„Hit hard and early“ verzögert progrediente MS

Eine frühe und intensive MS-Therapie scheint den Übergang in eine progrediente Multiple Sklerose deutlich zu verzögern. Darauf deutet die Auswertung eines weltweiten MS-Registers. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Möglichst früh und intensiv zu behandeln – das kann die Behinderungsprogression bei MS erkennbar verzögern, legen sowohl klinische Studien als auch Registerdaten nahe. Eine solche Hit-hard-and early-Strategie scheint den Patienten auch langfristig mehr zu nützen als ein eher sanfter Therapiebeginn mit späterer Eskalation: So akkumulieren Patienten nach den Resultaten einer vor kurzem veröffentlichten Longitudinalstudie mit der Eskalationsstrategie deutlich mehr Behinderungen als solche mit früher intensiver Behandlung, obwohl Letztere eine aktivere MS und damit deutlich schlechtere Ausgangsbedingungen aufweisen. Unklar ist jedoch noch immer, ob die verlangsamte Behinderungsprogression auch dazu führt, dass sich der Übergang von einer schubförmigen MS in eine sekundär-progrediente MS (SPMS) verzögern oder gar verhindern lässt. Das ist insofern relevant, als es für Patienten mit SPMS bislang praktisch keine wirksamen Therapien gibt. Zudem könnte es sein, dass die Prozesse, die zu einer progredienten MS führen, unabhängig vom schubförmigen Verlauf wirksam sind. Eine Auswertung des weltweiten MSBase-Registers liefert nun aber deutliche Hinweise, dass sich „hit hard and early“ auch in diesem Punkt auszahlt: Je früher und intensiver behandelt wird, umso später gelangen die Patienten in die progrediente Phase. Für die Analyse verwendeten die Forscher um Dr. William Brown von der Universität Cambridge in Großbritannien Daten von knapp 1300 MS-Kranken, die zu Beginn eine schubförmige MS hatten und länger als vier Jahre mit Immuntherapeutika behandelt worden waren. Zudem verwendeten sie Angaben zu 230 unbehandelten Patienten einer MS-Kohorte aus Wales. Die Forscher um Brown stellten nun mehrere Vergleiche an: Sie schauten, wie viele Patienten mit Immuntherapeutika und wie viele unbehandelte Patienten eine SPMS entwickelten, sie verglichen den SPMS-Anteil bei einem frühen und einem späten Therapiebeginn sowie bei einer frühen und einer späten Therapieeskalation. Schließlich prüften sie auch, ob potentere Therapeutika seltener zu einer SPMS führten als weniger gut wirksame. Dabei versuchten sie, Patienten mit ähnlichen Charakteristika wie Alter, Geschlecht und Krankheitsdauer gegenüberzustellen (propensity score matching). Als Basistherapeutika wurden nur Interferone und Glatirameracetat berücksichtigt, als potente Immunmodulatoren lediglich Fingolimod, Natalizumab und Alemtuzumab, da nur für diese Arzneien ausreichend Daten über mindestens vier Jahre hinweg vorlagen. Empfehlung der Redaktion Neurologische Notfälle – Themenseite Status epilepticus, Schlaganfall oder aber auch Migräne zählen zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notärzte konfrontiert werden können. Empfehlungen für die Praxis aber auch aktuelle Nachrichten oder CME-Kurse finden Sie auf der Themenseite. Nicht ganz einfach ist es, eine SPMS klar zu definieren. Generell wird von einer progredienten Phase ausgegangen, wenn es ohne Schübe zu neuen und anhaltenden Behinderungen kommt. Für die Analyse verwendeten die Forscher um Brown einen Algorithmus, wonach eine Zunahme des EDSS-Werts ohne Schübe nach drei oder mehr Monaten noch vorhanden sein musste. Der EDSS-Gesamtwert sollte dann zudem mindestens 4 Punkte betragen. Das Dreimonatskriterium sorgte für einen relativ hohen Anteil von SPMS-Patienten in der Nachbeobachtungszeit. Eine konservativere Definition hätte die Aussagekraft wohl deutlich eingeschränkt. Die wesentlichen Ergebnisse der Studie: Alle Immuntherapeutika verzögern eine SPMS: Sämtliche Therapien zeigten einen Vorteil gegenüber keiner Behandlung. Nach knapp acht Jahren war die SPMS-Rate mit Glatirameracetat und Interferonen um 29% reduziert, nach 4,5 Jahren unter einer Initialbehandlung mit Fingolimod um 63%, nach knapp fünf Jahren mit initialem Natalizumab um 39% sowie nach über sieben Jahren mit Alemtuzumab um 48%. Die Zahlen der einzelnen Immuntherapeutika lassen sich jedoch nicht untereinander vergleichen, da sie sich auf jeweils andere Patienten aus der unbehandelten Gruppe und andere Zeiträume beziehen. Eine frühe Behandlung schiebt die SPMS hinaus: Wurden Patienten innerhalb von fünf Jahren nach Krankheitsbeginn mit Interferonen oder Glatirameracetat behandelt, entwickelten sie seltener einer SPMS als bei einem späteren Therapiebeginn. Die SPMS-Rate bei einem frühen Start war nach 13 Jahren um 23% geringer als bei spätem Start und nach fünf Jahren um 74% geringer als bei unbehandelten Patienten. MS-Kranke mit spätem Therapiestart hatten zunächst zwar ebenfalls noch einen Vorteil im Vergleich zu unbehandelten Patienten, dieser war nach acht Jahren aber nicht mehr erkennbar – die SPMS-Raten hatten sich dann weitgehend angeglichen. Frühe Eskalation zahlt sich aus: Wurden Patienten innerhalb von fünf Jahren von Basistherapeutika auf eine potentere Therapie umgestellt, entwickelten sie später eine SPMS als Patienten mit verzögerter Eskalation. Die SPMS-Prävalenz war fünf Jahre nach Beginn des Vergleichs um ein Viertel geringer, nach sieben Jahren halbiert (14 versus 28%). Intensive Initialtherapie lohnt sich: Erhielten MS-Kranke von Beginn an ein potentes Immuntherapeutikum, erkrankten sie seltener an einer SPMS als mit initialer Basistherapie. Nach knapp sechs Jahren war die Prävalenz um 34% geringer, nach neun Jahren hatten jeweils 16 und 27% eine SPMS entwickelt – die Kurven gingen hier mit der Zeit deutlich auseinander. Die Praxisdaten aus dem MSBase-Register deuten also klar darauf, dass eine frühe und intensive MS-Therapie die progrediente Erkrankungsphase hinausschieben kann. Sie sind aber dennoch mit einer gewissen Zurückhaltung zu betrachten. Zum einen stammen die unbehandelten Patienten aus einer einzelnen Klinik – dies könnte zu einer Verzerrung der Resultate geführt haben. Zum anderen kann auch das beste Propensity-Score-Matching nicht alle bekannten und unbekannten Begleitfaktoren berücksichtigen. Insofern müssten die Resultate über Langzeitbeobachtungen von Patienten aus randomisierten klinischen Studien und anderen Registern noch bestätigt werden. In einem Editorial kommt Dr. Ari Green von der Universität in San Francisco trotz all dieser Unzulänglichkeiten zu dem Schluss: „Die Zeichen deuten stark auf einen Nutzen einer frühen und aggressiven Therapie, wenn es darum geht, Schäden abzuwenden. Das sollte den Zauderern zu denken geben.“ Das Wichtigste in Kürze Frage: Lässt sich eine progrediente MS durch eine frühe und intensive Therapie verzögern? Antwort: Nach Daten eines weltweiten MS-Registers schiebt eine Hit-hard-and-early-Strategie den Beginn der progredienten Phase hinaus. Bedeutung: Ein früher und intensiver Beginn der MS-Therapie scheint sich zu lohnen. Einschränkung: Registerdaten mit indirekten Vergleichen

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