MS-Therapie: Schwerere COVID-19-Verläufe unter CD-20-Antikörper

Erneut liefert eine Studie Hinweise auf einen ungünstigen COVID-19-Verlauf unter CD-20-Antikörpern. Nach Daten aus Italien wird die Gefahr für einen schweren Verlauf damit mehr als verdoppelt. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Seit Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie wird über die Risiken immunsupprimierender und immunmodulierender Therapien für den Infektionsverlauf diskutiert. Dabei ergeben sich zwei mögliche Szenarien: Krankheitsmodifizierende Therapien (DMT) könnten eine überschießende Immunreaktion bei MS-Kranken verhindern und sich somit sogar günstig auswirken, auf der anderen Seite dürfte eine starke Immunsuppression das Immunsystem deutlich schwächen und schwere Verläufe begünstigen. Bisherige Analysen sprechen dafür, dass die meisten in der MS-Therapie verwendeten DMT das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe nicht erhöhen, vielleicht sogar senken. Anders sieht es für Lymphozyten-depletierende Behandlungen aus: In einer größeren internationalen Studie, die auf der vergangenen ACTRIMS/ECTRIMS-Tagung vorgestellt worden war, wurden schwere COVID-19-Verläufe unter Rituximab doppelt so oft beobachtet wie unter Dimethylfumarat, das Risiko für eine intensivmedizinische Behandlung war sogar vervierfacht. Auch unter Ocrelizumab fanden die Studienärzte ein erhöhtes Risiko für schwere Verläufe, wenngleich nicht ganz so ausgeprägt wie unter Rituximab. Eine kleinere französische Studie wies in eine ähnliche Richtung (siehe Bericht). Bestätigt werden die Befunde nun durch eine Auswertung von MS-Experten um Professorin Maria Pia Sormani von der Uni in Genua: Nach ihren Resultaten ist das Risiko für schwere COVID-19-Verläufe unter Lymphozyten-depletierenden CD-20-Antikörpern ebenfalls verdoppelt. Angaben zu über 800 MS-Patienten ausgewertet Die Neurologen um Sormani haben Angaben zu 844 MS-Patienten ausgewertet, die entweder eine bestätigte oder eine angenommene COVID-19-Erkrankung aufwiesen. Angenommen wurde eine COVID-19-Erkrankung, wenn die Patienten in der Bildgebung die typischen COVID-19-Pneumonie-Zeichen aufwiesen, entsprechende Symptome und/oder mit Erkrankten Kontakt hatten. Für eine bestätigte Infektion war ein positiver PCR-Test nötig. Empfehlung der Redaktion SARS-CoV-2 Neurologie und COVID-19: Gesammelte Beiträge Berichte zu neurologischen Symptomen bei COVID-19 häufen sich. Hintergründe und Fallberichte zu SARS-CoV-2 in der Neurologie und Empfehlungen für die Praxis, finden Sie in dieser Sammlung. Zwei Drittel hatten den Verdacht auf SARS-CoV-2-Infektion, die übrigen einen positiven PCR-Test. Acht von zehn Patienten wurden zum Zeitpunkt der Infektion mit DMT behandelt, 16% hatten eine progrediente MS. Patienten mit PCR-bestätigter Infektion waren im Schnitt älter und stärker von COVID-19 betroffen als solche mit einer vermuteten Erkrankung, was schlicht daran lag, dass zu Beginn der Pandemie fast nur stark symptomatische Patienten getestet worden waren, geben die Studienautoren zu bedenken. Patienten ohne DMT waren im Schnitt älter und hatten eher eine sekundär progrediente MS als solche mit DMT – auch dies keine Überraschung. Von den über 800 MS-Kranken starben bis September 2020 insgesamt 13 an dem Virus (1,5%), die übrigen sind mittlerweile genesen. Nur zwei der Verstorben hatten eine schubförmige, die übrigen eine progrediente MS. 11% mussten stationär behandelt werden, 5% intensivmedizinisch. Rund 3% hatten im Monat vor der Infektion Methylprednisolon bekommen, 11% wurden mit CD-20-Antikörpern behandelt, rund 20% mit DMF, 10% mit Natalizumab, 17% bekamen Interferone oder Glatirameracetat. Je länger die Therapie, umso höher das Risiko für einen schweren Verlauf Berücksichtigten die Neurologen Alter, Geschlecht, MS-Charakteristika und Begleiterkrankungen, gingen die MS-Basistherapeutika tendenziell mit einem geringeren Risiko für Tod oder intensivmedizinische Behandlung einher als keine Therapie. Deutlich wurde dies vor allem unter Interferonen, die Differenz war jedoch statistisch nicht signifikant. Erheblich erhöht – und zwar um den Faktor 2,4 – war das Risiko für schwere Verläufe bei einer Therapie mit CD-20-Antikörpern, und diese Differenz erwies sich als statistisch hoch signifikant. Veranlassten die Forscher ein Propensity-Score-Matching, indem sie jedem Patienten ohne Therapie einen möglichst ähnlichen Patienten mit MS-Behandlung gegenüberstellten, ergab sich sogar ein knapp vervierfachtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf unter CD-20-Antikörpern. Übertroffen wurde das Risiko nur noch von Patienten, die vor der Infektion Methylprednisolon – in der Regel zur Schubtherapie – bekommen hatten: Bei ihnen war das Risiko für einen schweren Verlauf mehr als verfünffacht. Nach diesen Daten erleiden rund 15% der MS-Patienten mit CD-20-Antikörpern bei einer SARS-CoV-2-Infektion einen schweren Verlauf, definiert als Pneumonie oder Klinikaufnahme, 8% sind es mit anderen DMT. Etwa 6% mit CD-20-Antikörpern sterben oder müssen auf die Intensivstation, nur rund 2% sind es mit anderen MS-Medikamenten. Das Risiko für einen schweren Verlauf unter CD-20-Therapeutika scheint weniger vom Zeitpunkt der letzten Infusion als vielmehr von der Gesamtdauer der Behandlung mit diesen Mitteln abzuhängen, berichten die MS-Experten um Sormani. Die gute Nachricht für MS-Patienten ist aber einmal mehr, dass die allermeisten MS-Mittel offenbar keinen negativen Einfluss auf den COVID-19-Verlauf haben. Das Wichtigste in Kürze Frage: Welchen Einfluss hat die MS-Therapie auf den COVID-19-Verlauf? Antwort: In einer Analyse aus Italien deutet sich ein verdoppeltes Risiko für einen schweren Verlauf unter CD-20-Antikörpern an – verglichen mit anderen MS-Therapeutika oder keiner Therapie. Auch eine Steroidbehandlung geht mit einem erhöhten Risiko für schwere Verläufe einher. Bedeutung: Die allermeisten MS-Mittel haben keinen negativen Einfluss auf den COVID-19-Verlauf, einige offenbar schon. Einschränkung: Retrospektive Analyse, die meisten COVID-19-Erkrankungen waren nicht PCR-bestätigt.

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