird hier jeweils die Erkennungssehschärfe geprüft (Heinrich und Bach 2013), können beispielsweise Gittermuster (Prüfung der Auflösungssehschärfe) hiervon abweichen und etwa bei Amblyopie deutlich bessere Sehschärfewerte liefern (Wenner et al. 2014). In der Anwendungspraxis ist auch der umgekehrte Fall zu bedenken, nämlich dass ein gleicher Sehschärfewert nicht unbedingt bedeutet, dass zwei Patienten auch einen ähnlichen Seheindruck haben.
Es ist offensichtlich, dass ein Sehschärfetest für sich genommen in den meisten Fällen kein sehr aussagekräftiges diagnostisches Werkzeug sein kann. Zum einen besteht ein Sensitivitätsproblem. Viele Erkrankungen beginnen schleichend, in manchen Fällen ist die Sehschärfe erst relativ spät betroffen. Auch kann sich die Sehschärfe bei manchen Erkrankungen recht schnell erholen, während andere Störungen persistieren. Es gibt allerdings auch ein Spezifitätsproblem: In der Diagnostik möchte man meist differenzieren, zumindest gegenüber „gesund“, oft allerdings auch gegenüber anderen Erkrankungen. Es ist jedoch offensichtlich, dass ein Sehschärfetest, der als Ergebnis nur eine einzige Zahl liefert, die sowohl durch das Fortschreiten einer Erkrankung als auch durch ihre Art beeinflusst wird, kein hohes Differenzierungsvermögen haben kann. Diese Einschränkung kann durch die Prüfung weiterer Sehleistungen und die Berücksichtigung des zeitlichen Verlaufs abgemildert werden, meist ist das subjektive Sehvermögen jedoch nur ein Puzzleteil im diagnostischen Gesamtbild.
Für Eignungsprüfungen und manche gutachterlichen Fragestellungen ist auch relevant, ob ein Sehtest aussagekräftig für die visuelle Leistungsfähigkeit im Alltag bzw. in der betreffenden Lebenssituation ist. Dies ist bei der Sehschärfeprüfung (ebenso wie auch bei den meisten anderen üblichen Sehtests) nicht a priori gegeben, da die praktischen Sehanforderungen oft nur wenig mit dem Erkennen von Sehzeichen zu tun haben und zudem die echten Sehanforderungen oft viel dynamischer sind als das relativ gemächliche Vorlesen einer Sehtafel. Je nach Erkrankung kann sich die Sehleistung bei Sonnenschein oder Dämmerung auch drastisch anders als bei der Messung unter den „Komfortbedingungen“ darstellen, die in den Normen zur Sehschärfeprüfung festgelegt sind.
Bei jüngeren Kindern ist es sinnvoll, altersgemäße Tests einzusetzen. Ein Beispiel für das Vorschulalter sind die Lea-Tafeln (Hyvärinen et al. 1980), die es in verschiedenen Ausführungen gibt. Säuglinge und Kleinkinder können mittels „preferential looking“ untersucht werden, z. B. mithilfe des Cardiff Acuity Tests (Adoh et al. 1992).
Bei Kindern wie Erwachsenen gilt, dass das Ergebnis der üblichen psychophysischen Sehschärfetests nicht nur von der eigentlichen Sehschärfe abhängt, sondern auch davon, ob der Patient kognitiv in der Lage ist, bei dem Test mitzuwirken, und dies auch tatsächlich tut. Bestehen hier Zweifel, so können neben verschiedenen orientierenden Verhaltenstests auch sogenannte objektive Verfahren der Sehschärfeschätzung eingesetzt werden, bei denen anhand physiologischer Maße versucht wird, die Sehschärfe zu bestimmen. Ein Beispiel hierfür ist die Sehschärfeschätzung auf Basis visuell evozierter Potenziale (Hamilton et al. 2021). Man muss sich jedoch bewusst sein, dass sich das Messverfahren stark von der üblichen psychophysischen („subjektiven“) Messung unterscheidet und man deshalb nicht erwarten kann, dass objektive und subjektive Werte genau übereinstimmen. Dieser Unterschied kann zu einem gewissen Grad durch einen Umrechnungsfaktor kompensiert werden, jedoch verbleiben insbesondere in dem bei Kindern besonders interessanten Fall der Amblyopie oft Diskrepanzen (Wenner et al. 2014).
Es gibt verschiedene Arten, die Sehschärfe numerisch auszudrücken (Bach und Kommerell 1998). Im klinischen Kontext in Mitteleuropa ist die dezimale Notation verbreitet, der Zahlenwert entspricht dem Kehrwert der in Bogenminuten gemessenen Lückengröße des Landolt-Rings an der Schwelle, wobei üblicherweise keine Maßeinheit angegeben wird. In wissenschaftlichen Publikationen findet man auch häufig den LogMAR-Wert (Abb. 3), wobei MAR für „minimum angle of resolution“ steht und der Lückengröße in Bogenminuten an der Schwelle entspricht und somit den Kehrwert der dezimalen Sehschärfe darstellt und gelegentlich auch als „magnification requirement“ interpretiert wird (Colenbrander 2008). LogMAR ist der Logarithmus (Basis 10) dieses Wertes und berücksichtigt das oben beschriebene Weber-Fechner-Gesetz. In einigen Ländern ist auch die Darstellung der Sehschärfe als Bruch („Snellen fraction“) gebräuchlich, wobei (zumindest konzeptionell) im Zähler die Messentfernung (oft 20 Fuß oder 6 m) steht, während der Nenner die Entfernung angibt, in die die Sehtafel für einen „Normalsichtigen“ verschoben werden müsste, damit er mit dem Lesen gleich weit kommt wie der untersuchte Patient bei der Messentfernung (Ricci et al. 1998). Durch Ausdividieren des Bruches erhält man die dezimale Sehschärfe, somit ist beispielsweise 20/15 ≈ 1,3 und 20/200 = 0,1. Auch in Ländern, in denen generell die dezimale Schreibweise bevorzugt wird, werden sehr kleine dezimale Visuswerte gelegentlich als Bruch angegeben, jedoch nicht nach dem vorstehend beschriebenen Entfernungsschema. Die Tab. 2 gibt an, wie sich die in verschiedenen Notationen ausgedrückten Sehschärfewerte zur LogMAR-Darstellung verhalten.
Tab. 2
Umrechnung von LogMAR in verschiedene Sehschärfenotationen. Um nach Möglichkeit zu in der jeweiligen Notation üblichen Werten zu kommen, ist die Umrechnung in manchen Fällen nicht mathematisch exakt, jedoch für die meisten Anwendungsfälle ausreichend gut. In Wertebereichen, die nicht in den einschlägigen Normen definiert sind, wurden die Werte extrapoliert. Die Umrechnung in den buchstabenweisen ETDRS-Score basiert auf der Formel von Beck et al. (2003)
LogMAR
Dezimale Sehschärfe
Snellen
(20 Fuß)
Snellen
(6 m)
ETDRS-Score
+ 2,0
0,01
20/2000
6/600
+ 1,9
0,0125
20/1600
6/480
+ 1,8
0,016
20/1250
6/380
+ 1,7
0,02
20/1000
6/300
0
+ 1,6
0,025
20/800
6/240
5
+ 1,5
0,032
20/630
6/190
10
+ 1,4
0,04
20/500
6/150
15
+ 1,3
0,05
20/400
6/120
20
+ 1,2
0,063
20/320
6/100
25
+ 1,1
0,08
20/250
6/75
30
+ 1,0
0,1
20/200
6/60
35
+ 0,9
0,125
20/160
6/48
40
+ 0,8
0,16
20/125
6/38
45
+ 0,7
0,2
20/100
6/30
50
+ 0,6
0,25
20/80
6/24
55
+ 0,5
0,32
20/63
6/19
60
+ 0,4
0,4
20/50
6/15
65
+ 0,3
0,5
20/40
6/12
70
+ 0,2
0,63
20/32
6/10
75
+ 0,1
0,8
20/25
6/7.5
80
0,0
1,0
20/20
6/6
85
− 0,1
1,25
20/16
6/4.8
90
− 0,2
1,6
20/12.5
6/3.8
95
− 0,3
2,0
20/10
6/3
100
×
Für den „Normalsichtigen“ in der obigen Beschreibung der Notationsweisen wird eine Sehschärfe von 1,0 angenommen. Dieser Wert gilt auch oft im klinischen Alltag als untere Grenze für normale Sehschärfe. Bei der Sehschärfeprüfung sollte jedoch stets der tatsächliche Wert erhoben und nicht bei Erreichen von 1,0 abgebrochen werden. Zumindest bei gesunden jungen Erwachsenen liegen die tatsächlichen Werte oft deutlich höher, beispielsweise fanden Celebrezze und Terry (1964) einen Medianwert von 1,4 und Rassow et al. (1990) einen Mittelwert von 2,0. Wird nur bis 1,0 gemessen, so kann eine vom Patienten berichtete Verschlechterung gegenüber seinem bisherigen Sehvermögen eventuell nicht plausibilisiert werden, und vom tatsächlichen Wert ausgehende Veränderungen (z. B. Krankheitsprogression oder Therapieerfolg) können nicht überprüft werden. Dementsprechend ist auch die Bezeichnung „100 %“ für eine dezimale Sehschärfe von 1,0 nicht zu empfehlen.
Kontrastempfindlichkeit
Während die Sehschärfemessung wohl die meist durchgeführte Untersuchung der Augenheilkunde ist, wird das Kontrastsehen deutlich seltener geprüft. Dabei gibt es einige Fragestellungen, für die die Kenntnis der Kontrastempfindlichkeit aufschlussreicher sein kann als die Kenntnis der Sehschärfe. Zum einen betrifft dies Tauglichkeitsuntersuchungen. So ist beispielsweise die Kontrastempfindlichkeit ein besserer Prädiktor für unfallfreies Fahren als die Sehschärfe (Owsley et al. 2001; Szlyk et al. 2002; Wood und Owens 2005). Zum anderen kann eine verminderte Kontrastempfindlichkeit zu Problemen im Alltag führen, selbst bei normaler Sehschärfe (Lennerstrand und Ahlström 1989; Rubin et al. 1994, 2001), und ist möglicherweise auch ein wichtiger leistungsbeeinflussender Faktor bei verschiedenen speziellen Tätigkeiten, etwa im Sehbehindertensport (z. B. Allen et al. 2018).
Die Kontrastempfindlichkeit wird auch diagnostisch deutlich seltener geprüft als die Sehschärfe – möglicherweise zu Unrecht. Bei etlichen Erkrankungen findet sich eine Herabsetzung der Kontrastempfindlichkeit – selbst in Fällen, wo die Sehschärfe kaum beeinträchtigt ist oder sich bereits wieder erholt hat. Beispiele hierfür sind so unterschiedliche Erkrankungen wie die Katarakt (Shandiz et al. 2011) und die Sehnerventzündung (Owidzka et al. 2014; Longbrake et al. 2016). Perichiasmale Läsionen führen häufiger zu einer niedrigeren Kontrastempfindlichkeit als zu einer niedrigeren Sehschärfe (Blamires und Reeves 1996). Bei Amblyopie ist die Kontrastempfindlichkeit nicht nur bei dem hauptsächlich betroffenen Auge reduziert, sondern auch beim Partnerauge (Chatzistefanou et al. 2005). Diese Aufzählung zeigt allerdings bereits, dass auch die Kontrastempfindlichkeit, wie schon die Sehschärfe, für sich genommen keine hohe Spezifität aufweist. Dennoch kann die Messung der Kontrastempfindlichkeit sehr sinnvoll sein, um überhaupt eine Sehstörung nachzuweisen und damit ggf. den vom Patienten berichteten Eindruck einer Sehveränderung zu bestätigen, insbesondere wenn keine wesentliche Sehschärfereduktion vorliegt, und um den Krankheitsverlauf zu verfolgen. Zu beachten ist, dass die Kontrastempfindlichkeit mit Multifokallinsen generell herabgesetzt ist (Ravalico et al. 1993; Anton et al. 2014).
Der Kontrast ergibt sich aus dem Leuchtdichteunterschied zwischen zwei benachbarten Flächen des Sehreizes. Es gibt eine Reihe unterschiedlicher Definitionen des Kontrastes, die in unterschiedlichen Kontexten und bei unterschiedlichen Arten von Sehreizen verwendet werden. Bach et al. (2017) bieten hierzu eine Übersicht. Besonders relevant sind der Michelson-Kontrast KM = (Lmax−Lmin)/(Lmax+Lmin), der besonders sinnvoll ist, wenn im Sehreiz gleiche Anteile an hellen und dunklen Strukturen (Leuchtdichten Lmax und Lmin) vorhanden sind (z. B. Gittermuster) sowie der Weber-Kontrast KW = (Lmax−Lmin)/Lmax für den Fall eines relativ kleinen dunklen Sehzeichens (Leuchtdichte Lmin) auf einem großen hellen Hintergrund (Lmax). Beide Definitionen approximieren das Grundkonzept eines Quotienten aus Leuchdichtedifferenz und mittlerer Leuchtdichte. Im augenheilkundlichen Kontext sind des Weiteren das DIN-Kontrastverhältnis KV = Lmax/Lmin und sein Kehrwert, das Kontrastmaß nach Aulhorn und Harms, gebräuchlich, vor allem im Kontext der Prüfung des mesopischen Kontrastsehens. Bach et al. (2017) empfehlen den Logarithmus des Schwellenkontrasts nach Weber zur Angabe der Kontrastempfindlichkeit, die Motivation zur Logarithmierung ergibt sich wie schon bei der Sehschärfe aus dem Weber-Fechner-Gesetz.
Die Kontrastempfindlichkeit hängt auch von der Feinheit der Struktur des Testreizes ab, von der sogenannten Ortsfrequenz, mit einem Maximum bei rund 3–5 Perioden pro Grad Sehwinkel, getestet mit Gittermustern. Zu hohen Ortsfrequenzen (feinen Strukturen) hin fällt die Kontrastempfindlichkeit auf null ab, dieser Punkt entspricht der gewöhnlichen Hochkontrastsehschärfe (Bach et al. 2008).
Die meisten Erkrankungen setzen die Kontrastempfindlichkeit nicht selektiv für einen schmalen Ortsfrequenzbereich herab. Im diagnostischen Kontext muss deshalb üblicherweise nicht bei allen Ortsfrequenzen getestet werden, es genügt die Prüfung im mittleren Ortsfrequenzbereich (Bach et al. 2008), insbesondere da die Prüfung bei hohen Ortsfrequenzen effektiv durch die gewöhnliche Sehschärfeprüfung bei hohem Kontrast abgedeckt ist (Pesudovs et al. 2004). In der Praxis hat sich auch das Testen mit Sehzeichen bewährt, diese weisen ein breites Spektrum an Ortsfrequenzen auf. Beispiele hierfür sind die Pelli-Robson-Tafeln und die Mars-Tafeln. Bei bildschirmbasierten Tests muss auf die genaue Leuchtdichtekalibrierung geachtet werden, dies macht zumindest die anfängliche Einrichtung des Tests etwas anspruchsvoller als bei den entsprechenden Sehschärfetests. Die eigentliche Testdurchführung ist jedoch nicht weiter anspruchsvoll. Zu beachten ist der Messbereich der verschiedenen Tafeln, zuweilen reicht dieser nicht in den von normalen, gesunden Personen erreichbaren Bereich (Bach et al. 2008).
Für Kinder gibt es, wie bei der Sehschärfe, spezielle Kontrastempfindlichkeitstests, wie z. B. die entsprechenden Lea-Tafeln (Leat und Wegmann 2004). Ebenfalls wie die Sehschärfe lässt sich auch das Kontrastsehen „objektiv“, z. B. mithilfe visuell evozierter Potenziale, prüfen (Meigen und Kley 2007). Dies ist jedoch deutlich weniger verbreitet als die objektive Sehschärfemessung.
Das nachfolgend Beschriebene gilt sinngemäß auch für Projektionssysteme sowie die Darstellung auf einem Bildschirm, obgleich dort u. U. nicht alle Zeilen gleichzeitig gezeigt werden.
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