Bei schwerstverletzten, stark blutenden Patienten zählt zunächst nur eins: So schnell wie möglich die Blutung stoppen. Prof. Marc Maegele, Köln, gab auf dem Chirurgenkongress einen praxisnahen Überblick über aktuelle Konzepte in der prähospitalen Phase.
Die Gefahr, nach einer schweren Verletzung zu verbluten, ist auch in Deutschland nach wie vor präsent, vor allem dann, wenn der Patient in einen hämorrhagischen Schock gerät: Nach Prof. Marc Maegele, Unfallchirurg an den Kliniken der Stadt Köln, liegt die Mortalitätsrate in dieser Situation bei 30%. Das Zeitfenster, das dem Arzt unter diesen Umständen zur Verfügung steht, ist kurz, denn, so Maegele: „Der Tod durch Verbluten geht schnell!“ Wie eine Studie mit tatsächlich verbluteten Patienten gezeigt hat, trat der Tod bei der Hälfte der Fälle innerhalb einer Stunde nach Aufnahme in den Schockraum ein.
Viele Todesfälle potenziell vermeidbar
Wie der Traumaexperte betonte, wären viele solcher Todesfälle potenziell vermeidbar, wenn es nur schnell genug gelänge, die kritische Situation zu erkennen und die Blutung zu stoppen. Was banal klingt, hat einen komplexen Hintergrund: Nach schweren Verletzungen mit starker Blutung reagiert der Organismus häufig mit einer akuten Gerinnungsstörung. Wesentlicher Trigger hierfür ist nach Maegele die Hypoperfusion, die in den Gefäßen zum Endothelschaden und zur Aktivierung des Protein-C-Pathways führt. Und schließlich tragen Faktoren wie Hypothermie und Azidose noch zur Verschärfung der Situation bei. Diese „letale Triade“ kann durch notfallmedizinische Maßnahmen wie Flüssigkeitszufuhr sogar noch verstärkt werden. Maegele: „Wenn wir über das Ziel hinausschießen, tun wir dem Patienten nichts Gutes!“
Massive Gerinnungsstörungen bei jedem vierten Schwerstverletzten
Wie eine Auswertung des deutschen Traumaregisters ergeben hat, weist ein Viertel aller Schwerstverletzten bei Aufnahme in den Schockraum laborchemische Störungen der Gerinnungsfunktion auf (Eur J Trauma Emerg Surg 2019; 45; 115–124). In einer Studie mit 45 Schwerverletzten, denen man noch am Unfallort Blutproben abgenommen hatte, konnte ein französisches Team zeigen, dass es sehr rasch zu einer gefährlichen Absenkung von Gerinnungsfaktoren wie Fibrinogen und Faktor V, außerdem zu einer Reduktion der Protein-C-Aktivität, gekommen war (Injury 2012; 43: 26–32).
Rasche Blutstillung essenziell!
All dies zeige, so Maegele, dass rasche blutstillende Maßnahmen bereits in der prähospitalen Phase ein maßgeblicher Faktor für das Überleben der Patienten sei („To treat the bleeding is to stop the bleeding!“). Dabei komme es darauf an, die Zeitspanne bis zur definitiven, ggf. operativen Blutungskontrolle so gering wie möglich zu halten.
Für die lokale Kompression hat sich auch in Deutschland mittlerweile der Einsatz von Tourniquets bzw. Beckenschlingen durchgesetzt. Auch die Wundtamponade, ggf. mit gerinnungsaktiven Substanzen, gehört zum Standard.
- „Bei penetrierenden Wunden“, so Maegele, „kann man z. B. einen Foley-Katheter in den Stichkanal einführen und den Ballon aufpumpen.“ Damit habe man zumindest eine Chance, innere Blutungen zu kontrollieren.
- Beim Einsatz von Beckenschlingen müsse man vor allem darauf achten, dass diese nicht zu hoch oder zu tief angebracht werden. Korrekt ist die Lage auf Höhe der Trochanteren.
- Patienten mit anhaltender hämodynamischer Instabilität trotz adäquater Beckenstabilisierung sollten der chirurgischen Blutungskontrolle und/oder dem präperitonealen Packing bzw. der angiografischen Embolisation zugeführt werden.
- Zum Nachweis freier Flüssigkeit wird bei Patienten mit Torsotrauma der Einsatz des FAST-Ultraschalls empfohlen. Damit wird nach Maegele neben der Früherkennung auch eine Risikostratifizierung ermöglicht.
- Auch Tranexamsäure soll bei stark blutenden Patienten bereits in der Prähospitalphase zum Einsatz kommen. Dadurch wird die bei vielen Patienten bereits frühzeitig nachweisbare Fibrinolyse gehemmt. Die Applikation soll möglichst innerhalb von drei Stunden nach der Verletzung erfolgen, und zwar mit einer Dosierung von 1 g als Bolus i. v. und anschließend 1 g über 8 Stunden als Infusion.
Das Konzept der retrograden aortalen Ballonokklusion (REBOA), bei der mithilfe eines über die Leistenarterie eingebrachten Ballons die Aorta proximal der Blutungsquelle verschlossen wird, kann zwar im Extremfall lebensrettend sein; allerdings ist die Evidenz hierfür laut Maegele „für unsere Breitengrade schwach“. Das einzige, was man damit erreichen könne, sei, etwas Zeit bis zur definitiven Versorgung zu gewinnen.
Gerinnungsmanagement auf Grundlage von viskoelastischen Tests
Bei schwerstverletzten Patienten mit hämorrhagischem Schock, Zeichen der anhaltenden Blutung und begleitender Gerinnungsstörung ist die Indikation zu Damage Control Verfahren gegeben. Dabei sollen nach aktuellem Konsens parallel zur Damage Control Surgery auch die Prinzipien der Damage Control Resuscitation berücksichtigt werden. Dies sieht einerseits vor, ggf. eine Small-Volume Resuscitation zu favorisieren, um die Blutung nicht weiter zu verstärken, andererseits möglichst frühzeitig auch mit gerinnungsfördernden Substanzen zu arbeiten. Das Gerinnungsmanagement sollte sich an den Standardtests der Gerinnungsfunktion oder an den Ergebnissen von viskoelastischen Tests orientieren.
Einen nach Maegeles Ansicht „sinnvollen Algorithmus“ zur Versorgung stark blutender Beckenverletzungen hat die World Society of Emergency Surgery herausgegeben (Stahel PF et al. Curr Opinion Crit Care 2017; 23: 511–519).
Basierend auf: Maegele M. Hämorrhagischer Schock. 136. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie (DGCH), 26. bis 29. März 2019 in München