Neue Myelinschicht mit altem Antiallergikum

Eine Therapie mit dem Antiallergikum Clemastin könnte die Remyelinisierung bei MS ankurbeln. Darauf deutet eine kleine Studie bei Patienten mit chronischer Optikusneuritis. Patienten mit Optikusneuritis sind derzeit die Kandidaten der Wahl, wenn es um Tests mit potenziell remyelinisierenden Substanzen geht. So lässt sich die Funktion des Sehnervs über visuell evozierte Potenziale (VEP) gut messen. Je länger die Signale von der Retina in den visuellen Kortex benötigen, umso schlechter steht es um die Myelinschicht der betroffenen Sehnervenfasern. Vor allem die Potenzialspitze, die üblicherweise bei 100 Millisekunden liegt (P100), wird gerne als Hauptwert solche VEP-Messungen angegeben. Häufig wird sie gemessen, indem man den Patienten Schachbrettmuster zeigt, bei denen sich plötzlich der Kontrast umkehrt (weiß wird zu schwarz und umgekehrt). Bei MS-Patienten mit chronischer Optikusneuritis gelangen visuelle Signale der Kontrastumkehr verzögert ins Gehirn. Eine remyelinisierende Therapie sollte diese Latenz reduzieren. Offenbar scheint dies mit einem alten Antiallergikum zumindest ein bisschen zu klappen. Darauf deutet eine Pilotstudie, die jetzt auf dem amerikanischen Neurologenkongress in Vancouver vorgestellt worden ist. Forscher um Ari Green von der Universität in San Francisco konnten 50 MS-Patienten für ihre Untersuchung gewinnen; im Schnitt waren diese 40 Jahre alt und seit fünf Jahren an MS erkrankt, eine Optikusneuritis bestand seit über einem Jahr. Die P100-Latenz lag bei 127 Millisekunden und war damit deutlich erhöht, der EDSS-Wert erreichte knapp über 2 Punkte. Mehr vom Kongress Weitere Beiträge finden Sie in unserem Dossier "AAN-Kongress 2016"! P100-Latenz sinkt um 2 Millisekunden Das Team um Green hatte sich für Clemastinfumarat entschieden, weil diese Substanz bei In-vitro-Screenings in der Lage war, die Oligodendrozytenreifung anzukurbeln. Wandeln sich mehr Oligodendrozyten-Vorläuferzellen in reife Zellen um, sollte dies die Myelinneubildung fördern. Von Vorteil war natürlich auch, das Clemastin mit gut bekanntem Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil seit Langem auf dem Markt ist. Die Patienten wurden in zwei Gruppen aufgeteilt: Die eine erhielt zunächst zweimal täglich 5,4 mg Clemastinfumarat (entspricht 4 mg Clemastin), die andere Placebo. Die Clemastindosis lag damit etwa beim Vierfachen dessen, wie sie für eine antiallergische Behandlung verwendet wird. Nach 90 Tagen wurde die Therapie gewechselt: Die Patienten in der Clemastingruppe bekamen nun für 60 Tage Placebo und umgekehrt. Wie sich zeigte, ging der P100-Wert in der Gruppe, die mit Clemastin begann, innerhalb von ein bis zwei Monaten um knapp 2 Millisekunden zurück und blieb nach dem Wechsel auf Placebo konstant. In der Gruppe, die mit Placebo anfing, blieb der Wert zunächst konstant und sank nach dem Wechsel auf Clemastin ebenfalls um rund 2 Millisekunden. Über alle Patienten gemittelt ging die P100-Latenz unter Clemastin im Vergleich zu Placebo um 1,9 Millisekunden signifikant zurück. Auch die Sehschärfe bei geringem Kontrast schien sich zu verbessern, wenngleich nicht signifikant. Fatigue nimmt zu Die Frage ist nun natürlich, wie relevant solche Verbesserungen beim P100-Wert tatsächlich sind und ob sich die Latenz bei einer längeren Behandlung noch stärker senken lässt. Für die Forscher um Green ist das Ergebnis zumindest ein indirekter Hinweis darauf, dass sich die Oligodendrozyten-Vorläufer mit dem Wirkstoff auch in vivo bei MS-Patienten zur Differenzierung und Remyelinisierung anregen lassen – selbst bei chronischen Entzündungen. Ein Problem könnte jedoch die Sedierung sein, die gelegentlich unter dem Wirkstoff auftritt. So wurde in der Studie während der Clemastinbehandlung eine signifikante Zunahme der Fatigue beobachtet.

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