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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 07.07.2023

Brügger-Therapie

Verfasst von: Max Nikolaus und Bernhard Greitemann
Das Brügger-Konzept ist zurückzuführen auf dessen Begründer und Namensgeber Alois Brügger, Schweizer Neurologe und Neurophysiologe. Die Brügger-Therapie zielt grundsätzlich auf die Herstellung, beziehungsweise Wieder-Herstellung der schmerzfreien und uneingeschränkten Funktion des Bewegungssystems ab. Die funktionelle Schmerztherapie nach Brügger stellt ein Behandlungskonzept dar, welches sich mit den sogenannten Funktionskrankheiten des Bewegungsapparats beschäftigt.

Einleitung

Das Brügger-Konzept ist zurückzuführen auf dessen Begründer und Namensgeber Alois Brügger, Schweizer Neurologe und Neurophysiologe. Die Brügger-Therapie zielt grundsätzlich auf die Herstellung, beziehungsweise Wieder-Herstellung der schmerzfreien und uneingeschränkten Funktion des Bewegungssystems ab (Dehler 2004).

Definition

Die funktionelle Schmerztherapie nach Brügger stellt ein Behandlungskonzept dar, welches sich mit den sogenannten Funktionskrankheiten des Bewegungsapparats beschäftigt (Placht o.J.).

Prinzip

In den 50er-Jahren kam Brügger zu der Erkenntnis, dass viele Krankheitsbilder nicht in erster Linie auf strukturellen, entzündlichen oder degenerativen Veränderungen basieren, stattdessen vielfach auf funktionellen Ursachen beruhen. Aus diesen funktionell bedingten Krankheitsbildern können Funktionsstörungen im Bereich des arthro-muskulären Systems resultieren, die mit Schmerzen verbunden sein können. Die Funktionsstörungen stellen dabei vielfach einen vom Zentralnervensystem (ZNS) gesteuerten Schutzmechanismus dar, die über einen längeren Zeitraum auch zu strukturellen Veränderungen führen können. Brügger bezeichnet diese funktionell bedingten Veränderungen als „Funktionskrankheiten des Bewegungssystems“ (Koch-Remmele und Kreuzer 2007). Ausgelöst sein können diese durch – meist dauerhafte – Fehl- oder Überbeanspruchungen. Daraus resultieren veränderte Bewegungsprogramme verbunden mit reflektorischer Tonusveränderung (Brügger 1958 in Rock 2008). Bei hohem nozizeptivem Input werden die nozizeptiven Signale an den Kortex weitergeleitet und dort als Schmerz wahrgenommen. Aus zunächst funktionellen Störungen können sich bei chronischer Fehlbelastung so dauerhafte Strukturveränderungen ergeben (Rock 2008). Basierend auf diesen Erkenntnissen wurden verschiedene Therapiekonzepte entwickelt.

Indikationen und Kontraindikationen

Die Brügger-Therapie kann allgemein Anwendung finden bei sämtlichen Funktionsstörungen des Bewegungssystems, insbesondere im Bereich der Erkrankungen des Muskel- und Skelettsystems. Das Konzept umfasst ein sehr breites Anwendungsspektrum. Die Therapie kann beispielsweise angewendet werden bei:
  • muskulär oder bindegewebig bedingten Funktionseinschränkungen des Bewegungssystems inklusive des Achsorgans
  • Schmerz- und Funktionssyndromen im Allgemeinen
  • Nervenengpasssyndromen
  • komplexe myofasciale Schmerzsyndromen (u. a. Fibromyalgie)
  • chronisch idiopathischem Tinnitus (Dehler 2004).
Wenn Krankengymnastik allgemein kontraindiziert ist, impliziert dies auch eine Kontraindikation für die Brügger-Therapie. Kontraindikationen können sich aber auch auf einzelne Techniken beziehen (z. B. Heiße Rolle bei Gefäßerkrankungen), die im Rahmen der Brügger-Therapie angewendet werden. Es bedarf einer gezielten und individuellen Absprache mit dem behandelnden Arzt (Dehler 2004).

Vorgehen in der Therapie

Zum Erreichen des Behandlungsziels stellt sich die Vorgehensweise der Brügger-Therapie wie in Tab. 1 gezeigt dar (Dehler 2004).
Tab. 1
Vorgehensweise der Brügger-Therapie
Diagnostizieren ➔
Behandeln der Störfaktoren ➔
Erzielen physiologischer Bewegungsmuster ➔
Bewegungsbewusstsein schaffen
Lokalisation der muskulären Störfaktoren
Anwendung geeigneter physiotherapeutischer/ärztlicher Techniken
Aufbau, Training, Automatisierung physiologischer Bewegungsmuster des Alltags, Vermeidung erneuter Störfaktoren
Förderung der Motivation in Bezug auf das Bewegungsbewusstsein

Funktionsanalyse

Die Funktionsanalyse bildet die Basis der Behandlung im Brügger-Konzept und stellt eine dynamische Verknüpfung von therapeutischer Maßnahme und erhobenem Befund dar. Beide werden im Zuge der Funktionsanalyse wiederholt abgeglichen, Erfolgskontrolle und -bewertung finden statt.
Im Rahmen der Analyse erfolgt zunächst eine allgemeine sowie schmerzspezifische Anamnese. Darauf folgt die Inspektion, bei der einzelne Körperabschnitte bezüglich Abweichungen sowie durch Überlastung entstandene mechanische Ödeme betrachtet werden. Aufbauend auf den daraus gewonnenen Erkenntnissen werden Arbeitshypothesen aufgestellt, die sich aus Art und Ort des Störfaktors ergeben. Den nächsten Schritt der Funktionsanalyse stellt das Auffinden von gestörten Funktionen dar (z. B. Schmerzen, Bewegungseinschränkungen). Ein Kontrollbefund wird erstellt. Ausgehend davon werden diagnostische Maßnahmen wie zum Beispiel manuelle Dekontraktionen oder Heiße Rolle angewendet. Zuletzt erfolgt die Bewertung der Behandlungsergebnisse der diagnostischen Maßnahmen. Bei festzustellender Verbesserung ist ein Behandlungsansatz gefunden und die diagnostische Maßnahme findet im Rahmen der weiteren Therapie Anwendung. Bei gleichbleibendem Befund kann die diagnostische Maßnahme potenziell angewendet werden, verschlechtert sich der Befund so hat die Maßnahme einen Schutzmechanismus hervorgerufen und fließt nicht in die weitere Therapie mit ein (Dehler 2004).

Behandlungstechniken

Ausgehend von der Funktionsanalyse können im Brügger-Konzept verschiedene Behandlungstechniken Anwendung finden. Zentraler Ansatzpunkt ist der Ort der Schmerzwahrnehmung (Nozizeption). Häufige Störungen und deren entsprechenden Behandlungstechniken sind:

Biegespannung

Die Biegespannung ist ein durch Belastungshaltung bedingtes, mechanisches Problem der Wirbelsäule. Diese führt zu einer Haltungsveränderung, von einer axialen Belastung hin zu einer einseitig verstärkten Belastung (Sterno-symphysale Belastungshaltung) (Abb. 1). Die Biegespannung stellt einen unmittelbaren Auslöser für Nozizeption dar und wird durch eine dynamisch-aufrichtende Therapie behandelt (Abb. 2 und 3). Zudem findet ADL-Training sowie weiterführender sportlicher Ausgleich Anwendung.

Muskuläre Dekontraktionsstörung

Bei muskulären Dekontraktionsstörungen richtet sich die Art der anzuwendenden Technik nach dem Grad der Störung. Unterschieden werden leichte sowie stärker ausgeprägte Dekontraktionsstörungen. Leichtere können mittels globaler Dekontraktionsmaßnahmen behandelt werden. Diese können wie therapeutisches Gehen bzw. Joggen, globale Theraband-Übungen, Becken-/Rumpfrotation im Stand umfassen.
Bei verstärkt ausgeprägten Störungen sind hingegen spezifische Dekontraktionsmaßnahmen notwendig, die muskelfunktionsgruppenbezogene Anwendungen beinhalten.
Unabhängig vom Störungsgrad spielt zur Behandlung von muskulären Dekontraktionsstörungen generell Wärme als thermischer Reiz zur Tonusregulierung eine wichtige Rolle. Wärme kann in unterschiedlicher Form angewendet werden: Sauna, Fango, Heiße Rolle, usw.

Mechanische Überlastungsödeme

Ödeme sind mit einer hohen Nozizeption verbunden und gehen meist mit Verspannungen der Muskulatur und Gleitstörungen der Faszien sowie tendomyotischen Reaktionen einher. Dies führt dazu, dass die Dynamik in der Therapie stark eingeschränkt ist. Zur Behandlung mechanischer Überlastungsödeme wird daher die heiße Rolle als thermischer Reiz zur Tonussenkung angewendet, da die Wärme detonisierend wirkt. Des Weiteren kommen manuelle Ausknetungen der betroffenen Muskelgruppen in der physiotherapeutischen Behandlung zum Einsatz (Dehler 2004).

ADL – activities of daily living

Im Rahmen des ADL-Trainings erfolgt eine Schulung, bzw. Änderung der alltäglichen Bewegungsabläufe im privaten und beruflichen Bereich. Hierbei werden die Wechselwirkungen zwischen Extremitäten und der Wirbelsäule berücksichtigt, mit dem Ziel einer möglichst schonenden Belastung der Strukturen des gesamten Bewegungssystems. Das ADL-Training stellt eine Kombination aus Prävention und Therapie möglicher Fehlbelastungen dar (Dehler 2004).
Literatur
Dehler R (2004) Brügger-Konzept. In: Gutenbrunner C, Weimann G (Hrsg) Krankengymnastische Methoden und Konzepte. Therapieprinzipien und -techniken systematisch dargestellt. Springer, Berlin/Heidelberg, S 219–231
Koch-Remmele C, Kreuzer R (2007) Funktionskrankheiten des Bewegungssystems. Diagnostik. Therapie. Eigentherapie. Springer Medizin, Heidelberg, S 2
Placht W (o.J.) Die funktionelle Schmerztherapie nach Dr. Brügger. Information für Ärzte. https://​www.​pro-life-fortbildungen.​de/​wp-content/​uploads/​literatur/​5-FSB_​RSL/​01-Information-fuer-Aerzte.​pdf. Zugegriffen am 20.08.2019
Rock C (2008) Brügger – Konzept der Funktionsstörungen des Bewegungssystems. In: Ebelt-Paprotny G, Preis R (Hrsg) Leitfaden Physiotherapie, 5. Aufl. Urban & Fischer, München, S 64–70