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2023 | Buch

Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter

Grundlagen und Therapie

herausgegeben von: Manfred Gerlach, Claudia Mehler-Wex, Marcel Romanos, Susanne Walitza, Christoph Wewetzer

Verlag: Springer Berlin Heidelberg

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Über dieses Buch

Das Buch vermittelt aktuell und umfassend das Wissen auf dem Gebiet der Neuro-/Psychopharmakologie. Um ein tieferes Verständnis der Therapieprinzipien sowie der Besonderheiten der medikamentösen Behandlung bei Kindern und Jugendlichen zu erhalten, werden im ersten Teil die Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie dargelegt. Zudem werden rechtliche und ethische Fragen im Praxisalltag eingehend erörtert. Der zweite Teil behandelt ausführlich die verschiedenen Arzneistoffgruppen. Im dritten Teil wird die störungsspezifische und symptomorientierte Medikation praxisorientiert beschrieben und kritisch bewertet, so dass der Arzt über eine klare Handlungsanleitung verfügt.

Die vierte Auflage wurde aktualisiert und auf den neusten wissenschaftlichen Stand gebracht. Dieses Nachschlagewerk besticht durch die komprimierte und einheitliche Darstellung mit vielen zweifarbigen Tabellen, Schemata und Abbildungen. Es wendet sich an Kinder- und Jugendpsychiater und -psychotherapeuten, Pädiater, Allgemeinmediziner, Psychologen, Pflegekräfte und Lehrer.

Inhaltsverzeichnis

Frontmatter

Grundlagen und allgemeine Aspekte der Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Psychopharmaka

Frontmatter
1. Grundlagen der Neuro-/Psychopharmakologie
Zusammenfassung
In diesem Kapitel werden zunächst wichtige Grundbegriffe der Pharmakologie erklärt und allgemeine Fragen der Arzneimittelwirkungen besprochen. In den weiteren Abschnitten werden Prinzipien der Neurotransmission, wichtige Neurotransmittersysteme sowie molekulare Strukturen als Angriffspunkte von Neuro‑/Psychopharmaka beschrieben, um Wirkungen von zentral aktiven Arzneimitteln im Gesamtzusammenhang zu begreifen.
Manfred Gerlach, Carsten Drepper
2. Entwicklungspsychopharmakologie
Zusammenfassung
Die Entwicklungspsychopharmakologie umfasst alle Fragestellungen der Anwendung von Neuro‑/Psychopharmaka einschließlich der Arzneimittelsicherheit und der Rahmenbedingungen bei einer medikamentösen Behandlung im Kindes- und Jugendalter. In diesem Kapitel werden die Einflüsse der alters- und geschlechtsabhängigen körperlichen und geistigen Reifung auf die Wirkung von Neuro‑/ Psychopharmaka besprochen, und das therapeutische Drug-Monitoring zur Optimierung des Therapieeffektes und als proaktives Instrument zur Förderung der Pharmakovigilanz wird erläutert.
Manfred Gerlach, Karin Egberts, Regina Taurines, Claudia Mehler-Wex
3. Rechtliche und ethische Fragen im klinischen Alltag
Zusammenfassung
Psychopharmakotherapie ist ein fester Bestandteil kinder- und jugendpsychiatrischer Behandlung bei vielen Störungsbildern mit inzwischen auch guter Evidenz bei vielen Indikationen. Sie ist jedoch in Deutschland immer eingebettet in ein therapeutisches Gesamtkonzept, das auch Psychotherapie und soziotherapeutische Maßnahmen vorsieht. Im Vergleich zum Erwachsenenalter fehlen für viele Substanzen immer noch Zulassungsstudien, sodass sie nicht im Sinne des Arzneimittelrechts zugelassen sind. Aufgrund gesetzlicher Bestimmungen in Europa wird hier in den nächsten Jahren eine Veränderung zu erwarten sein, da inzwischen vermehrt auch Studien an Minderjährigen gefordert sind. Generell, aber insbesondere im Rahmen des Off-Label-Use ist die sorgfältige Aufklärung von Eltern und Kindern/Jugendlichen ein wichtiger Bestandteil der Psychopharmakotherapie. Insbesondere bei Kindern und Jugendlichen ist bei der Wahl der Wirkstoffe auf ein günstiges Nutzen-Risiko-Profil zu achten, was bedeutet, dass auch eine regelmäßige Kontrolle der Wirkung, wie möglicher altersspezifischer unerwünschter Arzneimittelwirkungen, durchgeführt werden sollte.
Michael Kölch, Martin Reinhardt
4. Anmerkungen zur Pharmakotherapie in der fachärztlichen ambulanten Versorgung
Zusammenfassung
Ohne Pharmakotherapie ist eine moderne patientenorientierte Kinder- und Jugendpsychiatrie nicht möglich. Erkenntnisse der allgemeinen Psychiatrie können nicht ungeprüft auf das Kindes- und Jugendalter übertragen werden. In der Alltagspraxis stellen sich Probleme durch die hoch selegierenden Zulassungsstudien, die fehlende Berücksichtigung des allgemeinen internationalen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes in der Sozialgesetzgebung und das Verhalten von Kostenträgern, die eine individuelle Therapie in vielen Fällen unmöglich macht. Die evidenzbasierte Medizin hat im Alltag nach wie vor nicht den Stellenwert, der zu wünschen wäre. Diese Schwierigkeiten, ebenso wie die Verzerrungen durch die public opinion, erschweren im Alltag die Durchführung einer patientenorientierten effektiven und effizienten Behandlung.
Götz-Erik Trott, Karl Reitzle

Spezielle Pharmakotherapie psychischer Erkrankungen

Frontmatter
5. Antidepressiva
Zusammenfassung
„Antidepressiva“ umfassen eine heterogene Klasse von Wirkstoffen, die ursprünglich vorwiegend bei Patienten mit depressiven Symptomen eingesetzt wurden, heute aber eine weit über die depressive Störung hinausgehende therapeutische Anwendung finden. In diesem Kapitel wird zunächst auf die Terminologie und Einteilung von Antidepressiva eingegangen. Dann wird der aktuelle Wissensstand zu deren Wirkmechanismen besprochen, und es werden schwerpunktmäßig diejenigen pharmakologischen Aspekte von in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwendeten Antidepressiva dargestellt, die für die klinisch tätige Ärzteschaft relevant sind. Dabei wird auf die Anwendungsgebiete und Studienlage zur klinischen Wirksamkeit eingegangen. Es werden Dosierungsempfehlungen gegeben und mögliche unerwünschte Arzneimittel- und Pharmakawechselwirkungen behandelt. Das Kapitel schließt mit Empfehlungen zur Behandlungsdauer sowie zu notwendigen Kontrolluntersuchungen.
Regina Taurines, Manfred Gerlach
6. Antipsychotika
Zusammenfassung
Antipsychotika (früherer Begriff Neuroleptika) sind Neuro‑/Psychopharmaka, die vorrangig zur symptomatischen Behandlung von Erkrankungen aus dem schizophrenen Formenkreis eingesetzt werden sowie bei psychotischen Symptomen im Rahmen anderer Störungen (u. a. affektive oder organisch bedingte Störungen) und bei Manie. Einige werden in der Kinder- und Jugendpsychiatrie aber auch als Stimmungsstabilisatoren, bei Tic-Störungen und zudem symptomatisch bei Reizbarkeit, Agitiertheit und aggressiven Verhaltensweisen sowie Anspannung, Einschlafstörungen oder gedanklicher Einengung angewandt.
In diesem Kapitel werden die Klassifikation und Wirk(ungs)mechanismen der Antipsychotika, die in der Kinder- und Jugendpsychiatrie eingesetzt werden, besprochen und schwerpunktmäßig diejenigen pharmakologischen Aspekte von Antipsychotika dargestellt, die für klinisch tätige ärztliche Kollegen für den therapeutischen Einsatz dieser Substanzen relevant sind. Dabei wird u. a. auf Anwendungsgebiete, die klinische Wirksamkeit und die Studienlage eingegangen. Es werden Dosierungsempfehlungen gegeben und mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und -wechselwirkungen behandelt. Das Kapitel schließt mit Empfehlungen zur Behandlungsdauer sowie zu notwendigen Kontrolluntersuchungen im Rahmen der Pharmakotherapie mit Antipsychotika.
Claudia Mehler-Wex, Timo D. Vloet, Manfred Gerlach
7. Anxiolytika und Sedativa/Hypnotika
Zusammenfassung
Unter der Wirkstoffklasse „Anxiolytika und Sedativa/Hypnotika“ wird eine pharmakologisch sehr heterogene Gruppe von Neuro‑/ Psychopharmaka zusammengefasst, die zur symptomatischen Behandlung von Angsterkrankungen und Schlafstörungen eingesetzt wird. Charakteristisches Merkmal der typischen Vertreter dieser Stoffklasse (Benzodiazepine, Barbiturate) ist eine dosisabhängige Minderung der Aktivität des Zentralnervensystems, von Anxiolyse über Sedierung und Schlafinduktion bis zur Narkose und letztlich bis zu Atemdepression, die auch letale Verläufe nehmen kann. In diesem Kapitel wird der Wissensstand zu den in der Kinder- und Jugendpsychiatrie verwendeten Anxiolytika und Sedativa/Hypnotika hinsichtlich Indikationen, Wirk(ungs)mechanismen, Studienlage zur Wirksamkeit und Sicherheit, Dosierungen, unerwünschten Arzneimittelwirkungen, Pharmakawechselwirkungen, Kontraindikationen und besonderen Vorsichtsmaßnahmen zusammengefasst. Mithilfe dieses Wissens sollen klinisch tätige Ärztinnen und Ärzte diese Neuro‑/Psychopharmaka individuell, wirksam und sicher anwenden können.
Stefanie Fekete, Tobias Renner, Manfred Gerlach
8. Psychostimulanzien und andere Arzneistoffe, die zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) angewendet werden
Zusammenfassung
Als Psychostimulanzien oder Stimulanzien wird die Gruppe von Neuro‑/Psychopharmaka bezeichnet, die vorwiegend eine erregende Wirkung auf das zentrale Nervensystem und die Psyche ausüben. Das Hauptanwendungsgebiet der Psychostimulanzien Methylphenidat und Amphetamin ist die Therapie der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS). Weitere Wirkstoffe zur Behandlung der ADHS sind Atomoxetin und Guanfacin, die als Nicht-Psychostimulanzien eingeordnet werden. In diesem Kapitel werden die Wirk(ungs)mechanismen dieser Wirkstoffe besprochen und schwerpunktmäßig diejenigen pharmakologischen Aspekte dargestellt, die für Kliniker für den therapeutischen Einsatz dieser Substanzen relevant sind. Dabei wird u. a. auf Anwendungsgebiete, die klinische Wirksamkeit und die Studienlage eingegangen. Es werden Dosierungsempfehlungen gegeben und mögliche unerwünschte Arzneimittelwirkungen und -wechselwirkungen behandelt. Das Kapitel schließt mit Empfehlungen zur Behandlungsdauer sowie zu notwendigen Kontrolluntersuchungen im Rahmen der ADHS-Pharmakotherapie.
Susanne Walitza, Lukasz Smigielski, Manfred Gerlach
9. Stimmungsstabilisatoren
Zusammenfassung
Die Wirkstoffklasse der Stimmungsstabilisatoren (englisch: mood stabiliser) ist eine chemisch und pharmakologisch heterogene Gruppe von Neuro‑/Psychopharmaka, die bei bipolaren Störungen zur Anwendung kommen. Stimmungsstabilisatoren beseitigen oder dämpfen u. a. die starken Stimmungsschwankungen, die mit den Krankheitsepisoden verbunden sind, sowie die Affektlabilität während und zwischen den Episoden. Zu den Stimmungsstabilisatoren gehören Lithiumsalze als klassische Vertreter sowie Antiepileptika mit stimmungsstabilisierenden Eingenschaften (wie Carbamazepin, Lamotrigin, Oxcarbazepin, Topiramat, Valproinsäure) und Antipsychotika der zweiten/dritten Generation (wie Aripiprazol, Asenapin, Cariprazin, Olanzapin, Quetiapin, Risperidon, Ziprasidon). In diesem Kapitel werden zunächst die Pharmakologie und Wirkungsmechanismen dieser Wirkstoffklasse dargestellt. Dann werden wichtige Aspekte der klinischen Psychopharmakologie wie Indikationen, klinische Wirksamkeit und Studienlage, Dosierungen, Pharmakawechselwirkungen, Kontraindikationen, Dauer der Behandlung und Kontrolluntersuchungen als Orientierungshilfe für die klinische Anwendung besprochen.
Manfred Gerlach, Christoph Wewetzer

Symptomatische und symptomorientierte medikamentöse Therapie

Frontmatter
10. Aggressives Verhalten
Zusammenfassung
Fremd- und autoaggressives Verhalten kann Begleitsymptom unterschiedlicher psychischer Erkrankungen sein. In der Regel sollte auf aggressives Verhalten bei Kindern und Jugendlichen mit deeskalativen und pädagogischen bzw. psychotherapeutischen bzw. psychosozialen Maßnahmen reagiert werden. Eine pharmakotherapeutische Intervention kann allerdings gerade auch im Notfall indiziert sein. Dazu zählen insbesondere aggressives Verhalten bei Erregungszuständen, akute Exazerbationen psychotischer Störungen sowie bei Alkohol- bzw. Drogenintoxikationen und Selbst- oder Fremdgefährdung. Als pharmakologische Stoffgruppen stehen dazu Antipsychotika der zweiten/dritten Generation, niedrig- bis mittelpotente Antipsychotika der ersten Generation sowie in seltenen Ausnahmen auch Benzodiazepine zur Verfügung. Die Behandlungsdauer ist in der Regel kurzfristig. Bei Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung, bei Autismus-Spektrum- und Persönlichkeitsstörungen können auch längerfristige Anwendungen notwendig werden.
Claudia Mehler-Wex, Timo D. Vloet
11. Angststörungen und Phobien
Zusammenfassung
Unter Angststörungen und Phobien wird ein breites Spektrum von Erkrankungen verstanden, bei dem die Kernsymptomatik ein übermäßiges Angst- und Vermeidungsverhalten umfasst. Die Intensität der therapeutischen Behandlung richtet sich vor allem nach dem Grad der psychosozialen Beeinträchtigung. Sowohl kognitive Verhaltenstherapie (KVT) als auch Pharmakotherapie zeigen sich nach der aktuellen Evidenzlage als sicher und wirksam. Nach dem aktuellen Stand kann eine leichte bis moderat ausgeprägte Angststörung mit KVT behandelt werden, während bei schweren Angststörungen im Rahmen einer multimodalen Behandlung zusätzlich eine Medikation indiziert sein kann. Selektive Serotonin- Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) sind dabei im Kindes- und Jugendalter die erste Wahl. Im Gegensatz zum Erwachsenenalter ist die Evidenz für andere Wirkstoffgruppen deutlich geringer, es liegen jedoch für Venlafaxin und Duloxetin positive Befunde vor, und diese können nach den internationalen Leitlinien für die Behandlung von Angststörungen im Kindesund Jugendalter als Medikation der zweiten Wahl angesehen werden. Kurzfristig angstlösende Wirkstoffe wie Benzodiazepine sind nur dann indiziert, wenn eine sofortige Angstreduktion erforderlich ist. Wegen des Risikos einer Abhängigkeit ist ihre Verschreibung nur für eine Akutbehandlung geeignet.
Susanne Walitza, Tobias Renner, Siebke Melfsen
12. Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung
Zusammenfassung
In der spezifischen Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) findet die medikamentöse Therapie häufige Anwendung und zeigt eine sehr gute Wirksamkeit, Tolerabilität und Sicherheit. Dabei stehen im Kindes- und Jugendalter Psychostimulanzien (Methylphenidat und Amphetamin) in verschiedenen Applikationsformen als Medikation der ersten Wahl zur Verfügung. Nicht-Psychostimulanzien wie Atomoxetin und Guanfacin sind weitere Optionen in der medikamentösen Behandlung. Langwirksame Formulierungen von Psychostimulanzien bieten häufig Vorteile hinsichtlich Wirkung und Medikamentenadhärenz. Entscheidend für die Indikation zur Medikation einer ADHS sind die individuelle psychosoziale Beeinträchtigung, das Alter der Patienten und der Schweregrad der Störung. In der Wahl des geeigneten Medikamentes sind, eingebettet in ein multimodales Behandlungskonzept, individuelle Gegebenheiten wie Komorbiditäten zu berücksichtigen. Unter der Behandlung sind regelmäßige Kontrollen z. B. von Gewichtsentwicklung, Puls und Blutdruck zur Erfassung eventueller unerwünschter Arzneimittelwirkungen sowie Auslassversuche durchzuführen. Das folgende Kapitel gibt neben der Störungsdefinition einen Überblick über diagnostische Voraussetzungen, die individuelle Indikationsstellung und die Anwendung der Psychopharmakotherapie in der Behandlung der ADHS und einiger häufiger komorbider Störungen.
Susanne Walitza, Tobias Banaschewski, Alexander Häge
13. Autismus-Spektrum-Störungen
Zusammenfassung
Psychopharmakologische Ansätze bei Autismus-Spektrum-Störungen sind aktuell vor allem darauf gerichtet, bestimmte, teilweise auch nur komorbide auftretende Verhaltensweisen oder zusätzliche psychische Störungen zu verbessern. Es gibt einzelne Versuche, die zentrale autistische Symptomatik im Bereich der sozialen Interaktion, Kommunikation, Sprache und vor allem auch im Bereich des stereotypen Verhaltens zu verbessern. Dies ist aktuell nur bezüglich des stereotypen Verhaltens erfolgreich gelungen. In dem folgenden Kapitel sind deshalb differenziell Neuro‑/Psychopharmaka aufgeführt, die bestimmte Zielsymptome bei Autismus-Spektrum-Störungen verbessern. Dabei wurde überwiegend auf Psychopharmaka rekurriert, die einen Evidenzgrad von 2 und besser aufweisen.
Christine M. Freitag, Tomasz A. Jarczok
14. Depressive Störungen
Zusammenfassung
Die Zielsymptome einer Pharmakotherapie der kindlichen und jugendlichen Depression umfassen die niedergeschlagene Stimmung bzw. Gereiztheit, psychomotorische Hemmung, Grübelgedanken, somatische Beschwerden und mögliche wahnhafte depressive Symptome. Neben Störungen von Appetit, Schlaf- Wach-Rhythmus und bei älteren Jugendlichen Beeinträchtigungen der Libido sind suizidale Gedanken und Handlungen wichtige Zielsymptome einer antidepressiven Medikation. Aufgrund der nachgewiesenen therapeutischen Wirksamkeit und Verträglichkeit stellen selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) Antidepressiva der ersten und zweiten Wahl für die Behandlung depressiver Störungen im Kindes- und Jugendalter dar. Fluoxetin ist das Antidepressivum der ersten Wahl, Escitalopram und Sertralin sind zweite Wahl. Bei gleichzeitig vorhandenen akut behandlungsbedürftigen Angstsymptomen oder emotionaler Gespanntheit kann eine Kombinationsbehandlung mit Benzodiazepinen, bei ausgeprägten Schlafstörungen oder Agitation die gleichzeitige Gabe von sedierenden Antidepressiva, Melatonin oder in seltenen Fällen niederpotenten Antipsychotika notwendig werden. Im folgenden Kapitel werden Rahmenbedingungen einer antidepressiven Pharmakotherapie und Behandlungsstrategien vorgestellt sowie klinisch relevante Informationen zum Einsatz der Wirkstoffe erster und zweiter Wahl sowie anderer Antidepressiva gegeben. Das Kapitel schließt mit möglichen Maßnahmen bei Non-Response und Empfehlungen zu Therapiedauer und Phasenprophylaxe.
Regina Taurines, Christoph Wewetzer, Gerd Schulte-Körne
15. Enkopresis
Zusammenfassung
Enkopresis (oder Stuhlinkontinenz) ist durch das Absetzen von Stuhl an nicht dafür vorgesehenen Stellen ab dem Alter von 4 Jahren nach Ausschluss von organischen Ursachen definiert. Die beiden wichtigsten Formen sind die Enkopresis mit und ohne Obstipation. Neuere Klassifikationen differenzieren zwischen der funktionellen Obstipation und der nicht-retentiven Stuhlinkontinenz. Für alle Formen sind verhaltenstherapeutische Maßnahmen, vor allem ein Toilettentraining, als Basistherapie wirksam. Bei der Obstipation sind zusätzlich Laxanzien notwendig: zur initialen Entleerung von retinierten Stuhlmassen (Desimpaktion) wie auch zur langfristigen Vermeidung einer Reakkumulation von Stuhl (Erhaltungstherapie). Mittel der ersten Wahl dabei ist Polyethylenglykol (PEG). Bei der nicht-retentiven Stuhlinkontinenz sind Laxanzien nicht indiziert und können zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen. Weitere Indikationen für eine Pharmakotherapie können sich aus der hohen Rate von komorbiden psychischen Störungen ergeben, die 30–50 % der Kinder mit Enkopresis betreffen.
Alexander von Gontard
16. Enuresis und funktionelle Harninkontinenz
Zusammenfassung
Enuresis nocturna wird als Einnässen im Schlaf, funktionelle Harninkontinenz als Einnässen tags ab einem Alter von 5 Jahren nach Ausschluss organischer Ursachen definiert. Viele verschiedene Subtypen können differenziert werden. Eine genaue Diagnostik ist für eine spezifische, wirksame Therapie entscheidend. Für alle Formen der Enuresis nocturna und der funktionellen Harninkontinenz sind symptomorientierte, nichtpharmakologische Interventionen wegen der besseren Wirksamkeit zu bevorzugen. Eine Indikation zur Pharmakotherapie ergibt sich nur bei der Enuresis nocturna (vor allem mit Desmopressin), bei der Dranginkontinenz (Anticholinergika) und in den seltenen Fällen der Lachinkontinenz (Psychostimulanzien). Komorbide psychische Störungen, die 20–40 % der Kinder mit Enuresis und/oder Harninkontinenz betreffen, sind zu beachten.
Alexander von Gontard
17. Essstörungen
Zusammenfassung
Das vorliegende Kapitel zeigt den derzeitigen Kenntnisstand der medikamentösen Therapie bei den Essstörungen Anorexia nervosa (AN) und Bulimia nervosa (BN) auf. Nach einer kurzen Darstellung und Definition der beiden Essstörungen wird für die AN die Indikation für Antipsychotika und Antidepressiva, für die BN die Indikation für Antidepressiva diskutiert. Zu diesem Zweck werden die Ergebnisse von Metaanalysen zu Wirksamkeit und unerwünschten Arzneimittelwirkungen einer medikamentösen Therapie bei der AN beschrieben und ihre Konsequenzen für die klinische Praxis erörtert. Für die BN konnte eine Wirksamkeit von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) auf die Symptomatik in mehreren randomisiert-kontrollierten Studien nachgewiesen werden, wobei eine höhere Dosierung als bei der Behandlung von depressiven Störungen verordnet werden muss. Neben der medikamentösen Behandlung werden für die AN die Prinzipien des Nahrungsaufbaus sowie die damit verbundenen möglichen Komplikationen (Refeeding-Syndrom) dargestellt. Des Weiteren werden Maßnahmen zur Osteoporose-Prophylaxe bei der AN beschrieben, wobei der Einsatz von oralen Kontrazeptiva kontraindiziert ist, weil sie die Knochendichte möglicherweise verschlechtern. Neue und noch nicht etablierte oder zugelassene Behandlungsmöglichkeiten werden diskutiert.
Beate Herpertz-Dahlmann
18. Manische Episode und bipolare affektive Störung
Zusammenfassung
Die bipolare Störung ist charakterisiert durch den Wechsel zwischen den Polen Manie und Depression bzw. zwischen manischen und depressiven Episoden oder Zyklen. Bei der Behandlung einer akuten manischen Episode spielt die Pharmakotherapie eine zentrale Rolle; sie dient der Stabilisierung der Stimmung, des Antriebs, der Schlafregulierung und soll dem Auftreten weiterer Phasen vorbeugen (Phasenprophylaxe). Zum Einsatz kommen Antipsychotika der zweiten/dritten Generation und stimmungsstabilisierende Antiepileptika. Für die Behandlung der akuten Manie kann Aripiprazol aufgrund seines Nutzen-Risiko-Profils als Medikation der ersten Wahl gelten; Olanzapin, Quetiapin und Risperidon sind gleichrangig als Wirkstoffe der zweiten Wahl anzusehen. Bereits ab der zweiten Episode soll zur Rückfallprävention phasenprophylaktisch behandelt werden. Auch hier kommt Aripiprazol als Mittel der ersten Wahl zum Einsatz; Lithiumsalze sind Mittel der zweiten Wahl, gefolgt von Valproinsäure. Bei nicht ausreichendem Ansprechen auf eine Monotherapie kann die Behandlung mit mehreren Wirkstoffen notwendig werden.
Martin Holtmann, Christoph Wewetzer
19. Notfalltherapie in der Kinder- und Jugendpsychiatrie
Zusammenfassung
Die notfallmäßige Behandlung in akuten Krisenzuständen stellt eine zunehmende Herausforderung in der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung dar. Dabei ist störungsübergreifend zumeist die Sicherung und Stabilisierung des Patienten die primäre Behandlungsaufgabe. Gleichzeitig gilt es, bestehende Risiken für den Patienten, aber auch für Mitarbeiter und andere mit möglichst wenig invasiven Mitteln abzuwenden und dabei gleichzeitig die Gefahr einer iatrogenen Schädigung des Patienten weitgehend zu minimieren. Neben besonderen Anforderungen an die Behandlungsumgebung und den therapeutischen Zugang ist die Psychopharmakotherapie häufig ein wichtiges Element in der Notfallbehandlung. Die Akutmedikation richtet sich dabei am akuten Symptombild aus. Häufige klinische Bilder in Krisen sind z. B. akute Suizidalität, akute Erregungszustände, akute Intoxikation sowie Bewusstseinsstörungen und Delir. Die pharmakologische Notfallversorgung ist häufig Voraussetzung für eine differenzialdiagnostische Klärung im weiteren Verlauf sowie für die daraus folgende Einleitung einer störungsspezifischen Therapie. Das vorliegende Kapitel gibt einen Überblick zu den besonderen therapeutischen Bedingungen und geeigneten Behandlungsoptionen aus der klinischen Praxis.
Timo D. Vloet, Marcel Romanos
20. Persönlichkeitsstörungen
Zusammenfassung
Zur Behandlung der Kernsymptome von Persönlichkeitsstörungen sind spezifische Psychotherapieverfahren das Mittel der Wahl. Die Evidenz für eine psychopharmakologische Behandlung von Persönlichkeitsstörungen ist zwar gering, jedoch ist deren pharmakologische Behandlung weit verbreitet. In Einzelfällen können Neuro‑/Psychopharmaka sinnvoll als Komplementärtherapie zur Behandlung spezifischer Symptomdimensionen eingesetzt werden. Zum Einsatz kommen meist Stimmungsstabilisatoren und Antipsychotika der zweiten und dritten Generation. Der Einsatz von Antidepressiva ist vor allem bei Komorbiditäten aus dem internalisierenden Spektrum sinnvoll. Behandlungsansätze mit Omega-3-Fettsäuren, Opiat-Antagonisten oder Oxytocin erweitern das Behandlungsspektrum, jedoch kann auf Basis der dürftigen Datenlage derzeit keine Behandlungsempfehlung ausgesprochen werden.
Klaus Schmeck, Marcel Romanos
21. Psychische Störungen bei Kindern und Jugendlichen mit Intelligenzminderung
Zusammenfassung
Kinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung weisen eine erhöhte Vulnerabilität auf, sowohl psychisch als auch somatisch zu erkranken. Diese koinzidenten Störungen und Erkrankungen sind entsprechend den aktuellen Richtlinien für diese Störungen und Erkrankungen zu behandeln, wobei eine pharmakologische Therapie in ein Gesamtkonzept einzubetten ist und oft erst nach Ausschöpfung aller anderen Therapieoptionen erfolgen sollte. Darüber hinaus weisen Kinder und Jugendliche mit Intelligenzminderung häufiger als normal intelligente Gleichaltrige problematische Verhaltensweisen (herausforderndes Verhalten) auf. Insbesondere impulsiv aggressives Verhalten mit Eigen- und Fremdgefährdung wie auch repetitives Verhalten, welches zu einer Einschränkung der gesellschaftlichen Teilhabe führt, bedarf im Kanon mit nichtmedikamentösen Behandlungsstrategien der Pharmakotherapie. Diese richtet sich auch nach der aktuellen Leitlinie „Intelligenzminderung“ der AWMF. Besonders empfehlenswert sind bei günstigem Nutzen-Risiko-Verhältnis in dieser Indikation nur Risperidon und Aripiprazol sowie Zuclopenthixol. Generell gilt in der Pharmakotherapie von intelligenzgeminderten Kindern und Jugendlichen der Grundsatz „start low, go slow“. Eine Monotherapie sollte immer Vorrang vor einer Kombinationstherapie haben.
Frank Häßler, Marcel Romanos
22. Schizophrenie
Zusammenfassung
Für die Behandlung einer schizophrenen Psychose ist eine Kombination aus antipsychotischer Medikation und psychosozialen Interventionen indiziert. Wenn möglich, sollte das am wenigsten invasive Behandlungssetting gewählt werden. Psychosoziale Interventionen schließen kognitiv-behaviorale Therapie, Familientherapie, kognitive Remediation, Psychoedukation und rehabilitative Angebote ein und sollten bedürfnisorientiert integriert werden. Für die Wahl des ersten Antipsychotikums wird ein „primum non nocere“ („zuerst einmal nicht schaden“) empfohlen. Die Dosis sollte niedrig beginnen und langsam gesteigert werden. Die Zieldosis sollte hoch genug sein, um antipsychotische Wirksamkeit zu entfalten, zur Orientierung dienen Serumspiegelbestimmungen. Unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAWs) sollten vor Behandlungsbeginn aufgeklärt und während der Behandlung sorgfältig beobachtet werden. Dabei sind objektive und subjektive Beeinträchtigungsgrade von hoher Bedeutung, um die Bereitschaft für die Behandlung aufrecht zu erhalten. Aufgrund der starken Gewichtszunahme werden Olanzapin und aufgrund des Agranulozytose-Risikos Clozapin nicht als Medikamente der ersten Wahl empfohlen. Bei der Umstellung von einem auf ein anderes Antipsychotikum müssen Rezeptorbindungsprofile beachtet werden. Risikosymptome für die Entwicklung einer Psychose sollten primär psychotherapeutisch und nur bei Persistenz und erheblicher Beeinträchtigung antipsychotisch behandelt werden. Antipsychotika dürfen nicht zur Prävention eines Übergangs in eine Psychose eingesetzt werden.
Benno G. Schimmelmann, Claudia Mehler-Wex, Christoph Wewetzer
23. Schlafstörungen
Zusammenfassung
Schlafstörungen gehören auch bei Kindern und Jugendlichen zu den häufigsten gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Allgemein sind Schlafstörungen durch Ein- und Durchschlafstörungen gekennzeichnet. Häufig sind solche Schlafstörungen auch Teil von anderen psychischen Erkrankungen. Daher gilt das Augenmerk insbesondere psychiatrischen Störungen, deren Symptomspektrum Schlafstörung als Symptom beinhaltet. Hinzu kommen abnorme Erlebnisse und Verhaltensweisen, die während des Schlafes auftreten und entweder vom Individuum selbst oder von Bezugspersonen als störend wahrgenommen werden (Parasomnien). Differenzialdiagnostisch sind nichtpsychiatrische Erkrankungen auszuschließen. Eine medikamentöse Behandlung ist in der Regel nicht angezeigt. Indikationen für eine Pharmakotherapie sind bei ursächlichen psychiatrischen Erkrankungen, im Einzelfall bei Insomnien, Hypersomnien, Pavor nocturnus und Schlafwandeln gegeben. Bislang sind in Deutschland nur sehr wenige Medikamente zur Therapie von nichtorganischen Schlafstörungen für das Kindes- und Jugendalter zugelassen. Die Wahl des für die Therapie geeigneten Pharmakons ist abhängig von der spezifischen Schlafstörung, organischen oder psychiatrischen Komorbiditäten und vom Entwicklungsalter des Kindes oder Jugendlichen.
Christoph Wewetzer, Andreas Warnke
24. Selektiver Mutismus
Zusammenfassung
Der selektive Mutismus ist durch eine emotional bedingte Selektivität des Sprechens definiert und wird sowohl im DSM-5 als auch dem ICD-11 erstmals den Angststörungen zugeordnet. Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) sind Mittel der ersten Wahl bei Patienten, die auf eine multimodale psychotherapeutische Intervention unzureichend angesprochen haben.
Karin Egberts, Angelika Gensthaler
25. Substanzbezogene Störungen
Zusammenfassung
Das Kapitel zu substanzbezogenen Störungen bei Kindern und Jugendlichen bietet einen umfassenden Überblick über das zugrundeliegende Störungsbild (nach ICD-10, DSM-5 und ICD-11) und spezifische therapeutische Rahmenbedingungen für die Suchtbehandlung dieser Altersgruppe. Das Kapitel bietet einen einzigartigen Überblick über alle klinisch relevanten Wirkstoffe und medikamentöse Behandlungsstrategien zur Suchtbehandlung im Kindes- und Jugendalter, jeweils basierend auf der aktuellen Evidenzlage aus randomisiert-kontrollierten Studien, systematischen Reviews und Metaanalysen sowie nationalen und internationalen Leitlinien. Die Studienlage wird erläutert und um die Evidenz aus dem Erwachsenenbereich ergänzt. Für die wichtigsten Suchtsubstanzgruppen (Alkohol, Benzodiazepine, Cannabinoide, Halluzinogene, Psychostimulanzien, Opiate und Opioide sowie Tabak und Nikotin) werden die für die jeweilige Substanz spezifischen Stoffeigenschaften, Wirkmechanismen und typischen klinischen Manifestationen bei Intoxikation und nach Absetzen dargestellt. Ziel ist es, das für den klinischen Behandlungsalltag notwendige Fachwissen nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft und dem klinischen Konsens anwenderorientiert und kompakt zur Verfügung zu stellen. Das Kapitel ermöglicht auch in der Suchtbehandlung unerfahrenen Behandelnden, pharmakologische Therapieentscheidungen zu treffen. Es stellt unseres Wissens das einzige altersspezifische Kompendium im deutschsprachigen Raum zur Pharmakotherapie bei substanzbezogenen Störungen für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen dar.
Léa Laurenz, Rainer Thomasius
26. Tic-Störungen
Zusammenfassung
Eine pharmakologische Behandlung soll dann gewählt werden, wenn subjektive bzw. objektive Belastungen durch die Tics längerfristig ein von den Betroffenen nicht mehr akzeptables Maß an Beeinträchtigung überschreiten und sowohl Psychoedukation als auch eine möglicherweise begonnene Verhaltenstherapie keine ausreichende Linderung erbracht haben. Solche Belastungen können körperliche Schmerzen, Ausgrenzung mit psychosozialem Rückzug, schulische Schwierigkeiten usw. sein. Eine Medikation (wie auch andere Behandlungsmaßnahmen) hat nach heutigem Wissensstand nur eine lindernde, d. h. Tic-reduzierende, aber keine heilende Wirkung. Ziel ist daher eine Reduktion der Tics auf ein erträgliches Maß, kein vollständiges Sistieren. Im folgenden Kapitel sind v. a. die bewährten Dopamin-antagonistischen Substanzen mit guter Wirksamkeit auf Tics aufgeführt. Zudem werden aber auch Hinweise hinsichtlich der Berücksichtigung von komorbiden Störungen und der Abgrenzung zu der immer mehr ansteigenden Anzahl Tic-ähnlicher, funktioneller Bewegungsstörungen, die einem Tourette-Syndrom ähneln, bei der Behandlungsplanung gegeben.
Veit Roessner, Aribert Rothenberger
27. Zwangsstörungen im Kindes- und Jugendalter
Zusammenfassung
Die Zwangsstörungen zählen mit einer Prävalenz von 1–2 % zu den häufigsten Störungen im Kindes- und Jugendalter. Die Therapie orientiert sich am Schweregrad der Zwangsstörung und am Vorhandensein komorbider Störungen. Eine evidenzbasierte Therapie bei Kindern und Jugendlichen beinhaltet Elemente der Psychoedukation, der kognitiv-verhaltenstherapeutischen Psychotherapie (KVT) und einer pharmakologischen Behandlung. Die KVT und ihre Bausteine Exposition und Reaktionsverhinderung sind besonders wirksam. Je nach Alter der Patienten sollte die Familie in die Therapie einbezogen werden. Auch selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) zeigen sich in verschiedenen Metaanalysen, die randomisiert-placebokontrollierte Studien an Kindern und Jugendlichen eingeschlossen hatten, als sehr wirksam und sind Wirkstoffe der ersten Wahl. Um eine ausreichende Wirkung zu erzielen, bedarf es bei der Behandlung von Zwangsstörungen in der Regel mehr Zeit und oft höherer Dosen als bei anderen Indikationen. Die Kombination von KVT und einer Medikation zeigt nicht immer eine Überlegenheit, hat sich aber bei besonders schwierigen Konstellationen, z. B. bei komorbiden Depressionen, bewährt. Wirkstoff der zweiten Wahl ist das trizyklische Antidepressivum Clomipramin. Zugelassen in den meisten europäischen Ländern und in den USA für die Behandlung bei Kindern und Jugendlichen mit Zwängen sind Sertralin und Fluvoxamin. Fluoxetin hat zwar keine explizite Zulassung für Zwangsstörungen, aufgrund der positiven Studienlage nimmt die Bedeutung jedoch zu. Zur Augmentation mit Antipsychotika ist die Studienlage im Kindes- und Jugendalter gering.
Susanne Walitza, Christoph Wewetzer
Backmatter
Metadaten
Titel
Neuro-/Psychopharmaka im Kindes- und Jugendalter
herausgegeben von
Manfred Gerlach
Claudia Mehler-Wex
Marcel Romanos
Susanne Walitza
Christoph Wewetzer
Copyright-Jahr
2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Electronic ISBN
978-3-662-65267-1
Print ISBN
978-3-662-65266-4
DOI
https://doi.org/10.1007/978-3-662-65267-1

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