Das Nebenschilddrüsenkarzinom (NSD-CA) stellt eine sehr seltene Erkrankung dar, die etwa 1 % aller Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus (pHPT) betrifft. Die 10-Jahres-Überlebensrate ist mit > 85 % gegenüber anderen malignen Tumoren vergleichsweise gut, während die hohen Rezidivraten die Lebensqualität stark beeinträchtigen. Die chirurgische Therapie stellt die einzige Möglichkeit dar, eine langfristige Heilung von Patienten mit NSD-CA zu erreichen.
Material und Methoden
In einer narrativen Übersichtsarbeit nach selektiver Literaturrecherche wird der aktuelle Kenntnisstand der Behandlungsmöglichkeiten beim NSD-CA mit Schwerpunkt auf der operativen Therapie dargestellt.
Ergebnisse
Klinisch unterscheidet sich der benigne pHPT nicht eindeutig vom Nebenschilddrüsenkarzinom und wird deshalb häufig erst postoperativ diagnostiziert. Exzessiv erhöhte Kalzium- und Parathormonwerte sowie eine ausgeprägte klinische Symptomatik eines pHPT können prätherapeutisch auf ein malignes Geschehen hinweisen. Der einzig beinflussbare Prognosefaktor stellt die biochemische Remission durch die chirurgische Entfernung des Befundes dar. Daher sollte bei Malignitätsverdacht eine En-bloc-Resektion (Hemithyreoidektomie mit Entfernung der erkrankten Nebenschilddrüse) durchgeführt werden. Bei Vorliegen von Lymphknotenmetastasen sollte eine befallsorientierte Resektion erfolgen. Aufgrund der Seltenheit des NSD-CA gibt es keine Empfehlung hinsichtlich einer adjuvanten oder primären Therapie mittels Radiatio und/oder Chemotherapie.
Schlussfolgerung
Eine wichtige Herausforderung für die Zukunft wird sein, eine spezifische prätherapeutische Diagnostik zu entwickeln, die das Nebenschilddrüsenkarzinom in der biochemischen Konstellation eines pHPT eindeutig erkennbar macht.
Hinweise
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Epidemiologie
Das Nebenschilddrüsenkarzinom (NSD-CA) gehört weltweit zu den „orphan malignancies“ und wird daher auch von der Organisation Rare Cancer Europe auf der Liste der seltenen Tumoren geführt. In nur 0,5–4 % der Fälle ist das NSD-CA Ursache des primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) und wird in den meisten Fällen erst postoperativ diagnostiziert [1‐3]. Mit einem Erkrankungsalter von durchschnittlich 47 Jahren und einem Häufigkeitsgipfel zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr erkranken Frauen und Männer etwa gleich häufig [4].
Die Ursache der Erkrankung ist weitgehend ungeklärt, da die meisten NSD-CA sporadisch auftreten [5]. Allerdings zeigen sich häufiger NSD-CA nach stattgehabter zervikaler Radiatio sowie im Rahmen des renal bedingten Hyperparathyreoidismus. Darüber hinaus kann in seltenen Fällen ein NSD-CA im Zusammenhang mit einer multiplen endokrinen Neoplasie (MEN) oder mit dem Jaw-Tumor-Syndrom auftreten [6, 7].
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Häufiger zeigen sich NSD-CA nach zervikaler Radiatio sowie bei renal bedingtem Hyperparathyreoidismus
Die sichere Abgrenzung zum gutartigen Nebenschilddrüsenadenom ist präoperativ nicht möglich, sodass die Diagnose des NSD-CA oft erst postoperativ im Rahmen der histopathologischen Aufarbeitung gestellt wird.
Die Gesamtprognose des NSD-CA ist mit einer 10-Jahres-Überlebensrate von 82,4–87 % verglichen mit anderen Tumoren recht gut [2, 8]. Hauptproblem des NSD-CA ist jedoch dessen hohe Rate an Rezidiven zwischen 33 und 78 % [8, 9]. Rezidive sind meist durch eine ausgeprägte symptomatische Hyperkalzämie charakterisiert, die aufgrund wiederholter medikamentöser und chirurgischer Interventionen zu einer Reduktion der Lebensqualität führen. Daneben können lokale Beschwerden durch Rezidivtumoren die Beeinträchtigung der Lebensqualität verstärken [10‐12].
Die chirurgische Therapie stellt die einzige Möglichkeit dar, eine langfristige Heilung von Patienten mit Nebenschilddrüsenkarzinom zu erreichen. Die genaue Bedeutung der chirurgischen Therapie, die chirurgische Vorgehensweise und Ergänzungen durch medikamentöse Therapien sowie deren Ergebnisse werden im Rahmen dieser Übersichtsarbeit beschrieben.
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Prognosefaktoren für Rezidive
Die bisher publizierten Daten zum NSD-CA entstammen retrospektiven Analysen kleinerer Kollektive oder Registerstudien. Prospektive Studien existieren nicht und werden aufgrund der Seltenheit der Erkrankung auch in der Zukunft nicht umsetzbar sein. In einer kürzlich publizierten retrospektiven Arbeit wurden in einem vergleichsweise großen europäischen Patientenkollektiv von 83 Patienten wichtige Prognosefaktoren für das Auftreten eines Tumorrezidivs bestätigt und neu identifiziert. Einige durch die Therapie nicht beinflussbare Faktoren wurden als prognostisch günstig beschrieben. Hierzu zählen eine geringere Größe des Primärtumors (T-Kategorie), das Fehlen von Metastasen in Lymphknoten (LK) und ein Anteil Ki-67-positiver Zellen < 10 %. Als direkt oder indirekt beeinflussbare Faktoren wurde die biochemische Heilung direkt postoperativ sowie zusätzlich zur Resektion des Primärtumors die simultane ipsilaterale Hemithyreoidektomie in der multivariaten Analyse als prognostisch günstig identifiziert [13]. Dies unterstreicht die entscheidende Rolle der operativen Therapie, bei der die genaue Vorgehensweise von prognostischer Bedeutung zu sein scheint.
Präoperative Diagnostik
Wie ausgeführt, kann das Nebenschilddrüsenkarzinom klinisch nicht eindeutig vom gutartigen Nebenschilddrüsenadenom unterschieden werden. Die Herausforderung für alle an der Diagnose und Therapie beteiligten Disziplinen liegt also darin, überhaupt erst an das mögliche Vorliegen eines NSD-CA zu denken.
Leitsymptom ist die ausgeprägte Hyperkalzämie mit gehäuften hyperkalzämen Krisen
Als Beispiel und zur Illustration kann eine Falldarstellung aus dem eigenen Patientenkollektiv dienen (Infobox Falldarstellung). Hilfreich ist hierbei, dass es Konstellationen gibt, die ein NSD-CA präoperativ vermuten lassen sollten: Leitsymptom ist die ausgeprägte Hyperkalzämie (Kalzium > 3,5 mmol/l) mit gehäuften hyperkalzämen Krisen (44 %). Zudem zeigt sich ein exzessiv erhöhtes Parathormon (> 500 ng/l) mit einer i. d. R. stark vergrößerten Nebenschilddrüse (> 3 cm). Zusätzlich kann ein palpabler Halstumor und eine ausgeprägte klinische Symptomatik gemeinsam mit sonomorphologischen Malignitätskriterien diesen Verdacht erhärten [2, 14]. Die Realität zeigt, dass präoperativ lediglich bei 50 % der Patienten mit derartiger Konstellation ein NSD-CA vermutet wird [15, 16].
Die Indikation zur Operation ergibt aus der biochemischen Diagnose sowie den mit der Erkrankung assoziierten Symptomen und ist unabhängig davon, ob ein benignes oder malignes Geschehen vermutet wird.
Insbesondere bei der Erstdiagnose entspricht die Lokalisationsdiagnostik zur Detektion eines Adenoms der gutartigen Erkrankung. Die Mindestanforderung stellt hierbei ein zervikaler Ultraschall dar. Ist die Raumforderung damit eindeutig lokalisierbar, ist aus Sicht der Autoren eine weitere Diagnostik verzichtbar. Ansonsten kann wie in der Leitlinie der European Association of Nuclear Medicine (EANM) zur Lokalisationsdiagnostik des pHPT eine funktionelle Bildgebung wie die SESTA-MIBI-Szintigraphie (99mTechnetium-Methoxy-Isobutyl-Insonitril) insbesondere zum Ausschluss eines extrazervikalen Adenoms durchgeführt werden [17].
Im Rezidivfall kommen bei häufig erschwerter Lokalisierung die Schnittbildgebungen (Computertomographie, CT/Magnetresonanztomographie, MRT) sowie Ganzkörperaufnahmen (Positronenemissionstomographie-CT, PET-CT) hinzu [13, 18]. In Einzelfällen bedarf es eines selektiven Halsvenenkatheters mit Etagenblutentnahme, um den Rezidivtumor zweifelsfrei zu detektieren [19].
Prognostische Bedeutung des Resektionsausmaßes
Von den ermittelten Prognosefaktoren ist letztlich nur das chirurgische Resektionsausmaß beeinflussbar. Die prinzipiellen Möglichkeiten unterschiedlicher Resektionsausmaße werden in Abb. 1 veranschaulicht. Die Kompartimente der LK sind an der Kompartimentklassifikation nach Dralle [20] orientiert. Die zentralen LK-Kompartimente (IA und IB) sind hierbei medial der Gefäß-Nerven-Scheide (A. carotis/V. jugularis) zu finden und nach kranial durch das Os hyoideum sowie nach kaudal durch die Vv. brachiocephalicae begrenzt. Lateral der Gefäß-Nerven-Scheide finden sich die lateralen LK-Kompartimente III und IV.
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Bei NSD-CA scheint es sinnvoll, die Op. nicht auf die Entfernung der Nebenschilddrüse zu beschränken
Insgesamt scheint es im Fall eines NSD-CA prognostisch sinnvoll, die Op. nicht auf die alleinige Entfernung der pathologisch veränderten Nebenschilddrüse zu beschränken. Die Literatur zeigt auf den ersten Blick heterogene Resultate hinsichtlich des Rezidivauftretens und der Überlebensrate in Abhängigkeit vom Resektionsausmaß (Tab. 1). Beim nichtinfiltrierenden NSD-CA konnten Harari et al. (2011) in ihrem Patientenkollektiv (n = 37) zunächst keinen Vorteil durch eine Erweiterung des Resektionsausmaßes mittels einer zusätzlichen Hemithyreoidektomie auf die Rezidivwahrscheinlichkeit und das krankheitsspezifische Überleben („disease-specific survival“, DSS) finden [12]. Dies wurde durch andere Studien mit 224 und 27 Patienten bestätigt [21, 22].
Tab. 1
Literaturübersicht und Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen zum Nebenschilddrüsenkarzinom
Prognoseverbesserung durch reduzierte Rezidivrate und Zeit bis zum Rezidiv: erweitertes Resektionsausmaß, niedriges T‑Stadium, Ki-67 < 10 %, N0 bei ED, postoperative biochemische Remission
Es existieren zahlreiche Übersichtsarbeiten, die auch bereits publizierte Patientenkollektive neu zusammenfassen. Damit ist wahrscheinlich, dass mehrfach über ähnliche Kohorten berichtet wird
Die kapselintakte Exstirpation der NSD sollte mit einer Hemithyreoidektomie kombiniert werden
In den letzten Jahren haben sich jedoch mehrere Studien auch mit größeren Fallzahlen mit der Frage des „erweiterten Resektionsausmaßes“ beschäftigt. In der von den Verfassern des vorliegenden Beitrags durchgeführten internationalen multizentrischen Studie mit 83 Patienten mit NSD-CA war es bei alleinig durchgeführter Parathyreoidektomie in 42,1 % der Fälle zur einem Rezidiv gekommen. Wurde eine En-bloc-Resektion durchgeführt, war nur in 10,0 % der Fälle ein Rezidiv aufgetreten. Da dies gleichzeitig zu einer Verlängerung des rezidivfreien Überlebens führte, sprechen diese Daten für die Durchführung der En-bloc-Resektion [13]. In einer retrospektiven Übersichtsarbeit mit 234 Patienten wurde ebenfalls herausgearbeitet, dass Patienten durch ein primär erweitertes Resektionsausmaß aufgrund der Senkung der Rezidivwahrscheinlichkeit profitieren [15]. In einer kleineren retrospektiven monozentrischen Arbeit (n = 18 Patienten) war die Durchführung einer En-bloc-Resektion vs. alleinige Parathyreoidektomie hinsichtlich des Rezidivauftretens (n = 3 vs. n = 1) überlegen, da die rezidivfreie Zeit signifikant verlängert war (143 vs. 18 Monate; p = 0,01) [34]. Das Gesamtüberleben unterschied sich in dieser Arbeit allerdings nicht in einem 107,5-monatigen Nachbeobachtungszeitraum. Darüber hinaus zeigte eine Übersichtsarbeit über 400 Patienten eine höhere Rezidivrate von Nebenschilddrüsenkarzinomen, wenn auf die ipsilaterale Hemithyreoidektomie sowie die zentrale LK-Dissektion verzichtet wurde [35].
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Damit besteht bei der Mehrzahl der Autoren Einigkeit darüber, dass die kapselintakte Exstirpation der NSD mit einer Hemithyreoidektomie (En-bloc-Resektion) kombiniert werden sollte. Es hat sich gezeigt, dass dieses operative Vorgehen für die Patienten nicht nur eine geringere Rezidivwahrscheinlichkeit mit sich bringt, sondern auch eine deutliche Verlängerung der Zeit bis zum Rezidiv.
Als allgemeines Prinzip in der onkologischen Viszeralchirurgie ist die systematische Entfernung des Lymphabflussgebiets eines maligne veränderten Organs prognostisch günstig. Deshalb muss diskutiert werden, ob eine zusätzliche ipsilaterale Lymphadenektomie unter der Abwägung zwischen Nutzen und der Komplikationsrate bei der Operation des Nebenschilddrüsenkarzinoms als sinnvoll erachtet werden kann. Aufgrund des Auftretens von LK-Metastasen mit einer Häufigkeit von etwa 10 % im zentralen Kompartiment empfehlen einige Autoren die Durchführung der zentralen Lymphadenektomie zusätzlich zur En-bloc-Resektion bei Nachweis eines NSD-CA [9]. Auch Asare et al. konnten in einer retrospektiven Analyse von 733 Patienten aus der nationalen Krebsdatenbank aus den USA von 1985–2006 sowie Wang et al. bei 234 Betroffenen aus 3 chinesischen Datenbanken von 1984–2015 aufzeigen, dass die ipsilaterale zentrale LK-Dissektion das rezidivfreie Überleben beim Nebenschilddrüsenkarzinom begünstigt, wohingegen kein Effekt auf das Gesamtüberleben nachweisbar war [15, 36]. In anderen Studien mit 224 und 83 Patienten wurde dieser Vorteil auf die Rezidivrate oder die Überlebensrate durch die LK-Dissektion nicht beobachtet [12, 13, 21].
Es ist insgesamt unstrittig, dass bei präoperativem Nachweis auffälliger LK oder bei makroskopisch suspektem intraoperativem LK eine befallsorientierte Kompartimentresektion vorgenommen werden sollte. Für eine prophylaktische LK-Dissektion gibt es keinen eindeutigen Nachweis eines Vorteils. Allerdings spricht im Sinne des sicheren Erreichens einer biochemischem Heilung, welche ebenfalls ein Prognosefaktor ist, vieles dafür, dass bei entsprechender Expertise eine gleichzeitige Entfernung des zentralen LK-Kompartiments vorgenommen werden sollte.
Während sich die vorherigen Betrachtungen auf die Situation beim Primäreingriff beziehen, stellt die Rezidivsituation eine interdisziplinäre Herausforderung dar. Bei Patienten, die ein biochemisches Rezidiv entwickeln, ist die Lokalisationsdiagnostik in Form eines „whole body imaging“ von entscheidender Bedeutung, denn nur wenn auch ein morphologisches Korrelat detektiert werden kann, ist eine neuerliche Op. möglich. Der Therapieansatz ist hierbei kurativ mit dem Ziel einer erneuten Tumorfreiheit. Alternativ kann ein Tumordebulking diskutiert werden, um hierdurch eine lokale Tumorkontrolle oder eine Verbesserung der Symptome, die durch die Hyperkalzämie verursacht werden, zu erreichen. Grundsätzlich sollte jeder Patient im Tumorboard vorgestellt werden, um das individuelle Vorgehen zu planen.
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Intraoperative Erkennung
Aus praktischer Sicht ist das häufigste Problem, dass all diese Überlegungen zum Resektionsausmaß theoretischer Natur bleiben, wenn bei der beschriebenen klinischen Konstellation nicht zumindest die Möglichkeit des Vorliegens eines NSD-CA in Betracht gezogen wird. Dazu kommt, dass es nur bei 15 % der Nebenschilddrüsenkarzinome möglich ist, bereits intraoperativ durch den Schnellschnitt die Diagnose zu sichern [15]. Typische histopathologische Eigenschaften sind hierbei das vermehrte Vorhandensein von Mitosen, Kernatypien sowie Nekrosen. Darüber hinaus werden Gefäßinvasionen (37–48,2 %), Kapseldurchbrüche (26–27,7 %) sowie Organinfiltrationen (14,5 %) beschrieben [13, 22, 37]. Der Ki-67 zeigt sich beim NSD-CA bis zu 3‑fach höher als beim NSD-Adenom und kann somit ebenfalls zur Diagnosesicherung (Ki-67-Expression > 5 %) herangezogen werden [10, 38]. Zudem kann der Ki-67 auch als prognostischer Proliferationsmarker, wie beschrieben, herangezogen werden [13].
Es fehlt ein Marker, der in Grenzfällen den Nachweis eines NSD-CA sicher belegt
Trotz dieser als typisch beschriebenen histopathologischen Faktoren fehlt weiterhin ein Marker, der in Grenzfällen den Nachweis eines NSD-CA sicher belegt. Es kann damit sein, dass die Diagnose erst gestellt werden kann, wenn es klinisch zum Rezidiv kommt, indem dann erst ein histologischer Malignitätsnachweis erbracht wird.
Allerdings ist der Operateur angesichts der fehlenden diagnostischen Sicherheit im Schnellschnitt darauf angewiesen, eine mögliche Entscheidung zur Erweiterung der Resektion anhand der präoperativ bekannten Konstellation und anhand des intraoperativen Situs zu treffen. Intraoperativ sind beispielsweise ausgeprägt starke Adhärenzen mit dem Schilddrüsenlappen bzw. infiltratives Wachstum in die Schilddrüse oder benachbarten Strukturen wie auch in den N. laryngeus recurrens typisch für ein NSD-CA.
Eine derartige Entscheidung beim Primäreingriff ist deshalb wichtig, weil Ausmaß und Rate der Komplikationen beim Zweiteingriff drastisch höher sind. Vergleicht man zunächst die Raten von postoperativen Stimmlippenparesen zwischen der Op. beim klassischen pHPT und beim NSD-CA zeigt sich ein Unterschied von 1 % zu 33–38 % [4, 39]. Dies kann durch das Ausmaß der Op., aber v. a. durch eine erhöhte Rate an infiltrativem Wachstum des Tumors in den N. laryngeus recurrens erklärt werden. Allerdings kommt es durch Nachresektionen nach Erhalt der endgültigen Histologie oder Wiederholungseingriffen bei Rezidiven zu nochmals einer deutlich erhöhten Rekurrenspareserate (30- bis 60-fach) [5, 10, 40]. Dies rechtfertigt aus Sicht der Autoren im Zweifel eine primär radikalere Vorgehensweise beim Ersteingriff, wenn ein begründeter Verdacht auf ein Nebenschilddrüsenkarzinom vorliegt. Die gesamte Lebensqualität ist zudem maßgeblich durch die Rezidivfreiheit sowie eine niedrige Komplikationsrate gekennzeichnet [12, 39]. Im Fall eines Rezidivs ist daher unbedingt zur Reduktion der Morbidität die Anbindung an ein endokrin-chirurgisches Zentrum empfohlen [41].
Der postoperative (transiente) Hypoparathyreoidismus ist ebenfalls eine Komplikation, die gehäuft nach Nebenschilddrüsen-Op. auftritt, insbesondere aufgrund des „Hungry-Bone-Phänomens“ im Rahmen einer durch den PTH-Exzess verursachten sekundären Osteoporose. Bei dem Großteil der Patienten stellt sich im weiteren Verlauf eine Normalisierung des Parathormonstoffwechsels ein. Der Anteil der Patienten mit einem persistierenden Hypoparathyreoidismus wird in der Literatur mit 5,4–8,7 % angegeben [12, 42]. Die Patienten sollten aus diesem Grund und zur Vermeidung von Komplikationen sowie zur Nachsorge lebenslang endokrinologisch betreut bleiben.
Ergänzende Therapieoptionen
Aufgrund der Seltenheit des NSD-CA gibt es nur wenige Daten und damit verbunden keine Empfehlung hinsichtlich einer adjuvanten sowie generellen Therapie mittels Radiatio und/oder Chemotherapie [23, 43, 44]. Neueste Fallberichte zeigen v. a. bei disseminiertem oder metastasiertem Krankheitsverlauf eine Behandlungsoption mit einer gegen humanes Parathormon (hPTH) gerichteten Immuntherapie (Anti-hPTH-Immuntherapie) oder den Einsatz von Immuncheckinhibitoren auf [13, 45, 46]. Als im komplexen Einzelfall sinnvolle Option konnte der Nutzen einer genomischen Profilerstellung gezeigt werden [19, 47, 48].
Wenn eine chirurgische oder individualisierte Therapie nicht mehr möglich ist, können zur Vermeidung einer schweren Hyperkalzämie antiresorptiv wirkende Bisphosphonate [33] oder Kalzimimetika (z. B. Cinacalcet) sowie der monoklonale RANKL-Antikörper Denosumab [49] zu einer Linderung des Symptomatik führen und damit im Rahmen des Palliativkonzepts unterstützend helfen.
Ausblick
Aufgrund seiner Seltenheit gehört das Nebenschilddrüsenkarzinom zu den „orphan malignancies“. Es zeigt sich klinisch auffällig durch stark erhöhte Parathormonwerte sowie eine damit einhergehende ausgeprägte Hyperkalzämie. Hauptproblem in der Therapie stellt die Rezidivrate von etwa 50 % dar.
Der initial angemessen durchgeführten Op. kommt die wichtigste Bedeutung in der Therapie zu
Daher kommt der initial angemessen durchgeführten Op. mit einem erweiterten Resektionsausmaß (En-bloc-Resektion + ggf. zentrale Lymphadenektomie) die wichtigste Bedeutung in der Therapie zu. Die medikamentöse Therapie kann durch eine Reduzierung des Kalziumwerts die Beschwerden der Patienten lindern. Insgesamt bleiben viele Fragen ungeklärt. Eine wichtige Herausforderung für die Zukunft wird sein, eine spezifische prätherapeutische Diagnostik zu entwickeln, die das Nebenschilddrüsenkarzinom in der biochemischen Konstellation eines pHPT eindeutig erkennbar macht.
Infobox Falldarstellung
62-jähriger Patient mit symptomatischem pHPT
Anamnestisch seit einem Jahr rezidivierende Nierensteine, Depression seit 20 Jahren. Einnahme von Cinacalcet (Mimpara® 90 mg),
Zervikale Sonographie: orthotope, vergrößerte Schilddrüse (SD; 34 ml), mit einem Knoten rechts (9 × 11 × 15 mm), welcher sonographisch unauffällig (American College of Radiology Thyroid Imaging Reporting And Database System, ACR TIRADS 2) war. Fragliches NSD-Adenom rechts dorsal der SD (Abb. 1a).
SESTA-MIBI-Szintigraphie: vermehrte Speicherung rechts dorsal des rechten SD-Lappens/mediastinal bei sonst unauffälligem Speicherverhalten (Abb. 2b).
MRT: Konglomerattumor 7 cm vom Unterrand der Schilddrüse bis weit ins obere Mediastinum mit Ausdehnung bis dorsal des Ösophagus (Abb. 2c).
Klinischer Verlauf:
Endokrinologisches Tumorboard: bei morphologischem Verdacht auf ein malignes Wachstumsverhalten der in der MRT dargestellten Raumforderung (V. a. NSD-CA) präoperativ Durchführung einer Fluordesoxyglukose(FDG)-PET-CT empfohlen
FDG-PET: erhöhte Stoffwechselaktivität dorsal der SD – vereinbar mit einem NSD-Tumor ohne weitere Hinweise für Tumormanifestationen (Abb. 2d–f).
Indikation zur zervikalen Exploration mit Exstirpation der NSD-Raumforderung (ggf. Erweiterung des Eingriffs) bei symptomatischem pHPT mit V. a. NSD-CA
Hyperkalzäme Krise im Rahmen der Abklärung:
Adynamie, Kopfschmerzen, Übelkeit sowie Hitzewallungen und intermittierendes Herzstolpern.
Kalzium 4,5 mmol/l, PTH-Wert 2215 ng/l
Intensivstation: großzügige Volumentherapie und 90 mg Pamidronat (Bisphosphonat)
Zervikale Exploration mit En-bloc-Resektion eines 3,7 × 4,3 × 4,7 cm großen NSD-Tumors mit Hemithyreoidektomie und langstreckiger Neurolyse des N. laryngeus recurrens rechts (Abb. 2g, h).
Biochemische Heilung mit Normalisierung von Kalzium und PTH
Histologie: NSD-Gewebe inhomogen konfiguriert, partiell zystisch mit soliden Anteilen, zentralen Kalzifikationen mit fehlender Fettlamelle sowie einer möglichen Infiltration von Trachea/Ösophagus (Abb. 3), nach immunhistochemischer Aufarbeitung: Bestätigung der Diagnose NSD-CA
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Fazit für die Praxis
Das Nebenschilddrüsenkarzinom (NSD-CA) ist eine sehr seltene Erkrankung, die sich klinisch nicht eindeutig vom benignen primären Hyperparathyreoidismus (pHPT) unterscheiden lässt.
Bei stark ausgeprägten klinischen Symptomen sowie exzessiver Erhöhung von Kalzium und Parathormon sollte an die Möglichkeit des Vorliegens eines NSD-CA gedacht werden.
Besteht Malignitätsverdacht, dann sollte eine En-bloc-Resektion in Form einer Hemithyreoidektomie mit Entfernung der erkrankten Nebenschilddrüse erfolgen.
Für die gleichzeitige prophylaktische Entfernung des zentralen Lymphknotenkompartiments kann aus der bisherigen Literatur keine eindeutige Empfehlung abgeleitet werden.
Prognostisch entscheidend ist das adäquate Resektionsausmaß.
Patienten mit Verdacht auf ein Nebenschilddrüsenkarzinom sollten an endokrin-chirurgischen Zentren operiert werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
N. Schlegel und C. Lenschow geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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