Nierenfunktion mit eGFR oft falsch eingeschätzt

Die Schätzung der glomerulären Filtrationsrate auf Basis des Serumkreatinins (eGFR) ist eine sehr gute Näherung für die Messung der GFR – auf Populationsebene. Bezogen auf einzelne Personen können beträchtliche Differenzen bestehen. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Die Messung der glomerulären Filtrationsrate mittels exogener Filtrationsmarker ist aufwendig, daher erfolgt im Normalfall die Abschätzung anhand von Kreatinin im Serum. Die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) darf jedoch nicht mit der gemessenen glomerulären Filtrationsrate (mGFR) gleichgesetzt werden, wie eine Studie aus den USA verdeutlicht: In der Gesamtgruppe war die eGFR zwar fast identisch mit der mGFR, auf individueller Ebene bestanden aber teilweise erhebliche Diskrepanzen, nach oben wie nach unten. Das Stadium einer chronischen Nierenerkrankung (CKD) wurde nur bei gut der Hälfte der Teilnehmenden mit eGFR und mGFR übereinstimmend beurteilt. In zwei von drei Fällen Abweichungen > 10 ml/min Um die Aussagekraft der eGFR auf individueller Ebene beurteilen zu können, wurden die Daten von vier Kohortenstudien herangezogen. Bei allen 3223 Teilnehmenden war die GFR über die Clearance von Iothalamat oder Iohexol gemessen worden, nun wurde für jeden die eGFR auf Basis der Formel der Chronic Kidney Disease Epidemiology Collaboration (CKD-EPI-Formel, Version von 2021) berechnet. Durchschnittlich lag die mGFR bei 68 und die eGFR bei 69 ml/min/1,73 m2, die mediane Differenz von 0,6 ml/min/1,73 m2 war statistisch nicht signifikant. Im Gegensatz dazu hatte die eGFR auf der Ebene einzelner Personen ein sehr breites 95%-Intervall, im Median überspannte der Bereich, in dem sich 95% aller mGFR-Werte befanden, 55 ml/min/1,73 m2. Im Einzelnen lagen z. B. bei einer eGFR von 60 ml/min/1,73 m2 nur 50% der mGFRs zwischen 52 und 67 ml/min/1,73 m2 und 95% in der Spanne von 36 bis 87 ml/min/1,73 m2. Die Wahrscheinlichkeit, dass die eGFR den tatsächlichen Wert um mehr als 10 ml/min/1,73 m2 über- oder unterschritt, war damit relativ groß; geringere Abweichungen bestanden nur bei 37% aller eGFR-Werte. CKD-Stadien zu 42% falsch zugewiesen Dementsprechend führte die CKD-Stadieneinteilung auf Basis der eGFR häufig zu Fehlklassifikationen: Insgesamt wären 22% der Teilnehmenden einem zu niedrigen und 20% einem zu hohen Stadium zugewiesen worden. Ein Beispiel: Von denjenigen, die gemäß eGFR im Stadium 3a (eGFR zwischen 45 und 59 ml/min/1,73 m2) waren, hatten ausweislich der mGFR 36% Werte über 60 ml/min/1,73 m2 und 20% Werte unter 45 ml/min/1,73 m2. Die großen Abweichungen zwischen eGFR und mGFR auf der individuellen Ebene blieben auch dann bestehen, wenn statt der CDK-EPI-Formel die Formel des European Kidney Function Consortium (EKFC) verwendet oder statt Kreatinin im Serum Cystatin C betrachtet wurde. Erhebliche Konsequenzen für Patienten Die eGFR sei ein „exzellentes Maß für die mGFR auf Populationsebene“, schreibt die Studiengruppe um Tariq Shafi vom University of Mississippi Medical Center in Jackson. Ärzte müssten sich aber der Unsicherheit dieses Wertes auf der Ebene einzelner Patienten und Patientinnen bewusst sein, mit dem die Nierenfunktion sowohl über- als auch unterschätzt werde. Die Unterschätzung der GFR könne dazu führen, dass unnötigerweise auf leitliniengerechte Therapien etwa bei Herzinsuffizienz oder Krebserkrankungen verzichtet werde. Umgekehrt würden Patienten durch eine Überschätzung der GFR dem Risiko etwa von Hyperkaliämie unter Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten oder der Toxizität renal eliminierter Chemotherapeutika ausgesetzt. Shafi et al. betonen daher, dass, wenn es darauf ankommt, die GFR direkt gemessen werden muss. Sie schlagen außerdem vor, in Laborberichten außer der eGFR auch die Verteilung der Unsicherheit anzugeben. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie groß sind auf individueller Ebene die Differenzen zwischen geschätzter (eGFR) und gemessener glomerulärer Filtrationsrate (mGFR)? Antwort: Bei einzelnen Personen wird die mGFR durch die eGFR sowohl unter- als auch überschätzt, die Unterschiede sind teilweise erheblich. Nur in etwa der Hälfte der Fälle stimmen eGFR und mGFR hinsichtlich der Stadieneinteilung von chronischem Nierenversagen überein. Bedeutung: Ärzte müssen sich der Unsicherheit der eGFR bewusst sein und, wenn nötig, die GFR direkt messen. Einschränkung: mGFR und Serummarker wurden jeweils nur einmal gemessen.

Springer Medizin

Nierenfunktion mit eGFR oft falsch eingeschätzt

Weiterführende Themen

Leitlinien kompakt für die Innere Medizin

Neu im Fachgebiet Innere Medizin

Niedriger diastolischer Blutdruck erhöht Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen

Therapiestart mit Blutdrucksenkern erhöht Frakturrisiko

Adjuvante Immuntherapie verlängert Leben bei RCC

Alectinib verbessert krankheitsfreies Überleben bei ALK-positivem NSCLC

Update Innere Medizin