Was ist eine Deutung?
Oft wird die Deutung als spezifische Interventionsform der Psychoanalyse beziehungsweise der analytisch begründeten Verfahren bezeichnet (allgemeiner Überblick bei Storck
2022). Was macht sie dazu? Der Bezug zum dynamisch Unbewussten beziehungsweise zu Wunsch und Abwehr. Die Deutung soll, im ganz eigentlichen Sinn, Unbewusstes „ansprechen“ – das ist ihr erstes Merkmal. Körner (
2015, S. 107) bezeichnet sie daher auch als „Zumutung“.
Als spezifisch psychoanalytische Intervention hat die Deutung außerdem mit der Veränderungstheorie der Psychoanalyse zu tun. Knapp gesagt: mit der Förderung von Einsicht in unbewusste konflikthafte Bedeutungen und mit einer „korrigierenden“ emotionalen Erfahrung im Rahmen der analytischen Beziehung in deren Formung durch Übertragung und Gegenübertragung.
Zum ersten Punkt, der Einsichtsförderung: Die Deutung soll Einsicht fördern beziehungsweise ist Teil eines Prozesses, durch den Einsicht erlangt wird. Entscheidend dürfte dabei sein, dass in der Deutung selbst die Einsicht noch nicht formuliert wird, sondern dass aufseiten des Analysanden oder der Analysandin mit Einsicht auf sie geantwortet wird. Die Deutung erläutert oder instruiert nicht, sondern sie ist Teil eines Prozesses. Man kann von einer prozessualen Ebene der Deutung sprechen.
Was bedeutet es, dass jemand mit Einsicht auf die Deutung antwortet? Da denken wir an das Erlangen von Zugang zu bis dahin verstellten Affekten, Vorstellungen oder deren Zusammenhängen. Die so erlangte Einsicht ist eine emotionale Einsicht (keine rationale, hergeleitete).
Zum zweiten Punkt, der Beziehungserfahrung: Deuten geschieht im Rahmen und im Medium der analytischen Beziehung. Sie erwächst aus dem Beziehungsgeschehen (und zwar auf allen drei Ebenen: der realen Beziehung, der Arbeitsbeziehung und Prozessen von Übertragung und Gegenübertragung; Gelso
2014). Und sie steht selbst nicht außerhalb der Beziehung: Das Deuten selbst ist deutungsbedürftig, insofern in ihr die analytische Beziehung fortentwickelt wird. Man kann also zudem von einer
relationalen Ebene der Deutung sprechen.
Das gilt für alle Formen der Deutung, sei es die klassische Unterteilung in Inhaltsdeutungen, Abwehr‑/Widerstandsdeutungen und Übertragungsdeutungen (zum Beispiel Ermann
2020, S. 493 f.) oder seien es „postklassische“ Formen, die mehr auf Prozess und Offenheit in der Deutung setzen. Bei der Übertragungsdeutung gibt es dabei eine Besonderheit, weil die Deutung nicht nur hinsichtlich des Rahmens, sondern auch hinsichtlich ihres Inhalts mit der analytischen Beziehung zu tun hat.
Aber möglicherweise zeigt sich hier auch die Charakteristik der Deutung in einer besonders klaren Form: Man könnte doch dafür argumentieren, dass eine Übertragungsdeutung immer dann eingesetzt werden sollte, wenn es keine „lebendige“ Übertragung gibt. Die Übertragungsdeutung würde dann die Übertragung in Gang setzen, statt sie lediglich zu benennen. Die Deutung mobilisiert die Übertragung, nicht umgekehrt. Die subjektive Entscheidung, ob eine Übertragungsdeutung gegeben werden sollte oder nicht, bemisst sich immer auch daran, ob sie für den analytischen Prozess förderlich ist oder nicht, beziehungsweise ob sie erforderlich ist oder nicht. Oft genug sprechen Patientinnen und Patienten in Übertragungsanspielungen, sind dabei aber sehr wohl bereits ihrem Erleben auf der Spur, sodass eine schlichte
Feststellung, dass es in der Rede auch eine Übertragungsbedeutung gibt, eher etwas zu
verstellen droht, als dass sie etwas öffnet. Es geht um eine Arbeit
in der Übertragung im Sinne von Körner (
2014), also um eine Weiterentwicklung der Übertragung, ohne sie nurmehr „festzustellen“.
Jedenfalls ergibt sich als ein zweites Merkmal der psychoanalytischen Deutung (neben dem Ansprechen des Unbewussten), dass es in ihr und durch sie um eine besondere Verdichtung und Dynamisierung der therapeutischen Beziehungsarbeit geht.
Was wird nun wann gedeutet? Dazu finden wir ein paar Hinweise und Modelle:
Das sind Aspekte, die im Wesentlichen damit zu tun haben, was in der Rede von Analysandinnen und Analysanden aufgegriffen wird (Warsitz [
2006] zum Kairos der Deutung).
Wie wird eine Deutung gebildet? Das wird irgendetwas mit der analytischen Subjektivität zu tun haben, mit dem Durcharbeiten der Gegenübertragung, mit szenischem Verstehen, Reverie und anderem. Woran erkennen wir „in uns“, dass und was zu deuten ist? Flapsig gesprochen: Ein Analytiker deutet, wenn „es dringend ist“.
Hier gibt es Überlegungen zum „Dringlichkeitspunkt“ (Strachey
1934) oder der „immediate anxiety“ (Joseph
1978). Auch Klein (
2019 [1936], S. 78) orientiert sich an der „Dringlichkeit des mitgeteilten Materials“ und argumentiert in Richtung einer Art von Freisetzung eines erträglichen Maßes an Angst, das in der Deutung hervorgerufen wird. In einer weiteren Variante dieser Überlegung findet sich die Argumentation über die Dringlichkeit bei Bion (
1990 [1962], S. 125) in der Bezugnahme auf die „ausgewählte Tatsache“ (was immer auch den schmalen Grat zur überwertigen Idee in der Deutungsarbeit markiert).
Gedeutet werden muss (!) also, weil das Material danach drängt. Die Deutung hilft Analysandinnen und Analysanden dabei, weniger Angst zu haben, auch wenn beziehungsweise, gerade weil kleine Dosen davon mobilisiert werden, im Schutz der analytischen Beziehung.
In Weiterführung der Gedanken Lochs präsentiert Hinz (
2009) das Begriffspaar einer optionalen und einer aktualen Deutung, das die Frage der Dringlichkeit noch etwas präziser auf den Punkt bringt. Denn in der Tat können wir ja ständig alles Mögliche deuten. Selbst wenn wir es als ein Kriterium heranziehen, dass dasjenige gedeutet wird, was in der Rede des Analysanden oder der Analysandin als präsent auftaucht oder was sich szenisch vermittelt, bleiben Optionen. Anders wäre es ja auch sehr befremdlich. Wir haben also Deutungsoptionen. Das sind, Hinz gemäß, die optionalen Deutungen. Ein Raum zu deuten ist (noch) offen.
Die aktuale Deutung hebt sich daraus hervor, mit Dringlichkeit als etwas, das ins Deuten treibt, den Spielraum einer Abwägung oder Optionalität verkleinert oder ganz wegnimmt: Es kann nicht mehr dieses oder jenes gedeutet werden, sondern es muss genau dies gedeutet werden. Dass die aktuale Deutung die Deutungsoptionen wiederherstellt, mag etwas mystisch klingen. In anderen Worten formuliert: Die Deutung braucht ein dringliches, durchaus mit Angst verbundenes Gefühl subjektiver Evidenz. „Es“ geht in einem solchen Moment nun mal nicht anders als zu deuten.
Von Abwehrprozessen („Deuten oder Untergehen“?) unterscheidet sich dies insofern, als die verbalisierte aktuale Deutung die Deutungsoptionen und damit das analytische Zuhören wiederherstellt. Auch hier: Deuten bewirkt Prozessualität.
Auf den Aspekt, wie sich Deuten zur Abwehr im Sinne eines Gegenübertragungswiderstands verhält, sollte, wenn auch knapp, etwas genauer eingegangen werden. Es hat einige Zeit gedauert, bis Fragen nach möglichen Gegenübertragungswiderständen aufseiten des Analytikers oder der Analytikerin konzeptuell ausreichende Beachtung gefunden haben (zum Beispiel dann bei Ermann
1987; Mertens
1993 [1991], S. 63).
Ermann (
1987) unterscheidet drei Formen des Gegenübertragungswiderstands:
1.
Widerstand gegen die Projektionen der Analysandin;
2.
das Entwickeln einer Gegenübertragung, die den Widerstand der Analysandin legitimiert, eine Art der „Verbündung“ oder eines „Gegenwiderstands“ im eigentlichen Sinn;
3.
das Agieren der Gegenübertragung.
Alle drei Formen können wir uns nun pseudodeutend „vom Leib halten“, etwa indem wir unbewusste Affekte deuten, indem wir etwas diagnostisch-nosologisch beziehungsweise symptomatisch verstehen oder Ähnliches. Die Dringlichkeit, die eine Deutung mit sich bringt, aus der sie erwächst, darf nicht aus einem Druck entstehen, einer Spannung auszuweichen. Vielmehr bringt sie Spannungshaftes zum Schwingen oder, wie Lacan (
1976, S. 35), betont hat: Die Deutung ist dazu da, Wellen zu schlagen.
Was kann „Probedeutung“ heißen?
Soweit kann also gesagt werden: Spezifisch psychoanalytisch ist die Ausrichtung auf dynamisch Unbewusstes und eine Vertiefung der Arbeit in der therapeutischen Beziehung unter der Betrachtung von Übertragung und Gegenübertragung.
Eine Nebenbemerkung: Gerade eine solche Annahme ist natürlich auch auf die Frage nach dem Common Ground in der Psychoanalyse bezogen, der meist – so von Wallerstein (
1988) – ja über das klinische Arbeiten zu bestimmten versucht wird. Ich habe dafür argumentiert (Storck
2023a, b), gerade den „uncommon ground“ als gemeinsamen Referenzpunkt unterschiedlicher psychoanalytische Richtungen zu verstehen: das unbekannte Terrain zu betreten, auch im Sinne einer psychoanalytischen Fähigkeit, sich erschüttern zu lassen. Analytisch setzen wir uns (mit Neugier und Mut) einer Krisenerfahrung aus, stellen uns selbst ohne Angst vor einem Selbstzerfall infrage und beziehen zugleich Position (sei es in der klinischen Arbeit, in sozialpsychologischen Fragen und anderen). Ich halte das allgemein auch für die Deutungstechnik für wichtig: Deutend begeben wir uns immer auf unsicheres, unbekanntes Terrain, Deutungen sind nicht vorgefertigt, sie sind, wie Körner (
2017) in seiner Glosse vorgeführt hat, keine Kalenderblatt-Sprüche. Aber sie sind eine Art von Statement, zu dem ein Gegenüber sich emotional verhalten kann.
Jedenfalls kann man sagen: Die Psychoanalyse ist nicht für alle etwas, auch nicht für alle Patientinnen und Patienten. Wir können auf verschiedenen Ebenen über Passung (interpersonal, auf Symptomebene, auf der Ebene der Krankheits- oder Veränderungsmodelle) oder Ähnliches nachdenken, oder aber über „Analysierbarkeit“. Gerade auf diese scheint die Probedeutung abzuzielen. Die Probedeutung soll ein Bild davon vermitteln, ob gedeutet werden kann. Auf die Probe soll gestellt werden, ob eine analytische Arbeit möglich ist.
Poland (
2002, S. 814) behauptet: Jede Deutung ist eine Probedeutung (insofern sie vom Analysanden oder von der Analysandin verarbeitet werden muss beziehungsweise auf dem Spiel steht, ob und wie sie verarbeitet wird). Im Grunde wird also immer wieder geprüft, was geschieht, wenn gedeutet wird.
Grob gesagt werden mit der Probedeutung im enger gefassten Sinn zwei Ziele verfolgt:
1.
Potenzielle Personen in Analyse erfahren, was sie erwartet, im Hinblick auf Behandlungstechnik, Verfahren und so weiter (also eine Frage des Kennenlernens der Methode).
2.
Es entsteht für die Analysierenden ein Bild von der Fähigkeit des Patienten oder der Patientin, von der analytischen Arbeit zu profitieren (also eine diagnostische Frage).
Daher kann man sagen, dass es erstens um die Frage geht „Ist die Analyse etwas für Sie?“ und zweitens um die Frage „Sind Sie jemand für die Analyse?“
Es gibt nur wenige Bemerkungen oder gar Definitionen zur Probedeutung – und in der Sichtung der Literatur zum Thema entsteht der Eindruck, dass in manchen heutigen Lehrbüchern auf den Begriff der Probedeutung Bezug genommen wird, als wäre es ein klassischer und in der Anfangszeit der Psychoanalyse einigermaßen gängiger und klar bestimmter Begriff. Allerdings ist in klassischen psychoanalytischen Texten meinem Eindruck nach von Probedeutungen überhaupt nicht die Rede (allenfalls von Probebehandlung oder Probeanalyse, und natürlich spielen Fragen der Indikation eine Rolle, aber der Begriff Probedeutung als solcher wird nicht auf der Ebene der Interventionen thematisiert).
Freud (
1913c) gebraucht in der Tat stattdessen den Begriff der Probetherapie/Probebehandlung, allerdings in einer sehr allgemeinen Weise, nämlich für Fälle, in denen eine analytische Behandlung eingeleitet wird, aber noch unklar ist, ob sie möglich ist. Es geht hier also um ein deskriptives Verständnis einer Probe.
Davon ausgehend ist der Begriff der Probedeutung in der Kurzzeit- oder Fokaltherapie erwähnt worden, nun stärker in behandlungstechnischer Hinsicht, insbesondere bei Malan (
1963). Dazu schreiben Strupp und Binder (
1993 [1984], S. 40), aus Sicht Malans empfehlen sich „Probeinterpretationen …, um zu sehen, ob der Patient bereit und fähig ist, bei der psychoanalytischen Therapie mitzuarbeiten“. Eine Form sei das Deuten der Widerstände: Wenn Widerstände nicht „aufgegeben“ werden könnten, sei Malans Methode (Kurzzeittherapie in der Nachfolge Balints) kontraindiziert (Strupp und Binder
1993 [1984], S. 41). Probedeutungen adressieren in diesem Verständnis Abwehr und Widerstand.
Hohage (
2004) kritisiert den Begriff der Probedeutung als missverständlich und zum Missbrauch verführend. Freuds Bemerkungen zur Probeanalyse würden seiner Auffassung nach missverstanden in Richtung einer Eignungsprüfung. Mit Strupp und Binder (
1993 [1984]) weist er darauf hin, dass und wie der „übertriebene Einsatz von Probedeutungen … im Einzelfall viel Schaden anrichten“ könne. Zur Eignung stellt er stattdessen die Konfrontation heraus und betont, dass Probedeutungen, die „unbewußte Bedeutungen, Motive oder Phantasien“ bloßlegen, im Erstkontakt (und ohne dass Patenten klar ist, welches Ziel damit verfolgt wird) „leicht als Verletzung der Intimitätsgrenze verstanden werden könnten“ (Hohage
2004, S. 16).
Lemma (
2003, S. 165; Übers. T.S.) definiert weniger skeptisch: Die Probedeutung helfe bei der Exploration ob,
-
der Patient oder die Patientin gegenüber eigenen Denkprozessen eine dezentrierte und beobachtende Position einnehmen kann;
-
der Patient oder die Patientin das, was wir [analytisch; T.S.] anbieten können, auch aufnehmen und nutzen kann;
-
der Patient oder die Patientin mit einem Fokus arbeiten kann, insbesondere wenn eine Kurzzeittherapie in Betracht kommt.
In der OPD‑3 (Arbeitskreis OPD
2023) wird der diagnostische Teil der Probedeutung im Hinblick auf Einsichtsfähigkeit oder Behandlungsmotivation betont. Da üblicherweise im diagnostischen Interview noch kein sicherer Rahmen gegeben sei, sollten Deutungen als „diagnostische Probedeutungen“ gegeben werden (Arbeitskreis OPD
2023, S. 252).
Als diejenige Arbeit, die sich am detailliertesten an eine konzeptuelle Untersuchung von „Probedeutung“ wagt, ist die von Dantlgraber (
1982) zu nennen. Der Autor führt hier im Hinblick auf die „Analysierbarkeit“ den Begriff einer „subjektiven Indikation“ ein. Der Begriff changiert, es geht um die Subjektivität des Analytikers
und die des Analysanden. Die subjektiven Möglichkeiten des Analysanden seien beurteilbar „durch die Subjektivität des Analytikers“ (Dantlgraber
1982, S. 194), insofern es nämlich um die Frage geht, „ob und inwieweit beide Partner des analytischen Diskurses fähig sein werden, miteinander eine emotionale Erfahrung zu machen“ (Dantlgraber
1982, S. 195). Dies versteht er als eine „Begegnung im symbolischen Raum“ (Dantlgraber
1982, S. 206).
Daran anknüpfend ist zu fragen ist, wie – jenseits der Haltung und der Bereitstellung eines Rahmens – diese Begegnung im symbolischen Raum durch Interventionen hergestellt werden kann. Genauer geht es bei der subjektiven Indikationsstellung um „die Untersuchung der inneren Bedingungen beim Patienten, die zur Ausbildung einer Übertragungsneurose vorausgesetzt werden müssen“ (Dantlgraber
1982, S. 208). Diese Überlegung berührt die von Glover (
1954, S. 395) gebrauchte Formulierung eines „transference potential“, also der Übertragungsbereitschaft (vgl. auch die Überlegungen von Parin
1958 zur Indikation). Entscheidend dürfte es meines Erachtens heute sein, nicht zu prüfen,
ob es eine Übertragungsbereitschaft gibt oder nicht, sondern dass es um ein Prüfen der
Art und
Form der Übertragung geht.
Es geht bei der Probedeutung als Prüfung der Analysierbarkeit/subjektiven Indikation also um die Frage, wie sich Übertragungen konstellieren beziehungsweise welche: „Mit der Probedeutung wird somit der Fokus der in der Erstuntersuchung konstituierenden Übertragungs-Dynamik formuliert“ (Dantlgraber
1982, S. 209). Ihre Inhalte sind „[b]estimmte in der Erstuntersuchung dargestellte pathologische Interaktionsmuster“ (Dantlgraber
1982, S. 209).
Zwei Aspekte sind Dantlgraber (
1982, S. 210) im Hinblick auf die Probedeutung besonders wichtig:
1.
„daß der Analytiker den affirmativen Charakter der Abwehr achtet“;
2.
„daß der Analytiker den Patienten von sich aus besetzen können muß“.
Das wird folgendermaßen begründet: Solange es noch nicht eingetreten ist, dass der Analytiker mit dem Primärobjekt in eins gesetzt werde, solle die Abwehr nicht Inhalt der Probedeutung werden. Denn mit dieser könne auf Patientenseite nicht konstruktiv umgegangen werden, wenn die „dadurch vermittelte Einsicht“ die Beziehung zu den Primärobjekten gefährde (Dantlgraber
1982, S. 209). Es solle, darin besteht der zweite eben genannte Punkt, „aus der konkordanten Identifizierung“ interveniert werden (Dantlgraber
1982, S. 210). Der Gedanke ist: Die Probe
deutung erfolgt in (konkordanter) Probe
identifizierung mit dem Analysanden und soll den Effekt haben, eine positive Besetzung des Analytikers und eine symbolische Begegnung zu ermöglichen. Anders gesagt: Sie stellt auf die Probe, ob dies gelingt (= ob beide einander besetzen können). Es wird also weniger die Antwort auf eine Deutung von Widerständen geprüft, sondern die Art der Übertragung-Gegenübertragung-Beziehung auf die Probe gestellt.
Jetzt kann man fragen: Ist es sinnvoll, die analytische Indikation darüber zu prüfen, ob im Erstkontakt positive Besetzungen möglich sind? Einerseits ist dem zuzustimmen, aber das ist vielleicht andererseits nicht alles, von dem ein Bild entstehen sollte. Interessanterweise ist das Verständnis der Probedeutung bei Dantlgraber dialektisch angelegt: Es geht um die Verbindung „im symbiotischen Kanal“ (Dantlgraber
1982, S. 212), aber zugleich auch um die Abschätzung der „Schmerzfähigkeit des Patienten innerhalb der aktuellen Beziehung“ (Dantlgraber
1982), um die Möglichkeit der Ertragbarkeit von Verlust und Trennung – und um die Fähigkeit zur Beendigung der analytischen Beziehung (indirekt damit also auch um die Frage: Welches Maß an Loslösungsaggression ist möglich?).
Etwas, formal gesprochen, geht es dann eigentlich um etwas, das man die „relationale Indikationsstellung“ nennen könnte. Diese wird wichtig für die Psychoanalyse im Hinblick auf dynamisch Unbewusstes und die Übertragungsarbeit. Die Probedeutung muss daher meinem Verständnis nach nicht immer die Übertragung zum Inhalt haben, aber sie ist notwendigerweise darauf bezogen.
Was kann also über die Probedeutung gesagt werden?
Eine Probedeutung stellt nicht einfach nur den potenziellen Analysanden oder die potenzielle Analysandin auf die Probe, sondern auch das Verstehen des Analytikers beziehungsweise der Analytikerin. Ein erstes Merkmal der Probedeutung dürfte es sein, dass sie gegeben wird, bevor sich das Gefühl „subjektiver Evidenz“ (vollständig) eingestellt haben kann. Sie nimmt sich in konkordanter Probeidentifizierung eher Wunsch, Affekt oder Selbstbild zum Gegenstand als die Abwehr.
Sie folgt immer auch einer „externen Dringlichkeit“ (im Hinblick auf Indikationsstellung und Behandlungsplanung) und, relativ dazu gesehen, weniger der Dringlichkeit, wie Strachey (
1934) oder Joseph (
1978) sie beschrieben haben. Es wird etwas weniger abgewartet. In diesem Sinn ist die Probedeutung ein Sich-Vorwagen, ein verfrühtes Deuten, das aber nicht „wild“ sein darf.
Das wiederum wirft die Frage auf, was die Probedeutung vor der Beliebigkeit schützt. Auch die Probedeutung, das ist ihr drittes Merkmal, fußt auf der szenischen Unmittelbarkeit der Begegnung in einer analytischen Stunde. Sie beruht aber auf einem weniger abgeschlossenen Prozess des szenischen Verstehens (Überblick bei Storck
2023c) einer noch stärker ungesättigten Szene.
In Behandlungen, zumal in der Einleitungsphase, begegnet es uns außerdem nicht selten, dass die Wirkung einer Deutung oder anderen Intervention, sich erst in der Folgestunde einschätzen lässt beziehungsweise zeigt. Die unmittelbare Antwort eines Patienten oder einer Patientin in der Stunde darauf mag sich durchaus davon unterscheiden, wie er oder sie in der folgenden Stunde darauf explizit oder implizit Bezug nimmt. Oft kommt es vor, dass eine zunächst zurückgewiesene Deutung später in anderer Form anerkannt wird und/oder Wirkung gezeigt hat.
Meiner Auffassung nach kommt daher noch ein viertes Merkmal der Probedeutung hinzu, nämlich dass das, was durch sie „geprüft“ wird, im Vergleich zu Deutungen in einer bereits begonnenen Psychoanalyse, stärker
zwischen den Stunden liegt. Der Blick auf das „Ergebnis“ der „Probe“ dürfte meines Erachtens stark in der Folgestunde liegen, wenn sich zeigt, wie jemand etwas aufgenommen hat. Die Probedeutung stellt also auch auf die Probe, wie ein potenzieller Analysand oder eine Analysandin zwischen den Stunden mit dem umgeht, was sich in der Stunde gezeigt hat, und zwar in zweierlei Weise: Kommt es zu einem analytischen Nacharbeiten (Zwiebel
2019)? Und kann sich jemand zugleich auch genügend durch den außeranalytischen Alltag bewegen und Themen in der Folgestunde wieder aufnehmen, ohne diese durchgehend präsent haben zu müssen?