Selumetinib – die erste Therapie bei inoperablen plexiformen Neurofibromen

Selumetinib von Alexion ist die erste medikamentöse Therapie für Kinder und Jugendliche mit symptomatischen, inoperablen plexiformen Neurofibromen (PN) im Rahmen einer Neurofibromatose Typ 1 (NF1). Die meisten Patientinnen und Patienten profitierten mit Remission, funktionaler Besserung und/oder Schmerzreduktion. >>Mehr zum Galenus-von-Pergamon-Preis Selumetinib ist ein Inhibitor von MEK 1/2 und hemmt so die bei NF1 überaktivierte Ras-Signaltransduktion. So verhindert es eine übermäßige Zellproliferation. Alexion × Die NF1 ist ein seltenes Tumorprädispositionssyndrom, das bei etwa der Hälfte der Fälle autosomal dominant vererbt wird und u. a. mit Hautveränderungen, Knochenanomalien sowie kardiovaskulären, endokrinologischen und neuropsychologischen Störungen einhergehen kann. 30–50 Prozent der Betroffenen mit NF1 weisen bereits bei Geburt unter der Haut oder in tieferen Körperregionen PN auf. Diese sind primär gutartig, können aber insbesondere im Kindes- und Jugendalter häufig expansiv wachsen und schwere Komplikationen verursachen – z. B. Schmerzen, motorische/funktionale Defizite oder körperliche Entstellung. Etwa zehn Prozent der PN entarten in maligne periphere Nervenscheidentumoren, die früh metastasieren und ein Hauptgrund für eine verkürzte Lebenserwartung bei NF1 sind. Tumorreduktion ohne Chirurgie Bis vor Kurzem war die chirurgische Behandlung die einzige Therapieoption bei PN. Viele PN lassen sich jedoch nicht vollständig resezieren und nach Teilresektion besteht das Risiko eines erneuten Wachstums. Mit der Zulassung von Selumetinib (Koselugo®) für Kinder ab drei Jahren und Jugendliche mit NF1 und symptomatischen, inoperablen PN gibt es erstmals eine Therapie, die das Tumorvolumen verkleinern und die tumorassoziierte Symptomatik reduzieren kann. Selumetinib ist seit August 2021 in Deutschland verfügbar. Studie SPRINT: Phase I Die zulassungsrelevanten Daten stammen aus den SPRINT (Selumetinib in Pediatric Neurofibroma Study)-Studien der Phase I bzw. Phase II (Stratum 1). In der Phase-I-Studie wurden 24 Kinder/Jugendliche mit NF1 und inoperablen PN 2× täglich mit 20–30 mg/m2 Körperoberfläche (KO) Selumetinib behandelt [1]. Die maximal tolerable Dosis betrug 25 mg/m2 KO. 71 Prozent der Patientinnen und Patienten erzielten eine partielle Remission (PR, definiert als Reduktion des Tumorvolumens um ≥ 20 Prozent). Studie SPRINT: Phase II Die offene Phase-II-Studie, die in unterschiedlichen Populationen (Stratum 1 bzw. Stratum 2) durchgeführt wurde, bestätigte die Tumorreduktion durch Selumetinib und zeigte, dass sich die geringere Tumormasse in einen klinisch bedeutsamen Nutzen übersetzt. 50 Kinder/Jugendliche im Alter von median 10,2 (3,5–17,4) Jahren, die inoperable PN und mindestens eine PN-assoziierte Komplikation aufwiesen (Stratum 1), wurden kontinuierlich 2× täglich mit 25 mg/m2 KO Selumetinib behandelt [2]. Insgesamt erhielten die Patientinnen und Patienten median 36 (0–47) Zyklen à 28 Tage. Als primärer Endpunkt wurde der Anteil der Patientinnen und Patienten untersucht, die mindestens eine PR, d. h. eine ≥ 20-prozentige Reduktion des Tumors mit der größten klinischen Relevanz (Target-Läsion) im Vergleich zum Basalbefund, erreichten. 88 Prozent der Kinder/Jugendlichen litten bei Studieneinschluss unter Entstellung, 66 Prozent unter motorischer Dysfunktion, 52 Prozent unter Schmerzen. Steigerung der Lebensqualität 68 Prozent der Kinder/Jugendlichen erzielten eine (nach mindestens drei Monaten) bestätigte PR; bei 56 Prozent hielt die PR im Verlauf von mindestens zwölf Zyklen an. Die Rate des progressionsfreien Überlebens betrug nach drei Jahren 84 Prozent – in einer Studie zum natürlichen Verlauf mit unbehandelten, gleichaltrigen NF1-Patientinnen und -Patienten mit PN dagegen nur 15 Prozent. 78 Prozent entwickelten in dieser Studie zum natürlichen Verlauf innerhalb von 3,2 Jahren eine Zunahme des Tumorvolumens um ≥ 20 Prozent. 68 Prozent der Patientinnen und Patienten profitierten von einer Verbesserung in mindestens einem der gemessenen Parameter (Selbst- bzw. Fremdbeurteilung, funktional). So betrug die als klinisch bedeutsam eingestufte Reduktion des Schmerzscores nach einem Jahr durchschnittlich zwei Punkte auf einer elfteiligen numerischen Analogskala. 48 Prozent der Kinder/Jugendlichen bzw. 58 Prozent der Eltern berichteten über eine klinisch bedeutsame Verbesserung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität. Bei 56 Prozent der Patientinnen und Patienten mit motorischer Dysfunktion zeigte sich eine klinisch bedeutsame Zunahme der Kraftentwicklung, bei 38 Prozent eine relevante Zunahme der Beweglichkeit. Die häufigsten Nebenwirkungen bestanden in leichten bis moderaten gastrointestinalen Symptomen (Übelkeit, Erbrechen oder Diarrhö), akneiformem Hautausschlag und Paronychie. Die parallel durchgeführte Untersuchung der Population aus Stratum 2 legt den Schluss nahe, dass Selumetinib auch die Entwicklung der PN-assoziierten Morbidität verhindern kann: Kinder mit inoperablen PN, die noch keine signifikante Morbidität verursachten, aber das Potenzial dazu hatten, entwickelten im Verlauf von median 41 Behandlungszyklen keine neuen PN-bedingten Beschwerden. Der Anteil der Patientinnen und Patienten mit bestätigter PR betrug 72 Prozent [3]. (spg) Selumetinib blockiert den Raf-MEK-ERK-Signalweg Selumetinib, ein selektiver Inhibitor der Mitogen-aktivierten Proteinkinase-Kinase 1 und 2 (MEK 1/2), greift in den Pathomechanismus ein, der für die Entstehung der Neurofibromatose Typ 1 (NF1) und das Wachstum plexiformer Neurofibrome verantwortlich ist. Im Mittelpunkt steht das Tumorsuppressor-Protein Neurofibromin, dessen Funktion die Stabilisierung des Signalproteins Ras in der inaktiven Form ist. Bei NF1 besteht aufgrund von Mutationen des für Neurofibromin kodierenden Gens NF1 ein Mangel an funktionalem Neurofibromin. Daraus resultiert eine Überaktivierung von Ras bzw. eine exzessive Stimulation des Raf-MEK-ERK-Signalwegs und infolge dessen eine vermehrte Zellproliferation und ein verbessertes Überleben, was zur Tumorentstehung beiträgt. Die MEK-Inhibition durch Selumetinib bewirkt eine Blockade des Raf-MEK-ERK-Signalwegs, die zu einer Hemmung des NF1-assoziierten Tumorwachstums bzw. einer Reduktion plexiformer Neurofibrome führt. Die Rare-Disease-Sparte des AstraZeneca-Konzerns Branche: Alexion wurde 1992 in Boston, USA, gegründet. Ende 2020 gab AstraZeneca bekannt, den Orphan-Drug-Hersteller für 39 Milliarden Dollar übernehmen zu wollen. In den Konzern integriert, ist „Alexion, AstraZeneca Rare Disease“ heute die Sparte des schwedisch-britischen Arzneimittelherstellers, die auf seltene Krankheiten fokussiert. Die Produktentwicklung richtet sich laut Unternehmen auf neuartige Moleküle und Zielstrukturen in der Komplementkaskade sowie die Anwendungsgebiete Hämatologie, Nephrologie, Neurologie, Stoffwechselstörungen, Kardiologie und Ophthalmologie. Alexion hat seinen Hauptsitz nach wie vor in Boston. AstraZeneca zählt zu den weltweit größten forschenden Pharma-Playern. Das Portfolio beinhaltet Medikamente gegen Herz-Kreislauf- Erkrankungen und Stoffwechselerkrankungen, Atemwegskrankheiten, Krebs, Entzündungen und Autoimmun- und ZNS-Erkrankungen. Darüber hinaus werden Impfstoffe entwickelt und vermarktet. Umsatz und Gewinn: Alexion meldete im letzten Jahr seiner Eigenständigkeit (2020) rund 6,1 Milliarden Dollar Umsatz. AstraZeneca weist für das jüngste Berichtsjahr (2022) Gesamteinnahmen von über 44,4 Milliarden Dollar aus. Nach Steuern resultierten daraus knapp 3,3 Milliarden Dollar Gewinn. F&E-Ausgaben: AstraZenecas F&E-Aufwendungen blieben 2022 mit 9,8 Milliarden Dollar auf dem Rekordniveau des Vorjahres. Pipeline: Aktuell bearbeitet der Konzern 179 klinische Projekte, darunter 15 neue Wirkstoffe in bereits weit fortgeschrittenen Entwicklungsstadien. Im F&E-Ressort „Rare Diseases“ werden 21 Projekte bearbeitet, sechs in Phase III. Darunter etwa die Antikörper Gefurulimab (Indikation: Myasthenia gravis) und Anselamimab (AL-Amyloidose). (cw) Quelle: ÄrzteZeitung

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