Vor allem die Entdeckung des pathogenetisch relevanten Autoantikörpers gegen Aquaporin-4, ein Kanalprotein, welches u. a. auf Astrozyten exprimiert wird, begründet die Definition der Neuromyelitis-optica(NMO)-Spektrum-Erkrankungen (NMOSE) als eine eigenständige Krankheitsentität innerhalb der chronisch-entzündlichen Erkrankungen des Zentralnervensystems. Die diagnostischen Kriterien wurden rezent aktualisiert und beinhalten neben dem Vorhandensein des Aquaporin-4-IgG-Antikörpers auch erweiterte, zuvor eher unbekanntere klinische Manifestationen. Diese klinischen Kriterien gehen über die klassischen Läsionsorte (Optikusneuritis und Myelitis) hinaus und charakterisieren das Erkrankungsspektrum der NMOSE unter Mitbeteiligung zerebraler Strukturen (Area postrema, Hirnstamm, Dienzephalon, präferenziell beteiligte Strukturen des Großhirns). Da hauptsächlich Erkrankungsschübe für die Akkumulation von Behinderung verantwortlich sind und anders als bei der multiplen Sklerose (MS) progressive Erkrankungsverläufe kaum bekannt sind, kommt neben verlaufsmodifizierenden Therapieformen auch Therapiestrategien für akute Erkrankungsschübe (Steroidpulstherapie, Plasmaaustauschverfahren) eine besondere Rolle zu. Für die verlaufsmodifizierende Therapie bestehen maßgebliche Unterschiede zur MS. Eine Vielzahl zugelassener MS-Therapeutika schlug im Bereich der NMOSE fehl und verschlechterte den Verlauf. Wenngleich formelle Zulassungen für die NMOSE fehlen, besteht mittlerweile mit verschiedenen Substanzen ausreichend Erfahrung zur Formulierung von Therapieempfehlungen.
Erste Beschreibungen der Kombination bzw. sequenziellen Folge einer Myelitis und eines (bilateralen) Sehnervenbefalls mit prolongierter Erholungsphase finden sich seit dem 19. Jahrhundert, u. a. von Devic, nach dem die Erkrankung im Weiteren häufig benannt wurde (Jarius und Wildemann 2013). Während klinische und epidemiologische Besonderheiten früh bekannt waren, beruht die Abgrenzung der Neuromyelitis-optica (NMO)-Spektrum-Erkrankungen (NMOSE) vor allem auf der Entdeckung des pathogenetisch relevanten Autoantikörpers gegen Aquaporin-4 (AQP4), einem Kanalprotein, welches u. a. auf Astrozyten exprimiert wird (Lennon et al. 2005).
Die Assoziation dieses Autoantikörpers mit anderen klinischen Phänotypen begründete dabei die Erweiterung der klassischen Phänotypen (longitudinale extensive transverse Myelitis [LETM], rezidivierende Optikusneuritiden) um weitere Erkrankungsmanifestationen. Aktualisierte diagnostische Kriterien beinhalten neben dem AQP4-IgG-Serostatus dementsprechend erweiterte klinische Kriterien, die das Erkrankungsspektrum der NMOSE als eine disseminierte Erkrankung des ZNS u. a. mit Mitbeteiligung zerebraler Strukturen charakterisieren (Area postrema, Hirnstamm, Dienzephalon, präferenziell beteiligte Strukturen des Großhirns, Abb. 1) (Wingerchuk et al. 2015).
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Neben klinischen Unterschieden zur multiplen Sklerose (MS) finden sich auch Unterschiede in der Pathogenese und Therapie. Die Assoziation klinischer Phänotypen mit weiteren potenziellen Autoantikörpern (z. B. gegen Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein [MOG]) führt aktuell zu einer Erweiterung des NMO-Spektrums.
Da hauptsächlich Erkrankungsschübe für die Akkumulation von Behinderung verantwortlich sind und anders als bei der MS (Kap. „Multiple Sklerose: Grundlagen“) progressive Erkrankungsverläufe kaum bekannt sind, kommt neben verlaufsmodifizierenden Therapieformen auch Therapiestrategien für akute Erkrankungsschübe (Steroidpulstherapie, Plasmaaustauschverfahren) eine besondere Rolle zu. Für die verlaufsmodifizierende Therapie bestehen maßgebliche Unterschiede zur MS. Eine Vielzahl zugelassener MS-Therapeutika schlug im Bereich der NMOSE fehl und verschlechterte den Verlauf. Wenngleich formelle Zulassungen für die NMOSE fehlen, besteht mittlerweile mit verschiedenen Substanzen ausreichend Erfahrung zur Formulierung von Therapieempfehlungen.
Epidemiologie
Aufgrund der Evolution der Diagnosestellung der Neuromyelitis optica von einer primär klinischen Definition über die Berücksichtigung des NMO-IgG-Serostatus (Wingerchuk et al. 2006) zur distinkten Beschreibung verschiedener Phänotypen und damit Umbenennung von der Neuromyelitis optica in die NMO-Spektrum-Erkrankungen (Wingerchuk et al. 2015) sind Angaben zur Inzidenz und Prävalenz erschwert und insbesondere schwer über die Zeit vergleichbar.
Auch aufgrund der mittlerweile akzeptierten Heterogenität der NMOSE ist allein anhand der klinischen Präsentation eine saubere Unterscheidung zur MS manchmal schwer möglich. Eine breite Verfügbarkeit der Kernspintomografie besteht erst seit den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts und die routinemäßige Antikörpertestung infolge der Entdeckung AQP4-spezifischer Antikörper erst seit Anfang des 21. Jahrhunderts (Lennon et al. 2005). Aus diesen Gründen sollten entsprechende Vergleiche von Inzidenz und Prävalenz über die Zeit und Vergleiche zur MS mit Vorsicht erfolgen.
Unter diesen Einschränkungen wurden zwischen 1998 und 2002 Häufigkeiten relativ zur MS zwischen 7 % und 48 % dokumentiert (Wingerchuk und Weinshenker 2014). Diese Spannbreite der Angaben bildet das geschilderte Problem ab.
Eine rezente populationsbasierte Studie in zwei ethnisch unterschiedlich zusammengesetzten Gruppen (Nordamerika, 82 % kaukasischer Herkunft, und Karibik, 90 % afrokaribischer Herkunft) stützt die Annahme einer höheren Inzidenz und Prävalenz in der schwarzen Bevölkerung. Während im nordamerikanischen Kollektiv eine alters- und geschlechtsadjustierte Inzidenz von 0,7/1.000.000 Personenjahren und Punktprävalenz (bestimmt für den 31.12.2011) von 3,9/100.000 Personen bestimmt wurde, lagen diese für das karibische Kollektiv bei 7,3/1.000.000 Personenjahren bzw. 10/100.000 Personen (Flanagan et al. 2016). Die Prävalenz berechnet für spezifische Ethnien ist vergleichbar (13 und 11,5/100.000 Personen innerhalb des jeweiligen Kollektivs bei Schwarzen versus 4,0 und 6,1/100.000 Personen bei Weißen). Die Prävalenzangaben für ein weiteres kaukasisches Kollektiv (Dänemark) decken sich hiermit gut: 4,4/100.000 Personen (Asgari et al. 2011).
Eine weitere Schwierigkeit in Bezug auf epidemiologische Daten zur NMOSE ist das früher häufig verwendete Konstrukt der optikospinalen MS, also einer als MS eingeordneten Erkrankung mit schwerpunktmäßiger Beteiligung von Myelon und Nn. optici. Diese Definition ist letztlich unscharf und basiert auf der klinischen Einschätzung. Aufgrund dieser Schwierigkeiten in der Vergleichbarkeit liegen für asiatische Kollektive, bei denen weithin von einem deutlich häufigeren Vorkommen von NMOSE bzw. optikospinaler MS ausgegangen wird, z. T. niedrigere Zahlen vor mit Prävalenzen von 0,9 bzw. 2,6/100.000 Personen (Houzen et al. 2012; Pandit und Kundapur 2014). In kleineren japanischen Untersuchungen wurden in als optikospinale MS diagnostizierten Patienten bei mehr als 50 % AQP4-Antikörper gefunden (Tanaka et al. 2007), was die Unschärfe der Definition der optikospinalen MS unterstreicht. Entsprechende Daten aus z. B. afrikanischen Kollektiven liegen nicht vor.
Frauen sind von einer NMOSE deutlich häufiger betroffen als Männer, wenngleich mit variablen Schätzungen von 2,5–9:1 (w : m) in verschiedenen Studien (Hinson et al. 2016). Diese Rate ist deutlich höher als bei der MS (Kap. „Multiple Sklerose: Grundlagen“). Das mediane Alter bei Erkrankungsbeginn wird insgesamt als höher als bei der MS angegeben und variiert zwischen 35 und 40 Jahren (Hinson et al. 2016). Wichtig zu bemerken ist, dass auch ältere Patienten mit einer Erstdiagnose beschrieben sind, sodass auch NMOSE in die Differenzialdiagnose bei älteren Menschen mit entsprechender klinischer Präsentation einzubeziehen sind. Gleichermaßen werden auch Fälle des Erkrankungsbeginns im Kindesalter berichtet (Hinson et al. 2016). Die aktuellen diagnostischen Kriterien wurden rezent für pädiatrische Kollektive evaluiert und als Instrument zur rascheren Diagnosestellung für zielführend befunden.
Pathogenese
Mit der Entdeckung des pathogenetisch relevanten Autoantikörpers, welcher zunächst als NMO-IgG bezeichnet wurde, wurde auch auf pathophysiologischer Grundlage die Abgrenzung einer eigenen Krankheitsentität der NMO bzw. NMOSE möglich. In kurzer Folge wurde als Zielstruktur dieses Antikörpers AQP4 beschrieben. Dieses ist ein auf Astrozyten exprimiertes Kanalprotein, wobei es das dominante Kanalprotein im ZNS darstellt (Lennon et al. 2005). So erfolgt eine Regulation des Wasserhaushalts in Abhängigkeit von AQP4.
Bevorzugt wird AQP4 in Astrozytenfortsätzen jeweils an der Blut-Hirn-Schranke bzw. an Schnittstellen zwischen Flüssigkeit und Parenchym exprimiert. Dies beinhaltet die graue Substanz des Rückenmarks, periaquäduktal und periventrikulär, was die Prädilektionsstellen der NMOSE-Läsionen erklärt. Auch extraneuronale Gewebe exprimieren AQP4 in multiplen Organen (Hinson et al. 2016). Dies erklärt z. T. auch die beschriebenen extraneuronalen Manifestationen.
Die primäre Astrozytopathie wird durch den AQP4-Antikörper, produziert in B-Lymphozyten der Peripherie und innerhalb des ZNS, angestoßen und führt zu einer Kaskade von Reaktionen mit Destruktion der Astrozyten. Für die Aktivierung der B-Lymphozyten spielen autoreaktive AQP4-spezifische T-Zellen eine entscheidende Rolle. Es erfolgt die Umverteilung und Internalisation mit endolysosomaler Degradation von AQP4 mit konsekutivem Funktionsverlust und Störung der Blut-Hirn-Schranke. Auch eine komplementvermittelte Entzündungsreaktion mit konsekutiver Einwanderung von Lymphozyten, neutro- und eosinophilen Granulozyten findet statt. Eine rasche Immunantwort beinhaltet die Freisetzung von Interleukin-6 (IL-6), welches wiederum AQP4-Antikörper produzierende Plasmablasten anregt, sodass sich dieser Mechanismus als therapeutisches Ziel eignet. IL-6 wird von einer T-Zell-Subpopulation, den Th17-Zellen, produziert, welche in die Pathologie der NMOSE eingebunden zu sein scheinen (Hinson et al. 2016).
Die Phänomene der Demyelinisierung durch Schädigung der Oligodendrozyten und der neuronalen Schädigung bis hin zur Nekrose scheinen somit sekundär zu entstehen, als Folge von Entzündung, toxisch durch Glutamat-Freisetzung bei Astrozytenuntergang und infolge einer Mangelversorgung der Zellen (Hinson et al. 2016).
Genetische Risikofaktoren der NMOSE sind bisher nicht klar identifiziert, wenngleich die Unterschiede in der ethnischen Verteilung dies vermuten lassen. Es bestehen Untersuchungen zu bestimmten HLA-Genotypen aus kleinen Patientengruppen: In einer japanischen Untersuchung wurde eine Assoziation zu HLA-DPB1*0501 beschrieben (Yamasaki et al. 1999). Dieses wird in der europäischen Bevölkerung generell in niedriger Frequenz gefunden und konnte somit hierin nicht verifiziert werden, jedoch wurde hier HLA-DR3 als möglicher Faktor entdeckt (Zephir et al. 2009).
Klinik und Diagnostik
Neben den „klassischen“ klinischen Manifestationen der Optikusneuritis und akuten Myelitis sind weitere NMOSE-typische klinische Phänotypen beschrieben: das Area-postrema-Syndrom, das Hirnstammsyndrom, das dienzephale Syndrom und das zerebrale Syndrom (Abb. 1).
Im Gegensatz zur MS kommen chronisch progrediente Verlaufsformen bei NMOSE nur sehr selten vor. NMOSE verlaufen in 90 % der Fälle rezidivierend schubförmig, in 10 % monophasisch (Hinson et al. 2016). Folglich wird das Kriterium einer zeitlichen Dissemination für die Diagnose einer NMOSE nicht gefordert.
Ein positiver Serostatus geht mit schwereren Erkrankungsschüben einher: eine hochgradige Visusminderung (≤0,1) sowie motorische Beeinträchtigung im Schub waren häufiger bei seropositiven Patienten nachweisbar. Dennoch ist der AQP4-Serostatus (positiv versus negativ) kein Prädiktor für die Rückbildung der schubassoziierten Symptome (Jarius et al. 2012b).
Optikusneuritis
Suggestiv für das Vorliegen einer NMOSE bei Optikusneuritis sind vor allem ein zeitgleiches bilaterales Auftreten sowie eine bildgebend langstreckige, bis in das Chiasma opticum reichende Ausdehnung (Wingerchuk et al. 2015). Häufiger verbleiben Gesichtsfelddefekte und/oder eine höhergradige, auch bilaterale Visusminderung. Eine Visusminderung auf ≤0,1 schon in der ersten Attacke einer Optikusneuritis wird bei mehr als drei Viertel der Patienten beoachtet, von der sich weniger als ein Viertel der Patienten komplett erholt (Jarius et al. 2012b).
Jedoch helfen diese Aspekte prospektiv in der Phase der Diagnosestellung und zeitgleich erfolgender Akuttherapie nur wenig. Das Ausmaß der Schädigung kann sich in den visuell evozierten Potentialen (VEP) neben der auch bei der MS typischen Latenzverlängerung auch in einem Leitungsblock abbilden; dies reicht zur sicheren Diskriminierung aber nicht aus (Kap. „Multiple Sklerose: Diagnostik“). Ergänzend kann in der Diagnostik auch die optische Kohärenztomografie (OCT) sinnvoll angewendet werden. Hier zeigt sich zum einen korrelierend zur klinischen Präsentation ein ausgeprägterer Retinaschaden bei NMOSE im Vergleich zur MS. Zum anderen ergeben sich unterschiedliche Schädigungsmuster, was die distinkte Pathologie unterstreicht, wenngleich sich dies noch nicht in der klinischen Routinediagnostik als Unterscheidungskriterium qualifiziert (Bennett et al. 2015).
Akute Myelitis
Eine klassische Manifestation ist die longitudinale extensive transverse Myelitis (LETM). Hiermit wird eine langstreckige Ausdehnung der Läsionen über mehr als drei Wirbelkörpersegmente bezeichnet, die im Gegensatz zu eher kurzstreckigen, fokalen Läsionen bei MS steht. Die akute Entzündung im Bereich des Rückenmarks ist auch in der Betrachtung im Querschnitt unterschiedlich: Während bei NMOSE präferenziell eine zentrale Läsion zu beobachten ist, liegen MS-Läsionen eher parazentral, z. B. dorsolateral. Vor allem kann die Ausdehnung im Querschnitt bei NMOSE aber annähernd den gesamten Querschnitt des Myelons einnehmen (Wingerchuk et al. 2006; Wingerchuk et al. 2015).
Entsprechend ausgeprägt sind die Symptome der Patienten mit motorischer und sensibler Querschnittssymptomatik, Blasen- und Mastdarmstörungen, häufig schmerzhaften Spastiken und neuropathisch anmutenden Schmerzen. Die Schmerzen im Kontext der NMOSE betreffen mehr als 80 % der Patienten und sind häufig gegenüber üblichen Therapieformen refraktär. In ihrer Entstehung sind sie bisher unzureichend verstanden (Bradl et al. 2014). Häufig tritt ein Lhermitte-Zeichen auf.
Area-postrema-Syndrom, akutes Hirnstammsyndrom
Das Area-postrema-Syndrom (16–43 % der NMOSE-Manifestationen) präsentiert sich klinisch mit kaum oder nicht behandelbarem Schluckauf oder Übelkeit und Erbrechen (Wingerchuk et al. 2015).
Bei Befall über die Area postrema hinaus treten entsprechend weitere hirnstammassoziierte Symptome hinzu. Häufig ist der dorsale Hirnstamm betroffen. Es können Hirnnervenausfälle, vegetative Störungen und – wie bei der Myelitis – entsprechend schwere sensomotorische Defizite bis hin zu einer schweren Atemstörung auftreten (Kap. „Anatomie: Hirnstamm“). Eine Entwicklung aus einem vorangegangenen Area-postrema-Syndrom ist möglich, sodass diesem besondere Bedeutung zukommt (Takahashi et al. 2008).
Akutes dienzephales Syndrom
Entsprechend der Lokalisation sind vor allem Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus bis hin zur symptomatischen Narkolepsie beim dienzephalen Syndrom möglich. Eine hypothalamische Dysfunktion kann in endokrinologischen Störungen und Störungen der Thermoregulation resultieren (Kap. „Anatomie: Großhirn“).
Zerebrales Syndrom
Initial wurden in entsprechenden Diagnosekriterien bildgebend zunächst entweder keine oder nur unspezifische zerebrale Läsionen für die Diagnose einer NMO akzeptiert, welches ein maßgebliches Unterscheidungskriterium zur MS darstellte (Wingerchuk et al. 2006). Mittlerweile sind NMOSE-typische bildgebende zerebrale Muster akzeptiert (Wingerchuk et al. 2015). Die akute klinische Präsentation lässt hierbei keine Unterscheidung zur MS oder anderen zerebralen Erkrankungen mit akutem bis subakuten Beginn zu. So müssen in der akuten Differenzialdiagnostik zerebrale Ischämien, Tumoren, z. B. Lymphome und andere Erkrankungen abgeklärt werden (Tab. 2).
Überlappende Autoimmunphänomene
Das Vorkommen weiterer Autoimmunphänomene ist gehäuft bei NMOSE zu beobachten. Während das Auftreten niedrig-titriger antinukleärer Antikörper (ANA) unspezifisch ohne weitere Organmanifestationen auftreten kann, sind auch autoimmune Komorbiditäten gehäuft beschrieben, vgl. auch Fallbeispiel (s. unten).
Hierzu zählen vor allem rheumatische Erkrankungen wie der systemische Lupus erythematodes, Sjögren-Syndrom, Myasthenia gravis, Thyreoiditiden und Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom, aber auch chronisch-entzündliche Darm- und Hauterkrankungen, Hyper-CK-Ämie und Polymyositis (Hinson et al. 2016). Die Myasthenia gravis ging in 96 % der beschriebenen Fälle der NMOSE voraus mit vergleichbarer Frequenz von AQP4-Antikörpern und nochmals erhöhter Bevorzugung des weiblichen Geschlechts (12:1). Zudem war ein Großteil der Fälle (80 %) vorher thymektomiert oder bestrahlt worden (Jarius et al. 2012a). Inwieweit Letzteres tatsächlich einen kausalen Zusammenhang hat, ist unklar.
Besonderheiten der Schwangerschaft
Schwangerschaft und Erkrankungsaktivität während der Schwangerschaft unterscheiden sich von der MS: Während in den ersten beiden Trimestern die Schubrate noch fällt (wie bei MS), steigt diese bereits im 3. Trimester und postpartal an (Fragoso et al. 2013). Durch Vorhandensein von AQP4 auch an der Plazenta besteht auch potenziell ein höheres Risiko für Fehlgeburten, welches experimentell gezeigt werden konnte (Saadoun et al. 2013).
Diagnostischer Algorithmus
Die diagnostische Herangehensweise basiert auf der typischen klinischen Präsentation, der Bildgebung, Labordiagnostik sowie dem Ausschluss von Alternativdiagnosen. Während im amerikanischen Raum die Liquordiagnostik eher im Hintergrund steht, ist diese traditionell im europäischen Raum weiterhin etabliert und vor allem bei der Differenzialdiagnose der NMOSE von besonderer Bedeutung.
Der AQP4-Antikörperstatus nimmt eine zentrale Rolle in den Diagnosekriterien ein. Nach dem Serostatus richten sich die weiteren erforderlichen Zusatzkriterien für die Diagnose einer NMOSE (Tab. 1).
Tab. 1
Diagnostische Kriterien der NMOSE für erwachsene Patienten (Wingerchuk et al. 2015)
Diagnostische Kriterien für NMOSE bei positivem AQP4-IgG-Nachweis
Diagnostische Kriterien für NMOSE bei negativem oder unbekanntem AQP4-IgG-Status
1. Vorliegen mindestens eines klinischen Kernkriteriums
2. Positiver AQP4-IgG-Nachweis unter Verwendung des besten verfügbaren Assays (zellbasierte Messung empfohlen)
Zusätzliche MRT-Kriterien für NMOSE bei negativem oder unbekanntem AQP4-IgG-Status
1. Optikusneuritis
2. Akute Myelitis
3. Area-postrema-Syndrom: Episode nicht anderweitig erklärten Schluckaufs oder Übelkeit und Erbrechen
4. Akutes Hirnstammsyndrom
5. Symptomatische Narkolepsie oder akutes dienzephales klinisches Syndrom mit NMOSE-typischem dienzephalen MRT-Muster
6. Symptomatisches zerebrales Syndrom mit NMOSE-typischem zerebralen MRT-Muster
1. Akute Optikusneuritis erfordert im zerebralen MRT:
a. Normalbefund oder unspezifische Läsionen der weißen Substanz oder
b. T2-hyperintense oder in T1-Wichtung Gadolinium aufnehmende Läsion des N. opticus, die mehr als die halbe Länge des N. opticus einnimmt oder das Chiasma opticum einbezieht
2. Akute Myelitis erfordert:
a. eine assoziierte intramedulläre MRT-Läsion mit Ausdehnung über mindestens 3 benachbarte Segmente (LETM) oder
b. mindestens 3 benachbarte Segmente einer fokalen Atrophie des Myelons bei entsprechenden anamnestischen Hinweisen einer stattgehabten akuten Myelitis
3. Area-postrema-Syndrom erfordert:
assoziierte Läsionen der dorsalen Medulla/Area postrema
Relevant in der Diagnosestellung ist die Bestimmung des AQP4-Antikörperstatus aus dem Serum.
Zellbasierte Verfahren (z. B. indirekte Immunfluoreszenz auf transfizierten Zelllinien, automatisierte Analyse per „fluorescence activated cell sorting“ –[FACS]) sind dem „enzyme-linked immunosorbent assay“ (ELISA) vorzuziehen. Mit zellbasierten Verfahren werden Sensitivitäten von bis zu 76 % erreicht, die Spezifität ist bei den Testverfahren insgesamt hoch (Ruiz-Gaviria et al. 2015). Die Testung im Serum ist der Testung im Liquor überlegen (Majed et al. 2016).
Wichtig zu beachten ist, dass therapeutische Interventionen (z. B. Steroidpuls, Plasmaaustausch, Immunsuppression) den Nachweis von AQP4-Antikörpern im Serum stören können (Jiao et al. 2013). Optimalerweise sollte die Abnahme daher vor diesen Maßnahmen erfolgen.
Auch bei Patienten mit rheumatischer Grunderkrankung mit oder ohne Symptome einer NMOSE ist ein positiver AQP4-Antikörperstatus nicht als serologisches Epiphänomen zu bewerten, sondern hat eigenständige pathogenetische Relevanz (Jarius et al. 2011).
Initial negativ getestete Patienten können im Verlauf serokonvertieren, sodass bei anhaltendem Verdacht eine Re-Testung sinnvoll sein kann (Wingerchuk et al. 2015). Darüber hinaus wurde in AQP4-Antikörper-negativen Kollektiven vermehrt das Vorkommen von Anti-Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG)-Antikörpern beschrieben, sodass gleichermaßen eine zellbasierte Testung auf Anti-MOG-Antikörper in AQP4-Antikörper-negativen Patienten erfolgen sollte. Inwieweit sich dies zu einer eigenständigen Erkrankungsgruppe entwickelt, ist aktuell noch nicht klar, jedoch gibt es erste Hinweise auf eine eigenständige Pathologie (Jarius et al. 2016b). Phänotypisch scheinen Anti-MOG-positive Verläufe durchaus Ähnlichkeit zu einer vorwiegend komplement- und antikörpergetriebenen Pathologie zu zeigen, was in einer histopathologischen Studie belegt werden konnte, in der der überwiegende Teil Anti-MOG-positiver Patienten bioptisch ein Typ-II-Muster zeigte (Pittock et al. 2007) (Kap. „Multiple Sklerose: Diagnostik“). MOG-IgG wird, insbesondere auch bei Kindern, vermehrt gefunden bei klinisch als akute disseminierte Enzephalomyelitis (ADEM) klassifizierten Fällen (Jarius et al. 2016a). Hier wird eine eigene Krankheitsentität bereits postuliert, die mit multiphasischen disseminierten Enzephalomyelitiden (MDEM) einhergeht (Baumann et al. 2016).
Im Zuge der Ausschlussdiagnostik sind weitere Laboruntersuchungen unerlässlich. Infektiöse, anderweitig autoimmune, vaskuläre, metabolische, paraneoplastische und maligne, ggf. auch hereditäre Erkrankungen sowie eine MS müssen, insbesondere bei anderen atypischen Befunden, gezielt untersucht werden (Tab. 2; Kap. „Multiple Sklerose: Diagnostik“).
Tab. 2
Atypische Befunde für das Vorliegen von NMOSE – „red flags“, die an Alternativdiagnosen denken lassen und entsprechende Aufarbeitung nach sich ziehen sollten (Wingerchuk et al. 2015)
Klinische und laborchemische Befunde
Komorbiditäten mit neurologischen Syndromen, die eine NMOSE imitieren
Progressiver klinischer Verlauf (neurologische Verschlechterung ohne Bezug zu Schubereignissen – MS in Betracht ziehen)
Sarkoidose, gesichert oder durch klinische, radiologische oder Laborparameter vermutet, z. B. mediastinale Lymphadenopathie, Fieber, Nachtschweiß, Serum-ACE oder -IL-2-Rezeptor erhöht
Atypischer zeitlicher Verlauf: unter 4 Stunden (spinale Ischämie in Betracht ziehen); kontinuierliche Verschlechterung über mehr als 4 Wochen vom Symptombeginn (Sarkoidose oder Neoplasie in Betracht ziehen)
Tumorerkrankung, gesichert oder durch klinische, radiologische oder Laborparameter vermutet, Lymphome oder paraneoplastische Erkrankungen in Betracht ziehen (z. B. Collapsin-response-mediator-protein-5-assoziierte Optikusneuropathie und Myelopathie, anti-Ma-assoziiertes dienzephales Syndrom)
Partielle transverse Myelitis, insbesondere bei fehlender LETM-Läsion im MRT (MS in Betracht ziehen)
Chronische Infektionen, gesichert oder durch klinische, radiologische oder Laborparameter vermutet, z. B. HIV, Syphilis
Vorhandensein oligoklonaler Banden im Liquor (unter 20 % bei NMOSE gegenüber mehr als 80 % bei MS)
Bildgebende Befunde – zerebral
Bildgebende Befunde – spinal
1. MS-typische Befunde in T2-Wichtung
Bildbefunde, die eher auf MS als NMOSE hinweisen
Läsionen mit perpendikulärer Orientierung zum Seitenventrikel („Dawson-Finger“)
Läsionen mit Ausdehnung über weniger als 3 Segmente in sagittalen T2-gewichteten Sequenzen
Läsionen am Seitenventrikel im inferioren Temporallappen
Läsionen mit führend peripherer Lokalisation (>70 %) in axialen T2-gewichteten Sequenzen
Juxtakortikale Läsionen mit Beteiligung der subkortikalen U-Fasern
Diffuse, unscharfe Signalveränderungen in T2-gewichteten Sequenzen (gelegentlich bei langjährig bestehender oder progressiver MS)
Kortikale Läsionen
2. Suggestive Bildbefunde für eine andere Erkrankung als MS und NMOSE
Läsionen mit persistierender Gadolinium-Aufnahme (mehr als 3 Monate)
ACE Angiotensin-Converting-Enzym, HIV humanes Immundefizienz-Virus, IL-2 Interleukin-2, MS multiple Sklerose, NMOSE Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen
Stellenwert der Liquordiagnostik
Insbesondere in der akuten Erstmanifestation kann es erforderlich sein, auch liquorchemisch Differenzialdiagnosen auszuschließen, z. B. bei immunkompromittierenden oder malignen Grunderkrankungen mit Prädisposition für Infektionen mit neurotropen oder opportunistischen Erregern oder einer Anamnese für mögliche Infektionserkrankungen wie FSME (Kap. „Neuroborreliose und FSME“). Es finden sich maßgebliche Unterschiede, auch in der Abgrenzung zur MS. So sind oligoklonale Banden je nach Literatur in unter 20 bis zu 30 % der NMOSE im Gegensatz zu 85 % bei MS nachweisbar (Wingerchuk et al. 2015; Hinson et al. 2016). Gleiches gilt für die bei der MS in 80–100 % positiv ausfallende MRZ-Reaktion (Kap. „Multiple Sklerose: Diagnostik“), welche bei den NMOSE typischerweise fehlt (1 von 20 NMOSE-Patienten) (Jarius et al. 2008).
Die Zellzahl kann, gerade in der Akutphase, deutlich höher als bei der MS sein (>50 Zellen/μl bei etwa 35 % der Patienten). Das Zellbild der NMOSE im Liquor zeigt, analog zu den Ausführungen zur Pathogenese, vermehrt neutrophile und eosinophile Granulozyten. Eine Schrankenstörung mit Proteinerhöhung ist oft zu beobachten (Wingerchuk et al. 2015; Hinson et al. 2016).
Zahlreiche potenzielle Marker wie der Nachweis von IL-6 im Liquor, aber auch Serumparameter sind noch nicht in der Routine etabliert, könnten in Zukunft aber hilfreich sein, um neben der Diagnose auch prognostische oder therapeutische Aussagen treffen zu können (Melamed et al. 2015).
Bildgebende Diagnostik
Der MRT-Diagnostik kommt bei der Diagnosestellung und als Verlaufsuntersuchung große Bedeutung zu. Analog zu den klinischen Manifestationen sind bildgebend die unterschiedlichen Prädilektionsstellen zu betrachten.
Wie bereits erläutert sind die Besonderheiten der Optikusneuritis bei NMOSE die Längenausdehnung und ggf. das zeitgleiche bilaterale Auftreten, die MR-tomografisch dargestellt werden können. So weist der betroffene Sehnerv langstreckige, teils bis in das Chiasma opticum reichende T2-Signalalterationen auf (Wingerchuk et al. 2015).
Spinal ist der Nachweis der LETM (über mehr als drei Wirbelkörpersegmente reichend) typisch. Dennoch sind Differenzialdiagnosen der LETM (konfluierende Läsionen bei MS, infektiöse, granulomatöse, [para-]neoplastische Ursachen, akute disseminierte Enzephalomyelitis [ADEM], spinaler Infarkt, durale arteriovenöse Fisteln) in Betracht zu ziehen (Wingerchuk et al. 2006; Wingerchuk et al. 2015). Typische Bildbefunde sind im Fallbeispiel mit den Abb. 5, 6 und 7 dargestellt. In der Akutphase der Entzündung findet sich oft eine ödematöse Auftreibung, gelegentlich auch zystische Formationen. Auch kann der Läsionsbeginn noch kurzstreckig fokal sein und sich erst im Weiteren in einen langstreckigen Befall entwickeln. Als Residualzustand nach LETM können nahezu sanduhrförmige Atrophien des Myelons beobachtet werden (Wingerchuk et al. 2015).
Beim klinisch definierten Area-postrema-Syndrom finden sich bildgebend T2- bzw. FLAIR-hyperintense Läsionen, ggf. mit Kontrastmittelaufnahme in der T1-Wichtung im Bereich der dorsalen Medulla oblongata. Wie bereits für den klinischen Verlauf beschrieben, ist der Übergang zu weiterem Hirnstammbefall fließend. Häufig ist eine periependymale Lokalisation zu sehen. Eine Ausdehnung bis in den Pons und das dorsale Mittelhirn ist möglich, dies mit Nachweis von T2- bzw. FLAIR-hyperintensen Läsionen vor allem um den vierten Ventrikel (Wingerchuk et al. 2015). Abb. 2a, b zeigen eine FLAIR-hyperintense Läsion im Bereich der dorsalen Medulla oblongata, die relativ symmetrisch mittelliniennah gelegen ist, in sagittaler und axialer Schnittführung.
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Im Bereich des Zwischenhirns sind uni- und bilaterale thalamische Läsionen sowie eine Beteiligung des Hypothalamus bei NMOSE zu sehen (Wingerchuk et al. 2015). Allerdings kann diese insbesondere in Abgrenzung zur Sarkoidose eine differenzialdiagnostische Herausforderung darstellen.
Zerebrale Läsionen bei NMOSE sind schwer zu interpretieren, vor allem in Abgrenzung zur MS bei AQP4-Antikörper-Negativität (Tab. 2). Vor allem ist an NMOSE zu denken, wenn ausgedehnte, flächige Läsionen, häufig langstreckig den Ventrikeln anliegend vorhanden sind, die auch das Corpus callosum bandförmig mitbetreffen können. Eine periependymal gelegene, flächige FLAIR-hyperintense Läsion rechts-okzipital ist in Abb. 3 zu sehen. Die zerebralen Manifestationen können tumefaktiv sein. Dramatische Verläufe mit konsekutiven Todesfällen sind beschrieben. Die Orientierung und Lokalisation der NMOSE-typischen zerebralen Läsionen unterscheidet sich von der MS. Sie sind üblicherweise nicht perpendikulär ausgerichtet und bilden somit nicht die MS-typischen „Dawson-Finger“. Eine Beteiligung des inferioren Temporallappens und kortikale Läsionen sind für NMOSE untypisch (Wingerchuk et al. 2015).
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Elektrophysiologische Zusatzdiagnostik
Eine ausführliche Beschreibung der elektrophysiologischen Zusatzdiagnostik findet sich in Kap. „Multiple Sklerose: Diagnostik“.
Therapie
Therapie des akuten Krankheitsschubs
Vor dem Hintergrund schwer verlaufender Krankheitsschübe mit potenziell hoher residueller Behinderung ist die umgehende und adäquate Therapie des Schubs einer NMOSE hochrelevant (Abb. 4).
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Dies wird gestützt durch eine rezente Analyse von über 800 Schüben von 185 Patienten aus der deutschen NEMOS-Kohorte (Kleiter et al. 2016). Durch den ersten Behandlungszyklus konnte hier nur bei ca. 20 % der Patienten eine komplette Rückbildung erzielt werden, während 16 % nicht remittierten und etwa 2/3 der Patienten sich nur partiell besserten. Aufgrund dieses inkompletten Ansprechens erfolgten bis zu 5 sequenzielle Behandlungszyklen mit verschiedenen Maßnahmen. Diese Eskalationsstrategie führte zu besserer Symptomrückbildung.
Die häufigste Initialbehandlung war weiterhin die hochdosierte Steroidpulstherapie (83,6 %), wenngleich auch Plasmapherese (7,6 %) und Immunadsorption (1,1 %) als Ersttherapie zur Anwendung kamen (Kleiter et al. 2016). Letztere scheinen vor allem für die Myelitis eine verbesserte Rückbildung zu bewirken.
Die Steroidpulstherapie wird hochdosiert intravenös (i.v.) durchgeführt.
Cave
Aufgrund der schweren Beeinträchtigung und potenzieller Residuen durch ein Schubereignis können die Autoren dieses Kapitels die orale hochdosierte Gabe zum aktuellen Zeitpunkt nicht empfehlen, da vergleichende Daten bei NMOSE nicht vorliegen.
Üblicherweise werden 1–2 g Methylprednisolon i.v. über 3–5 Tage verabreicht (Kap. „Multiple Sklerose: Therapie“). Vor Beginn ist laborchemisch und klinisch ein florider Infekt und ggf. eine Schwangerschaft auszuschließen. Wenngleich bei Bestehen einer Schwangerschaft keine generelle Kontraindikation für eine Steroidtherapie besteht, sollte die Indikation in diesem Fall nochmals spezifisch geprüft und abgewogen werden. Auf eine Thromboseprophylaxe, üblicherweise per niedermolekularem Heparin, sollte geachtet werden, insbesondere bei vermehrter Immobilität, sei es schub- oder hospitalisierungsbedingt. Ebenso sollte ein Magenschutz erfolgen (z. B. 20–40 mg Pantoprazol). Patientinnen sollten über eine mögliche verminderte Wirkung hormoneller Kontrazeptiva aufgeklärt werden.
Häufige Nebenwirkungen sind Schlafstörungen, vermehrter Appetit, Blutzuckerentgleisungen und Blutdruckerhöhungen sowie eine Vielzahl unspezifischer Symptome (z. B. Kopfschmerz). Thromboserisiko und gastrointestinale Nebenwirkungen sollten medikamentös abgefangen werden. Typische Langzeitnebenwirkungen der Kortikosteroide werden bei kurzfristiger Anwendung üblicherweise nicht gesehen, dennoch ist ein kumulierter Effekt bei wiederholter Anwendung zu bedenken. Belastbare Häufigkeitsangaben bestimmter Nebenwirkungen sind selbst in den respektiven Fachinformationen nicht enthalten.
Eine orale Erhaltungsdosis bzw. ein Ausschleichen sollten nicht unreflektiert schematisch erfolgen, sondern gezielt angewendet werden, z. B. wenn durch die angeschlossene verlaufsmodifizierende Therapie ein verzögerter Wirkeintritt zu erwarten ist (z. B. Azathioprin).
Wenngleich die Fallzahlen jeweils klein sind, belegen mittlerweile zahlreiche Studien die Wirksamkeit von Plasmaaustauschverfahren. Hierbei ist die Plasmapherese am besten untersucht, jedoch existieren erste Daten zur Wirksamkeit der Immunadsorption (Hinson et al. 2016). In einer weiteren Studie wurden Kortikosteroide und Plasmapherese kombiniert, im Vergleich zur alleinigen Steroidtherapie war dies überlegen, ein Vergleich zur Plasmapherese allein ist jedoch ausstehend (Abboud et al. 2016).
Je nach Verfahren und Verträglichkeit wird üblicherweise jeweils das bis zu 1,5-fache Plasmavolumen pro Sitzung in 5–7 Sitzungen ausgetauscht. Dies kann bei guter individueller Verträglichkeit, vor allem in Bezug auf Kreislaufreaktionen, an aufeinanderfolgenden Tagen oder an jedem zweiten Tag erfolgen. Aufgrund möglicher katheterassoziierter Komplikationen können, sofern möglich, periphere Zugänge einem großen, 2-lumigen zentralvenösen Katheter vorgezogen werden.
In der Akuttherapie kann intravenösen Immunglobulinen (IVIG) auf Grundlage der aktuell vorliegenden Daten kein relevanter Stellenwert zugesprochen werden. Sie sollten Spezialsituationen als Reserveoption vorbehalten werden (z. B. Schwangerschaft, pädiatrische Patienten, Kontraindikationen für Plasmaaustauschverfahren). Eine aktuelle Studie bei Erstmanifestation einer transversen Myelitis oder NMOSE mit Myelitis bei Kindern und Erwachsenen untersucht derzeit den Effekt von IVIG gegenüber Steroidtherapie in der Akuttherapie (Registrierungsnummer clinicaltrials.gov: NCT02398994). Die Dosisempfehlung orientiert sich an den Erfahrungen aus anderen Bereichen, z. B. der Therapie des Guillain-Barré-Syndroms, mit 0,4 g IVIG pro kg Körpergewicht über 5 aufeinanderfolgende Tage.
Verlaufsmodifizierende Therapie
Residuelle Behinderung kann bereits nach einem einzigen Ereignis aufgrund der Schubschwere deutlich sein. Schon nach dem Erstereignis ist daher die weitere verlaufsmodifizierende Therapie einzuleiten, um das Risiko weiterer Ereignisse zu senken.
Bisher liegen keine Studiendaten höchster Evidenzklasse vor, sodass auch formale Zulassungen fehlend sind. Dennoch bestehen Übersichtsarbeiten zu Therapierichtlinien, die neben der besten verfügbaren Evidenz im Expertenkonsensus erstellt wurden (z. B. Trebst et al. 2014). Für einige der in der MS-Therapie etablierten verlaufsmodifizierenden Therapieoptionen wurde in retrospektiven Studien oder Fallserien eine Verschlechterung des Krankheitsverlaufs der NMOSE gezeigt: Interferon-Beta, Fingolimod, Natalizumab und Alemtuzumab. Für Glatirameracetat, Teriflunomide und Dimethylfumarat liegen nicht hinreichend Daten vor, um eine positive oder negative Empfehlung geben zu können (Kleiter und Gold2016).
Orale Kortikosteroide
Wie bereits dargestellt, kann eine überlappende orale Steroidtherapie erwogen werden, um die Zeit bis zum erwarteten Wirkeintritt eines verlaufsmodifizierenden Medikaments zu überbrücken (Wingerchuk und Weinshenker 2008). Häufig wird mit einer Einstiegsdosis Prednisolon von 1 mg pro kg Körpergewicht pro Tag begonnen, welche dann schrittweise reduziert werden sollte.
Ein dauerhafter Einsatz als Monotherapie ist selten ausreichend und geht aufgrund der Tagesdosen von mehr als 10 mg pro Tag mit nicht tolerablen Nebenwirkungen einher.
Klassische Immunsuppressiva
Im Folgenden werden die Daten zu klassischen Immunsuppressiva zusammengefasst.
Azathioprin
Azathioprin hemmt die Zellproliferation der B- und T-Lymphozyten. Die Wirksamkeit bei NMOSE wurde in einer Vielzahl kleiner Studien gezeigt (Kleiter und Gold2016), allerdings mit einer hohen, nebenwirkungsbedingten Abbrechrate (bis zu 46 %). Im Vergleich zur B-Zell-depletierenden Therapie mit Rituximab scheint Azathioprin zu einer schlechteren Krankheitskontrolle zu führen (Mealy et al. 2014; Jeong et al. 2016).
Azathioprin wird oral angewendet in einer üblichen Dosis von 2–3 mg pro kg Körpergewicht. Der Wirkeintritt ist nach 3–6 Monaten unter Zieldosis zu erwarten. Die Parameter zur Therapieeinstellung werden von verschiedenen Autoren unterschiedlich bewertet. Wir teilen die Einschätzung des Monitorings nach einer Ziel-Lymphozytenzahl von 600–1000 pro μl bei erhaltenen Leukozyten über 3000 pro μl und ggf. zusätzlich der Erhöhung des mittleren korpuskulären Volumens der Erythrozyten (MCV) um 5 % (Kleiter und Gold2016). Bei sehr raschen Veränderungen des Blutbilds und der Leberwerte oder frühem Auftreten ausgeprägter Nebenwirkungen empfiehlt sich die Testung der Thiopurinmethyl-Transferase (TPMT)-Aktivität. Nebenwirkungen können Nausea, Diarrhö, Infektionen, Lebertoxizität und Knochenmarksuppression sowie vor allem bei Langzeitanwendung auch ein erhöhtes Malignomrisiko beinhalten.
Mitoxantron
Mitoxantron inhibiert die Topoisomerase II, interkaliert in die DNA und wirkt hierüber zytostatisch. Zudem wird die RNA-Synthese gehemmt. Es führt so auch zu einer Unterdrückung von T- und B-Lymphozyten.
Die Größe der untersuchten Patientengruppen ist, vergleichbar zu anderen Medikamenten, im mittleren zweistelligen Bereich. Eine Reduktion der Schubfrequenz um 75 % bzw. 80 % wurde beobachtet (Kleiter und Gold2016). Aufgrund des höheren Potenzials schwerwiegender Nebenwirkungen, des erforderlichen Therapiemonitorings und vor allem der begrenzten Lebenszeitdosis bis maximal 140 mg pro m2 Körperoberfläche ist der Therapieentscheid gut abzuwägen und im individuellen Fall zu diskutieren.
Die i. v. Mitoxantron-Therapie erfolgt üblicherweise – analog zur MS – in einer Dosis von 12 mg/m2 Körperoberfläche in einem Abstand von jeweils 3 Monaten (Chan und Salmen 2016). In begründeten Fällen kann eine Induktionstherapie mit kürzerem Abstand erwogen werden. Die Folgeinfusionen sollten streng gerichtet nach dem Leukozytennadir erfolgen, sodass bei Werten unter 2000 pro μl eine Dosisreduktion erforderlich ist. Sollte sich in der Blutbildkontrolle vor der Folgeinfusion weiterhin eine Leukopenie zeigen, sollte neben der Dosisreduktion niederschwellig erwogen werden, auch weitere hämatologische Abklärungen durchzuführen, um dem Risiko therapie-assoziierter Leukämien (0,25–0,41 %) rechtzeitig Sorge zu tragen (Stroet et al. 2012). Neben den hämatologischen Nebenwirkungen erfordert das kardiale Risikoprofil ein engmaschiges Monitoring inkl. EKG und transthorakaler Echokardiografie zu jedem Therapiezyklus und über 5 Jahre nach Therapiebeendigung. Dies wird gleichermaßen für die Blutbildkontrollen angeraten (Chan und Salmen 2016).
Mycophenolatmofetil (MMF)
MMF bzw. sein aktiver Metabolit supprimiert die Guanosin-Nukleotid-Biosynthese und darüber die Lymphozytenproliferation.
Retrospektive Studien konnten allein oder in Kombination mit Kortikosteroiden überwiegend bei AQP4-Antikörper-positiven Patienten einen Effekt auf Schubfrequenz und Behinderungsgrad zeigen. Die Abbruchraten – nebenwirkungsbedingt oder aufgrund von Krankheitsaktivität – betrugen bis zu 25 % (Kleiter und Gold2016). Bei zwar vergleichbarer Schubreduktion insgesamt unter Rituximab und MMF (Mealy et al. 2014) ergab sich ein etwa 6-fach erhöhtes Risiko für schwere Schubereignisse unter MMF im Vergleich zu Rituximab (Jeong et al. 2016).
Die orale MMF-Einnahme erfolgt in einer Dosis von 1500–3000 mg pro Tag in 2 Einzeldosen (Kleiter und Gold2016). Das Monitoring des therapeutischen Bereichs erfolgt per absoluter Lymphozytenzahlen und Medikamenten-Talspiegel. Die Nebenwirkungen sind vergleichbar zu Azathioprin.
Andere klassische Immunsuppressiva
Die weiteren hier aufgeführten Immunsuppressiva finden insgesamt weniger häufig Anwendung und werden nur in Einzelfällen erwogen.
Ciclosporin A und Tacrolimus sind Calcineurin-Inhibitoren. Es besteht jeweils eine kleine Untersuchung mit positiven Effekten, die Datenlage ist somit insgesamt noch begrenzt. Beide Substanzen werden nach Talspiegel gesteuert (Kleiter und Gold2016). Das nephrotoxische Potenzial und das Risiko von Blutdruckerhöhungen sind zu überwachen. Im Übrigen sind die Nebenwirkungen unter den klassischen Immunsuppressiva vergleichbar (s. Azathioprin). Die Daten zu Cyclophosphamid basieren auf Fallberichten und kleinen retrospektiven Untersuchungen mit einstelliger Patientenzahl bei NMOSE. Es kann als Infusionstherapie nach Therapieversagen erwogen werden, insbesondere bei komorbidem systemischen Lupus erythematodes oder Sjögren-Syndrom (Trebst et al. 2014). Methotrexat wird in rheumatologischen Anwendungsgebieten häufig in Kombination mit Immunsuppressiva oder monoklonalen Antikörpern angewendet, für die eine relevante Immunogenität beschrieben ist. Die begrenzt vorhandenen Daten bei NMOSE sind bei kleinen Patientenzahlen durch ebensolche Komedikation in ihrer Aussagekraft beschränkt. Dosisangaben variieren zwischen 7,5 und 25 mg (Kleiter und Gold 2016).
Monoklonale Antikörper
Während bereits breite Erfahrung in der Anwendung des monoklonalen Antikörpers Rituximab besteht, weisen neuere Daten auch auf die Wirksamkeit weiterer monoklonaler Antikörper hin oder befinden sich in Untersuchung.
Rituximab
Rituximab ist ein chimärisierter monoklonaler Antikörper gegen das auf naiven und B-Gedächtniszellen exprimierte Oberflächenprotein CD20 und führt dementsprechend zu einer B-Zell-Depletion. Die erste, kleine Open-label-Studie, die einen positiven Effekt zeigte, wurde mittlerweile in vielen Fallserien und retrospektiven Analysen bestätigt (Kleiter und Gold2016).
Vor allem Daten von Langzeitbeobachtungen sind von Relevanz, die eine Reduktion der Schubfrequenz in der deutlichen Mehrzahl der Patienten (87 %) über 5 Jahre bei Fehlen von schwerwiegenden Nebenwirkungen zeigte. Jüngere Studien zeigten auch, dass die Rituximab-Therapie eine überlegene Krankheitskontrolle gegenüber Azathioprin bietet (Mealy et al. 2014; Jeong et al. 2016). Vor dem Hintergrund der positiven Datenlage, potenziell hoher Behinderungsresiduen mit jedem neuen Ereignis und insgesamt guter Verträglichkeit wird Rituximab als Erstlinientherapie angesehen (Trebst et al. 2014).
Für Rituximab als i.v. Therapie bestehen weiterhin diverse Verabreichungsschemata, die zwischen 250–2000 mg alle 6–12 Monate, seltener einem Induktionsschema mit 375 mg/m2 Körperoberfläche wöchentlich über 4 Wochen variieren (Kleiter und Gold2016). Die Bestimmung der peripheren B-Zell-Zahl (CD19- oder CD20-positive Zellen) kann zur Festlegung des nächsten erforderlichen Infusionszyklus mit herangezogen werden (Trebst et al. 2014). Alternativ kann auch der Wiederanstieg der CD27-positiven B-Gedächtniszellen verwendet werden. Diese Ansätze bergen jedoch das Risiko erneuter Krankheitsaktivität, sodass gerade bei AQP4-positiven Patienten eher ein fixes Intervall angestrebt werden sollte. Die Höhe des AQP4-Titers eignet sich nicht als Verlaufsmarker unter Therapie (Kleiter und Gold 2016).
Tocilizumab
Wie dargestellt scheint IL-6 die Plasmablasten zur vermehrten AQP4-Antikörper-Produktion anzuregen. Es ist auch für das Überleben der Plasmablasten mitverantwortlich, sodass die Blockade der IL-6-Signalwege als therapeutischer Mechanismus naheliegt. Die Plasmablasten sind CD20-negativ, sodass auch bei Rituximab-Therapieversagern dieser Ansatz theoretisch einen zusätzlichen Angriffspunkt darstellen kann. Tocilizumab ist ein humanisierter Antikörper gegen den IL-6-Rezeptor.
Wenngleich auf geringe Fallzahlen gestützt, sind die bisherigen Daten zu Tocilizumab gleichsinnig positiv auf Schubfrequenz und Behinderungsgrad, in einer Studie mit einer Nachbeobachtung von durchschnittlich 31 Monaten nach Umstellung auf Tocilizumab (Araki et al. 2014; Ringelstein et al. 2015). Hinsichtlich der Lebensqualität der Patienten ist zu bemerken, dass in beiden Studien eine deutliche Reduktion assoziierter neuropathischer Schmerzen zu verzeichnen war.
Tocilizumab wird i.v. in einer Dosierung von 8 mg pro kg Körpergewicht alle 4 Wochen verabreicht (Kleiter und Gold2016). Wichtig zu bemerken ist, dass sich das C-reaktive Protein (CRP) unter Therapie nicht als Infektionsmarker eignet. Nebenwirkungen beinhalten entsprechend Infektionen, Neutro- wie auch Thrombopenien und erhöhte Leberwerte, die entsprechend zu überwachen sind.
Eculizumab
Eculizumab bindet als monoklonaler Antikörper den Komplementfaktor C5 und vermindert so die komplementaktivierte Entzündungskaskade. Die Datenlage zu Eculizumab in NMOSE beruht auf bisher einer Untersuchung von 14 Patienten mit positivem Effekt (Pittock et al. 2013). Diese Studie lieferte die Grundlage zur Initiation einer Phase-III-Studie. Vor dem breiteren Einsatz in NMOSE bedarf es weiterer Daten.
In Erprobung befindliche Strategien
Aktuelle Studienbestrebungen zu verlaufsmodifizierenden Therapien sind in Tab. 3 dargestellt. Für die Studie zu MEDI-551 wurde die ethische Vertretbarkeit von Placebo-Studien diskutiert und ein adaptiertes Studiendesign erstellt, welches ethische und wissenschaftliche Aspekte abbildet (Cree et al. 2016).
Tab. 3
Aktuelle Studien (Phase II und III) zu verlaufsmodifizierenden Therapien der NMOSE (gemäß https://www.clinicaltrials.gov/, Stand 11/2016)
Weitere Therapieansätze befinden sich in experimenteller oder Phase-I-Erprobung, z. B. ein monoklonaler Antikörper gegen AQP4-IgG und gegen verschiedene andere Immunzelltypen gerichtete Therapien.
Symptomatische Therapie
Eine ausführliche Beschreibung der symptomatischen Therapiemaßnahmen findet sich in Kap. „Multiple Sklerose: Therapie“.
Fallbeispiel
Ein 50-jähriger Mann stellte sich in der Notaufnahme vor. Seit 4 Tagen leide er unter Rückenschmerzen im Bereich der Brustwirbelsäule. Etwa zeitgleich habe er Gefühlsstörungen an den Oberschenkeln festgestellt, die sich ausgebreitet hätten und bei Vorstellung vom oberen Brustkorb bis zu den Unterschenkeln reichten. Novaminsulfon und Paracetamol hätten eine leichte Besserung der Schmerzen erbracht. Auf Nachfrage wurden keine Miktions- oder Defäkationsauffälligkeiten berichtet.
Die neurologische Untersuchung ergab ein sensibles Niveau ab Höhe des Dermatoms Th7 abwärts mit rechtsseitiger Betonung. Am rechten Oberschenkel wurden auch Parästhesien angegeben. Es bestanden Paresen der Hüftflexion- und -extension sowie der Dorsalextension der Großzehe und des Fußes vom Kraftgrad M4/5. Es fand sich eine Reflexsteigerung des BSR rechts bei fehlenden Pyramidenbahnzeichen.
Die notfallmäßige MRT-Bildgebung der Wirbelsäule zeigte eine langstreckige intramedulläre Läsion mit Schwellung des Myelons im Sinne einer transversen Myelitis (Abb. 5).
×
Nach Infektausschluss und erfolgter Lumbalpunktion wurde eine hochdosierte Steroid-Pulstherapie begonnen (Methylprednisolon 1 g pro Tag für 6 Tage, orales Ausschleichen).
In der Vorgeschichte des Patienten bestand ein Morbus Crohn mit Spondylarthritis und Erythema nodosum (ASCA-IgG positiv, HLA-B27 negativ), sodass seit ca. 10 Jahren verschiedene immunsuppressive Therapien erfolgten (Methotrexat, Leflunomide, TNF-α-Blockade), zuletzt 4 Monate vor Beginn der aktuellen Symptomatik.
Zudem wurde im Vorjahr ein papilläres Schilddrüsenkarzinom (pT1b [R0 L0 V0] pN0 cM0) diagnostiziert und per Neck dissection kurativ behandelt sowie eine Lymphadenopathie submandibulär links festgestellt, die histologisch eine follikuläre Hyperplasie und B-Zell-Aktivierung ohne Malignitätshinweis zeigte. Im gleichen Jahr vor Beginn der neurologischen Symptomatik wurde ein Warthin-Tumor operativ versorgt.
Die Zusatzdiagnostik ergab keinen Hinweis auf eine infektiöse Genese. Aufgrund der komplexen Vorgeschichte wurden differenzialdiagnostisch auch ein Morbus Behçet und eine Sarkoidose in Betracht gezogen. Die Testung auf HLA-B51 war negativ, der Pathergie-Test unauffällig. In der Computertomografie des Thorax ergab sich keine (bi-)hiläre Lymphadenopathie.
Die detaillierte Liquoranalyse ergab eine Schrankenstörung (Protein 0,7 g/l) bei 4 Zellen/μl und polyklonalem Bandenmuster im Liquor. Laborchemisch fand sich ein AQP4-Antikörper-Titer von 1:1280 und ANA-Titer von 1:640. Die übrigen laborchemischen Untersuchungen auf Kollagenosen/Vaskulitiden verliefen negativ.
Die ergänzende zerebrale MRT-Untersuchung zeigte insgesamt 3 unspezifische FLAIR-hyperintense Läsionen: eine kleine FLAIR-hyperintense Läsion im medialen Corpus callosum, zwei kleine FLAIR-hyperintense juxtakortikale Läsionen rechts-frontal. Die motorisch-evozierten Potenziale mit Ableitung am M. tibialis anterior ergaben eine verzögerte zentralmotorische Laufzeit zum rechten Bein, ebenso war die P40-Latenz der somatosensorisch-evozierten Potenziale des N. tibialis rechts leicht verlängert. Die visuell-evozierten Potenziale waren regelrecht.
Zusammenfassend stellten wir die Diagnose einer NMOSE bei Vorliegen eines klinischen Kernkriteriums, Nachweis von AQP4-Autoantikörpern und Ausschluss von Alternativdiagnosen. Das Vorliegen weiterer autoimmuner Pathologien ist bei NMOSE nicht ungewöhnlich.
5 Wochen später wurde eine Therapie mit Rituximab eingeleitet (Gabe von 2-mal je 1 g i.v. im Abstand von 2 Wochen).
Etwa 9 Wochen nach Initialereignis stellte der Patient sich erneut notfallmäßig vor bei neu aufgetretenem Kribbeln der rechten Hand und Kopfschmerzen sowie erneuter Zunahme der residuellen Sensibilitätsstörungen ab thorakal. Es ergab sich MR-tomografisch der Nachweis einer neuen, akuten zervikalen Myelitis von HWK1 bis HWK 3/4 (Abb. 6). Zu diesem Zeitpunkt lag laborchemisch bereits eine B-Zell-Depletion vor. Es erfolgten 2 Steroidpulstherapien (3-mal 1 g Methylprednisolon i.v., 3-mal 40 mg Dexamethason i.v.).
×
Nach insgesamt 4 Monaten nach dem Erstereignis präsentierte sich der Patient notfallmäßig mit stechenden paravertebralen Schmerzen, einem positiven Lhermitte-Zeichen und leichtgradiger Paraparese. MR-tomografisch zeigte sich wiederum Krankheitsaktivität mit progredienter T2-Hyperintensität des thorakalen Myelons und neuer Kontrastmittelaufnahme auf Höhe BWK3 (Abb. 7). Wiederum waren zur Besserung der Symptomatik 2 Steroidpulstherapien erforderlich (1-mal 1 g, 2-mal 2 g Methylprednisolon i.v., 3-mal 40 mg Dexamethason i.v.).
×
Wir gingen bei anhaltender klinischer und paraklinischer Krankheitsaktivität von einem Therapieversagen von Rituximab aus, sodass die Umstellung auf Tocilizumab vorgesehen ist.
Facharztfragen
1.
Beschreiben Sie die Pathophysiologie der NMOSE.
2.
Benennen Sie die Diagnosekriterien der NMOSE nach Wingerchuk et al. 2015.
3.
Beschreiben Sie die bildgebenden Unterschiede zwischen MS und NMOSE.
4.
Welche Maßnahmen stehen zur Behandlung akuter Erkrankungsschübe einer NMOSE zur Verfügung?
5.
Welche verlaufsmodifizierenden Therapieformen der NMOSE sind zu erwägen und worauf beruht der jeweilige Wirkmechanismus der Substanz?
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