Erschienen in:
01.01.2014 | Originalien
Informationen für den Gutachter der Berufskrankheit 2108
Auswertung der Deutschen Wirbelsäulenstudie
verfasst von:
Prof. Dr. U. Bolm-Audorff, A. Bergmann, J. Grifka, K.G. Hering, J. Haerting, O. Linhardt, G. Petereit-Haack, T. Vaitl, A. Seidler
Erschienen in:
Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie
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Ausgabe 1/2014
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Zusammenfassung
Die 915 Fälle mit bandscheibenbedingter Erkrankung der Lendenwirbelsäule im Rahmen der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) wurden klinisch eingehend beschrieben. 43 % der 915 Fälle wiesen ein motorisches oder sensomotorisches, 38 % ein sensibles und 19 % ein lokales Wirbelsäulen(WS)-Syndrom. Der arithmetische Mittelwert und die Standardabweichung für die Schmerzintensität anhand einer Schmerzskala lagen bei 7,4 ± 1,9 mit einem Medianwert bei 8 und sprechen für ein relativ hohes Schmerzniveau bei den Probanden. Auch der Oswestry-Score ist vereinbar mit einer hohen Einschränkung der Patienten bei alltäglichen Verrichtungen.
Bei 96,0 % der 915 DWS-Fälle zeigte die radiologische Befundung, dass mindestens 1 Segment mit Bandscheibenschaden in Form eines Bandscheibenprolapses oder einer fortgeschrittenen Chondrose die untere Lendenwirbelsäule (LWS) im Bereich der Segmente L4/L5 und/oder L5/S1 betrifft. Nur bei 4,0 % der DWS-Fälle war ausschließlich die obere und mittlere LWS im Bereich der Segmente L1/L2–L3/L4 betroffen. Eine nahezu identische Verteilung der Lokalisation des radiologisch diagnostizierten Bandscheibenschadens bestand auch bei den 87 DWS-Fällen mit Überschreitung des Mainz-Dortmunder-Dosis (MDD)-Richtwerts für die Gesamtdosis in Höhe von 25 MNh bei Männern oder 17 MNh bei Frauen sowie bei den 228 DWS-Fällen mit einer MDD-Gesamtdosis von mindestens 12,5 MNh, die nach den Kriterien des BSG-Urteils vom 30.10.2007 (Az.: B 2 U 4/06 R) berechnet wurde. DWS-Fälle, bei denen der radiologisch diagnostizierte Bandscheibenschaden nur im Bereich der oberen und mittleren LWS lokalisiert ist, sind deutlich älter als Fälle, bei denen die untere LWS betroffen ist.
Bei jeweils etwa einem Drittel der 915 DWS-Fälle lag bei der radiologischen Beurteilung ein mono-, bi- oder polysegmentaler Bandscheibenschaden vor. Auch bei den 87 DWS-Fällen mit Überschreitung des MDD-Richtwerts für die Gesamtdosis in Höhe von 25 MNh bei Männern oder 17 MNh bei Frauen sowie den 228 hochexponierten DWS-Fällen mit MDD-Gesamtdosis von mindestens 12,5 MNh, die nach den Kriterien des o. g. BSG-Urteils berechnet wurde, fand sich keine wesentlich andere Verteilung.
Eine Begleitspondylose nach den Kriterien der Konsensempfehlung wiesen 64 der 915 DWS-Fälle (7,0 %) auf. DWS-Fälle mit Begleitspondylose sind deutlich älter und weisen einen höheren Männeranteil und Anteil Adipöser auf als Fälle ohne Begleitspondylose. Ferner zeigte sich, dass die Prävalenz bei Männern mit fortgeschrittener Chondrose (Fallgruppe 3) mit 26,8 % deutlich höher ist als in den übrigen Fallgruppen mit 0–6,5 %. Die Prävalenz der Begleitspondylose bei den 87 DWS-Fällen mit Überschreitung des MDD-Richtwertes für die Gesamtdosis in Höhe von 25 MNh bei Männern oder 17 MNh bei Frauen liegt mit 10,3 % etwas höher als bei niedriger Exponierten (6,6 %). Dieser Unterschied beschränkt sich jedoch auf DWS-Fälle mit Fallgruppe 3 (30,4 vs. 21,3 %). Bei den 228 DWS-Fällen mit MDD-Gesamtdosis von mindestens 12,5 MNh, die nach den Kriterien des o. g. BSG-Urteils berechnet wurde, fand sich mit 9,2 % keine wesentlich höhere Prävalenz der Begleitspondylose als bei den niedriger exponierten DWS-Fällen mit 6,3 %.
Insgesamt sprechen die vorliegenden Ergebnisse dagegen, dass es sich bei der Begleitspondylose und beim mehrsegmentalen Befall um ein belastungstypisches Schadensbild im Sinne der Berufskrankheit 2108 handelt. Daher sollte unseres Erachtens die Konsensempfehlung zur Begutachtung der Berufskrankheit 2108 [
1] überarbeitet werden.
Bei 49 der 915 DWS-Fällen (5,4 %) zeigte sich ein stärkerer oder gleich stark ausgeprägter HWS-Schaden im Vergleich zur LWS und bei 35 Probanden (3,9 %) ein schwächer ausgeprägter HWS-Schaden als im Bereich der LWS. Bei den 228 DWS-Fällen mit MDD-Gesamtdosis von mindestens 12,5 MNh, die nach den Kriterien des o. g. BSG-Urteils berechnet wurde, fand sich keine wesentlich andere Prävalenz des HWS-Mitbefalls als in der Gesamtgruppe. Dagegen lag die Prävalenz des stärker oder gleich ausgeprägten HWS-Schadens im Vergleich zur LWS bei den 87 DWS-Fällen mit Überschreitung des MDD-Richtwerts für die Gesamtdosis in Höhe von 25 MNh bei Männern oder 17 MNh bei Frauen mit 10,3 % deutlich über der Prävalenz bei den 687 DWS-Fällen mit einer MDD-Gesamtdosis in Höhe von < 12,5 MNh, die nach den Kriterien des o. g. BSG-Urteils berechnet wurde, in Höhe von 5,5 %.
Außerberuflich bedingte konkurrierende Ursachenfaktoren fanden sich insgesamt selten. Am häufigsten traten bei den 915 DWS-Fällen asymmetrische lumbosakrale Übergangswirbel bei 15 DWS-Fällen und eine tiefe Lumbalskoliose mit einem Winkelgrad von > 10° nach Cobb bei 9 DWS-Fällen auf. Die Tatsache, dass die meisten DWS-Fälle mit gesicherten außerberuflich bedingten konkurrierenden Ursachenfaktoren eine MDD-Gesamtdosis von unter 12,5 MNh aufweisen, die nach den Kriterien des o. g. BSG-Urteils berechnet wurde, spricht dafür, dass bei Probanden mit gesicherten außerberuflich bedingten konkurrierenden Ursachenfaktoren eher keine Berufskrankheit 2108 vorliegt.
Bei Beschränkung der Auswertung auf die 228 MDD-Fälle mit einer MDD-Gesamtdosis von mindestens 12,5 MNh war die Fallkonstellation B2 mit 154 Fällen (67,5 %) die häufigste Fallkonstellation (nach den Konsenskriterien mit Definition der besonders intensiven Belastung nach dem MDD), gefolgt von der Fallkonstellation B3 mit 21 Fällen (9,2 %) und der Fallkonstellation B1 mit 14 Fällen (6,1 %).