Heimdialyseverfahren in Deutschland stärken

Eine Peritonealdialyse (PD) erlaubt flexiblere Behandlungszeiten und eine weitgehend uneingeschränkte Bewegungsfreiheit in gewohnter, häuslicher Umgebung. Doch obwohl die häuslich durchgeführte PD medizinisch gleichwertig zur Hämodialyse (HD) im Zentrum ist, wird sie in Deutschland vergleichsweise selten angewendet. Die Deutsche Gesellschaft für Nephrologie (DGfN) hat nun einen 10-Punkte-Plan zur Stärkung der Heimdialyse vorgelegt. Etwa 10% der Deutschen sind von einer chronischen Nierenerkrankung betroffen. Nierenersatzverfahren der Wahl sind bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz die Nierentransplantation sowie eine Dialysebehandlung. Letztere kann sowohl in einem Zentrum, als auch zu Hause (Heimdialyse) durchgeführt werden – entweder als HD oder als PD [1]. Medizinisch gleichwertig zur HD im Zentrum erlaubt die Heim-PD flexiblere Behandlungszeiten und weitgehende Bewegungsfreiheit in gewohnter Umgebung. In Deutschland ist die Heimdialyse allerdings stark unterrepräsentiert, obwohl sich geschätzt ein Drittel der Patient*innen mit terminaler Niereninsuffizienz für die ambulante PD qualifizieren würden [2]. So werden 93% der etwa 80.000 Patient*innen, die einer ständigen Dialysetherapie bedürfen, mittels HD in Zentren behandelt und nur wenige erhalten ein Heimdialyseverfahren wie PD (6%) oder Heimhämodialyse (HHD; 1%) [3]. Im europäischen Vergleich bildet Deutschland damit das Schlusslicht [1]. Gründe für niedrige PD-Rate in Deutschland Gründe für die auch im internationalen Vergleich niedrige PD-Rate in Deutschland liefern u.a. Ergebnisse der Studie MAU-PD (Multidimensionale Analyse der Ursachen für die niedrige Prävalenz der ambulanten Peritonealdialyse in Deutschland), in der das Phänomen mithilfe multivariabler Regressionsmodelle und Propensity-Score-Matching-Verfahren auf Basis qualitativer Studien (Interviews, Fokusgruppen), quantitativer postalischer Befragungen sowie Sekundärdaten untersucht wurde. Dabei stellte sich heraus, dass 92% aller Nephrolog*innen die PD und die HD als medizinisch gleichwertige Nierenersatzverfahren betrachten [4,5]. 91% der Befragten würden das Heimdialyseverfahren auch für sich selbst präferieren, sollten sie einmal eine Dialyse benötigen (Abb. 1) [5]. Abb.1: Potenzielle Dialysewahl von Nephrolog*innen (modifiziert nach [5]) Springer Medizin Verlag GmbH × In einem zweiten Forschungsprojekt, der Studie CORETH (The Choice of Renal Replacement Therapy), wurden Fragen zum Versorgungsgeschehen evaluiert, welche die persönlichen Bedürfnisse und das soziale Umfeld der Patient*innen adressieren: Wie beeinﬂusst das Dialyseverfahren die Lebensqualität? Welche Bedingungen führen zur Nutzung verschiedener Dialyseverfahren und wie steht es um die Behandlungszufriedenheit? Wie Dr. Carla-Maria Brandes, Baxter, berichtete, schnitten PD-Patient*innen mit der Wahl ihres Nierenersatzverfahrens über nahezu alle Indikatoren hinweg besser ab als HD-Patient*innen: u.a. hinsichtlich Behandlungszufriedenheit, kognitiver Funktionen, sozialer Integrität, Autonomie oder Wohnraum – und dies auch nach Berücksichtigung unterschiedlicher Ausgangsvoraussetzungen wie Alter, Bildungsniveau und Beschäftigungsverhältnis sowie Komorbidität (Charlson-Index). Weiterhin stellte sich in den leitfadengestützten, problemzentrierten Interviews heraus, dass der Prozess der gemeinsamen Entscheidungsfindung (SDM) – neben dem individuellen psychosozialen Ausgangsprofil – ausschlaggebend für die Behandlungszufriedenheit der Patient*innen war [2]. Folglich könnte die Behandlungszufriedenheit weiter erhöht werden, wenn das Konzept der SDM sowie ein (frühzeitiges) Screening von Patientenmerkmalen, z.B. durch eine angepasste Patientenschulung und -beratung zu spezifischen Bedürfnissen, einen höheren Stellenwert bekäme. In der MAU-PD-Studie gaben immerhin 47,6% der Patient*innen an, die Entscheidung für das Dialyseverfahren im Sinne der SDM getroffen zu haben, während die Entscheidung in 19,6% der Fälle allein und ggf. mit Angehörigen getroffen wurde und in 32,8% durch den Dialysearzt/die Dialyseärztin erfolgte [5]. In der Studie wurden insgesamt vier Faktoren identifiziert, die für die geringe Nutzung der PD in Deutschland verantwortlich gemacht werden können [4]: mangelnde Patientenaufklärung: 41% der Patient*innen wurden nicht darüber informiert, dass grundsätzlich zwei verschiedene Dialyseverfahren existieren und mehr als 50% gaben an, nicht zu wissen, ob ihr Dialysezentrum aktuell PD oder HHD anbietet. strukturelle Defizite: Auf durchschnittlich 140 Patient*innen im Dialysezentrum kommen im Schnitt 4,6 Ärzt*innen, von denen 44% zusätzlich im Krankenhaus tätig sind. Zudem verfügen 30% der Zentren über keine PD-Pflegekraft. unzureichende Integration des Themas PD in die fachärztliche Aus- und Weiterbildung: 40% der befragen Ärzt*innen gaben an, die PD in ihrer nephrologischen Facharztausbildung kaum oder gar nicht kennengelernt zu haben, 95% hätten sich aber mehr PD-Inhalte in der Facharztausbildung gewünscht. Gleichzeitig ließ sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen dem Kennenlernen der PD in der Facharztausbildung und der aktuellen PD-Quote erkennen. wirtschaftliche Barrieren: Die PD wird für ein Dialysezentrum erst ab 10,5 PD-Patient*innen wirtschaftlich. DGfN legt 10-Punkte-Plan vor Die DGfN hat aus diesen Daten Konsequenzen gezogen und in einer Stellungnahme angekündigt, die Heimdialyse in Deutschland stärken zu wollen. Dazu wurde ein 10-Punkte-Plan erstellt, der mit Unterstützung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) sowie Verantwortlichen der Gesundheitspolitik umgesetzt werden soll [1]. Wie auch in der MAU-PD-Studie wurden die drei wichtigsten Kernbereiche zur nachhaltigen Förderung der PD identifiziert. Hierzu zählen die Aufklärung (z.B. durch das Erarbeiten von standardisierten Aufklärungsmaterialien über sämtliche Verfahren der Nierenersatztherapie), die Ausbildung (u.a. das Sicherstellen und Durchführen aller Formen der Dialyseverfahren während der fachärztlichen Aus- und Weiterbildung mit entsprechend angepasster Weiterbildungsordnung, Überwindung der Sektorengrenzen durch eine ausgeweitete telemedizinische Versorgung zur Stärkung der Heimdialyse) sowie das Sicherstellen einer angemessenen Vergütung für jegliche Form der Dialyseverfahren (Abb. 2). Weitere Punkte, die perspektivisch den Anteil der Heimdialyse in Deutschland erhöhen und die Nierentransplantation stärken sollen, umfassen die Einführung eines Nationalen Nierenplans und Disease-Management-Programms für chronische Nierenerkrankungen, das Fördern der Nierentransplantation, die Einführung eines Dialyseregisters zur Erfassung der Behandlungsgüte sowie den Aufbau eines Deutschen Zentrums für Nierenkrankheiten (DZNK) [1]. Abb.2: Die drei „A’s“: Kernbereiche für Handlungsansätze zur nachhaltigen Förderung der Peritonealdialyse (PD) (modifiziert nach [5]) Springer Medizin Verlag GmbH × Ambulante PD-Versorgung in der Praxis Wie ein Blick auf die Altersverteilung von Dialysepflichtigen zeigt, nimmt der Anteil der Hochbetagten (>80 Jahre) im Dialysealltag zu [6]. Gerade aus der Perspektive der/des betagten Dialysepatient*in gehe es aber nicht allein ums Überleben, sondern vielmehr um die Verbesserung bzw. den Erhalt der individuellen Lebensqualität, so Gabriele Hackenberg, niedergelassen in der Internistischen Gemeinschaftspraxis mit Dialyse, Memmingen. Bedenke man, dass die Zentrums-HD betagten, oftmals multimorbiden Patient*innen einerseits keinerlei Mortalitätsvorteil gegenüber der PD biete [7] und andererseits ältere HD-Patient*innen bis zu 47,5% ihrer Zeit mit der Dialyse, Warte- und Transportzeiten, der Regeneration bei postdialytischer Fatigue sowie stationären Aufenthalten verbringen müssten [8], profitiere auch diese Gruppe von der PD: zumal sich Infektionsrisiken und Zeitaufwand rund um den Transport während der Pandemie nochmals erhöht hätten. Begleitende kognitive Einschränkungen oder eine eingeschränkte Mobilität müssten kein Hindernis darstellen, wenn es Konzepte wie die assistierte PD gebe, bei der Ehepartner*in, Angehörige oder auch ein geschulter Pflegedienst die Heimdialyse unterstützten. Ein zusätzliches telemedizinisches Monitoring könne das Sicherheitsgefühl verbessern, berichtete Hackenberg aus der eigenen Praxis. In Deutschland wird eine PD-Assistenz durch den Pflegedienst derzeit über einen Einzelantrag an die Krankenkasse verordnet. International wird die assistierte PD zum Teil bereits seit Längerem erfolgreich gefördert und praktiziert [9]. Durch die Kombination von partnerschaftlicher Entscheidungsfindung gemäß SDM, der Verfügbarkeit verschiedener Konzepte der PD (z.B. intermittierende oder inkrementelle PD) und einem gut ausgebildeten und informierten Ärzte- und Dialyseteam können die Patient*innen schon heute von einem patientenzentrierten Behandlungsansatz profitieren, mit der sich die Lebens- und Dialysequalität verbessern sowie individuelle Patientenbedürfnisse berücksichtigen lassen, wie in den internationalen Leitlinien für eine qualitativ hochwertige, zielgerichtete PD-Versorgung gefordert wird [10]. Literatur Pressemeldung der DGfN: https://www.dgfn.eu/pressemeldung/pressemappe-kongress-fuer-nephrologie-2021.html (letzter Zugriff: 3.1.2022) Robinski M et al., Nephrol Dial Transplant 2017, 32:315–324 Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen (IQTIG), Jahresbericht 2018: www.g-ba.de/downloads/39-261-3977/2019-09-19_QSD-RL_IQTIG-Jahresbericht-2018-Datenanalysten.pdf (letzter Zugriff: 3.1.2022) Zusammenfassung der MAU-PD-Ergebnisse: www.maupd.uni-koeln.de/wp-content/uploads/2020/03/MAUPDErgebnisflyerDruckhelden.pdf (letzter Zugriff: 3.1.2022) MAU-PD-Ergebnisbericht: https://innovationsfonds.g-ba.de/downloads/projekt-dokumente/64/2021–10–31_MAU-PD_Ergebnisbericht.pdf (letzter Zugriff: 3.1.2022) Bechtel U, Abu-Tair M, Nephrologe 2021,13:1–7 Aydede SK et al., BMC Nephrol 2014, 15:118 Carson RC et al., J Am Soc Nephrol 2009, 4:1611–1619 Giuliani A et al., Perit Dial Int 2017, 37:503–508 Brown EA et al., Perit Dial Int 2020, 40:244–253 Impressum Virtuelles Pressebriefing „Stärkung der Heimdialyse – individuelle Patientenanforderungen im Blick“, 6. Dezember 2021 Berichterstattung: Dr. Yuri Sankawa, Stuttgart Artikel gedruckt in Der Nephrologe 2/2022 Mit freundlicher Unterstützung der Baxter Deutschland GmbH, Unterschleißheim Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Anne Kathrin Steeb Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature. 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