Sechs Forscherteams im Rennen um den Galenus-Preis 2022

Mit dem Galenus-von-Pergamon-Preis würdigt die Springer Medizin Verlag GmbH unter anderem auch exzellente Forschungsleistungen. Dies sind die diesjährigen Kandidaten. Der Galenus-von-Pergamon-Preis, von der Springer Medizin Verlag GmbH gestiftet, wird unter anderem für Forschungsleistungen ausgelobt. In Form einer Medaille und mit 10.000 Euro wird eine Forschungsleistung in der klinischen und/oder experimentellen Pharmakologie gewürdigt, die für den Fortschritt auf dem Gebiet der Arzneimittel- und Diagnostika-Forschung wegbereitend ist und die außerhalb der pharmazeutischen Industrie an Universitäten oder Forschungsinstitutionen erbracht wurde. Die sechs Forschungsteams und ihre Arbeiten, die wir hier vorstellen, sind 2022 in die Endrunde gekommen. Die Sieger werden bei einem Festakt am 20. Oktober in Berlin bekannt gegeben. Neue immunologische Erkenntnisse zur Entwicklung des hämolytisch-urämischen Syndroms Infektionen mit enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) können schwerwiegende Organschäden auslösen. Die von diesen Bakterien produzierten Shigatoxine können unter anderem die Nieren schädigen, was zu einem hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) führen kann. Ein Forschungsteam um Professor Daniel R. Engel, Universitätsklinikum Essen, Institut für Experimentelle Immunologie und Bildgebung, konnte zeigen, dass bei der Krankheitsentwicklung Makrophagen über die Rekrutierung neutrophiler Granulozyten und den Tumornekrosefaktor alpha (TNF-α) eine wichtige Rolle spielen. Ein Shigatoxin-induziertes HUS verläuft bei bis zu fünf Prozent der Patientinnen und Patienten tödlich. Derzeit gibt es keine kausale Therapie. Auch die dem HUS zugrunde liegenden immunologischen Mechanismen sind unklar. Mit ihrer Forschung haben Daniel R. Engel und sein Team neue Erkenntnisse über die ablaufenden immunologischen Prozesse gewonnen. Sie haben im Mausmodell herausgefunden, dass bestimmte Makrophagen in der Niere sowie TNF-α maßgeblich an der Krankheitsentwicklung beteiligt sind [1]. Aus diesen Forschungsarbeiten lassen sich neue Ansätze für die Therapie ableiten. Bei Mäusen mit Shigatoxin-induziertem HUS wies das Forschungsteam nach, dass es zu funktionellen Veränderungen der residenten Makrophagen in der Niere kommt, die mit der vermehrten Produktion von TNF-α verbunden waren. Durch die medikamentöse Hemmung von TNF-α mit Etanercept und die Reduktion der Makrophagen über Antikörper gegen den CSF1 (koloniestimulierenden Faktor 1)-Rezeptor gelang es, die Krankheitsaktivität deutlich zu verringern. Die Reduktion der Makrophagen führte zudem zu einer verminderten pathologischen Produktion bestimmter Chemokine (CXCL1, CXCL2), die für die Aktivierung von neutrophilen Granulozyten wichtig sind. Die Hemmung des CXCL2-Rezeptors verminderte die Rekrutierung von neutrophilen Granulozyten in der Nierenrinde, was ebenfalls der Nierenschädigung entgegenwirkte. Kausaler Therapieansatz gegen die gestörte Mikrozirkulation bei Glaukom und Long-COVID Bestimmte Autoantikörper sind offenbar mit einer verminderten Durchblutung von kapillaren Gefäßen in der Retina assoziiert, was beim Glaukom und bei Long-COVID eine Rolle spielt. Diesen Zusammenhang haben PD Dr. Bettina Hohberger, Universitätsklinikum Erlangen (Augenklinik), und ihr Team aufgedeckt und daraus einen ersten Therapieansatz entwickelt. In individuellen Heilversuchen bei von Long-COVID Betroffenen konnten sie durch die Neutralisation dieser Autoantikörper eine Besserung der Long-COVID-Symptomatik erzielen. Beim Glaukom sind neben einem erhöhten intraokularen Druck oft auch spezielle Autoimmunphänomene im Blut und im Kammerwasser nachweisbar. Bettina Hohberger und ihr Team haben im Blut von Menschen mit Glaukom einen funktionell aktiven agonistischen Autoantikörper gegen G-Protein-gekoppelte Rezeptoren (GPCR-AAb) gefunden, speziell gegen den adrenergen β2-Rezeptor (β2-AAb). Bei den Glaukom-Patientinnen und -Patienten mit β2-AAb-Seropositivität konnten sie mittels optischer Kohärenz-Tomografie(OCT)-Angiografie zeigen, dass die kapillare Mikrozirkulation in der Retina deutlich vermindert ist. Bei β2-AAb-Seronegativität ist dies nicht der Fall [2]. GPCR-AAb werden oftmals auch im Blut von Long-COVID-Betroffenen gefunden. Wie die OCT-Angiografie ergab, ist auch hier die retinale Mikrozirkulation herabgesetzt. Mit dem Ziel, die funktionell aktiven GPCR-AAb zu neutralisieren, so die Mikrozirkulation zu verbessern und eventuell auch die Long-COVID-Symptomatik zu verbessern, erfolgten individuelle Heilversuche bei vier Personen mit Long-COVID (Wirkstoff Aptamer BC 007). Dies führte zu einer klinischen Besserung der Long-COVID-Symptomatik [3]. Die Forschungsgruppe geht davon aus, dass die Neutralisation von funktionell aktiven GPCR-AAb bei von Long-COVID Betroffenen mit viral induzierter Autoimmunreaktion ein kausaler Therapieansatz sein kann. Modifizierte CAR-T-Zelltherapie bei Pankreaskarzinomen und anderen soliden Tumoren Bei soliden Tumoren wie dem Pankreaskarzinom ist die CAR (chimäre Antigenrezeptor)-T-Zelltherapie bisher wenig erfolgreich. Professor Sebastian Kobold, Klinikum der Universität München, Abteilung für Klinische Pharmakologie, und sein Team haben mit ihrer Forschung die Basis für einen neuen Therapieansatz gelegt. Sie haben CAR-T-Zellen mit dem Chemokinrezeptor CXCR6 ausgestattet, der vor allem an das von Pankreaskarzinomzellen exprimierte Chemokin CXCL16 bindet. Damit konnten sie die Aktivität der CAR-T-Zellen im Tumorgewebe deutlich steigern. In den vergangenen Jahren konnten in der Onkologie mit CAR-T-Zelltherapien Erfolge bei einigen hämatologischen Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium erzielt werden. Bei soliden Tumoren jedoch ist die CAR-T-Zelltherapie bislang nicht überzeugend wirksam. Als mögliche Ursache dafür werden unter anderem eine mangelnde Migration dieser T-Zellen in das Tumorgewebe und eine lokale Immunsuppression diskutiert. Das Forschungsteam um Sebastian Kobold hat nun anhand von murinen und humanen Pankreaskarzinomzellen gezeigt, dass sich die Wirksamkeit von CAR-T-Zellen steigern lässt, wenn diese außer dem CAR auch den Chemokinrezeptor CXCR6 exprimieren [4]. CXCR6 bindet an das Chemokin CXCL16, das von verschiedenen Tumorzellen – dabei in hohem Maße von Pankreaskarzinomzellen – exprimiert wird. CXCR6 ist jedoch kaum auf zytotoxischen T-Zellen zu finden, wie das Team nachweisen konnte. Die Ausstattung von T-Zellen mit CAR und CXCR6 (Co-Transduktion) führte dazu, dass diese T-Zellen in das Tumorgewebe sowohl in vitro als auch in vivo einwanderten und an die CXCL16-positiven Tumorzellen andockten. Bildgebende Verfahren machten deutlich, dass die gesteigerte antitumorale Aktivität auf der vermehrten Rekrutierung dieser CAR-T-Zellen in der Tumorumgebung beruhte. Mit diesen Forschungsergebnissen eröffnet sich ein neuer Therapieansatz für solide Tumoren, insbesondere für das Pankreaskarzinom. Intracochleäres Wirkstoffdepot als neuer Therapieansatz bei Erkrankungen des Innenohrs In der Behandlung von Erkrankungen des Innenohrs besteht Bedarf an effektiveren Arzneimitteltherapien. Nachteil von intravenös oder oral applizierbaren Medikamenten ist, dass nur geringe Wirkstoffmengen den Zielort erreichen oder dass hohe Dosierungen oft starke Nebenwirkungen verursachen. Dr. Eric Lehner, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (Abteilung für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie), und sein Team erforschen die Möglichkeiten einer lokalen Wirkstofffreisetzung im Innenohr. Sie haben erstmals ein intracochleäres Wirkstoffdepot entwickelt. Wünschenswert bei der Therapie von Erkrankungen des Innenohrs ist die lokale Wirkstoffabgabe. Damit könnten die Blut-Labyrinth-Schranke umgangen und höhere Wirkstoffkonzentrationen bei reduzierter Gesamtdosis erreicht werden. Hier setzt die Forschung von Eric Lehner und seinem Team an. Sie haben selbst hergestellte Wirkstoffdepots entwickelt und diese erstmals in die Scala tympani der Cochlea humaner Schläfenbeine platziert. Diese aus biologisch abbaubarem PLGA (Poly[lactid-co-glycolid]) bestehenden Depots von etwa 3 mm Länge lösen sich nach abgeschlossener Wirkstofffreisetzung mit der Zeit auf und müssen somit nicht chirurgisch entfernt werden. Sie können mit unterschiedlichen Wirkstoffen beladen werden [5]. Darüber hinaus ist es dem Team erstmals gelungen, die Depots gleichzeitig mit der Platzierung von unterschiedlichen Cochlea-Implantaten, die zur Verbesserung des Hörvermögens bei Schwerhörigkeit eingesetzt werden, zu applizieren. Durch diese Koadministration können Wundheilungsprozesse und Entzündungen, wie sie infolge der mechanischen Traumata bei Platzierung der Cochlea-Implant-Elektrode induziert werden, direkt medikamentös, zum Beispiel mit Glukokortikoiden, beeinflusst werden. Somit ist eine kontrollierte und lange Wirkstofffreisetzung gewährleistet. Eine solche intracochleäre medikamentöse Therapie ist unabhängig vom verwendeten Cochlea-Implantat durchführbar. Neuroimmune kardiovaskuläre Schnittstellen kontrollieren Atherosklerose Atherosklerose ist die Ursache für viele kardiovaskuläre Erkrankungen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall. Ihre Entstehung ist offenbar nicht nur auf die plaquebildenden Prozesse in der Arterieninnenwand zurückzuführen. Dr. Sarajo K. Mohanta, Ludwig-Maximilians-Universität München (Institute for Cardiovascular Prevention), und sein Team haben unter anderem im Tiermodell nachgewiesen, dass auch in die Arterienaußenwand eingewanderte Immunzellen eine wichtige Rolle spielen und dass das Gehirn die Atherosklerose maßgeblich beeinflusst. Bislang dachte man, dass sich die für die Entwicklung einer Atherosklerose maßgeblichen Prozesse nur innerhalb der inneren Arterienwand (Intima) abspielen, in der es zur Plaquebildung durch Lipidproteineinlagerungen und Einwanderung von Entzündungszellen kommt. Ein Team um Sarajo Kumar Mohanta hat entdeckt, dass auch das periphere Nervensystem und das Gehirn an der Atherosklerose-Entwicklung beteiligt sind [6]. Demzufolge treten atherosklerotische Arterien über neuroimmune Schnittstellen an der Arterienaußenwand (Adventitia) mit dem Gehirn in Verbindung. Über einen solchen Arterien-Hirn-Schaltkreis kann der Verlauf der Atherosklerose beeinflusst werden. Das Forschungsteam hat nachgewiesen, dass in die Adventitia Immunzellen einwandern, und zwar nur an den mit Plaques befallenen Arterienarealen. Die Immunzellen bilden dort lymphknotenartige Strukturen aus, die mit den in der Adventitia befindlichen Neuronen des peripheren Nervensystems vernetzt sind. Über diese neuroimmunen Schnittstellen werden Entzündungsinformationen mittels elektrischer Signale an das Gehirn weitergeleitet. Dieses gibt Signale zurück an die entzündete Arterie, wo infolgedessen weitere Immunzellen rekrutiert werden. Das wiederum fördert das Fortschreiten der Atherosklerose. Im Tiermodell konnte das Team zeigen, dass die Durchtrennung der Verbindung zwischen Arterie und Gehirn zur Verlangsamung der Atherosklerose führte. Hirnrezeptor für die Regulation von Körpergewicht und Nahrungsaufnahme identifiziert Für Menschen mit Adipositas und Diabetes mellitus wird nach effektiveren Pharmakotherapien gesucht. Dr. Timo Müller, Helmholtz Zentrum München (Institute for Diabetes and Obesity (IDO)), und sein Team haben einen neuartigen dualen, unimolekularen Therapieansatz entwickelt, der zur deutlichen Gewichtsabnahme und Besserung des Typ-2-Diabetes führt. Zudem haben sie erstmals gezeigt, dass der GIP (glucose-dependent insulinotropic polypeptide)-Rezeptor im Gehirn entscheidend für die Regulation von Körpergewicht und Nahrungsaufnahme und Basis für die Wirksamkeit des neuen Therapiekonzepts ist. Angesichts der zunehmenden Zahl an Menschen mit Adipositas und Typ-2-Diabetes besteht großer Bedarf an neuen medikamentösen Therapien. Lebensstiländerungen allein sind meist nicht erfolgreich und die bariatrische Chirurgie ist nur bei extremer Adipositas indiziert. Timo Müller und sein Team haben für die Behandlung von Adipositas und Diabetes mellitus das neuartige Konzept des GIP/GLP-1-Ko-Agonismus entwickelt: Es ist ihnen gelungen, die Sequenz der beiden Inkretinhormone GIP und GLP-1 (glucagon-like peptide-1) zu einem aus einem einzigen Molekül bestehenden GIP/GLP-1-Ko-Agonisten zu hybridisieren [7]. Das Molekül wirkt agonistisch an GIP- und GLP-1-Rezeptoren (GIPR/GLP-1R). In Phase-III-Studien wurden mit einem GIPR/GLP-1R-Ko- Agonisten bei mehr als der Hälfte der Studienteilnehmenden eine deutliche Gewichtsreduktion und Remission des Typ-2-Diabetes erzielt. Das Forschungsteam hat zudem entschlüsselt, dass der GIPR im Gehirn eine entscheidendeRolle bei der Regulation von Körpergewicht, Nahrungsaufnahme und Blutzuckerspiegel spielt und dass er unerlässlich für die metabolischen Effekte der GIPR/GLP-1R-Ko-Agonisten ist [8]. Über GIPR sind die neuen Medikamente in der Lage, die Nahrungsaufnahme zu senken. Die zugrunde liegenden neuroendokrinen Signalmechanismen sollen nun weiter erforscht werden. Quelle: ÄrzteZeitung

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