Myelinreparatur mit Stammzellen und Hormonderivaten

Aus dem Knochenmark gewonnene neuronale Vorläuferzellen können offenbar neurologische Schäden bei MS-Patienten lindern. Ähnliches versprechen sich Forscher von neu entwickelten Östrogenagonisten. Auf der Suche nach Therapien, die das angegriffene Nervensystem bei MS-Patienten wieder reparieren, gehen Forscher sehr unterschiedliche Wege. Sowohl mit Stammzellen als auch mit therapeutischen Antikörpern sowie kleinen Molekülen, die die Remyelinisierung ankurbeln, wollen sie solchen MS-Patienten helfen, die bereits deutliche Behinderungen aufweisen oder sich in einer progredienten Phase der Erkrankung befinden. Neue Erkenntnisse zu solchen Strategien wurden nun auf dem US-Neurologenkongress AAN in Vancouver vorgestellt. Funktionelle Verbesserungen mit Stammzellen Aus dem Knochenmark gewonnene Stammzellen eignen sich offenbar, das bei MS außer Kontrolle geratene Immunsystem wieder etwas in geordnete Bahnen zu lenken. Zum einen wurden in Tierversuchen immunmodulierende Effekte beobachtet, zum anderen können solche Zellen auch Neuronen vor Schäden schützen und die Remyelinisierung stimulieren. Wie sie das tun und was genau passiert, wenn solche Zellen ins Hirn gelangen, ist noch weitgehend unklar und wird derzeit intensiv erforscht. Zum Teil werden dabei autologe mesenchymale Stammzellen MS-Patienten einfach intravenös verabreicht, in der Hoffnung, regulatorische oder remyelinisierende Effekte zu erzielen. Erste Pilotstudien deuten jedoch auf wenig ausgeprägte Effekte. Einen anderen Weg geht eine Gruppe um Dr. Saud Sadiq vom Tisch MS Research Center in New York. Die Forscher isolieren zwar auch mesenchymale Stammzellen aus dem Knochenmark und vermehren sie in Kultur, behandeln die Zellen anschließend aber mit einem Cocktail von Wachstumsfaktoren, um sie in neuronale Vorläuferzellen zu verwandeln. Diese injizieren sie den Patienten intrathekal. Bessere Blasenfunktion Von den neuronalen Vorläuferzellen versprechen sich die Forscher einige Vorteile. So können die Zellen im Gegensatz zu mesenchymalen Stammzellen kein Fett- oder Knochengewebe mehr bilden und sind daher eher für eine intrathekale Anwendung geeignet. Zudem glauben viele Wissenschaftler, dass mit solchen Vorläuferzellen die Neuroregeneration besser gelingt. In eine Pilotstudie mit sechs Patienten mit progredienter MS ließen sich bei vier temporäre Verbesserungen von etwa einem Punkt auf der EDSS-Skala beobachten, auch verbesserte sich die Blasenfunktion bei einem Teil der Patienten (wir berichteten, http://www.springermedizin.de/forscher-setzen-bei-ms-auf-stammzellen/5361146.html?cm_mmc=suche-_-MS_Stammzellen_Mueller-_-freshness_ForschersetzenbeiMSaufStammzellen-5361146-true-_-6) Auf dem AAN-Kongress konnte das Team um Sadiq nun Ergebnisse einer Studie mit 20 Patienten vorstellen, die eine intrathekale Therapie mit neuronalen Vorläuferzellen erhalten hatten. Alle Patienten waren klinisch relativ stabil – sie hatten sich im Laufe eines Jahres um weniger als einen EDSS-Punkt verschlechtert. Vier der Patienten litten unter einer primär progredienten MS, 16 unter einer sekundär progredienten Form; der EDSS-Wert lag zu Beginn zwischen 3,5 und 8,5 Punkten. Die MS-Kranken erhielten drei intrathekale Behandlung mit bis zu 10 Millionen Stammzellen im Abstand von drei Monaten. Mehr vom Kongress Weitere Beiträge finden Sie in unserem Dossier "AAN-Kongress 2016"! Inzwischen liegen Daten zu 13 der Patienten vor. Bei acht von ihnen (62 %) zeigten sich neurologische Verbesserungen in den ersten sechs Monaten nach der letzten Anwendung, erläuterte Sadiq. Bei vier kam es zu einer Reduktion des EDSS-Werts um mindestens einen halben Punkt, bei einem Patienten um zwei Punkte. Zwei der MS-Kranken konnten wieder besser gehen, fünf (38 %) verbesserten ihre Blasenfunktion, drei von ihnen konnten die Medikamente gegen ihre überaktive Blase absetzen. Als therapiebezogene Nebenwirkungen traten bei rund zwei Drittel der Patienten Kopfschmerzen auf, die aber innerhalb von 24 Stunden verschwanden, bei 18 % wurde leichtes Fieber nach der intrathekalen Applikation beobachtet. Sollten ähnlich positive Resultate bei den übrigen Patienten erzielt werden, wollen die Forscher um Sadiq mit einer kontrollierten Phase-2-Studie beginnen. Östrogenagonist fördert Remyelinisierung Kurz vor der klinischen Anwendung befindet sich ein anderer Ansatz. Wissenschaftler um Dr. Steven Nye vom Unternehmen Endece Neural in Mequon, Wisconsin, haben ein Östrogenderivat entwickelt, das praktisch keine hormonellen Eigenschaften mehr besitzt, dafür aber die Reifung von Oligodendrozyten-Vorläuferzellen stark vorantreibt. Die Substanz bindet an Östrogenrezeptoren der Vorläuferzellen und beschleunigt deren Differenzierung zu Oligodendrozyten. Hier besteht also die Hoffnung, dass vermehrt diejenigen Zellen in Gang kommen, die beschädigte Axone wieder remyelinisieren können. In einem MS-Mausmodell konnten sie mit dem Wirkstoff NDC-1308 die Remyelinisierung im Vergleich zu unbehandelten Tieren deutlich verbessern, und zwar um 18 % in kortikalen Arealen und um 44 % im Hippocampus. Auch konnten die behandelten Tiere mit ihren Vorderpfoten besser greifen. Östrogene, mutagene oder genotoxische Nebenwirkungen wurden bei den Tieren nicht beobachtet. Die Forscher erwägen nun erste klinische Studien mit der Substanz.

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