Stammzelltherapie bremst fortgeschrittene MS

Eine Therapie mit autologen mesenchymalen Stammzellen scheint eine progrediente MS deutlich zu bremsen. In einer Phase-2-Studie wurden neue Schübe fast komplett verhindert und die Krankheit schritt kaum noch voran. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Für Patienten mit schwer zu kontrollierender und besonders aggressiver schubförmiger Multipler Sklerose kann eine Zerstörung des Immunsystems mit anschließendem Neustart über zuvor entnommene hämatopoetische Stammzellen die Krankheit über viele Jahre zum Stillstand bringen. Allerdings ist der myeloablative Teil der Behandlung mit erheblichen Risiken verbunden, sodass das Verfahren meist nur als Ultima Ratio eingesetzt wird. Einen ganz anderen Ansatz verfolgen Forscher mit einer Transplantation mesenchymaler autologer Stammzellen. Diese sollen primär das außer Kontrolle geratene Immunsystem modulieren und die Regenerationsprozesse im Gehirn fördern. So ließ sich in Tierversuchen mit mesenchymalen Stammzellen die Myelinbildung ankurbeln. Eine Myeloablation erfolgt bei dieser Behandlung nicht, sodass sich die Nebenwirkungen in Grenzen halten. Erste Humanstudien bei Patienten mit MS und ALS sprechen für einen gewissen Nutzen bei vertretbaren Risiken, unklar ist aber noch, welche Applikationsform die beste ist. Genügt eine simple intravenöse Infusion oder müssen die Zellen in den Liquor verfrachtet werden? Eine Phase-2-Studie, die jetzt auf dem Kongress der europäischen MS-Gesellschaft ECTRIMS vorgestellt worden ist, spricht vor allem für einen Vorteil bei intrathekaler Behandlung. An der Studie nahmen 48 Patienten mit aktiver progredienter MS teil. Alle waren bereits erfolglos mit mindestens einem MS-Medikament behandelt worden und wiesen im Vorjahr eine deutliche EDSS-Verschlechterung von im Mittel rund 0,7 Punkten auf. Mit einem EDSS-Wert von etwa 6 Punkten war die Erkrankung bereits deutlich fortgeschritten. Neun hatten eine primär progrediente MS, die übrigen litten an einer sekundär progredienten Erkrankung, erläuterte Professor Dimitrios Karussis vom MS-Zentrum der Hadassah-Klinik in Jerusalem. Schubreduktion um 90% Die Ärzte entnahmen den Patienten mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark, expandierten diese in vitro und verabreichten den Betroffenen die eigenen Stammzellen jeweils in einer Dosis von 1 Million Zellen pro kg Körpergewicht. Dazu wurden die MS-Kranken in drei gleich große Gruppen aufgeteilt: Eine bekam die Stammzellen intrathekal verabreicht (plus intravenös Placebo), eine weitere erhielt sie intravenös (plus intrathekal Placebo), die dritte erhielt nur Placebo (intrathekal plus intravenös). Nach sechs Monaten erfolgte ein weiterer Zyklus. Dabei bekamen die Patienten in der Placebogruppe entweder die intravenöse oder die intrathekale Applikation, die übrigen Teilnehmer Placebo oder erneut die Behandlung des ersten Zyklus. Die Forscher konnten damit den Verlauf in den Placebophasen mit dem Verlauf nach intrathekaler oder intravenöser Applikation vergleichen, zudem den Verlauf bei einer durchgehend intrathekalen oder intravenösen Therapie. In den gepoolten Placebophasen nahm der EDSS-Wert innerhalb von sechs Monaten im Schnitt um 0,2 Punkte zu, mit der intrathekalen Applikation nahm er hingegen um 0,3 Punkte, mit der intravenösen Therapie um 0,1 Punkte ab. Die Unterschiede im Vergleich zu Placebo waren jeweils statistisch signifikant, aber nicht die zwischen intrathekaler und intravenöser Applikation. Hier zeigten sich jedoch deutliche Unterschiede bei Patienten, welche die jeweilige Applikation in beiden Zyklen bekommen hatten: Mit der intrathekalen Therapie war der EDSS-Wert nach einem Jahr um 0,2 Punkte reduziert, mit der intravenösen Behandlung blieb er konstant. Empfehlung der Redaktion Highlights vom ECTRIMS-Kongress 2019 Das European Committee for Treatment and research in multiple sclerosis (ECTRIMS) traf sich zu seinem Kongress 2019 in Stockholm. Diskutiert wurden u.a. B-Zellen als neue Therapieoption, der Nutzen der Stammzelltransplantation oder was beim Impfschutz von MS-Patienten zu beachten ist. Noch deutlichere Unterschiede gab es bei der Schubzahl: In den Phasen nach intrathekaler Behandlung traten insgesamt zwei MS-Schübe auf, in denen nach intravenöser Therapie zehn und unter Placebo 18 – hier war also die Hälfte der Patienten betroffen. Die intrathekale Behandlung kann nach diesen Daten die Schubzahl um rund 90% reduzieren, erläuterte Karussis. Keinerlei Krankheitsaktivität zeigten 45% der Patienten nach intrathekaler, 28% nach intravenöser Stammzelltherapie sowie 10% nach einer Placebobehandlung. Unerwünschte Wirkungen traten in allen Gruppen ähnlich häufig auf, die meisten ließen sich auf die Prozedur zurückführen, Hinweise auf ungünstige Effekte der Stammzellen konnten die Forscher um Karussis nicht erkennen. Sie schließen daraus auf eine gute Sicherheit der Stammzelltherapie, wobei eine wiederholte intrathekale Anwendung den größten Erfolg verspricht. Nun müssten größere Phase-3-Studien zeigen, ob sich die Erkrankung damit auf längere Sicht bremsen lässt. Quelle: 35th Congress oft the European Committee for Treatment and Research in Multiple Sclerosis (ECTRIMS), Stockholm, 11.-13.9.2019. Scientific Session 5: DMT in progressive MS. Das Wichtigste in Kürze Frage: Ist die mesenchymale Stammzelltransplantation bei progredienter MS eine wirksame Option? Antwort: In einer Phase-2-Studie konnten wiederholte Therapiezyklen mit autologen knochenmarksbasierten Stammzellen MS-Schübe fast komplett verhindern und die Behinderungsprogression stoppen. Bedeutung: Eine Behandlung mit intrathekal verabreichten mesenchymalen Stammzellen hat bei progredienter MS möglicherweise ein günstiges Risiko-Nutzen-Verhältnis. Einschränkung: Geringe Teilnehmerzahl, Phase-3-Studien nötig.

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