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AE-Manual der Endoprothetik
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Publiziert am: 15.09.2022

Komplikationen der Hüftendoprothetik: Periprothetische Frakturen des Azetabulums

Verfasst von: Carsten Perka
Periprothetische Frakturen des Azetabulums stellen weiterhin eine seltene Entität dar. Dabei überwiegen Frakturen mit schlechter Knochenqualität und -quantität. Aus diesem Grund sind osteosynthetische Techniken allein seltenst indiziert. Wenn immer die Knochensubstanz es erlaubt und eine ausreichende Vitalität des Knochens vorliegt sollte bei Frakturen des hinteren Pfeilers zunächst an eine Osteosynthese gedacht werden. Technisch ist dabei neben der Stabilisierung durch eine oder mehrere Platten die zusätzliche Stabilisierung durch multiple, in eine Press-fit-Pfanne in unterschiedlichen Richtungen eingebrachte Schrauben notwendig. Somit wird die Pfanne de facto ebenfalls zu einer „Osteosyntheseplatte“. Ist die Knochensubstanz defizitär oder avital, kann die Stabilität nur durch ein Implantat erreicht werden. Dies erfolgt meist in einer sog. Cup-Cage-Technik unter Distraktion der beiden Beckenhälften. Aufgrund der Fallzahlen ist die Evidenz für alle Techniken gering, sodass heute keine klaren Empfehlungen gegeben werden können.

Epidemiologie und Pathogenese

Periprothetische Frakturen des Azetabulums sind im Vergleich zu denen des Femurs außerordentlich selten. In der Literatur wird die Häufigkeit mit 1:5400 bei zementierter Implantation und 1:1500 bei zementfreien Implantationen angegeben. Häufigster auslösender Mechanismus sind das Einschlagen der Press-fit-Pfanne und das Eindrehen einer Schraubpfanne, die zur periprothetischen Azetabulumfraktur führen. Selten ist die rein traumatische Entstehung durch ein adäquates Ereignis (Abb. 1a).
Die häufigste Ursache sind schleichende Frakturen des Azetabulums bei ausgedehnten Osteolysen. Diese finden sich sowohl nach zementfreien als auch nach zementierten Versorgungen.
Problematisch ist die Frage, ob die vorliegende Fraktur akut eingetreten ist. Einziges typisches Hinweiszeichen ist das plötzlich auftretende Schmerzereignis. Jedoch kann auch dann nicht immer entschieden werden, ob es sich um ein schleichendes Ereignis handelte, bei dem es jetzt lediglich zum endgültigen Versagen des knöchernen Lagers und somit zur klinischen Symptomatik kam, oder um eine wirklich traumatische Fraktur.
Für akute Frakturen mit erhaltenem hinteren Pfeiler sollte zunächst immer an eine Osteosynthese gedacht werden.

Risikofaktoren

Risikofaktoren sind präoperativ bestehende Knochendefekte, die Osteoporose und auch bereits vorliegende Osteolysen.

Klinik

Anamnestisch wird ein unterschiedlich schweres Trauma angegeben. Klinisch steht die plötzliche Schmerzentstehung bzw. -zunahme im Vordergrund. Die Veränderungen können radiologisch in Röntgenaufnahmen a.-p. und in Schrägaufnahmen nach Judet gesichert werden. Immer häufiger wird heute aus juristischen Gründen bzw. zur 3D-Visualisierung eine Computertomografie veranlasst (Abb. 1b). Der Operateur sollte dem bildgebenden Verfahren vertrauen, mit dem er die größeren Erfahrungen besitzt.
Betroffen können grundsätzlich alle Abschnitte des Azetabulums sein, d. h. der vordere oder hintere Pfeiler, die mediale Wand und das Ilium („kranialer Dom“). Für die Stabilität der aktuell implantierten Pfanne am relevantesten ist der kraniale Dom, für die notwendige Verankerung eines neuen Implantats sind es der hintere Pfeiler und der kraniale Dom.

Einteilung

Die verbreitete Einteilung nach Peterson unterscheidet einen Typ 1, d. h. einer Fraktur bei stabilem Implantat, von einem Typ 2, d. h. einer Fraktur bei instabilem Implantat.

Therapie

Die Stabilität des Implantats entscheidet über die Therapie!
Ist das Implantat stabil, kann eine konservative Therapie durchgeführt werden. Die Stabilität ist anzunehmen, wenn
  • keine typischen radiologischen Lockerungszeichen vorliegen,
  • keine subjektiven Beschwerden bis zur Operation bestanden und
  • ein Zeitraum größer als 2 Jahre seit der Primäroperation (Dauer bis zur Integration) vergangen ist (Abb. 2).
Zeitnah zu Operationen, d. h. innerhalb von 3–6 Monaten auftretende periprothetische Frakturen sind nahezu ausnahmslos instabil.
Definitiv instabil sind intraoperativ auftretende periprothetische Frakturen des Azetabulums. Diese bedürfen einer sofortigen Versorgung, auch wenn die Fragmente (noch) nicht dislozieren. Dies würde aber mit höchster Wahrscheinlichkeit mit dem Einsetzen der Belastung resultieren.
Periprothetische Frakturen des Azetabulums stellen per se keine Indikation für erweiterte Zugänge dar. Das Risiko einer Devitalisierung ausgewählter Knochenabschnitte, von Wundheilungsstörungen und Infektionen ist mit diesen Zugängen signifikant erhöht. Jedoch sollten diese bekannt sein, wenn die Fraktursituation dies erfordert.

Planung

1.
Wichtig ist initial die Wahl des Zuganges. Mit einem hinteren Zugang ist die Versorgung nahezu aller Frakturtypen technisch am einfachsten zu lösen. Der posterolaterale Kocher-Langenbeck-Zugang wird daher empfohlen.
 
2.
Zu beurteilen sind die Knochenqualität und die Menge vitalen Knochens des hinteren Pfeilers.
 
Das grundsätzliche Prinzip der Versorgung besteht darin, dass die Frakturen am posterioren Pfeiler durch eine Osteosynthese fixiert werden und anschließend die Gesamtfraktur durch das überbrückende Implantat nochmals stabilisiert wird. Aus unserer Sicht ist die Stabilität im Ilium von herausragender Bedeutung. Demgegenüber sind die Stabilität und die Fragmentposition am Pfannenboden bzw. des vorderen Pfeilers sekundär bzw. sogar vernachlässigbar.

Technik

Es bestehen 2 Erfolgsfaktoren:
1.
Die Versorgung bei intraoperativ eingetretenen Frakturen und bei periazetabulären Frakturen mit guter Knochensubstanz des hinteren Pfeilers erfolgt zunächst durch die Osteosynthese der Fraktur, d. h. durch eine Einzelplatten- oder Doppelplattenosteosynthese.
 
Ein stabiler hinterer Pfeiler ist der Schlüssel für eine erfolgreiche operative Versorgung.
2.
Die Wahl des Pfannenimplantats richtet sich dann nach der erreichten Stabilität der Frakturversorgung, der Größe des bestehenden Knochendefektes, der Knochenqualität und dem eventuellen Vorliegen weiterer Frakturen neben dem hinteren Pfeiler.
 
Vorgegangen werden sollte wie folgt:
I.
Bei guter Knochenqualität, guter Frakturstabilität und lediglich kavitären oder segmentären Defekten erfolgt die Versorgung mit einer „multi-hole“ Press-fit-Pfanne, sofern diese eine Stabilität bei der Implantation erreicht. Die Schrauben werden dabei nach oben ins Ilium und nach unten in Richtung des Sitzbeines eingebacht, womit die Pfanne faktisch als zusätzliche Platte (Osteosynthesematerial) dient. Einzelne Autoren postulieren die Notwendigkeit einer Schraube ins Os pubis, was jedoch noch nicht ausreichend belegt ist.
 
II.
Bei schlechter Knochensubstanz, wenig stabiler Osteosynthese und größeren Substanzdefekten ist die hemispärische Pfanne nicht ausreichend zu verankern. Hier stellt heute das Cup-Cage-Prinzip den weltweiten Standard da. Dabei wird die eingebachte Pfanne durch einen zusätzlichen Stützring, der sich am Ilium abstützt und idealerweise in das Ischium eingeschlagen wird, für die Zeit des Einwachsens vor einer zu hohen Belastung geschützt. Das Konstrukt wird dann mit Schrauben am Ilium und besonders wichtig mit Schrauben, die durch den Stützring und die Pfanne gehen, im Ilium bzw. auch Ischium verankert. In das Konstrukt wird dann eine Pfanne einzementiert. Da die Positionierung der unteren Lasche häufig Probleme macht und gerade bei gleichzeitiger Osteosynthese eine Interferenz mit den eingebrachten Schrauben Schwierigkeiten verursachen kann, wird die Entfernung der unteren (Ischium-)Lasche empfohlen. Dieser „half cup-cage“ ist mechanisch etwas weniger stabil, jedoch in der Handhabung deutlich einfacher (Abb. 3).
 
III.
Machen die erreichbare Stabilität und die Knochenqualität ein Einwachsen des Knochens in ein Implantat unwahrscheinlich, kann die Überbrückung der Fraktur auch durch einen konventionellen Cage (z. B. Burch-Schneider-Stützschale) erreicht werden. Ein solches Implantat wächst zwar nicht ein, erreicht seine Stabilität aber durch die große Auflagefläche. Eine Verschreibung mit mindestens 5, im Regelfall Spongiosaschrauben ist aber notwendig (Abb. 4).
 
IV.
Alternativ ist die Verwendung von Implantaten mit ausschließlicher Verwendung im Ilium möglich. Implantate, wie die Sockelpfanne (inzwischen nur noch als Sonderanfertigung verfügbar), die Kranialpfanne (Aesculap-AG, Tuttlingen, BRD) zeigen mit diesem Konzept gute Ergebnisse bei jedoch nur wenigen verfügbaren Daten.
 
V.
Generell gilt: Liegt die Operation länger zurück bzw. liegt eine schleichende Fraktur vor, muss neben der Stabilisierung der Fraktur und der stabilen Pfannenverankerung die Rekonstruktion der vorliegenden Knochendefekte (Osteolysen) erfolgen.
 
Die alleinige Osteosynthese nach periprothetischen Azetabulumfrakturen stellt die Ausnahme dar.
Zu den in der Literatur existierenden Berichten, über die zusätzliche Versorgung mit Kabeln, können hier aufgrund der fehlenden Erfahrungen keine Aussagen gemacht werden.
Für alle Techniken gilt: Vergleichende Daten fehlen jedoch bisher aufgrund der begrenzten Fallzahlen.

Fazit für die Praxis

Die periprothetische Fraktur des Azetabulums bedarf immer der kritischen Bewertung der Vitalität der frakturierten Knochen, der Menge der Knochensubstanz im Frakturgebiet sowie der Stabilität des Implantats. Eine Lockerung des Implantats ist weit wahrscheinlicher als eine stabile Situation. Nur in wenigen Fällen kann durch eine alleinige Osteosynthese eine ausreichende Stabilität erreicht werden. Standard ist die Kombination osteosynthetischer Techniken mit Implantation einer Press-fit-Pfanne. Diese muss in vielen Fällen zusätzlich durch einen Abstützring (Cup-Cage-Technik) stabilisiert werden.
Literatur
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