Vermehrter Stuhldrang, Schleim‑/Blutabgänge sowie Läsionen an der Mukosa und ödematöse Veränderungen sind typische Beschwerden von Patienten mit Proktitis. Die Symptomatik und häufig auch die klinische Präsentation der Proktitiden sind nicht selten unspezifisch bzw. ähnlich und bedürfen aufgrund der drohenden Komplikationen mit Lebensqualitätseinschränkung einer guten Anamnese und des Wissens um die vielfältigen Ursachen. Man muss die Differenzialdiagnosen kennen, um sie auch erkennen zu können. Unser Fallbeispiel zeigt die Tücken einer vermeintlich leichten Diagnostik. Im vorliegenden Beitrag werden fast alle Proktitiden außer jener der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen beschrieben.
Hinweise
Wissenschaftliche Leitung
F. Aigner, Berlin und Graz
F. Hetzer, Zürich
W. Kneist, Eisenach
A. Ommer, Essen
Lernziele
Nach Lektüre dieses Beitrags …
verstehen Sie die Wichtigkeit der Anamnese bei Proktitis.
kennen Sie Proktitiden infektiöser Ursache.
können Sie assoziierte Risikofaktoren der Proktitis benennen.
sind Ihnen die möglichen Ursachen einer allergischen Proktitis bekannt.
Einleitung
Die Proktitis – ein inflammatorisches Geschehen am Epithel des Anorektums – kann eine Vielzahl an Symptomen, klinischen und radiologischen Befunden sowie vor allem Ursachen aufweisen. Wenig verwunderlich findet man bei der Literaturrecherche viele Fallberichte, die die Fallstricke der Diagnostik einer Proktitis und sogar Verwechslungen mit bösartigen Neubildungen behandeln [1]. Umso mehr bedarf es einer profunden Kenntnis der Differenzialdiagnosen einer Proktitis, auf die hier näher eingegangen wird – nebst der landläufig bekannteren und hier nicht weiter behandelten Proctocolitis ulcerosa oder auch Proktitis bei Morbus Crohn, die häufiger mit fistulierendem Geschehen vergesellschaftet ist, und der Proktitis bei Morbus Behçet.
Fallbeispiel
Ein männlicher, 30 Jahre junger Patient stellt sich wegen seit 2 Wochen bestehenden analen Schmerzen bei Defäkation und erhöhtem Stuhldrang vor. Er verwendet eine orale Stuhlregulation wegen einer Obstipation und beschreibt hin und wieder Blut am Stuhl. Bei der klinischen Untersuchung wird eine Analfissur beschrieben und ein konservatives Management derselben begonnen. Der Patient erscheint nicht zur Kontrolle, stellt sich aber bei anhaltenden Problemen in einem anderen Krankenhaus vor. Hier wird aufgrund von distal rektalen Ulzera in der Endoskopie die Diagnose einer Proctitis ulcerosa gestellt und eine Therapie mit Mesalazin und topischem Kortison begonnen.
Wenig später wird der Patient wieder im ersten Krankenhaus, nun akut, wegen anhaltender Schmerzen und bleistiftartiger Stühle mit Blutbeimengungen vorstellig. Er präsentiert sich bei näherer Anamnese und klinischer Untersuchung mit seit einigen Tagen bestehendem generalisiertem Exanthem und inguinaler Lymphadenopathie sowie als Angehöriger der Risikogruppe MSM („men having sex with men“). Bei wenig auffälligen Laborwerten wird aufgrund der Schmerzen eine Untersuchung in Allgemeinanästhesie durchgeführt, die intersphinktäre Abszesse, eine langstreckige ulzeröse Proktitis und eine chronische Analfissur zeigt. Eine Drainage sowie Abstriche für die Hygienebestimmung werden durchgeführt.
Das angeforderte Screening auf sexuell übertragbare Erkrankungen bei entsprechender Anamnese ergibt einen positiven Befund für Treponema pallidum und Chlamydia trachomatis (Serotyp L1–3 [LGV]) und damit die Diagnosen einer Syphilis (Lues, Stadium II) und eines Lymphogranuloma venereum. Die Primärinfektion der Lues (bei Diagnose im Stadium II) war vermutlich die Abszedierung anal mit Proktitis, die Lymphknotenschwellung in der Leiste und das Exanthem sind pathognomonisch. Die anorektalen Ulzera und inguinale Lymphknotenschwellung sind klassische Zeichen der Chlamydieninfektion anorektal. Unter einer Therapie mit Benzathin-Benzylpenicillin 2,4 Mio. IE i.m. 1‑mal wöchentlich für 3 Wochen sowie Doxycyclin 100 mg p.o. 1‑0‑1 für 3 Wochen wird der Patient innerhalb weniger Wochen seronegativ und subjektiv beschwerdefrei. Zudem zeigt sich der Befund einer Proktoskopie nach Therapie unauffällig.
Die Patienten können von selteneren asymptomatischen Verläufen bis zu sehr schmerzhaften Entzündungsreaktionen und tumorhaften Veränderungen eine Vielzahl von Symptomen aufweisen. Die wichtigsten sind:
Fieber
Abgeschlagenheit
Gewichtsabnahme
Anorektale Schmerzen, vor allem bei Defäkation
Hämatochezie
Erhöhter Stuhldrang
Schleimabgänge, Nässen
Stuhlschmieren
(Peri-)analer Juckreiz
Fremdkörpergefühl
Lymphadenopathie lokoregionär
Bleistiftartiger Stuhlgang
Wie so oft in der Medizin ist das medizinische Wissen des Arztes bei fehlender Anamnese am Patienten nicht ausreichend. Im Besonderen muss hier an die vorbestehenden Diagnosen, Vorbehandlungen, Sexualanamnese und Risikofaktoren gedacht und entsprechend beim Patienten nachgefragt werden – beispielsweise mit der einfachen Frage: „Denken Sie, es könnte eine Geschlechtskrankheit vorliegen?“ Auch kann eine rezidivierende Blutung ohne entsprechende Anamnese und Untersuchung als Hämorrhoidalleiden interpretiert werden, wenn eigentlich ein Strahlenschaden vorliegt. Infektiöse oder mechanische Veränderungen können wie neoplastische Prozesse imponieren und müssen entsprechend differenziert werden.
Merke
Die Proktitis muss immer nach ihrer Ursache unterschieden werden, um eine adäquate und rasche Behandlung erreichen zu können.
Infektiöse Proktitiden
Unter immunsuppressiver Therapie oder Erkrankung treten nicht selten Infektionen im Analbereich durch HSV, CMV oder Mischinfektionen mit E. coli sowie durch unspezifische Infiltrate auf. Betroffen sein können unter anderem Patienten nach Transplantation, mit Human-immunodeficiency-virus(HIV)-Infektion, rheumatischer Erkrankung, chronisch-entzündlicher Darmerkrankung (CED) oder Tumorerkrankung. Die Infektionen können bei ausgeprägter Neutropenie klinisch atypisch ablaufen und Ulzerationen verursachen. Hier ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit der betreuenden Ärzte und des Koloproktologen gefordert. Herausfordernd kann eine koloproktologische Infektion bei Patienten mit HIV-Infektion sein: Proktitiden durch T. pallidum, N. gonorrhoeae, Chlamydien bzw. C. trachomatis, HSV oder CMV, aber auch durch Campylobacter spec. oder Shigella spec., E. histolytica oder G. lamblia können als Krankheitsursache am Enddarm fungieren [2, 3, 4, 5].
Alarmierend sind die steigenden Zahlen infektiöser Proktitiden im Rahmen einer sexuell übertragbaren Erkrankung („sexually transmitted disease“ [STD]) in der Allgemeinbevölkerung, wobei die Gruppen der „men having sex with men“ (MSM) bzw. Menschen mit rezeptivem Analverkehr (auch Sexarbeiter) besonders gefährdet erscheinen [6]. Darüber hinaus sind
ein junges Alter,
ein häufiger Partnerwechsel,
eine Geschlechtskrankheit in der Anamnese,
Auslandsbesuche in Ländern mit erhöhter Anzahl an Geschlechtskrankheiten und
Alkohol- bzw. Drogenabusus
als Risikofaktoren beschrieben [7, 8, 9]. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzte 2012, dass jährlich 357 Mio. neue Infektionen mit 4 (behandelbaren) STD (Chlamydien, Gonokokken, Syphilis, Trichomonaden) bei Personen bis 49 Jahren auftreten. Seit 2016 gibt es aufgrund der steigenden Inzidenzen von STD spezielle globale Programme zur Prävention, Erkennung und Therapie derselben [10]. Dass die Zahlen auch im deutschsprachigen Raum Europas steigen, ist bekannt. Umso wichtiger ist das Erkennen der Proktitis bzw. ihrer Differenzialdiagnosen [11]. Wie das Fallbeispiel gezeigt hat, sollten bei Feststellung einer STD andere spezifische Infektionen ausgeschlossen (Lues, Hepatitis B, Hepatitis C, HIV, Chlamydien) und die Untersuchung der Sexualpartner angeboten werden.
Bei Verdacht auf eine infektiöse (und meist schmerzhafte) Proktitis könnte es vorteilhaft sein, das Rektum „nativ“ endoskopisch (Anoskop/Rektoskop) zu untersuchen, um diagnostische Mittel nicht einzuschränken und Verletzungen durch ein rektales Klistier zu vermeiden. Die infektiöse Proktitis wird fast immer über Stuhlkulturen oder (ano-)rektale Abstriche diagnostiziert. Bei viraler Infektion (beispielsweise Noroviren) ist sie jedoch meist mit einer Enterokolitis bzw. Diarrhoe assoziiert und die Therapie häufiger rein symptomatisch.
Virale Erreger
Eine durch CMV bedingte ulzeröse Entzündung am Magen-Darm-Trakt wird meist als opportunistische Erkrankung diagnostiziert, etwa als primäre oder reaktivierte Infektion bei Patienten mit HIV-Infektion, CED oder nach Transplantation [12]. Bei Immunkompetenz ist die Proktitis selten und meist mild und selbstlimitierend [13]. Sie kann mittels Polymerase-Kettenreaktion (PCR) und serologisch spezifiziert werden, am verlässlichsten aber immunhistochemisch bzw. histologisch (Eulenaugenzellen). Für die Therapie sind Virostatika wie Ganciclovir, Foscarnet oder Cidofovir empfohlen.
Eine HSV(-II)-Proktitis präsentiert sich mit Schmerzen/Brennen und dolenter Lymphadenopathie. Die Erreger können aus den Bläschen und Ulzera am besten nachgewiesen werden. Zur Behandlung stehen eine Reihe von Virostatika zur Verfügung. Deren Einsatz hängt vom Ausmaß und rezidivierenden Verlauf ab (beispielsweise Aciclovir, Famciclovir, Valaciclovir) und kann auch bei schwangeren Frauen erfolgen.
Bakterielle Erreger
Bakterielle Auslöser wie Shigellen, Campylobacter oder Clostridien führen seltener zu einer isolierten Proktitis (unter anderem bei Analverkehr fäkal-fäkal), häufiger wird eine Enterokolitis beobachtet. Die Clostridienproktokolitis wird durch das Toxin im Stuhl (PCR) nachgewiesen und mit Metronidazol oder Vancomycin oral therapiert.
Eine seltenere tuberkulöse Proktitis (intestinale Tuberkulose) ist meist enterogener Ursache und geht mit Ulzerationen, Abszessen und Fistelungen einher [14]. Die Diagnostik ist bei typischen verkäsenden Nekrosen nicht schwierig und stützt sich auf eine PCR. Die Behandlung entspricht jener der Tuberkulose. Die tuberkulöse Proktitis ist endoskopisch schwer von einer CED abgrenzbar.
Gonokokken sind die Auslöser der Gonorrhö (Tripper), einer Krankheit, die seit den 1990er-Jahren auch im deutschsprachigen Raum wieder häufiger anzutreffen ist, allerdings bestehen kaum zuverlässige Daten. Die klassischen Beschwerden sind aufsteigende Infektionen anogenital mit Ausfluss und Schmerzen, es zeigen sich Blut und Pus bei der Untersuchung. Die Gabe von 2 verschiedenen Antibiotika ist wegen zunehmender (Penicillin‑)Resistenzen empfohlen, eine PCR kann bei symptomlosen Patienten zuverlässigere Ergebnisse liefern als die Kultur allein [15].
Die im Fallbericht erwähnte Infektion mit Chlamydien der Serotypen L1–3 kann am Anorektum eine hämorrhagisch-ulzeröse Proktitis (bei LGV auch eine inguinale Lymphadenopathie) und derbe Tumorläsionen verursachen und wird mit Doxycyclin 2‑mal 100 mg p.o. täglich für 3 Wochen behandelt. Eine Kontrolle sowie ein neuerlicher Abstrich bei fehlendem Ansprechen (eventuell Resistenz) oder bei kürzerer Therapiedauer sind genauso empfehlenswert wie die Untersuchung des Partners bzw. der Partnerin [16].
Da die Mehrheit der sexuell übertragenen Proktitiden durch Chlamydia trachomatis oder Gonokokken verursacht wird, wird bei Verdacht auf STD bzw. schmerzhafter, ulzeröser Proktitis noch am gleichen Tag die empirische Gabe von Ceftriaxon 250 mg i.m. und Doxycyclin 200 mg p.o. für 7 Tage bzw. bis zum Erhalt diagnostischer Befunde empfohlen [17, 18].
Das Fallbeispiel in diesem Beitrag beinhaltet auch die Diagnose eines anorektalen Befalls mit Treponema pallidum, einer Syphilis oder Lues venerea, hier im Stadium II mit den typischen Hauterscheinungen. Die Papeln, die besonders in Hautfalten auftreten, nennt man Condylomata lata. Im Stadium I, der Frühsyphilis, ist das therapieresistente (ano-)genitale Ulcus durum (Abb. 1) wegweisend. Dieses heilt in der Regel nach einigen Wochen auch ohne Therapie ab. Die Erkrankung kann dann in das Stadium II übergehen. Eine Therapie ist stadiengerecht und mit Benzathin-Benzylpenicillin sehr einfach durchzuführen; Alternativen sind Doxycyclin, Erythromycin und Ceftriaxon. Gerade wurden die aktualisierten S2k-Leitlinien veröffentlicht [19, 20].
×
Merke
Infektiöse Proktitiden sind in der Häufigkeit zunehmend und sollten schnell erkannt und behandelt werden. Die Behandlung sollte – vor allem bei STD – auch den Partner einschließen.
Radiogene Proktitis/Proktopathie
Einmal mehr ist die Anamnese auch bei dieser speziellen Erkrankung am Analkanal bzw. tiefen Rektum ausschlaggebend. Die Strahlenproktitis oder -proktopathie ist eine Veränderung der Enddarm(schleim)haut – eine Komplikation nach Strahlentherapie bei bösartigen Tumoren im Bereich des kleinen Beckens. Abhängig vom Zeitpunkt des Auftretens nach der Strahlenbelastung lassen sich Veränderungen gesunden Gewebes in akute (bis 3 Monate) und späte Veränderungen (nach Monaten oder Jahren mit eventuellen Langzeitverläufen) einteilen, wobei eine Überlappung beschrieben wird. In der Literatur wird berichtet, dass die Inzidenz nach einer Strahlentherapie zwischen 20 und 89 % schwankt. Zu den rektalen Veränderungen gehören [22, 23]
Die Symptome reichen von Stuhlinkontinenz, Entleerungsproblemen, Durchfall und Tenesmen bis zu krampfartigen Schmerzen, Schleimausfluss und Blutungen. Die Biopsie ist wegen schlechter Wundheilung streng zu indizieren und kann
eosinophile Kryptenabszesse,
endotheliale Veränderungen,
einen Verlust von Schleimhautzellen und
ausgedehnte Entzündungen
zeigen. Ein spezifisches Scoring dieser chronischen Erkrankung, das alle Aspekte der Symptome einschließt, ist noch nicht verfügbar bzw. noch nicht in Gebrauch. Es ist jedoch ein vielfältig diskutiertes Thema, da die Patienten in unterschiedlicher Intensität und für unterschiedliche Zeiträume unter verschiedenen Symptomen des anorektalen Organs leiden.
Gegenwärtig ist die Behandlung der Strahlenveränderungen am Anorektum sehr individuell, und es gibt keine hohe Evidenz für die wenigen (amerikanischen) Empfehlungen oder Standardtherapieschemata [23, 25]. Mit begrenztem Erfolg in meist retrospektiven und kleineren Studien werden bei rezidivierenden Blutungen eine topische Maßnahme (beispielsweise mit Formalin von 2 bis 10 %, 5‑Aminosalicylaten, Steroiden, Sucralfat) und die Gabe von hyperbarem Sauerstoff neben der Stuhlregulation diskutiert [26]. Darüber hinaus wird die hämorrhagische Komponente häufiger interventionell oder operativ behandelt (Blutstillung mittels Argonplasma‑/Neodym-Yttrium-Aluminium-Granat-Laser, Radiofrequenzablation, bipolare Elektrokoagulation, chirurgische Übernähung bis hin zur Proktektomie) – was nicht selten zur vermehrten Fibrosierung beiträgt und den funktionellen Aspekt der Erkrankung verschlechtern kann [27, 28, 29]. Auch zu bedenken ist: Ein invasives Vorgehen ist aufgrund des fragilen Gewebes und nicht zuletzt wegen der Komorbiditäten der Patienten mit einem relevanten Komplikationsrisiko verbunden und zielt als Therapieansatz nur auf das Symptom der Hämorrhagien [30]. Es gibt auch erste Berichte von Stammzellbehandlung und Stuhltransplantation bei dieser Erkrankung [31, 32, 33].
In den Empfehlungen der American Society of Colon and Rectal Surgeons (ASCR; [34]) und der American Society for Gastrointestinal Endoscopy (ASGE; [28]) werden für die hämorrhagische Strahlenproktitis ein endoskopisches Vorgehen (vor allem mit Argonplasmakoagulation) und der topische Off-label-Gebrauch von Formalin empfohlen, im Weiteren auch Sucralfateinläufe oder hyperbarer Sauerstoff – allesamt mit moderater Evidenz. In der Literatur wird auch darauf hingewiesen, dass über aktuelle Therapieoptionen (vor allem für die hämorrhagische Komponente) nach Vorhandensein von Möglichkeiten und Expertise entschieden wird.
Die Wirksamkeit vieler therapeutischer Optionen ist immer noch nicht durch Daten aus kontrollierten und auch vergleichenden Studien belegt. Studien befassen sich fast ausschließlich mit dem Ziel, die Blutungen zu stoppen. Dies ist einerseits dem Fehlen einheitlicher Diagnose- und Verlaufskriterien und andererseits der Diversität behandelnder Fachärzte (Chirurgie, Urologie, Gynäkologie, Dermatologie und Allgemeinchirurgie) anzulasten. Der Einsatz moderner Bestrahlungstechniken in den letzten Jahrzehnten und die Einführung weniger toxischer Schemata können zu einer Verringerung der Inzidenz beitragen [26].
Bei Auswahl einer therapeutischen Strategie sollte die Erhaltung der Lebensqualität (fäkale Inkontinenz) und die Verhinderung einer akuten, rektalen Blutungsepisode eine zentrale Rolle spielen.
Toxisch oder medikamentös bedingte oder allergische Proktitis
Bei dieser Art der Proktitis gelingt die Diagnose über eine Anamnese deutlich schneller als durch eine histologische Untersuchung oder Stuhlkultur. Toxische oder allergische Reaktionen können durch
verursacht werden. Sogar Klammern oder Fäden nach Operationen können zu diesen Proktitiden führen, was in Fallberichten beschrieben ist.
Mögliche allergische Reaktionen gehen typischerweise auf Nahrungsmittel oder Latex in einer Soforttypreaktion vom Typ I nach Coombs und Gell zurück. Hier kommt es bei Erstkontakt zu einer Sensibilisierung und Bildung von Antikörpern, sodass bei erneutem Kontakt unmittelbar eine Immunglobulin-E-vermittelte Reaktion mit Juckreiz, Ödemen oder Rötungen bis hin zu schweren systemischen Reaktionen (anaphylaktischer Schock) ausgelöst werden kann.
Nickel, Duftstoffe und Perubalsam sind häufigere Ursachen der allergischen Typ-IV-Reaktion. Latex, Gummi, pflanzliche Anteile (unter anderem Kamille oder Aloe vera), Chromate im Leder, Lokaltherapeutika, Konservierungsstoffe (in Cremes und Salben), Antibiotika/Antimykotika und Farbstoffe können zu allergischen Kontaktekzemen führen. Nahrungsmittelallergien (Milch!) können sich ebenfalls als Typ-IV-Reaktion zeigen (Proktokolitis). Der Mechanismus beruht auf der Aufnahme des Exogens durch Langerhans-Zellen und deren Migration in die Lymphknoten, wo die Bildung allergenspezifischer T‑Lymphozyten stattfindet. T‑Gedächtniszellen persistieren in Milz und Lymphknoten. Eine verzögerte Reaktion erfolgt etwa 24–72 h nach erneuter Allergenexposition. Es kommt dann zur Immunreaktion durch T‑Helferzellen, zur Lyse der Zielzellen durch zytotoxische T‑Zellen bzw. zu einer Entzündungsreaktion im Gewebe.
Bei allergischen Proktitiden sind Glukokortikoide ein Grundpfeiler der möglichst schnellen Therapie. Auch beruhigende, juckreizhemmende Sitzbäder oder Salben sind von Nutzen. Die Therapie besteht bei all diesen Proktitiden in der symptomatischen Behandlung und vor allem dem Weglassen des auslösenden Agens.
Mechanisch bedingte Proktitis
Ursächlich können hier Stuhlimpaktionen oder Fremdkörper (unter anderem Vibratoren, Pessare) oder wiederkehrende Scherkräfte wie bei Intussuszeption (Ulcus simplex recti) oder Rektumprolaps dritten Grades und sogar Hämorrhoidalprolaps lokalen Druck auf das Rektum ausüben und damit lokale Ischämien und Entzündungen bzw. Ulzera verursachen [35, 36, 37]. Bei länger bestehenden Scherkräften, etwa bei Intussuszeption, können auch derbe, polypoide, tastbare Gebilde entstehen, die mittels Biopsie von einem neoplastischen Geschehen unterschieden werden können. Die Therapie besteht in der Entfernung des Fremdkörpers oder der Stuhlmassen bzw. in der Beseitigung des Prolapsgeschehens gemeinsam mit einer eventuellen Stuhlregulation und Änderung der Stuhlentleerung sowie lokalen symptomatischen Maßnahmen.
Eine Sonderform stellt die Diversionsproktitis dar, welche nach Stomaanlage entstehen kann. Die Ursache ist vermutlich in der fehlenden Abschilferung/Bakteriensymbiose und damit Erneuerung einer symbiotischen Mukosa bei fehlendem Fäkaldurchtritt zu suchen. Die Diversionsproktitis kann asymptomatisch verlaufen. Typisch sind die Kontaktblutungen bei der Endoskopie. Es können ähnliche Therapieversuche wie bei Strahlenproktitis topisch unternommen werden. Die Diversionsproktitis kann manchmal durch regelmäßige (körperwarme) Wasserklistiere verhindert und gelindert werden (Cave: Verletzungsgefahr bei Klistier).
Ischämische Proktitis
Eine Mangeldurchblutung jeglicher Ursache kann zur Entzündung am Anorektum führen. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang Schockzustand/Myokardinfarkt, Thrombosen, postoperative Veränderungen der Durchblutung und Gefäßerkrankungen [36, 38, 39, 40, 41, 42]. Schwierig kann die Diagnose werden, wenn die Symptome erst spät (chronisch) auftreten und der zeitliche Zusammenhang nicht mehr klar ist. Die Symptome reichen von (zum Teil morphiumbedürftigen) Schmerzen, Durchfällen und Schleimabgängen bis zu stärkeren Blutungen.
Die richtige Diagnose und Therapie der verschiedenen Ursachen sind notwendig, um eventuelle Komplikationen der Ischämie (Strikturen, Stenosen, Narben) oder auch akut eine Proktektomie zu verhindern (Nekroseentstehung, Abb. 3).
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Fazit für die Praxis
Das Wissen um die Differenzialdiagnosen der Proktitis ist wegweisend für die richtige Diagnose.
Die Symptome der infektiösen Proktitiden ähneln sich häufig. Ein Screening auf sexuell übertragbare Erkrankungen sollte großzügig erfolgen.
Die radiogene Proktitis ist in der Behandlung noch immer eine Herausforderung und für den Patienten im Alltag belastend.
Eine Untersuchung in Allgemeinanästhesie ist bei Schmerzen bzw. schmerzhafter Proktitis großzügig zu indizieren.
Die mechanisch bedingte Proktitis muss nicht durch Fremdkörper oder Stuhlimpaktion bedingt sein, sie kann auch ein Prolapsgeschehen als Ursache haben. Insbesondere bei Ulcus simplex recti muss an ein solches gedacht werden.
Die toxische oder allergische Proktitis wird durch eine sorgfältige Anamnese erkannt.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
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Autoren
I.E. Kronberger: A. Finanzielle Interessen: Forschungsförderung zur persönlichen Verfügung: „unrestricted grant“: Fa. Meda. – Vortragshonorar: Takeda, Kostenerstattung Online-Kongress: AbbVie. – B. Nichtfinanzielle Interessen: Visceral‑, Transplantations- und Thoraxchirurgie Innsbruck, Medizinische Universität Innsbruck (Leitung AG Koloproktologie) | Mitgliedschaften: Österreichische Arbeitsgemeinschaft für Coloproctologie der Österreichischen Gesellschaft für Chirurgie (Vorstand), Deutsche Gesellschaft für Koloproktologie, European Society of Coloproctology (national representative), Osterreichische Gesellschaft für chirurgische Onkologie.
Wissenschaftliche Leitung
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Für diesen Beitrag wurden von der Autorin keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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