Neue Therapieoptionen jenseits der zweiten Linie

Das therapeutische Spektrum beim metastasierten Kolorektalkarzinom (mCRC) hat sich deutlich erweitert. Auch nach der ersten und zweiten Therapielinie stehen betroffenen Patienten heute evidenzbasierte Substanzen zur Verfügung, mit denen eine weitere Überlebensverlängerung gelingt. Eine leitliniengerechte Option ist die zytostatisch wirksame Kombination Trifluridin/Tipiracil, für die in Studien ein deutlicher Überlebensbenefit belegt ist. Das Überleben von mCRC-Patienten hat sich in den letzten Dekaden erheblich verbessert und liegt mittlerweile bei 30–35 Monaten, erinnerte Prof. Dr. Dirk Arnold, Asklepios Tumorzentrum, Hamburg. Ursächlich für diese Prognoseverbesserung sind Faktoren wie die Entwicklung lokoregionärer Therapiemodalitäten und vor allem die Tatsache, dass mCRC-Patienten inzwischen sequenziell über mehrere Linien hinweg behandelt werden können. Im Rahmen der Therapieentscheidung müssen daher heute dank des Vorhandenseins zahlreicher medikamentöser Optionen vielfältige Parameter berücksichtigt werden. Überlebensverlängerung als wichtiges Therapieziel Als oberstes Therapieziel in der Erstlinie steht bei fitten und aktiven Patienten die Verlängerung des Gesamtüberlebens (OS) im Vordergrund [1]. Auch die möglichst weitgehende Tumorschrumpfung zwecks potenziell kurativer Metastasenresektion und eine langfristige Tumorkontrolle mit geringer oder fehlender Tumorlast sind wichtig (Tabelle 1). Die zu erwartende Toxizität spielt dagegen eine untergeordnete Rolle. Die Entscheidung über die Intensität der Erstlinientherapie ist gemäß der aktuellen Leitlinien der European Society for Medical Oncology (ESMO) vom Allgemeinzustand des Patienten abhängig zu machen [2]. Bei der Wahl der Medikation sind molekulare Tumorcharakteristika wie RAS- und BRAF-Mutationsstatus oder Mikrosatelliteninstabilität (MSI) sowie die Lokalisation des Primärtumors zu berücksichtigen [2]. Tabelle 1 Behandlungsziele für fitte mCRC-Patienten Erstlinie Zweitlinie Drittlinie Verlängerung des Gesamtüberlebens Tumorschrumpfung für Metastasen-resektion der Leber niedrige/keine Tumorlast über lange Zeit Verlängerung des Gesamtüberlebens Tumoransprechen oder dauerhafte Krankheitskontrolle Verlängerung des Gesamtüberlebens dauerhafte Krankheitskontrolle Erhalt des Performance-Status und der Lebensqualität (modifiziert nach [1]) Als relevantestes Auswahlkriterium für die Zweitlinientherapie bezeichnete Arnold die Art der Vorbehandlung. Aber auch weitere Faktoren, an oberster Stelle die Toxizität der Vorbehandlung, und die Länge des progressionsfreien Intervalls spielen eine Rolle. So könne bei später Progression oder aktiver Erhaltungstherapie eine Reinduktion mit dem Erstlinien-Regime begonnen und die Zweitlinientherapie erst bei erneuter Progression gestartet werden, erläuterte Arnold. Ein wichtiges Therapieziel ist wie in der ersten Linie die Verlängerung des Gesamtüberlebens (Tabelle 1). Außerdem sollte ein Ansprechen des Tumors oder zumindest eine dauerhafte Kontrolle der Tumorerkrankung erreicht werden [1]. Evidenzbasierte Optionen für die Drittlinie Seit einiger Zeit stehen nach der zweiten Linie neue Therapieoptionen mit belegter Effektivität zur Verfügung. Die ESMO-Leitlinie nennt hier die Kombination Triflurin/Tipiracil (FTD/TPI; Lonsurf®) und den Tyrosinkinase-Inhibitor (TKI) Regorafenib (in Deutschland seit 2016 nicht mehr verfügbar) als Standardoptionen für die Drittlinientherapie [2]. Sie werden für Patienten, die mit Fluoropyrimidinen, Oxaliplatin, Irinotecan, Bevacizumab und Anti-EGFR-Antikörpern (nur bei RAS-Wildtyp-Tumoren) vorbehandelt sind, empfohlen. Die wissenschaftliche Evidenz zu FTD/TPI stammt aus den Phase-III-Studien RECOURSE und TERRA, in der die zytostatische Kombination im Vergleich zu Placebo zu einer deutlichen OS-Verlängerung führte [3, 4]: In der RECOURSE-Studie wurde ein OS-Vorteil von fast zwei Monaten mit einer Reduktion des Mortalitätsrisikos um knapp ein Drittel erreicht (7,1 versus 5,3 Monate; Hazard Ratio [HR] 0,68; p<0,001) [3]. Die Überlegenheit bezüglich des OS von FTD/TPI wurde in der in Asien erstellten TERRA-Studie bestätigt (7,8 versus 7,1 Monate; HR 0,79; p=0,035) [4]. Arnold wies darauf hin, dass das Zeitintervall bis zur Verschlechterung des ECOG (Eastern Cooperative Oncology Group)-Performance-Status (PS) in der RECOURSE-Studie durch FTD/TPI signifikant verlängert werden konnte (5,7 versus 4,0 Monate; HR 0,66; p<0,001) [3]. Entsprechend hatten 84% der Patienten bei Beendigung der FTD/TPI-Behandlung einen guten ECOG-PS von 0 bis 1, sodass anschließend weitere Therapien möglich sind, betonte Prof. Dr. Julien Taieb, European Hospital Georges Pompidou, Paris, Frankreich. Rechallenge: derzeit noch experimentell Zudem werden derzeit neue Substanzen in späteren Therapielinien klinisch geprüft. Auch Checkpoint-Inhibitoren werden jenseits der zweiten Linie bei mCRC-Patienten mit hoher MSI bereits eingesetzt, sind aber noch nicht als Standard zu betrachten. Von Interesse ist auch das Konzept der Anti-EGFR-Rechallenge bei Patienten mit RAS/BRAF-Wildtyp-Tumoren, das auf dem Prinzip der klonalen Selektion basiert (Abb. 1): Zwar entwickelt sich im Verlauf einer Erstlinienchemotherapie in Kombination mit einem Anti-EGFR-Antikörper wie Cetuximab aufgrund der Selektion RAS-mutierter Zellen ein Tumor mit erworbener Cetuximab-Resistenz [5]. Nach einer Therapiepause ohne EGFR-Antikörper werden die RAS-mutierten Zellen jedoch wieder zugunsten der unmutierten Zellen zurückgedrängt – der Tumor spricht erneut auf eine Anti-EGFR-Therapie an. Arnold gab jedoch zu bedenken, dass bei diesem Konzept Fragen wie die Detektion erneut Anti-EGFR-sensitiver Patienten und die Dauer des Anti-EGFR-freien Intervalls weiterhin offen sind. Abb. 1 Klonale Selektion als Rationale für das Konzept der Rechallenge Springer Medizin Verlag GmbH × In einem aktuellen systematischen Review untersuchten Arnold und Mitarbeiter die verschiedenen Behandlungsmodalitäten auf Effektivität, Sicherheit und patientenbezogene Outcome-Parameter, um eine optimale Strategie jenseits der zweiten Therapielinie zu identifizieren [6]. Der Review ergab ein eindeutiges Bild: Danach ist die Evidenz für die Rechallenge mit einer zuvor verwendeten Substanz oder für den Einsatz von Substanzen, die derzeit noch in klinischer Prüfung sind, bislang unzureichend. Eine Rechallenge sollte daher erst in späteren Linien erwogen werden, sofern der Patient in gutem PS und bereit ist, sich einer weiteren Therapie zu unterziehen. Verträglichkeit und Lebensqualität wichtig bei der Therapiewahl Stattdessen sollte für die Therapie nach der zweiten Linie FTD/TPI oder Regorafenib gewählt werden, da die Chance auf eine OS-Verlängerung mit diesen Medikamenten am höchsten ist. Die Wirksamkeit beider Substanzen ist als vergleichbar einzuschätzen, sodass Patientenwunsch, Verträglichkeit und Lebensqualität in die Therapieentscheidung einfließen sollten. In diesem Zusammenhang wies Arnold darauf hin, dass für Regorafenib – ebenso wie für FTD/TPI – ein OS-Vorteil belegt ist, bei gebrechlichen Patienten jedoch wegen der Toxizitäten des TKI wie Hand-Fuß-Syndrom Sicherheitsaspekte zu beachten sind [7, 8]. Auch gibt es Hinweise, dass die Adhärenz im klinischen Alltag bei FTD/TPI höher ist als im Falle von Regorafenib, informierte Taieb [9, 10]. Zugelassene Optionen bevorzugt einsetzen Somit fließt eine Vielzahl verschiedener Faktoren in die Therapieentscheidung beim mCRC ein, resümierte Arnold. Jenseits der zweiten Linie nannte er Effektivität und günstiges Toxizitätsprofil als relevante Faktoren, die gemeinsam zu einer Verlängerung des OS und zum Erhalt der Lebensqualität beitragen. Er betonte abschließend, dass die Therapie mit zugelassenen und in Leitlinien empfohlenen Substanzen gegenüber einer Rechallenge zu bevorzugen ist. Patientenwünsche berücksichtigen Auch die Erwartungshaltung der Patienten an die Behandlung sollte bei der Therapiewahl berücksichtigt werden, betonte Prof. Dr. Chiara Cremolini, Universität Pisa, Italien. Anhand eines Patientenbeispiels demonstrierte sie, dass therapienaive mCRC-Patienten oft sehr motiviert sind und ihren Krebs unter allen Umständen – ungeachtet eventueller Toxizitäten – besiegen wollen. Umso größer meist die Enttäuschung bei der unvermeidlichen Progression unter oder nach Erstlinientherapie, sodass der behandelnde Arzt in dieser Situation auf die weiterhin vorhandenen therapeutischen Optionen, mit denen eine Tumorkontrolle zu erreichen ist, verweisen sollte. Jenseits der zweiten Linie sind die Festlegung des Therapieziels – Palliation auf der einen, Krankheitskontrolle auf der anderen Seite – und die Balance zwischen Nutzen und Risiko im Rahmen der Therapieentscheidung noch wichtiger als in früheren Stadien. Nach Cremolinis Erfahrung sind vorbehandelte Patienten zwar oftmals müde oder ausgelaugt, wollen aber dennoch weiter behandelt werden, um ihr persönliches Lebensziel – sei es der Studienabschluss des eigenen Kindes oder die Geburt eines Enkelkindes – zu erleben. Hier ist Feinfühligkeit auf Seiten des Onkologen gefragt, um die Behandlung an die Erwartungen des Patienten anzupassen. Neue Optionen beim Magenkarzinom Das Magenkarzinom ist mit weltweit >1 Mio. neuer Fälle in 2018 die sechsthäufigste Tumorerkrankung und steht bei den tumorbedingten Todesfällen an zweiter Stelle [11]. Die hohe Mortalität ist darauf zurückzuführen, dass 40–80% der Patienten bereits bei Diagnosestellung einen metastasierten Tumor haben, informierte Prof. Dr. Florian Lordick, Universitäres Krebszentrum, Leipzig [12]. Mittlerweile stehen für die erste und zweite Therapielinie effektive Protokolle zur Verfügung, mit denen eine Verbesserung der zuvor sehr schlechten Prognose realisiert wurde. Doch besteht mittlerweile auch beim Magenkarzinom Hoffnung auf eine effektive Sequenztherapie: So wurden vielversprechende Resultate zur Checkpoint-Blockade berichtet [13]. Auch eine Drittlinien-Chemotherapie scheint ersten Daten zufolge beim Magenkarzinom erfolgversprechend zu sein [14]. Literatur Stintzing S et al., F1000Prime Rep 2014, 6:108 Van Cutsem E et al., Ann Oncol 2016, 27:1386–1422 Mayer RJ et al., N Engl J Med 2015, 372:619–629 Kim TW et al., ESMO 2016, Abstr. PD465 Goldberg RM et al., ESMO Open 2018, 3:e000353 Arnold D et al., Ann Oncol 2018, 29:835–856 Grothey A et al., Lancet 2013, 381:303–312 Li J et al., Lancet Oncol 2015, 16:619–629 Patel AK et al., ASCO 2018, Abstr. e15000 Cremolini C et al., Oncologist 2018, 23:1178–1187 https://gco.iarc.fr/today/data/factsheets/populations/900-world-fact-sheets.pdf (letzter Zugriff: 29.10.2018) Ebinger SM et al., Gastric Cancer 2016, 19:723–734 Kang YK et al., Lancet 2017, 390:2461–2471 Tabernero J et al., ESMO-GI, Abstr. LBA002 Impressum „Treating pretreated mCRC and mGC: management strategies for better patient outcomes“ Satellitensymposium anlässlich der Jahrestagung der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2018, München, 20. Oktober 2018 Berichterstattung: Katharina Arnheim, Freiburg i.Br. Artikel gedruckt in: „Der Onkologe“ Band 24, Heft 12, Dezember 2018 Mit freundlicher Unterstützung der Servier Deutschland GmbH, München Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Ann Köbler Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature Geschäftsführer: Joachim Krieger, Fabian Kaufmann Handelsregister Amtsgericht Berlin-Charlottenburg HRB 167094 B Umsatzsteueridentifikationsnummer: DE 230026696 © Springer Medizin Verlag GmbH Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürfen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. PDF: Sequenztherapie des metastasierten Kolorektalkarzinoms - Neue Therapieoptionen jenseits der zweiten Linie

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