SSRI als Option bei progredienter MS?

Möglicherweise lässt sich mit einem SSRI die Progression einer fortgeschrittenen MS verzögern. In einer belgischen Studie ergaben sich vielversprechende Hinweise – obwohl der primäre Endpunkt verfehlt wurde. Vielleicht dauerte die Untersuchung einfach nicht lange genug, hatte zu wenige Patienten oder die falschen Endpunkte – vielleicht auch alles zusammen. Die FLUOX-PMS-Studie macht zumindest deutlich, dass es nicht einfach ist, bei progredienter MS geeignete und gut messbare Studienendpunkte zu definieren und die Studien so lange zu führen, bis klar ist, ob eine Substanz wirkt oder auch nicht. Nach zwei Jahren gingen in der Untersuchung die Kurven für die Krankheitsprogression bei Patienten mit Fluoxetin und solchen mit Placebo klar auseinander, der primäre Endpunkt wurde jedoch knapp verfehlt (p = 0,07). Dennoch macht die Studie Hoffnung, mit einer recht preiswerten Therapie progrediente MS-Formen zu bremsen. SSRI haben neuroprotektive Eigenschaften Auf die Idee mit Fluoxetin kamen die Studienärzte um Dr. Melissa Cambron von der Universität in Brüssel, weil immer wieder Hinweise auf neuroprotektive Eigenschaften von SSRI auftauchen. So stimulieren die Medikamente die Freisetzung des Nervenwachstumsfaktors BDNF, auch der Astrozytenmetabolismus wird angekurbelt und die Glutamattoxizität gelindert. All das könnte den geschädigten Nerven in der progredienten Phase einer MS das Leben oder vielmehr Überleben erleichtern. FLUOX-PMS wurde als Multicenterstudie in Belgien und den Niederlanden aufgelegt und soeben abgeschlossen. Erste Daten stellte Cambron auf dem MS-Kongress ECTRIMS in London vor. Teilnehmer waren 151 Patienten mit primär (42 %) oder sekundär (58 %) progredienter MS. Das Alter lag im Schnitt bei 54 Jahren, die Krankheitsdauer bei rund 19 Jahren, der EDSS-Wert bei 5,2. Als primären Endpunkt wählten die Studienärzte die Zeit bis zur bestätigten Krankheitsprogression. Erfüllt war das Kriterium, wenn die Patienten 20 % mehr Zeit als zu Beginn benötigten, um eine Gehstrecke von 25 Fuß (7,6 Metern) zu bewältigen. Diese Verschlechterung musste zum Studienende seit mindestens zwölf Wochen bestehen. Weitere Endpunkte waren der Anteil mit stabilem Hauser-Ambulation-Index (HAI). Der Index bezieht sich ebenfalls auf eine Gehstrecke von 25 Fuß, berücksichtigt neben der Zeit aber auch Hilfsmittel wie Stöcke und Krücken. Schließlich wurde die Zeit beim Nine-Hole-Peg-Test (NHPT) bestimmt. Dabei müssen die Patienten neun Holz- oder Kunststoffdübel in eine vorgefertigte Form stecken und anschließend wieder herausnehmen. Auch hier wird der Zustand als stabil betrachtet, solange die Patienten nicht 20 % mehr Zeit benötigen als zu Studienbeginn. Die eine Hälfte der Teilnehmer wurde auf 40 mg/d Fluoxetin eingestellt, die andere auf Placebo. Nach zwei Jahren waren 70 % der Patienten unter Fluoxetin frei von einer weiteren Krankheitsprogression, der Anteil unter Placebo lag bei 62 %. Mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 7 % war das Ergebnis statistisch nicht signifikant. Die Kurven zwischen beiden Therapiegruppen begannen sich jedoch bereits nach etwa einem Jahr auseinanderzuentwickeln. Eine höhere Patientenzahl oder eine längere Studienlaufzeit hätte möglicherweise für ein deutlicheres Ergebnis gesorgt. Besonders ausgeprägt waren die Unterschiede in den Verlaufskurven beim HAI, gefolgt von der Zeit für die 25-Fuß-Gehstrecke, doch auch hier gab es keine statistisch signifikanten Differenzen. Beim Nine-Hole-Peg-Test zeigte sich nicht einmal ein Trend. Neuroprotektion oder nur gesteigerte Motivation? Ein Problem bei der Studie war die geringe Progressionsrate. Die Studienärzte hatten in der Placebogruppe eine Rate von etwa 50 % erwartet. Cambron gab zu, dass die Studiendauer wohl zu kurz war. „Es ist jedoch eine Herausforderung, die Patienten über längere Zeit bei der Stange zu halten, vor allem bei einem placebokontrollierten Studiendesign“, sagte die MS-Expertin. Eine Hoffnung auf ein positives Ergebnis bleibt noch: So sind die MRT-Daten und die kognitiven Tests bislang nicht ausgewertet worden, hier könnte sich also noch die eine oder andere Überraschung verbergen. Auf der anderen Seite mag die stimmungsaufhellende Wirkung von Fluoxetin das Ergebnis verzerrt und die Patienten etwas stärker bei den Tests motiviert haben als in der Placebogruppe. „Dieser Effekt könnte in der Tat sehr bedeutsam sein“, sagte Cambron darauf angesprochen. „Wenn die antidepressive Wirkung dazu führt, dass die Patienten besser gehen können, wäre damit aber auch ein wichtiges Ziel erreicht.“ Sollte sich eine Wirksamkeit von SSRI bestätigen, sieht die Neurologin aber eher neuroprotektive Mechanismen am Werk.

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