Multiple Sklerose schreitet heute langsamer voran

Patienten mit Multipler Sklerose haben heute mehr Zeit als früher, bis ernsthafte Behinderungen auftreten. Dies scheint auch, aber nicht nur an besseren und früher beginnenden Therapien zu liegen. Hinweis: Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Viele Ärzte beobachten schon lange, dass MS-Patienten heute langsamer Behinderungen akkumulieren als noch vor ein oder zwei Jahrzehnten. Über die Ursachen wird viel diskutiert. So spricht einiges dafür, dass eine frühere Diagnose und damit oft auch ein früherer Beginn einer krankheitsmodifizierenden Therapie die Krankheitsprogression bremsen. Auf der anderen Seite haben veränderte Diagnosekriterien möglicherweise dazu geführt, dass mehr Patienten mit einem gutartigen Verlauf eine MS attestiert wird – auch das könnte dazu beitragen, dass eine MS weniger bedrohlich erscheint. Forscher um Dr. Omid Beiki vom Karolinska-Institut in Stockholm konnten nun anhand eines schwedischen MS-Registers bestätigen, dass die MS-Progression heute tatsächlich langsamer voranschreitet als früher – unabhängig vom initialen EDSS-Wert und obwohl MS-Patienten heute meist eine aktivere MS haben als früher. Für die Analyse berücksichtigten die Forscher mehr als 7300 Patienten mit einer MS-Diagnose in den Jahren 1995–2010 sowie regelmäßigen Bestimmungen des Behinderungsgrades über den EDSS-Wert. Messungen in Nähe zu Schüben wurden ausgeschlossen. Mehr Patienten mit aktiver MS Über 90% der Patienten hatten zu Beginn eine schubförmige MS. Erste Symptome zeigten sich im Schnitt im Alter von 34 Jahren, die Diagnose erfolgte im Mittel mit 38 Jahren. Im Laufe einer medianen Nachbeobachtungsdauer von achteinhalb Jahren wurde der EDSS-Wert im Mittel achtmal pro Patient bestimmt. MS-Kranke, die höhere EDSS-Werte erreichten, waren zum Beginn der Erkrankung älter und hatten häufiger eine primär progrediente MS als solche mit langsamerer Progression. Verglichen die Forscher um Beiki Patienten mit MS-Beginn in den Jahren 1995–2000 mit solchen in den Jahren 2005–2010, so fanden sie ein unerwartetes Ergebnis: Die spätere Kohorte zeigte zu Beginn einen aktiveren Krankheitsverlauf mit häufigeren Schüben, auch erholten sich die Betroffenen nach einem Schub weniger gut als Patienten in der früheren Kohorte. Dies widerspricht Daten aus kontrollierten Studien, in denen die Schubrate in den Placebogruppen im Laufe der Jahre tendenziell zurückging, sowie Untersuchungen, die auf eine Abschwächung des natürlichen Verlaufs deuten. Als Erklärung vermuten die Forscher um Beiki, dass heute nur noch Patienten mit wenig aktiver MS in placebokontrollierte Studien aufgenommen werden. Zudem gebe es einige Beobachtungsstudien, wonach sich der Verlauf bei unbehandelten Patienten nicht verändert habe. Empfehlung der Redaktion Neurologische Notfälle – Themenseite Status epilepticus, Schlaganfall oder aber auch Migräne zählen zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notärzte konfrontiert werden können. Empfehlungen für die Praxis aber auch aktuelle Nachrichten oder CME-Kurse finden Sie auf der Themenseite. Trotz der eigentlich ungünstigeren Ausgangslage hat sich die Prognose in den späteren Kohorten verbessert. Unter Berücksichtigung von Alter, Geschlecht, Alter bei der Diagnose sowie Zeit zwischen ersten Symptomen und Diagnose verlängerte sich der Zeitraum bis zum Erreichen eines bestimmten EDSS-Werts bei Patienten mit schubförmiger MS zwischen 2000 und 2010 deutlich, und zwar um 30% bis zu einem EDSS-Score von 3,0, um 60% bis zu einem Wert von 4,0 und um 70% bis zu einem Wert von 6,0. Dagegen zeigten sich keine derartigen Veränderungen bei Patienten mit primär-progredienter MS: Hier akkumulieren die Patienten heute ähnlich schnell neu Behinderungen wie in der Vergangenheit. Lebensstiländerung relevant? Da heute Patienten mit Multipler Sklerose vermutlich früher diagnostiziert werden und damit bei der Diagnose weniger Behinderungen haben könnten, verglichen die Forscher auch die Progressionsgeschwindigkeit zwischen der ersten und den folgenden EDSS-Bestimmungen. Das Resultat war im Wesentlichen gleich: Bei Patienten aus späteren Kohorten schreitet die Erkrankung weniger schnell voran. Betroffene mit einer Therapie in den ersten drei Jahren nach Krankheitsbeginn erreichten etwas seltener höhere EDSS-Werte als solche mit späterem Therapiebeginn, der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Die naheliegende Erklärung für die Resultate ist die stärkere Verbreitung von krankheitsmodifizierenden Behandlungen in jüngerer Zeit. Dies vermochte den Effekt jedoch nicht ganz zu erklären. Wenn die Forscher auch den Anteil der Patienten mit Therapien überhaupt oder mit bestimmten Therapien analysierten, blieb ein gewisser Kalendereffekt bestehen: Eine in jüngerer Zeit diagnostizierte MS verläuft auch bei solchen Betrachtungen langsamer. Möglicherweise lasse sich dies mit einer besseren Versorgung von MS-Patienten sowie Lebensstiländerungen erklären: Die Patienten rauchen heute weniger und nehmen häufiger Vitamin-D-Supplemente als früher. Zudem haben Ärzte MS-Komplikationen besser im Griff. Interessanterweise seien die krankheitsbezogenen Kosten in den vergangenen Jahren bei MS-Patienten in Schweden deutlich gesunken, trotz steigender Ausgaben für MS-Therapeutika. Auch das sehen die Forscher um Beiki als Hinweis für eine geringere Krankheitslast in jüngerer Zeit. Das Wichtigste in Kürze Frage: Wie hat sich die Krankheitsprogression bei MS-Patienten im Laufe der letzten Dekaden entwickelt? Antwort: MS-Kranke akkumulieren in jüngster Zeit deutlich langsamer neue Behinderungen als früher. Dies gilt allerdings nur für Patienten mit schubförmiger MS. Bedeutung: Offenbar verläuft eine MS heute etwas langsamer als früher. Dies scheint sowohl an der Medikation als auch an anderen Faktoren wie dem Lebensstil und dem Management von MS-Komplikationen zu liegen. Einschränkung: Die Registeranalyse kann letztlich nur Trends aufzeigen.

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