MgYREZr-Implantate als Titanersatz

Ein ideales Osteosynthese-Implantat sollte stabil, belastbar, osteokonduktiv und gut verträglich sein sowie sich bestenfalls im Körper selbst abbauen. Ein wichtiger Fortschritt in diese Richtung gelang mit der Einführung einer CE-zertifizierten Legierung auf Magnesiumbasis (MgYREZr). Die Schrauben und Pins aus dem Material weisen knochenähnliche biomechanische Eigenschaften auf und sind gleichzeitig bioresorbierbar [1]. Studien mit MgYREZr-Schrauben zeigten, dass die klinischen und radiologischen Ergebnisse mit denen von Titan-Standardimplantaten vergleichbar sind [2–5]. Der Einsatz von Osteosynthesematerial auf der Basis von Titan (Ti) gilt als ein Standard in der muskuloskelettalen Chirurgie. Ein Vorteil ist die große Stabilität der Titanlegierungen. Allerdings kann die höhere Steifigkeit des Metalls im Vergleich zu Knochen zu einer Belastungsabschirmung mit konsekutiver Osteopenie führen [1]. Darüber hinaus sind teilweise operative Zweiteingriffe notwendig, um das Metall zu entfernen. Dies bedeutet für Patienten eine zusätzliche Belastung und ist mit einem Risiko für Komplikationen verbunden. Osteosynthesematerial auf Magnesiumbasis Seit 2013 ist erstmals ein CE-zertifiziertes bioresorbierbares Osteosynthese-Material auf der Basis von Magnesium (Mg) verfügbar (MAGNEZIX®). Das Material wurde in Deutschland auf Basis des Legierungssystems MgYREZr entwickelt. Neben der Zulassungsstudie zeigten weitere klinische Untersuchungen und Fallsammlungen mit Schwerpunkt in der Fußchirurgie für das magnesiumbasierte Implantat sehr gute funktionelle Ergebnisse [2–8]. Insbesondere war der Werkstoff gegenüber Titanimplantaten nicht unterlegen [2–5]. Indikationen für bioresorbierbare Implantate auf Magnesiumbasis Die CE-Kennzeichnung für MgYREZr-Kompressionsschrauben wurde 2013 erteilt und ermöglichte erstmals die klinische Verwendung einer selbstauflösenden Metallschraube in Europa. Mittlerweile ist der Werkstoff in über 45 Ländern zugelassen. 2016 und 2017 erweiterte sich das MgYREZr-Implantat-Portfolio um Pins und eine Kortikalisschraube. Indikationen sind rekonstruktive Verfahren nach Frakturen, Fehlstellungen und/oder anderen pathologischen Knochenveränderungen. Magnesium versus Titan: Implantate im direkten Vergleich Implantate aus Magnesiumlegierungen weisen nahezu identische mechanische Stabilitätswerte auf wie herkömmliche Titanpendants: Beide Implantate erreichen in den vorgesehenen Dimensionen ähnliche Kompressions- und Ausreißkräfte [9]. Die Autoren mehrerer Studien verglichen die Osteosynthese-Versorgung von titanbasierten mit MgYREZr-Implantaten. Dabei zeigten radiologische und klinische Befunde nach Chevron-Osteotomie zur Korrektur eines Hallux valgus die Nicht-Unterlegenheit der Implantate mit magnesiumbasierter Legierung [2–5]. Ein 3-Jahres-Follow-up zu funktionellen Resultaten und zur Patientenzufriedenheit mit dem bioresorbierbaren Magnesiumimplantat bestätigte dieses Ergebnis [5]. Kostenersparnis Eine ökonomische Analyse aus Deutschland hat das Einsparpotenzial bei Einsatz von bioresorbierbaren Implantaten in der Hallux-valgus-Chirurgie untersucht. Die Autoren resümierten, dass durch den Wegfall der Metallentfernungen, die mit permanenten Implantaten bei ca. 8% der Patienten notwendig sind, bis zu 11,9 Millionen Euro an direkten und indirekten Kosten im Gesundheitssystem eingespart werden könnten [4]. MgYREZr: Festes und bioresorbierbares Material In der muskuloskelettalen Chirurgie werden unter anderem resorbierbare Werkstoffe auf Polymerbasis eingesetzt. Diese haben den Nachteil, dass sie mechanisch relativ schwach sind und zudem vergleichsweise starke Fremdkörperreaktionen oder auch Allergien beim Patienten auslösen können. Der Einsatz von Polymer-Implantaten beschränkt sich daher auf Indikationen mit nur geringen Zug-, Druck- und Scherbelastungen. Im Vergleich dazu weisen die metallischen bioresorbierbaren MgYREZr-Implantate eine deutlich höhere Festigkeit auf [1]. MgYREZr-Legierungen bauen sich zu endogenem Knochengewebe um (Abb. 1). Dieser Vorgang dauert durchschnittlich zwischen 12 und 24 Monate [10]. Das Magnesium wird im Körper (genauer: im Knochen) verstoffwechselt, Abbauprodukte der Nebenbestandteile werden über die Niere ausgeschieden. Als Zwischenprodukt entsteht Apatit, das durch den kontinuierlichen Remodeling-Prozess in Knochen umgewandelt wird [11]. Abb. 1: Korrektur eines Hallux valgus: Die Röntgenbilder zeigen einen mit MgYREZr-Schrauben versorgten Hallux valgus am linken Fuß vor der Operation (a), mehrere Wochen (b) und ein Jahr nach der Operation (c) Syntellix AG × Während bei Polymeren der Abbau im Wesentlichen über den Weg der Hydrolyse erfolgt, findet dieser bei MgYREZr-Implantaten über eine Korrosion statt. Hierdurch entsteht ein basisches Milieu in direkter Implantatumgebung, in dem Bakterien weniger gut überleben. Entsprechend wird der MgYREZr-Werkstoff mit antiinfektiösen Eigenschaften in Verbindung gebracht [1]. Magnesiumabbauprodukt als Radikalfänger Bei der Korrosion von Magnesium werden Wasserstoffionen freigesetzt, die sich zell- und gewebeschützend auswirken können: Wasserstoff wirkt als Antioxidans, das gezielt DNA-verändernde freie Radikale bindet und damit unschädlich macht [12]. Untersuchungen in einer Knochenkrebs-Zellkultur bestätigten, dass die beim Magnesiumabbau freigesetzten Wasserstoffionen die freien Radikale reduzierten [12]. Osteokonduktive Eigenschaften der MgYREZr-Legierung Osteosynthese-Implantate auf Titanbasis können eine Belastungsabschirmung (Stress-Shielding) hervorrufen, welche durch übermäßige Entlastung zu einer Abnahme von Knochensubstanz führt. Denn durch zu geringe Beanspruchung wird die Erneuerung (Remodeling) des Knochens behindert, was sogar in einer Osteopenie resultieren kann. Der MgYREZr-Werkstoff hat einen Magnesiumanteil von über 90%. Damit erreicht er eine Elastizität (E-Modul), die nur geringfügig über der des kortikalen Knochens liegt. Diese Konstellation wirkt dem „Stress-Shielding-Effekt“ entgegen [1]. In-vitro-Studien zeigten das osteokonduktive Potenzial der MgYREZr-Legierung, wobei humane Osteoblasten eine hohe Vitalität hatten und zur Proliferation angeregt wurden [13, 14]. Im Tierexperiment bestätigten histologische Untersuchungen diese „osteogene Potenz”: An der Oberfläche des Werkstoffs bildete sich Knochen, der in bereits resorbierte Zonen des magnesiumbasierten Implantats einwuchs [13]. Ähnliche Ergebnisse fanden sich auch in klinischen Untersuchungen: Ein 3-jähriges Follow-up mit Magnetresonanztomographie (MRT) belegte den Ab- und Umbau des magnesiumbasierten Implantats im Knochen (vollständige Degradation nach 1 Jahr) [5]. Weniger Artefakte in radiologischer Bildgebung Titanimplantate können aufgrund ihrer Dichte und paramagnetischen Eigenschaften in der radiologischen Bildgebung Artefakte verursachen. Magnesiumbasierte Implantate hingegen erzeugen in der Computertomographie (CT) und der MRT deutlich weniger Artefakte, die die Umgebung überstrahlen und sind daher für postoperative Kontrollen besser geeignet als Titanimplantate [5, 15]. Verträglichkeit und Sicherheit der Magnesiumlegierung In-vitro- und In-vivo-Untersuchungen belegen eine sehr gute Biokompatibilität des magnesiumbasierten Osteosynthese-Implantats. In klinischen Studien wurden keine Fremdkörperreaktionen, systemische Entzündungsreaktionen oder allergische Reaktionen beobachtet. Osteolysen, Osteonekrosen, Pseudarthrosen oder implantatbedingte Zysten traten ebenfalls nicht auf [5]. Fazit Bioresorbierbare metallische Implantate aus Magnesiumlegierungen gehören zu den aktuellsten Entwicklungen in der muskuloskelettalen Chirurgie. Neben sehr günstigen biomechanischen Eigenschaften wirkt Magnesium osteokonduktiv, ist besonders biokompatibel, erzeugt im Abbau ein lokal basisches – und damit potenziell antiinfektiöses – Milieu und zeigt wenig Artefakte in CT und MRT. Das erste magnesiumbasierte Osteosynthese-Implantat mit CE-Kennzeichnung wurde im Jahr 2013 eingeführt. Die Stabilität von speziell aus dem selbstauflösenden Magnesiumwerkstoff hergestellten Implantaten ist mit der Stabilität von Titanimplantaten vergleichbar: Prospektive randomisierte sowie retrospektive Studien bestätigten die Nicht-Unterlegenheit des MgYREZr-Werkstoffs gegenüber herkömmlichen Titanimplantaten. Literatur Han H–S et al., Materials Today 2018, doi.org/10.1016/j.mattod.2018.05.018 Windhagen H et al., Biomed Eng Online 2013, 12:62 Acar B et al., Biomed Res Int 2018, 2018:5242806 Klauser H, Foot Ankle Surg 2018, doi: 10.1016/j.fas.2018.02.005 Plaass C et al., J Orthop Sci 2018, 23:321–327 Acar B et al., Cureus 2018, 10:e2539 Choo JT et al., Foot Ankle Surg 2018, doi: 10.1016/j.fas.2018.09.001 Kose O et al., Arch Orthop Trauma Surg 2018, 138:1069–1075 Castellani C et al., Acta Biomater 2011, 7:432–440 Gigante A et al., Injury 2018, 49 (Suppl 3):S48–S53 Seitz J–M et al., JOM 2016, 68:1177–1182 Nan M et al., J Biomed Mater Res A 2014, 102:2644–2651 Liu CC et al., J Bone Miner Res 1988, 3:104 Zreiqat H et al., J Biomed Mater Res 2002, 62:175–184 Sonnow L et al., BMC Med Imaging 2017, 17:16 Weitere Informationen https://www.magnezix.de/ Impressum Literaturarbeit Bericht: Dr. Anja Lütke, Ratekau Artikel gedruckt in „Operative Orthopädie und Traumatologie“, Band 31, Heft 1, Februar 2019; „Orthopädie und Unfallchirurgie – Mitteilungen und Nachrichten“, Band 8, Heft 1, Februar 2019; „Der Orthopäde“, Band 48, Heft 2, Februar 2019 Mit freundlicher Unterstützung der Syntellix AG, Hannover Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Katharina Finis Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Bioresorbierbares Implantat in Orthopädie und Chirurgie: MgYREZr-Implantate als Titanersatz

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