Hintergrund
Risikofaktoren schwangerschaftsassoziierter VTE
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Thromboseanamnese: Frühere VTE zählen zu den wichtigsten Risikofaktoren [9, 10]. Dabei sind die Umstände der früheren VTE von Bedeutung. War diese im Zusammenhang mit hormonellen Einflüssen (östrogenhaltiges Kontrazeptivum, vorausgehende Schwangerschaft) oder unprovoziert aufgetreten, so ist das Risiko eines schwangerschaftsassoziierten Rezidivereignisses höher als nach einer früheren VTE, die im Zusammenhang mit transienten nichthormonellen Faktoren (beispielsweise operativer Eingriff, prolongierte Immobilisation) aufgetreten ist ([11]; Tab. 2)
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Hereditäre Thrombophilien umfassen
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vergleichsweise häufige und mit moderatem VTE-Risiko einhergehende (heterozygote Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-Mutation), sowie
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seltene und mit höherem Risiko einhergehende (homozygote oder compound-heterozygote Faktor-V-Leiden- und Prothrombin-Mutation; Antithrombin‑, Protein C- und Protein S‑Mangel). Das Risiko schwangerschaftsassoziierter VTE kann dabei von einer familiären Thrombosebelastung mitbestimmt werden, beim Antithrombin-Mangel auch von dessen Subtyp, der aber oftmals nicht bekannt ist. Dies wird in einigen, aber nicht allen Leitlinien differenziert (Tab. 4).
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Erworbene Thrombophilie: Das Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom (APS) kann primär oder sekundär in Assoziation mit anderen systemischen Autoimmunerkrankungen, am häufigsten dem systemischen Lupus erythematodes, auftreten. Zur Diagnosestellung wird der Nachweis persistierender und signifikant ausgeprägter Antiphospholipid-Antikörper (Lupus Antikoagulans, Anti-Cardiolipin- und/oder Anti-β2-Glykoprotein-Antikörper) zusammen mit bestimmten klinischen Manifestationen gefordert. Zu diesen zählen Schwangerschaftskomplikationen und Spontanaborte sowie Thromboembolien ([16, 17]; Tab. 5)
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Eine Reihe klinischer Einflüsse und Faktoren erhöht das Risiko schwangerschaftsassoziierter VTE. Dies sind beispielsweise eine ausgeprägte Adipositas, eine länger dauernde Immobilisation, eine ovarielle Stimulation und insbesondere ein schweres ovarielles Hyperstimulationssyndrom (OHSS) im Zusammenhang mit Verfahren der assistierten Reproduktion oder eine Sectio caesarea (Tab. 1).
Vorbestehende RF | aOR (95 %-KI) | SS-assoziierte RF | aOR (95 %-KI) | Transienter RF | aOR (95 %-KI) |
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Frühere VTE | 24,8 (17,1–36) | Mehrlings-SS | 2,7 (1,6–4,5) | Hyperemesis | 2,5 (2–3,2) |
Thrombophilie | Je nach Defekt | Gewichtszunahme > 21 kg | 1,6 (1,1–2,6) | IVF | 2,7 (2,1–3,6) |
Alter > 35 J | 1,5 (1,1–2,2) | Präeklampsie | 3,1 (1,8–5,3) | OHSS | 87,3 (54,1–140,8) |
Adipositas (BMI > 30 kg/m2) | 4,4 (3,4–5,7) | Totgeburt | 6,2 (2,8–14,1) | Antepartale Immobilisation (> 1 Woche) | – |
Mit BMI ≥ 25 kg/m2 vor SS | 62,3 (11,5–337) | ||||
Mit BMI < 25 kg/m2 vor SS | 7,7 (3,2–19) | ||||
Rauchen (10–30 Zigaretten/Tag vor/während SS) | 2,1 (1,3–3,4) | Frühgeburt < 37. SSW | 2,7 (2–6,6) | – | – |
Parität ≥ 3 | 1,0 (0,6–1,8) | Sectio caesarea | 2,1 (1,8–2,4) | – | – |
Anämie | 2,6 (2,2–2,9) | Peripartale Hämorrhagie (> 1 l) | 4,1 (2,3–7,3) | – | – |
Varikosis | 2,69 (1,53–4,7) | Postpartale Infektion | 4,1 (2,9–5,7) | – | – |
Familiäre VTE-Belastung | 2,2 (1,9–2,6) | Transfusion | 7,6 (6,2–9,4) | – | – |
Komorbiditäten, z. B. | – | – | – | – | |
Kardiopathie | 7,1 (6,2–8,3) | – | – | – | – |
Sichelzellanämie | 6,7 (4,4–10,1) | – | – | – | – |
SLE | 8,7 (5,8–13) | – | – | – | – |
Aktive entzündliche Darmerkrankung | 3,46 (1,1–10,7) | – | – | – | – |
Diabetes mellitus | 4,1 (2,0–8,9) | – | – | – | – |
Risiko während Schwangerschaft | Risiko während Wochenbett | |||
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Frühere VTE | % | 95 %-KI | % | 95 %-KI |
Idiopathisch | 3,6 | 1,4–8,9 | 3,1 | 0,5–15,7 |
Östrogenassoziiert | 6,4 | 3,9–10,4 | 11,7 | 5,8–22,2 |
Provoziert (nichtöstrogenassoziiert) | 1,0 | 0,19–5,7 | 7,1 | 1,9–22,6 |
Thrombophilie | Inzidenz in der Bevölkerung (%) | Geschätztes RR OR (95 %-KI) | Absolutes VTE-Risiko (% der Schwangerschaften) (95 %-KI) | |
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Familienstudien | Keine Familienstudien | |||
FVL heterozygot | 2,0–7,0 | 8,3 (5,4–12,7) | 3,1 (2,1–4,6) | 1,2 (0,8–1,8) |
FVL homozygot | 0,2–0,5 | 34,4 (9,9–120) | 14,0 (6,3–25,8) | 4,8 (1,4–16,8) |
PT heterozygot | 2,0 | 6,8 (2,5–18,8) | 2,6 (0,9–5,6) | 1,0 (0,3–2,6) |
PT homozygot | Sehr selten | 26,4 (1,2–559) | – | 3,7 (0,2–78,3) |
AT-Mangel | < 0,1–0,6 | 4,7 (1,3–17) | 3,0 (0,08–15,8) | 0,7 (0,2–2,4) |
PC-Mangel | 0,2–0,3 | 4,8 (2,2–10,6) | 1,7 (0,4–8,9) | 0,7 (0,3–1,5) |
PS-Mangel | < 0,1–0,1 | 3,2 (1,5–6,9) | 6,6 (2,2–14,7) | 0,5 (0,2–1,0) |
Anamnese | Thrombophilie u. Risikokategoriea | Risikozeitraum | ACCP 2012 [30] | SOGC 2014 [31] | RCOG 2015 [18] | ACOG 2018 [32] | ASH 2018 [33] | GTH 2019 |
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A | Keine | AP | – | – | – | – | – | – |
PP | – | – | – | – | – | – | ||
Ja, ↓ Risiko | AP | – | ± | ± | – | – | ± | |
PP | – | ± | ± | ± | – | ± | ||
Ja, ↑ Risiko | AP | – | + | + | + | b | + | |
PP | + | + | + | + | c | + | ||
B | Keine | AP | – | – | – | – | – | – |
PP | – | – | – | – | – | – | ||
Ja, ↓ Risiko | AP | – | ± | ± | ± | – | ± | |
PP | + | ± | + | + | c | + | ||
Ja, ↑ Risiko | AP | + | + | + | + | b | + | |
PP | + | + | + | + | c | + |
Klinisch | Gefäßverschlüsse: ≥ 1 bestätigtes vaskuläres Verschlussereignis in beliebigem Gewebe oder Organ (venös, arteriell, mikrovaskulär) oder/und definierte Schwangerschaftskomplikationen: ≥ 1 Abort eines morphologisch unauffälligen Feten in der ≥ 10 SSW oder ≥ 1 Frühgeburt eines morphologisch unauffälligen Feten in der < 34 SSW wegen Eklampsie/schwerer Präeklampsie/Plazentainsuffizienz oder ≥ 3 konsekutive Aborte < 10 SSW ohne fassbare hormonelle oder chromosomale Ursache |
Und | |
Labor | Zu mindestens 2 Gelegenheiten im Abstand von mindestens 12 Wochen Nachweis von Lupus Antikoagulans oder/und höhertitrigen Anti-Cardiolipin- oder/und Anti-β2-Glykoprotein-I-Antikörpern der Isotypen IgG oder IgM. Der Zeitabstand zwischen klinischen Ereignissen und Laboruntersuchung sollte nicht > 5 Jahre betragen |
VTE-Risiko, Indikationsstellung VTE-Prophylaxe und Wahl des Antikoagulans
Antikoagulans | Sicher während Schwangerschaft? | Sicher während Stillzeit? | Zusammenfassung der Evidenz |
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Heparine | Ja | Ja | Nicht plazentagängig; umfangreiche Sicherheitsdaten aus Beobachtungsstudien |
VKA | Nein | Ja | Plazentagängig; kann Cumarin-Embryopathie verursachen (6–12 SSW), fetale Blutung; neurologisches Entwicklungsdefizit |
DOAK | Nein | Nein | Plazentagängig; reproduktive Effekte nicht bekannt |
Danaparoid | Ja | Ja | Nicht plazentagängig |
Fondaparinux | Wahrscheinlich ja | Ja | Teilweise plazentagängig; limitierte Daten weisen auf Sicherheit für den Feten hin |
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Zeitliche Aspekte: Bei gegebener Indikation Beginn der VTE-Prophylaxe ab dem Bekanntwerden der Schwangerschaft im ersten Trimenon und Fortsetzung über deren weitere Dauer. Zwischen der letzten Verabreichung von NMH in prophylaktischer Dosis und Entbindung/rückenmarksnaher Regionalanästhesie (RRA) ist ein Mindestabstand von 12 h einzuhalten, bei überprophylaktischer Dosis von 24 h [21, 22]. Fondaparinux und Danaparoid weisen im Vergleich mit NMH eine deutlich längere Halbwertszeit auf und erfordern einen längeren solchen Mindestabstand. Ohne Gegenanzeige kann die Prophylaxe ab 4–6 h postpartal/nach RRA und dann für mindestens 6 Wochen postpartal fortgesetzt werden.
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Schwangere mit früherer VTE, die in Verbindung mit einem transienten nichthormonellen Provokationsfaktor (beispielsweise operativer Eingriff oder prolongierte Immobilisation) aufgetreten ist, und die keine zusätzlichen prothrombotischen Risikofaktoren aufweisen, erhalten im Regelfall noch keine VTE-Prophylaxe während der Schwangerschaft, wohl aber postpartal.
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Schwangere mit früherer VTE, die in Verbindung mit hormonellen Einflüssen (östrogenhaltige Kontrazeption, vorausgehende Schwangerschaft) oder unprovoziert aufgetreten ist, erhalten im Regelfall eine VTE-Prophylaxe während der Schwangerschaft und postpartal. Gleiches gilt für die vorangehende Kategorie, falls zusätzliche prothrombotische Risikofaktoren vorliegen.
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Schwangere mit unauffälliger VTE-Anamnese, die Trägerinnen einer mit einem moderaten Risiko assoziierten hereditären Thrombophilie (heterozygote Faktor-V-Leiden- oder Prothrombin-Mutation) sind und keine zusätzlichen prothrombotischen Risikofaktoren aufweisen, erhalten im Regelfall noch keine VTE-Prophylaxe während der Schwangerschaft, wohl aber postpartal.
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Schwangere mit unauffälliger VTE-Anamnese, die Trägerinnen einer mit einem höheren Risiko assoziierten hereditären Thrombophilie (Antithrombin‑, Protein-C- oder Protein-S-Mangel) sind, erhalten im Regelfall eine VTE-Prophylaxe während der Schwangerschaft und postpartal. Gleiches gilt für die vorangehende Kategorie, falls zusätzliche prothrombotische Risikofaktoren vorliegen.
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Bei Schwangeren, die bereits vor der Schwangerschaft oral antikoaguliert sind (beispielsweise aufgrund einer früheren unprovozierten VTE, eines thrombotischen APS oder einer mechanischen Herzklappenprothese), wird die Antikoagulation frühzeitig ab dem Bekanntwerden der Schwangerschaft mit NMH weitergeführt. Bei Schwangeren mit mechanischen Herzklappenprothesen kann nach individueller Nutzen-Risiko-Abwägung ab dem zweiten oder dritten Trimenon eine Weiterführung der Antikoagulation mit einem VKA erwogen werden [23].
Therapie schwangerschaftsassoziierter VTE
Fazit für die Praxis
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Das VTE(venöse Thromboembolie)-Risiko während der Schwangerschaft ist erhöht und wird durch anamnestische und klinische Faktoren sowie hereditäre und erworbene Thrombophilien beeinflusst. Die Indikation zur VTE-Prophylaxe während Schwangerschaft und Postpartalzeit wird nach differenzierter Risikoermittlung gestellt, wozu internationale Leitlinien beitragen. Wird die Indikation zur VTE-Prophylaxe während der Schwangerschaft gestellt, so wird diese frühzeitig im ersten Trimenon begonnen und bis mindestens 6 Wochen postpartal fortgesetzt. Peripartal ist auf einen ausreichenden Zeitabstand zu Entbindung und rückenmarksnaher Anästhesie zu achten.
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Die Therapie akuter VTE während der Schwangerschaft erfolgt bis mindestens 6 Wochen postpartal und für eine Dauer von mindestens 3 Monaten. Antikoagulans der Wahl zur Prophylaxe und Therapie schwangerschaftsassoziierter VTE ist NMH (niedermolekulares Heparin). Beim APS (Antiphospholipid-Antikörper-Syndrom) wird üblicherweise niedrigdosierte ASS (Acetylsalicylsäure) hinzugegeben.