Erschienen in:
15.05.2020 | Prämedikation | Aktuelle Forschung
Einfluss der medikamentösen Prämedikation auf die präoperative Angstreduktion: eine multizentrische prospektive Beobachtungsstudie – IMPACT
verfasst von:
Dr. A. Kowark, Studiengruppe IMPACT
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
|
Ausgabe 9/2020
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Auszug
Die Notwendigkeit einer Prämedikation mit Benzodiazepinen wird weiterhin kontrovers diskutiert. Für eine medikamentöse Prämedikation spricht die präoperative Angstreduktion durch Benzodiazepine. Angst hat multifaktorielle Ursachen und führt mitunter zu physiologischen Reaktionen, einem erhöhten Bedarf an Narkosemitteln, einer veränderten Schmerzempfindung, Stimmungsschwankungen, Wundheilungsstörungen und veränderten Stress- und Immunreaktionen [
1]. Auch kann präoperative Angst zu postoperativen kognitiven Veränderungen und Wahrnehmungsstörungen beitragen und hat potenziellen Einfluss auf die Entwicklung von postoperativem Delir (POD) [
2]. Gegen eine medikamentöse Prämedikation sprechen verschiedenste z. T. schwerwiegende Nebenwirkungen, welche von Atemdepression über paradoxe Reaktionen, antegrade Amnesien bis hin zu erhöhten Pneumonie- und POD-Raten reichen [
3]. Trotz multifaktorieller Genese ist es angesichts des mit POD assoziierten erhöhten Letalitätsrisikos unerlässlich, Maßnahmen zu dessen Vermeidung zu ergreifen. Die Europäische Anästhesiegesellschaft (ESA) hat 2017 eine Guideline zur Vermeidung von POD herausgegeben [
4]. Diese empfiehlt, bei Patienten ≥65 Jahre auf eine Prämedikation mit Benzodiazepinen – außer bei großer Angst – zu verzichten. Es ist jedoch fraglich, wie häufig eine Messung der präoperativen Angst tatsächlich in der täglichen Routine erfolgt. Zudem basiert die Empfehlung der ESA Guideline lediglich auf einem Evidenzgrad Level 2b („sollte“) [
4]. Eine französische randomisierte placebokontrollierte dreiarmige Studie zeigte bei nur 24 % von 1062 elektiven Patienten <70 Jahren ein erhöhtes präoperatives Angstniveau [
5]. Es wurden die Gruppen 2,5 mg Lorazepam‑, Placebo- und keine medikamentöse Prämedikation miteinander verglichen. Dabei fanden sich keine Unterschiede bezüglich der postoperativen Patientenzufriedenheit, wohingegen die Zeit bis zur Extubation verlängert und die postoperative Erholung in der Lorazepamgruppe signifikant schlechter waren. Eine Cochrane-Analyse zeigte eine schlechtere psychomotorische Funktion bei Patienten mit präoperativer Benzodiazepingabe als in der Placebogruppe [
6]. Eine Onlineumfrage in deutschen Kliniken im Jahr 2016 demonstrierte, dass die medikamentöse Prämedikation überwiegend unter Einsatz von Benzodiazepinen erfolgt [
7]. Die Analyse von insgesamt 290 Krankenhäusern und ambulant-tätigen Anästhesieabteilungen zeigte, dass 31,7 % der Abteilungen ab einem Alter von 74,3 ± 6,4 Jahren auf den Einsatz von Benzodiazepinen zur Prämedikation verzichten. Die Ergebnisse der ersten deutschen multizentrischen randomisierten kontrollierten doppelblinden iPROMOTE-Studie [
3] zum Einsatz von Benzodiazepinen bei über 65-Jährigen werden demnächst erwartet. Diese Studie hat untersucht, ob eine Prämedikation mit Placebo, verglichen mit Midazolam, gleichwertig ist, in Bezug auf die postoperative Patientenzufriedenheit und das weitere Outcome. …