Penicillinallergie viel seltener als vermutet

Patienten, die angeben, früher einmal auf eine Penicillinbehandlung allergisch reagiert zu haben, sind möglicherweise aktuell gar nicht mehr dagegen allergisch oder waren es nie. Die einst festgestellte Allergie sollte diagnostisch abgeklärt werden, wie US-amerikanische und australische Infektiologen vorschlagen. Dadurch könnte das Potenzial von Beta-Laktamantibiotika besser ausgeschöpft werden. Nach Angaben von Dr. Elizabeth Jane Phillips vom Vanderbilt University Medical Center in Nashville und Kollegen aus den USA sowie Australien gelten 10% aller Patienten in den USA als Penicillinallergiker, vermutlich etwa 25 Millionen Menschen. Ähnlich hoch schätzten bereits vor mehr als zehn Jahren Ärzte der Universität Würzburg den Anteil solcher Patienten in Deutschland (DÄB 2004; 101/43; A2888–2892). In einem Interview mit der Zeitschrift „JAMA“ beklagt Phillips, dass einmal auf der Basis von Patientenangaben dokumentierte Befunde nicht hinterfragt würden, obwohl das Ereignis schon viele Jahre oder gar Jahrzehnte zurückliege. IgE-vermittelte Reaktionen würden nach etwa zehn Jahren verschwinden, der Hauttest werde negativ. Zudem sei es möglich, dass ein viral bedingter Hautausschlag in der Kindheit als Penicillinallergie fehlgedeutet wurde. Bei nur einem Prozent lag eine allergische Reaktion vor Phillips und ihre Kollegen erinnern an eine Studie von Anfang der 1990er-Jahre, aus der hervorgeht, dass nach einer Allergiediagnostik nur 1,7% der Patienten mit einer angeblichen Penicillinallergie in der Anamnese tatsächlich dagegen allergisch waren. Sie schätzen, dass der Anteil nur bei 1% der Bevölkerung liegt. Patienten, bei denen der Hauttest nach einem Jahrzehnt negativ geworden sei, hätten ein sehr geringes Risiko für eine Resensibilisierung bei Exposition gegenüber Penicillin oder einem anderen Beta-Laktamantibiotikum, wie aus einer Studie Anfang der 2000er-Jahre hervorgeht. Eine IgE-vermittelte akute allergische Reaktion, inklusive Anaphylaxie, als Reaktion auf eine Penicillinbehandlung hat zur Folge, dass eine erneute Exposition gegenüber Beta-Laktamen ausgeschlossen ist. Nach Angaben der Ärzte kommt es aber bei 2% bis 12% der Beta-Laktamantibiotikaanwendungen in einer Spätreaktion zu T-Zell-vermittelten leichten bis moderaten Exanthemen. In der Regel ließen sich solche Reaktionen folgenlos symptomatisch behandeln. In den meisten Fällen sollten solche unkomplizierten Hautauschläge in der Anamnese kein Grund dafür sein, eine erneute Behandlung mit Beta-Laktamantibiotika zu unterlassen, so Phillips und ihre Kollegen, vor allem wenn es sich um ein anderes Mitglied der Beta-Laktamfamilie als das ursprünglich verwendete Antibiotikum handele. Aufklärung der Patienten nötig In der aktuellen S2k-Leitlinie mehrerer deutschsprachiger allergologischer Fachgesellschaften und des Bundesamtes für Arzneimittel und Medizinprodukte von 2015 heißt es im Zusammenhang mit Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel generell, dass „der Verzicht auf eine Diagnostik einerseits schwere Reaktionen bei erneuter Exposition zur Folge haben, andererseits zu ungerechtfertigter Einschränkung der Therapiemöglichkeiten führen“ kann. Wenn in der ersten Diagnostikstufe Haut- und Labortests negativ oder nicht sicher aussagekräftig seien, empfiehlt die Leitlinie eine kontrollierte Provokationstestung zur Aufklärung der Reaktion. Nach Ansicht von Phillips und ihren Kollegen lassen sich mit validierten Hauttestergebnissen und einer oralen Provokationstestung jene Patienten identifizieren, bei denen eine sichere Applikation von Penicillin und anderen Beta-Laktamantibiotika möglich ist. Wenn eindeutig dokumentiert eine nichtallergische Arzneimittelreaktion auf ein Penicillin vorliegt, etwa aufgrund von Übelkeit, Erbrechen und Durchfall, sollte der Hinweis auf eine mögliche Penicillinallergie aus den Akten getilgt und die Patienten über den wahren Zusammenhang zwischen der Antibiotikabehandlung und ihren Beschwerden aufgeklärt werden, so die Ärzte.

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