Die Dokumentation ist im chirurgischen Alltag unerlässlich, aber sie sollte auch in Kongruenz mit den tatsächlich durchgeführten Maßnahmen stehen. Der Medizinrechtsanwalt Helge Hölzer warnte auf dem Chirurgenkongress vor typischen Fehlern, mit denen Ärzte sich selbst ans Messer liefern.
Fälle, in denen Chirurgen sich durch eine „zu gute“ Dokumentation ihr eigenes Grab schaufeln, erleben Anwälte, die sich auf die Verteidigung von Ärzten und Kliniken spezialisiert haben, zu Hauf. Wie Rechtsanwalt Dr. Helge Hölzer, Sindelfingen, auf dem DGCH-Kongress berichtete, wird von Ärzten immer wieder der Fehler gemacht, dass in der Dokumentation zwar ausführlich auf bestimmte Befunde eingegangen wird, aber die entsprechenden, in Leitlinien geforderten diagnostischen und/oder therapeutischen Maßnahmen ausbleiben oder nur unvollständig durchgeführt werden.
Die Infektion ist "Anwalts Liebling"
„Anwalts Liebling“, so der ehemalige Chirurg und heutige Fachanwalt für Medizinrecht, sei die Infektion. Oft würde ganz im Sinne der Lehrbücher das typische klinische Spektrum mit „Rubor, Calor, Dolor, Tumor“ beschrieben; dafür würde dann zuweilen aber erstaunlich lange zugewartet. „Wir haben Legionen von Fällen, in denen der Arzt drei Fehler macht: Zu spät, zu spät, zu spät!“, kritisierte Hölzer. Wenn irgendjemand, sei es der Chirurg selbst oder auch die Krankenschwester, die genannten Kardinalsymptome einer Infektion in der Krankenakte festhalte, müsse das umgehend nachweisbare Konsequenzen haben, von der Laboruntersuchung, ggf. über die Bildgebung bis hin zur Mikrobiologie. Gerade Letztere werde nicht selten vernachlässigt: „Wenn am Freitagmittag der Befund kommt, dass das gewählte Antibiotikum im Resistogramm nicht wirksam ist, dann guckt sich diesen Zettel unter Umständen bis Montag kein Mensch mehr an!“ Für den Patienten könne das unter Umständen fatale Folgen haben.
Ähnlich verhält es sich nach Hölzers Erfahrung bei der Thrombose: Trotz hochgradig verdächtiger Befunde an der Wade mit dokumentierter „Druckschmerzhaftigkeit, Schwellung, Rötung und Schmerzen bei Dorsalflexion des Fußes“ hatte ein Mandant sich darauf beschränkt, „elastisch zu wickeln“. Dies sei beileibe kein Einzelfall. Andere hatten zwar eine „Thrombosespritze“ verabreicht, jedoch nur in prophylaktischer und nicht in therapeutischer Dosierung.
Verhängnisvoll wird es aus juristischer Sicht insbesondere dann, wenn für die entsprechende Situation eine aktuelle Leitlinie mit hohem Evidenzgrad vorliegt, wie es z. B. bei der S3-Leitlinie Thromboseprophylaxe der Fall ist: „Da steht alles drin, was man als Rechtsanwalt braucht, um eine Klage schlüssig zu machen!“
Op.-Indikation hinterfragen!
Dass man als Operateur zuweilen eine konservative Therapie erwägen muss, obwohl der Patient explizit zum Zweck der chirurgischen Behandlung überstellt wurde, zeigt das Beispiel des älteren Patienten mit Schilddrüsenknoten: In diesem Fall war gemäß der Leitlinie am ehesten eine Radiojodtherapie indiziert. Der Chirurg dürfe nicht „wie ein Schmied sein, der einen Hammer hat und überall Nägel sieht“, mahnte Hölzer. Gerade bei operationsbedingten Komplikationen wie der Recurrensparese nach Schilddrüsenresektion sei es üblich, dass der vom Gericht bestellte Sachverständige die Op.-Indikation sehr genau hinterfrage.
Auch die postoperative Funktionsprüfung des N. laryngeus recurrens sei etwas, wo viele Fehler gemacht würden: Die Sprachprobe reiche heute längst nicht mehr. Hölzer: „Machen Sie um Himmels willen immer eine HNO-Diagnostik!“
Ein Problem, das sowohl die Klinik als auch den niedergelassenen Bereich betrifft, ist die Differenzialdiagnostik der Appendizitis. Zum Ausschluss einer solchen genügt es dem Rechtsanwalt zufolge nicht, sich auf einen „weichen Bauch“ zu berufen. Experten wie DGCH-Kongresspräsident Prof. Matthias Anthuber, Augsburg, empfehlen zur Abklärung der akuten Appendizitis neben Anamnese, klinischer Untersuchung, Labor und Ultraschall den Einsatz von Score-Systemen wie dem AIR(Appendicitis Inflammatory Response)-Score (Chirurg 2019; 90: 173–177). Für häufig eingesetzte Diagnostikparameter wie die rektal-axilläre Temperaturdifferenz oder die digitale rektale Untersuchung sei der prädiktive Wert dagegen gering. Dies bedeutet aber offenbar nicht, dass Sachverständige sich vor Gericht nicht darauf berufen.
Groteske Forderung eines Sachverständigen
Deutlich zu weit war nach Hölzer ein Sachverständiger gegangen, der angesichts einer perforierten Appendizitis bei einem achtjährigen Jungen gefordert hatte, man hätte diesen alle vier bis sechs Stunden rektal austasten müssen. So ein Vorgehen ist dem Juristen zufolge „völlig grotesk“.
Hölzers Fazit: „Wenn Sie etwas dokumentieren, sollten Sie zusehen, dass die von ihnen durchgeführte Behandlung zur Dokumentation passt!“ Die Fälle, in denen gegen dieses Prinzip grob verstoßen wurde, seien für den Rechtsanwalt fast nicht mehr zu gewinnen.
Basierend auf: Hölzer H. Typische Fehler des Chirurgen aus juristischer Sicht. 136. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), 26. bis 29. März 2019 in München