Skip to main content
Erschienen in: Die Ophthalmologie 7/2023

Open Access 08.09.2022 | Kasuistiken

Ein rätselhafter Zentralvenenverschluss

verfasst von: Dr. med. B. Galler

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 7/2023

download
DOWNLOAD
print
DRUCKEN
insite
SUCHEN
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen

Anamnese

Ein 61-jähriger Patient stellte sich in unserer Ambulanz aufgrund eines seit 2 Wochen bestehenden Schleiers am linken Auge (LA) vor. Die Augenanamnese war bis auf eine leichte Myopie leer. Bezüglich der Allgemeinanamnese war eine arterielle Hypertonie bekannt. Kein aktueller Nikotinkonsum, jedoch Zustand nach 22 „pack years“.

Klinischer Befund

Der Visus betrug rechts c.c. 1,25 und links c.c. 1,0. Der Augeninnendruck war beidseits normoton. Der vordere Augenabschnitt war regelrecht. Fundoskopisch und mittels Fluoreszeinangiographie zeigte sich am LA das typische Bild eines milden nichtischämischen Zentralvenenverschlusses (ZVV). Eine zilioretinale Arterie war nicht nachzuweisen. An der Papille zeigten sich jedoch superior in der arteriellen sowie frühvenösen Phase Kollateralen (s. Abb. 1).
Mittels der OCT (optischen Kohärenztomographie) zeigte sich eine neurosensorische Abhebung mit subretinaler Flüssigkeit sowie perifoveolären intraretinalen Pseudozysten (siehe Abb. 2a).

Verlauf und Therapie

Bei einem Visus von c.c. 1,0 verzichteten wir vorerst auf intravitreale Injektionen mit Anti-VEGF (Anti-vascular endothelial growth factor). Wir planten eine Kontrolle in 4 Wochen und empfahlen eine Abklärung der kardiovaskulären Risikofaktoren.
Nur wenige Stunden später wurde der Patient erneut bei uns vorstellig. Nach einem einstündigen Mittagsschlaf sei vom Patienten beim Aufwachen ein akuter Visusabfall links bemerkt worden.
Der Visus betrug nun am LA c.c. 0,16. Fundoskopisch keine wesentliche Befundänderung. Ein intraarterieller Embolus oder kirschroter Fleck war nicht abzugrenzen.
Mittels der OCT waren jedoch eine Zunahme der Netzhautdicke sowie eine Schwellung der inneren Netzhautschichten mit Abgrenzung der pMLM (prominent middle limiting membran) erkennbar (s. Abb. 2b).
Wir vermuteten einen akuten arteriellen Verschluss. Keine Symptome einer Arteriitis temporalis. Der Blutdruck betrug 153/81 mm Hg. Das CRP und die BSG waren normwertig. Eine Gerinnungsabklärung im Verlauf blieb unauffällig.
Es erfolgte eine notfallmäßige Verlegung in die Neurologie. Das dort durchgeführte cCT mit Kontrastmittel zeigte einen unauffälligen Befund. Von einer intravenösen Lysetherapie wurde nach Risiko-Nutzen-Analyse abgesehen.
Im Verlauf kam es zu einer Progredienz des Makulaödems. Nach einem intravitrealen Upload mit Bevacizumab stellte sich ein trockener Befund mit ausgeprägten Fotorezeptordefekten dar (s. Abb. 3). Der Visus betrug c.c. 1/15 Metervisus.
Fünf Monate nach Erstvorstellung zeigten sich fundoskopisch enge Arterien und Venen, eine blasse Papille sowie noch verbliebene Resthämorrhagien mit Glaskörperblutung (s. Abb. 4). In der erneut durchgeführten Fluoreszeinangiographie zeigten sich zirkulär ischämische Areale (s. Abb. 5). Die Arm-Retina-Zeit betrug 22 s. Eine Rubeosis iridis lag nicht vor. Der Augeninnendruck war normoton. Aufgrund der Ischämien entschieden wir uns zusammen mit dem Patienten trotz fehlender Neovaskularisationen für eine Pan-Laserkoagulation.
Bei detaillierter Betrachtung zeigte sich zudem am unteren Gefäßbogen ein „ghost vessel“ (s. Abb. 6a), welches mittels Fluoreszeinangiographie einem arteriellen Gefäß zugeordnet werden konnte (s. Abb. 6b).

Diagnose

Ein initial nichtischämischer milder ZVV, welcher durch ein im Liegen verstärktes venöses Rückstauphänomen zu arteriellen Verschlüssen geführt hat und somit zu einem ischämischen ZVV konvertiert ist.

Diskussion

Arterielle und venöse Verschlüsse unterscheiden sich in ihrer Ätiopathogenese wesentlich voneinander. Venöse Verschlüsse entstehen meist an arteriovenösen Kreuzungsstellen, an welchen eine arteriosklerotisch veränderte Arterie eine Vene komprimieren und über einen verlangsamten Blutstrom sowie einen kompressionsbedingten Endothelschaden die Entstehung einer venösen Thrombose begünstigen kann. Hämodynamische Faktoren können den venösen Fluss weiter reduzieren und so zum Vollbild eines Venenverschlusses führen [1].
Im Gegensatz zu venösen Gefäßverschlüssen sind nichtarteriitische arterielle Verschlüsse meist thromboembolisch bedingt.
In unserem Fallbeispiel ist ein zeitgleiches Vorliegen eines thrombotischen venösen Verschlusses sowie eines thromboembolischen arteriellen Verschlusses aufgrund der unterschiedlichen Ätiologie eher unwahrscheinlich.
Es scheint naheliegender, dass unser Patient stattdessen unterschiedliche Schweregrade und Formen eines ZVV nacheinander durchlaufen hat.
Ein ZVV kann in eine nichtischämische und eine ischämische Form unterteilt werden. Bei ca. zwei Drittel der Patienten liegt initial ein nichtischämischer Verschluss ohne Einflussdefizit und ohne signifikante Kapillarverschlüsse vor [6].
Laut Literatur beträgt die Konversionsrate zu einem ischämischen ZVV innerhalb der ersten 18 Monate 12,6 % [3]. Bei der ischämischen Form des ZVV kommt es durch vermehrte Transsudation von Blutbestandteilen in das retinale Interstitium zu einem erhöhten onkotischen Gewebedruck, welcher interstitielle Ödeme unterhält und auf diese Art die Kapillarperfusion behindert und schließlich zu einer signifikanten retinalen Hypoxie führt [4]. Konsekutiv kommt es zur Ausschüttung von VEGF A (vascular endothelial growth factor A) und inflammatorischen Zytokinen, welche die Kapillarpermeabilität weiter erhöhen und so Makulaödeme und Neovaskularisationen begünstigen [7].
In unserem Fallbeispiel deuten die Kollateralen (s. Abb. 1) darauf hin, dass es bereits in der Vorgeschichte zu einem sehr milden ZVV ohne Makulaödem gekommen ist. Bei Erstvorstellung in unserer Klinik zeigte sich dann ein milder ZVV mit wenig intra- und subretinaler Flüssigkeit in der Makula. Der Visus war mit c.c. 1,0 noch erhalten. Bei Zweitvorstellung wenige Stunden später kam es, ggf. vermittelt durch hämodynamische Faktoren (erhöhter intraluminaler Venendruck beim Liegen durch den Mittagsschlaf), zu einer retinalen Hypoxie (s. Abb. 2b) und zu einem deutlichen Visusabfall auf c.c. 0,16.
Wir vermuten bezüglich der Pathophysiologie der rückstaubedingten retinalen Hypoxie eine Kombination aus einer mechanischen und einer funktionellen Komponente.
Das nach dem Liegen verstärkte venöse Rückstauphänomen könnte durch eine vermehrte interstitielle Ödembildung mechanisch die Kapillarperfusion und die arterielle Perfusion (siehe „ghost vessel“ in Abb. 6a, b) unterbrochen haben. Zudem ist ein funktioneller Verschluss durch eine hämodynamische Blockade denkbar, bei welcher der intrakapilläre Gefäßdruck den Perfusionsdruck der zuführenden Arterien überstieg [2].
Aufgrund des chorioidalen Ursprungs von zilioretinalen Arterien mit geringerem Perfusionsdruck sind diese ggf. besonders gefährdet für sekundäre funktionelle arterielle Verschlüsse nach ZVV [8]. In der Literatur wird in diesem Zusammenhang zudem das sog. „choroidal arterial steal“ beschrieben. Hierbei kommt es durch den erhöhten retinalen Kapillardruck dazu, dass das Blut den Weg des „geringsten Widerstandes“ wählt und aus der A. ophthalmica durch die posteriore Ziliararterie, vorbei an der zilioretinalen Arterie, in Richtung Chorioidea fließt [5].
Letztendlich ist die Genese des arteriellen Verschlusses nicht abschließend zu klären. Verschiedene Erklärungsansätze wurden jedoch in diesem Artikel erläutert.

Fazit für die Praxis

  • Ein nichtischämischer ZVV kann durch ein venöses Rückstauphänomen mit konsekutivem arteriellem Einflussdefizit in einen ischämischen ZVV konvertieren.
  • Eine liegende Position kann eine Konversion durch einen erhöhten zentralen Venendruck begünstigen.
  • Bezüglich des Pathomechanismus der Konversion spielen funktionelle und mechanische Komponenten eine Rolle.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

B. Galler gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Die Ophthalmologie

Print-Titel

  • Umfassende Themenschwerpunkte mit klaren Handlungsempfehlungen
  • Praxisrelevante CME-Fortbildung in jedem Heft
  • Organ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

Literatur
1.
Zurück zum Zitat Hansen LL, Feltgen N (2011) Retinale Venenverschlüsse. In: Erb C, Schlote T (Hrsg) Medikamentöse Augentherapie. Thieme, Stuttgart, New York, S 265 Hansen LL, Feltgen N (2011) Retinale Venenverschlüsse. In: Erb C, Schlote T (Hrsg) Medikamentöse Augentherapie. Thieme, Stuttgart, New York, S 265
2.
Zurück zum Zitat Hayreh SS (2005) Prevalent misconceptions about acute retinal vascular occlusive disorders. Prog Retin Eye Res 24(4):493–519CrossRefPubMed Hayreh SS (2005) Prevalent misconceptions about acute retinal vascular occlusive disorders. Prog Retin Eye Res 24(4):493–519CrossRefPubMed
3.
Zurück zum Zitat Hayreh SS, Zimmerman MB, Podhajsky P (1994) Incidence of various types of retinal vein occlusion and their recurrence and demographic characteristics. Am J Ophthalmol 117(4):429–441CrossRefPubMed Hayreh SS, Zimmerman MB, Podhajsky P (1994) Incidence of various types of retinal vein occlusion and their recurrence and demographic characteristics. Am J Ophthalmol 117(4):429–441CrossRefPubMed
5.
Zurück zum Zitat McLeod D (2009) Central retinal vein occlusion with cilioretinal infarction from branch flow exclusion and choroidal arterial steal. Retina 29(10):1381–1395CrossRefPubMed McLeod D (2009) Central retinal vein occlusion with cilioretinal infarction from branch flow exclusion and choroidal arterial steal. Retina 29(10):1381–1395CrossRefPubMed
6.
Zurück zum Zitat Messmer EP, Ruggli GM, Apple DJ, Naumann GOH (1997) Spezielle Pathologie der Retina. In: Doerr W, Seifert G (Hrsg) Pathologie des Auges. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, S 1010 Messmer EP, Ruggli GM, Apple DJ, Naumann GOH (1997) Spezielle Pathologie der Retina. In: Doerr W, Seifert G (Hrsg) Pathologie des Auges. Springer, Berlin, Heidelberg, New York, S 1010
7.
Zurück zum Zitat Nicholson L, Talks SJ, Amoaku W, Talks K, Sivaprasad S (2022) Retinal vein occlusion (RVO) guideline: executive summary. Eye 36(5):909–912CrossRefPubMedPubMedCentral Nicholson L, Talks SJ, Amoaku W, Talks K, Sivaprasad S (2022) Retinal vein occlusion (RVO) guideline: executive summary. Eye 36(5):909–912CrossRefPubMedPubMedCentral
8.
Zurück zum Zitat Theoulakis PE et al (2010) Cilioretinal artery occlusion combined with central retinal vein occlusion—a report of two cases and review of the literature. Klin Monatsbl Augenheilkd 227(4):302–305CrossRefPubMed Theoulakis PE et al (2010) Cilioretinal artery occlusion combined with central retinal vein occlusion—a report of two cases and review of the literature. Klin Monatsbl Augenheilkd 227(4):302–305CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Ein rätselhafter Zentralvenenverschluss
verfasst von
Dr. med. B. Galler
Publikationsdatum
08.09.2022
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 7/2023
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-022-01722-3

Weitere Artikel der Ausgabe 7/2023

Die Ophthalmologie 7/2023 Zur Ausgabe

Neu im Fachgebiet Augenheilkunde

Metastase in der periokulären Region

Metastasen Leitthema

Orbitale und periokuläre metastatische Tumoren galten früher als sehr selten. Aber mit der ständigen Aktualisierung von Medikamenten und Nachweismethoden für die Krebsbehandlung werden neue Chemotherapien und Strahlenbehandlungen eingesetzt. Die …

Staging und Systemtherapie bei okulären und periokulären Metastasen

Metastasen Leitthema

Metastasen bösartiger Erkrankungen sind die häufigsten Tumoren, die im Auge diagnostiziert werden. Sie treten bei ungefähr 5–10 % der Patienten mit soliden Tumoren im Verlauf der Erkrankung auf. Besonders häufig sind diese beim Mammakarzinom und …

Wundheilung nach Trabekulektomie

Trabekulektomie CME-Artikel

Die überschießende Wundheilung in der filtrierenden Glaukomchirurgie ist ein zentraler Faktor für ein operatives Versagen. Nach der Einführung der Trabekulektomie in den 1960er-Jahren wurden viele Faktoren erkannt, die mit einer vermehrten …

„standard operating procedures“ (SOP) – Vorschlag zum therapeutischen Management bei periokulären sowie intraokulären Metastasen

Metastasen Leitthema

Peri- sowie intraokuläre Metastasen sind insgesamt gesehen selten und meist Zeichen einer fortgeschrittenen primären Tumorerkrankung. Die Therapie ist daher zumeist palliativ und selten kurativ. Zudem ist die Therapiefindung sehr individuell. Die …

Update Augenheilkunde

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.