Einleitung
Der amputierte Patient ist durch den Verlust der Extremität in seinen funktionellen Möglichkeiten und Fähigkeiten eingeschränkt. Je nach Amputationshöhe resultieren mehr oder minder starke Beeinträchtigungen im Alltag. Die gutachterliche Bewertung der Folgen der Amputation richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen der Begutachtung in den unterschiedlichen Sparten unseres Sozialversicherungssystems. Hierzu gibt es je nach Versicherung Einschätzungsempfehlungen für den Gliedmaßenverlust. Gerade in den letzten Jahren hat sich hierzu eine Diskussion um notwendige Angleichung der unterschiedlichen Tabellensysteme in den verschiedenen Versicherungssystemen entwickelt.
Die jeweiligen Tabellensysteme orientieren sich in aller Regel an der Höhe der Amputation. Neben der reinen Beurteilung im Hinblick auf die Amputationshöhen sind aber insbesondere die funktionellen Folgen des Gliedmaßenverlusts in ihren Auswirkungen auf das Individuum als Ganzes zu berücksichtigen. Dabei sind neben dem Verlust, den rein somatischen Folgen und Komorbiditäten auch die psychischen Folgen des Extremitätenverlusts mit zu berücksichtigen. Eine Begutachtung beim amputierten Patienten ist daher kein starres Vorgehen nach vorgegebenen MdE- oder GdB-Sätzen, sondern die Beurteilung eines Individuums als Ganzes.
Die Begutachtung erfordert immer eine genaue Untersuchung des Patienten unter Wertung und Berücksichtigung des Krankheitsverlaufs, der Vorgeschichte und des Umfelds. Zu berücksichtigen sind der körperliche und psychische Zustand. Eine Begutachtung erfordert eine standardisierte Befunderhebung, im orthopädischen Bereich immer unter Nutzung der Neutral-Null-Methode und gegebenenfalls durchzuführender weiterer diagnostischer Maßnahmen und Zusatzuntersuchungen (beispielsweise Röntgen, Sonografie, Dopplerverschlussdrücke).
Grundbegriffe zu den Versicherungssystemen
Gesetzliche Unfallversicherung
Die gesetzliche Unfallversicherung ist die Pflichtversicherung für alle Beschäftigten und andere, näher definierte Personenkreise (Paragraf 2,3 SGB VII). Für eine Entschädigungsleistung muss dementsprechend entweder ein Arbeits- oder Wegeunfall ursächlich sein. Bei diesem Unfallereignis muss es sich definitionsgemäß um ein zeitlich begrenztes, von außen auf den menschlichen Körper einwirkendes Schädigungsereignis handeln, das unfreiwillig zu Gesundheitsschäden führt (somatischen und/oder psychischen). Die Entschädigung erfolgt durch die Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE). Diese bezieht sich auf die beeinträchtigte Arbeitsmöglichkeit auf dem gesamten Bereich des Erwerbslebens (allgemeiner Arbeitsmarkt).
Private Unfallversicherung
Bei der privaten Unfallversicherung handelte sich um eine freiwillige, privatrechtliche Versicherung mit separater Vertragsgestaltung und spezifischen allgemeinen Versicherungsbedingungen. Die Entschädigungsleistung nach einem unfallbedingten Extremitätenverlust wird nach einer Gliedertaxe bewertet und orientiert sich in der Regel prozentual an sogenannten Arm- oder Beinwerten. Eine Besonderheit der privaten Unfallversicherung ist dabei, dass eine eventuelle Vorinvalidität an den Extremitäten berücksichtigt werden muss und in Abzug zu bringen ist, ebenso werden unfallfremde Mitwirkungen berücksichtigt, wenn diese mindestens 25 % betragen. Eine weitere Besonderheit liegt darin, dass bei der privaten Unfallversicherung je nach Berufsgruppe gegebenenfalls erhöhte Arm-/Hand-/Fingerwert-Tabellen definiert sind (beispielsweise für Ärzte).
Schwerbehindertenrecht
Das Schwerbehindertenrecht orientiert sich am Eintritt eines entsprechenden Bedarfs auf sozialem Sektor, bei dem ein Betroffener mit eingetretener Behinderung einer Hilfe durch die Gemeinschaft bedarf und somit eine soziale Bedürfnissituation entsteht. Als Behinderung werden dabei alle Funktionsstörungen auf körperlichem, geistigem und seelischem Gebiet verstanden, die mindestens 6 Monate andauern und von den für das Lebensalter typischen Zuständen abweichen und zu Teilhabeeinschränkungen führen. Das Maß für die Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft wird mit dem Grad der Behinderung (GdB) beschrieben. Bei Extremitätenverlusten liegt eigentlich immer ein Grad der Behinderung vor. Zur Bewertung orientiert sich der Gutachter an vorgegebenen GdB-Tabellen, die regelmäßig überarbeitet werden. Veröffentlicht werden diese in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen, die seitens der Ämter und Gerichte für Begutachtungen vorausgesetzt werden.
Gesetzliche Rentenversicherung
Die Begutachtung in der gesetzlichen Rentenversicherung orientiert sich an der Frage der Möglichkeit und Fähigkeit des Betroffenen, noch einer Erwerbsfähigkeit nachzugehen. Der Gutachter muss in diesen Fällen ein sogenanntes positives und negatives Leistungsbild erstellen, was die Fähigkeiten des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt abstrakt skizziert. Das positive Leistungsbild beschreibt dabei die abstrakten Fähigkeiten, die dem zu begutachtenden Patienten noch verbleiben bzw. zur Verfügung stehen (beispielsweise Gehen, Stehen, Sitzen, Hocken, Knien vornübergebeugtes Arbeiten etc.), das negative Leistungsbild beschreibt die Anforderungen, die dem Betroffenen nicht mehr zugemutet werden sollten. Für die Reintegrationsfähigkeit an den Arbeitsmarkt ist das positive Leistungsbild das wichtigere. Der wesentliche Schlüsselbegriff für die gesetzliche Rentenversicherung ist dabei die verminderte Erwerbsfähigkeit, die in einer 2-stufigen Begutachtung einerseits auf das erlernte bzw. langjährig durchgeführte letzte berufliche Profil bezugnehmend, andererseits aber (und dies ist wesentlicher) auf die Erwerbsfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt abhebt. Im Hinblick auf die Erwerbsfähigkeit wird dabei neben der qualitativen Beurteilung (siehe oben) auch eine quantitative Beurteilung abgegeben. Ist der Versicherte in der Lage, mehr als 6 Stunden eine Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verrichten, somit besteht volle Erwerbsfähigkeit, ist er nur noch 3–6 Stunden täglich einsetzbar, so besteht eine teilweise Erwerbsminderungsfähigkeit. Ist der Versicherte nur noch unter 3 Stunden auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt einsetzbar, so besteht ein voller Erwerbsminderungsrentenanspruch.
Im Hinblick auf die Begutachtung von Patienten nach Extremitätenverlusten ist insbesondere die Frage der Wegefähigkeit zu beleuchten. Nach allgemeiner Rechtsprechung ist derjenige erwerbsunfähig, der nicht in der Lage ist, selbst unter Verwendung von Hilfsmitteln wie beispielsweise Prothesen mindestens 4 x täglich eine Gehstrecke von mehr als 500 m in einem zumutbaren Zeitaufwand zu Fuß zurückzulegen (in etwa 20 Minuten) und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit zu nutzen (Urteil BSG vom 17.12.1991, Aktenzeichen 13-5 RJ 73–90).
Gutachterliches Vorgehen
Im Vorfeld der Begutachtung bei amputierten Patienten empfiehlt es sich zunächst, sich eingehend mit der bisherigen Aktenlage vertraut zu machen. Dies beschleunigt das spätere gutachterliche Vorgehen deutlich und vermeidet, dass wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt werden. Zudem ist dringend dazu zu raten, sich mit den Fragen der Beweisanordnung bzw. der Versicherungen detailliert auseinanderzusetzen und diese später zu beantworten.
Im Rahmen einer detaillierten Anamnese werden die Ursachen der Amputation, deren Nachbehandlung, die erste Prothesenversorgung, Prothesenfolgeversorgungen, Probleme im Umgang bzw. der Nutzung von Prothesen sowie durchgeführte schmerztherapeutische Behandlungen, medikamentöse
Schmerztherapien erfragt. Dabei muss man spezifisch unterscheiden zwischen Phantomgefühlen, Phantom- oder
Stumpfschmerzen. Es schließt sich die allgemeine Anamnese zu Komorbiditäten, Operationen, Frakturen an, eine vegetative Anamnese sowie eine detaillierte Anamnese im Hinblick auf das Umfeld (Kontextfaktoren) und die berufliche Einsatzfähigkeit bzw. Situation am Arbeitsplatz. Abgerundet wird die Anamnese durch die medikamentöse Anamnese.
In der Anamnese sollten unbedingt abgefragt werden:
Übliche Gehstrecke, längste Gehstrecke, längste Gehstrecke am Stück, Örtlichkeiten, wo die Prothese am meisten genutzt wird (Innenbereich, Außenbereich).
Wichtige Aspekte sind zudem die Tragedauer der Prothese über den Tag in Stunden. Üblicherweise wird die Aktivität des Amputierten heute in sogenannte Mobilitätsklassen eingeteilt (Tab.
1).
0 | nicht gehfähig (Prothese aber gegebenenfalls zum Transfer) |
I | Innenbereichsgeher |
II | beschränkter Außenbereichsgeher |
III | Außenbereichsgeher |
IV | Außenbereichsgeher mit besonderen Ansprüchen (beispielsweise Sport) |
In der Folge erfolgt die Beurteilung des Gangbilds mit Schuhen bzw. gegebenenfalls barfuß (was bei Amputation an der unteren Extremität durch Probleme beim Laufen mit dem Prothesenfuß in der Regel schwierig ist). Dabei werden eingesetzte Hilfsmittel beschrieben, Einlagen und Schuhzurichtungen erwähnt. Bei den Einlagen und Schuhzurichtungen wird auch auf Belastungsspuren (Schweißspur, Sohlenabrieb) geachtet. Bei der klinischen Beurteilung des Gangbilds achtet man auf Symmetrie der Gangphasen (Stand-, Schwungphase), Abrollverhalten, Ausweichbewegungen an Becken und Rumpf (beispielsweise Rumpfüberhang über die Prothesenseite), Zirkumduktion des Beins, Beckenbewegungen. Typische Gehfehler im Gangbild des Amputierten werden aufgeführt (beispielsweise verstärktes Anheben des Beckens auf der betroffenen Seite). Das Gangbild sollte dabei auf ebenem Boden (Flur), auf unebenem Boden und an Treppen und Schrägen beurteilt werden.
Bei der Entkleidung, die der Patient vorzugsweise selbst vornimmt, achtet man auf Funktionsbehinderungen.
Bei der Inspektion von Patienten nach Amputation an der unteren Extremität spielt der Beckenstand eine wesentliche Rolle. Klassischerweise ist bei Oberschenkelamputation auf der betroffenen Seite ein Beckentiefstand von etwa 0,5–1 cm korrekt, in der Prothese besteht eine Beugevorgabe (Beugestellung des Schafts) von etwa 15–20°. Man überprüft anhand des Ventillochs oder optisch, ob der Stumpf Endkontakt im Schaft hat, anschließend wird der Halt des Schafts überprüft (bei oberschenkelamputierten Patienten der Shifting-Test und die Tuberfassung, bei unterschenkelamputierten Patienten der Sitz der Prothese, Beuge- und Streckfähigkeit). Beim Ausziehen der Prothese kann man erkennen, ob der Patient das An- und Ausziehen selbst beherrscht. Im Rahmen der Inspektion des Schafts wird nach Staubspuren im Schaftboden oder lividen, harten Indurationen am distalen Stumpfende (Hinweis für mangelnden Endkontakt) und eventuelle Hinterschneidungen im proximalen Schaftanteil gesucht. Nach dem Ausziehen der Prothese wird der Stumpf auf mögliche Hautrötungen als Hinweis auf Druckstellen durch die Prothese untersucht. Es schließt sich eine Palpation des Stumpfs mit Beurteilung der Haut, der Weichteildeckung und -belastbarkeit, der lokalen Situation am Stumpfende, der Narben, der Durchblutung an. Besondere Bedeutung kommt der Palpation auf eventuelle Neurome zu, weil diese die Belastbarkeit in der Prothese beeinträchtigen können. Anschließend erfolgt eine Palpation des knöchernen Stumpfendes, hierdurch wird man sich einen Eindruck über die Endbelastungsfähigkeit erarbeiten. Wichtig ist anschließend die flächige Belastungsfähigkeit des Stumpfendes (knöchernes Ende und Weichteile zusammen). Hieraus ergibt sich eine Aussage zur Endbelastungsfähigkeit in der Prothese.
Es schließt sich dann die allgemeine Untersuchung im Sinne des Ganzkörperstatus an. Dabei spielen die Funktionsgriffe an der oberen Extremität für eine Funktionsbeurteilung eine wesentliche Rolle, da sie das komplexe Zusammenspiel verschiedener Gelenke und Muskelgruppen dokumentieren. Die Gelenk- und-Extremitätenfunktionen sämtlicher Gelenke (nicht nur der betroffenen Extremität) werden anhand der Neutral-Null-Messungen aufgeführt, die Muskelkraft klassischerweise nach Janda gemessen. Angiologische und neurologische Untersuchung komplettieren dann die gutachterliche Untersuchung.
An der oberen Extremität spielt insbesondere die Schulterfunktion eine wesentliche Rolle. Eine uneingeschränkte Schulterfunktion ist für die funktionelle Beurteilung an der oberen Extremität von besonderer Bedeutung, da über die Schulter verschiedene Funktionsausfälle (insbesondere Ellbogengelenk) durchaus kompensiert werden können. Von den differenzierten Griffarten her sind Nackengriff, Schürzengriff, Spitzgriff, Pro- und Supination zu untersuchen. Bei der Beurteilung von Armamputierten bedarf es besonderer Erfahrung.
Beurteilung
In der Regel erfolgt die Bewertung bei MdE und GdB nach gleichen Grundsätzen. Die Begriffe unterscheiden sich lediglich dadurch, dass die MdE kausal (nur auf Schädigungsfolgen bezogen) und der GdB final (auf alle Gesundheitsstörungen unabhängig von ihrer Ursache bezogen) ausgerichtet sind. Beide Begriffe definieren die Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen. Üblicherweise entsprechen die Prozentsätze in den Bewertungstabellen dem Zustand eines belastungsfähigen Stumpfs. Nicht belastungsfähige Stumpfsituationen (beispielsweise ungünstigen Narben, schlechte Weichteildeckung, Ulzerationen, Hautmazerationen, Neurome, Exostosen) müssen durch den Gutachter im Rahmen der Bewertung berücksichtigt werden und bedingen höhere Entschädigungsgrade.
An der oberen Extremität ist neben der reinen Beschaffenheit des Stumpfs auch die Funktion von besonderer Bedeutung. Hierbei ist zu berücksichtigen, ob bei der Amputation die Gebrauchshand betroffen war, das heißt, die Händigkeit muss mitberücksichtigt werden.
Merkmalsausgleiche im Schwerbehindertenrecht
H = Hilflosigkeit
Nach dem Schwerbehindertenrecht ist dies vorliegend, wenn der schwerbehinderte Mensch hilflos im Sinne des § 33 b EStG ist. Hierunter versteht man eine Person, die für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung der persönlichen Existenz im Laufe eines Tages fremder Hilfe dauernd bedarf. Dies betrifft unter anderem An und Auskleiden, Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Notdurft-Verrichtung, sowie körperliche Bewegung, geistige Anregung und Möglichkeit zur Kommunikation. Dies trifft auch zu, wenn eine Überwachung und/oder die erforderliche Anleitung zu den genannten Verrichtungen erforderlich ist. Dabei ist Voraussetzung für die Anerkennung einer Hilflosigkeit, dass der Umfang der notwendigen Hilfe bei den häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen erheblich sein muss. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Hilfe dauernd für zahlreiche Verrichtungen, die häufig regelmäßig wiederkehrend benötigt wird. Einzelne Verrichtungen, selbst wenn sie lebensnotwendig sind und im täglichen Lebensablauf wiederholt vorgenommen werden, genügen hierzu nicht. Bezogen auf Amputationen ist eine Hilflosigkeit beispielsweise dann anzunehmen, wenn ein Verlust von 2 oder mehr Gliedmaßen bei höheren Amputationsniveaus vorliegt. An Vergünstigungen resultieren hieraus eventuell unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr ohne Eigenbeteiligung, Kraftfahrzeugsteuer-Befreiung, ein Behinderten-Pauschbetrag für außergewöhnliche Belastungen, ein Pflege Pauschbetrag oder Beihilfe zu Haushaltshilfen.
G = erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr
Das Merkzeichen „G“ erhalten Schwerbehinderte, wenn sie in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt sind. Hierunter versteht man Personen, die infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder infolge von Anfällen oder von Störung der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich oder Andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen vermögen, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden. Dies sind in aller Regel Wegstrecken, die von nicht behinderten Menschen noch zu Fuß zurückgelegt werden können. Meist wird eine Wegstrecke von etwa 2 km genannt, die in ½ Stunde zurückgelegt werden sollte. Die Voraussetzungen sind als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Extremitäten und- oder der Wirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von 50 bedingen. Alternativ kann dies zum Tragen kommen, wenn der GdB für die unteren Gliedmaßen unter 50 liegt, sich die Behinderungen aber auf die gesamte Gehfähigkeit besonders stark auswirken (Beispiel: Hüftgelenksversteifung). Die Bewegungsfähigkeit kann auch infolge innerer Leiden erheblich beeinträchtigt sein.
An Vergünstigungen resultieren hier wahlweise eine unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr oder eine Kraftfahrzeugsteuer Mäßigung um 50 %. Zudem können Abnutzungsbeträge für die Kfz-Nutzung zwischen Wohnung und Arbeitsstelle beantragt werden.
aG = außergewöhnliche Gehbehinderung
Außergewöhnlich gehbehindert sind schwerbehinderte Menschen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeugs bewegen können. Hierzu zählen üblicherweise Querschnittgelähmte, doppelt Oberschenkelamputierte, doppelt Unterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte sowie einseitig Oberschenkelamputierte, die dauerhaft nicht in der Lage sind, ein Kunstbein zu tragen oder zu nutzen oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können. Des Weiteren ist dies bei Personen anzunehmen, die zugleich Unterschenkel- und Armamputierte sind.
An Vergünstigungen resultieren die unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr, eine Kraftfahrzeugsteuer Befreiung um 100 %, die Anerkennung der Kfz Kosten für private Fahrten als außergewöhnliche Belastung bis zu 15.000 km/Jahr, Parkerleichterungen durch die Nutzung gesondert ausgewiesener Parkplätze, Parkplatzreservierungen, Befreiung von verschiedenen Parkbeschränkungen, die Nutzung von kostenlosen Fahrdiensten in den Gemeinden oder Landkreisen für behinderte Menschen sowie Ausnahmen von allgemeinen Fahrverboten.
Anerkennung von Folgeschäden
Folgeschäden der Amputation
manifestieren sich insbesondere an der Wirbelsäule, teilweise auch an den Gelenken der kontralateralen Gliedmaße. Es ist in dieser Hinsicht wichtig herauszuarbeiten, ob die entsprechenden degenerativen Veränderungen rein anlagebedingt sind oder durch die Amputation und Prothesenversorgung gegebenenfalls verschlimmert werden oder gar gänzlich verursacht sind. Im Detail sind hierbei beispielsweise der Beinlängenausgleich nach der Prothesenversorgung herauszuarbeiten sowie die Nutzung und Tragedauer der Prothese. An der oberen Extremität resultieren nach eigenen Untersuchungen, abhängig von der Amputationshöhe und dem damit verursachten Gewichtsverlust, teilweise deutliche Folgeprobleme durch skoliotische Ausweichhaltungen und mehr Belastungen der rückenstabilisierenden Muskulatur bis hin in den Glutealbereich (Greitemann et al.
1996).
Die Folgeveränderungen am Bewegungsapparat als Folge von Amputationen wurden 2017 im Rahmen einer Literaturanalyse durch die Arbeitsgruppe Pröbsting, Blumentritt und Kannenberg aufgearbeitet. Im Rahmen dieser Analyse an insgesamt 40 Publikationen konnten
Rückenschmerzen bei 56 % aller Amputierten beschrieben werden. Eine skoliotische Ausgleichshaltung (nahezu bei 100 % fixiert) wiesen 59 % der Betroffenen auf und es konnten eine radiologisch feststellbare Gonarthrose auf der kontralateralen Seite bei 35 % und eine kontralaterale Coxarthrose bei 20 % der Betroffenen beschrieben werden. Nahezu alle amputierten Patienten (87 %) wiesen auf der betroffenen Seite eine Verringerung der Knochendichte als Hinweis für eine Inaktivitätsatrophie auf.
Im Hinblick auf die
Rückenschmerzen ist in einer detaillierten Beurteilung zu analysieren, inwieweit die Rückenbeschwerden belastungsbedingt Folge der Amputation und der Prothesenversorgung sind und wie sie sich von Rückenschmerzen der Normalpopulation unterscheiden, die ja altersbedingt ebenfalls häufiger über Rückenschmerzen klagt. Allerdings zeigen amputierte Patienten eine nahezu doppelt so hohe
Prävalenz als die Normalbevölkerung (56 % gegenüber 28 %–39 %). Das Auftreten von Rückenschmerzen ist nach der durchgeführten Literaturanalyse klar abhängig von der Amputationshöhe und-Lokalisation. Dies betrifft sowohl die oberen als auch die unteren Extremitäten. Zudem sind die Faktoren der Prothesennutzung, des Prothesengangbilds (beispielsweise inklusive der eventuellen Gangbildverbesserungen bei höherwertigen Kniepassteilen) und des Beinlängenausgleichs, an der oberen Extremität vor allem die Prothesennutzung und den durch die Prothese bedingten Gewichtsausgleich zu berücksichtigen. Auch berufliche, sportliche oder Alltagsbelastungen sind hierbei zu analysieren.
Degenerative Veränderungen am kontralateralen Kniegelenk sind bei Amputierten wesentlich öfter zu finden als in der Normalpopulation. Auch dies ist wiederum abhängig von der Amputationshöhe auf der betroffenen Seite.
In den Tab.
2 und
3 sind Beispiele der Begutachtung der unteren und oberen Extremitäten und in Tab.
4 Komorbiditäten zusammenfassend aufgeführt.
Tab. 2
Begutachtungs-Beispiel obere Extremität
Exartikulation Schulter | 80 | 80 | 10/10 A |
Oberarmamputation | 75 | 70–80 | 10/10 A |
Ellbogenexartikulation | 70 | 70 | 7/10 A |
Unterarmamputation | 65 | 50–60 | 5–6/10 A |
Handgelenkexartikulation | 60 | 50 | 5,6/10 A |
Daumen | 20–25 | 25–30 | 6–8/10 D |
Finger (MCP-Gelenk) | 10–15 | 10 | 1–7/10 Fi |
Tab. 3
Begutachtungs-Beispiel untere Extremität
Exartikulation Hüfte | 70 | 80 | 10/10 B |
Oberschenkelamputation | 60–70 | 70–80 | 7–8/10 B |
Oberschenkelamputation bds. | 100 | 100 | |
Knieexartikulation | 50 | 60 | 5–6/10 B |
Unterschenkelamputation | 40 | 50 | 5/10 B |
Sprunggelenksexartikulation | 35 | 50 | 4–5/10 B |
Fußwurzel | 25–30 | 30–40 | 3–4/10 B |
Zehen | 0–10 | 10 | |
pAVK (ausreichende Durchblutung) | 0–10 |
pAVK (Gehstrecke größer 500 m) | 20 |
pAVK (Gehstrecke 100–500 m) | 30–40 |
pAVK (Gehstrecke 50–100 m) | 50–60 |
pAVK (Gehstrecke unter 50 m, Ruheschmerz bds.) | 90–100 |