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30.03.2020 | Orthopädische Chirurgie | Nachrichten

Begrenztes Zeitfenster

Bei chronischem „Ischias“ nicht zu lange mit der Op. warten

verfasst von: Dr. Elke Oberhofer

Patienten mit anhaltenden Ischiasschmerzen aufgrund eines Bandscheibenvorfalls profitieren möglicherweise von einer zeitnahen Diskektomie, so das Ergebnis einer randomisierten Studie aus Kanada. Für die Patientenberatung taugen die Daten jedoch nur bedingt.

Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.

Ischiasbeschwerden, die im Zusammenhang mit einem akuten Bandscheibenvorfall auftreten, sind in der Regel keine Op.-Indikation. Studien haben gezeigt, dass sich die Schmerzen in 90% der Fälle innerhalb von vier Monaten unter konservativer Therapie bessern. Was aber, wenn dies nicht der Fall ist und die Schmerzen chronisch werden? Bisherige Studien wie SPORT* geben hierzu keine befriedigende Auskunft, da zwischen Schmerzbeginn und Studieneinschluss in diesen Studien maximal ein halbes Jahr, meist aber deutlich weniger vergangen war.

Beschwerden seit mindestens vier Monaten

Ein Team aus Kanada hat jetzt ein Zeitfenster gewählt, das auf den frühen chronischen Zustand zugeschnitten ist: Die Patienten in ihrer Studie hatten die Ischiasbeschwerden seit mindestens vier Monaten und höchstens einem Jahr; ein Bandscheibenvorfall musste nachgewiesen sein, der die Ebenen L4‒5 oder L5‒S1 betraf. Vorbehandelte Patienten waren ausgeschlossen.

Insgesamt 128 Teilnehmer wurden entweder einer minimalinvasiven Diskektomie oder einer konservativen Therapie mit Patientenedukation, Physiotherapie und ggf. Glukokortikoidinjektionen zugelost.

Nach Op. deutlich weniger Schmerzen im Bein

Nach einem halben Jahr wurden die Beinschmerzen auf einer visuellen Analog-Skala gemessen. Ergebnis der Intention-to-treat-Analyse: Die Schmerzintensität war in der Op.-Gruppe deutlich geringer, die Werte für diesen primären Endpunkt lagen bei median 2,8 gegenüber 5,2 auf der 10-Punkte-Skala (ursprünglich 7,7 bzw. 8,0; höhere Punktwerte entsprechen stärkeren Schmerzen). Im Mittel hatten die Op.-Kandidaten nach Studieneinschluss nur etwa drei Wochen auf den minimalinvasiven Eingriff gewartet.

Allerdings hatten sich immerhin sieben Patienten aus dieser Gruppe kurzfristig der Op. verweigert, weil ihre Symptome sich vor dem Termin gebessert hatten. In einem weiteren Fall kam es aufgrund einer Herzrhythmusstörung nicht zur Operation.

Auch 22 Teilnehmer aus der konservativen Gruppe, bei denen die Therapie offenbar wenig erfolgreich war, entschieden sich letztlich um. Sie wurden nach im Mittel elf Monaten doch noch operiert. 

Die durch den Eingriff bedingte Nebenwirkungsrate war bei den später Operierten kaum höher als in der designierten Op.-Gruppe (8% gegenüber 6%). Am häufigsten traten oberflächliche Wundinfektionen und neuropathische Schmerzen auf. Nur ein Patient musste etwa neun Monate nach dem Eingriff erneut diskektomiert werden, weil es zu einem Rezidiv gekommen war.

Nach einem Jahr immer noch im Vorteil

Nach insgesamt einem Jahr waren die operierten Patienten bei der Schmerzstärke immer noch im Vorteil (2,6 vs. 4,7 Punkte). Auch die funktionellen Einschränkungen im Alltag waren laut ODS (Oswestry Disability Score) geringer.

Grundsätzlich könne man aus diesen Ergebnissen folgern, dass eine frühe Entlastung der komprimierten Nervenwurzel von Vorteil sei, weil dadurch das Risiko fortbestehender Schmerzen minimiert werde, so Dr. Andrew J. Schoenfeld vom Brigham and Women’s Hospital und Dr. James D. Kang von der Harvard Medical School, beide Boston, im begleitenden Editorial.  Die aktuelle Studie habe nachgewiesen, dass Teilnehmer mit anhaltenden Ischiasschmerzen deutlich von der Op. profitierten.

Was man jedoch nicht berücksichtigt habe, seien das Ausmaß des Bandscheibenvorfalls und der Grad der Nervenwurzelkompression. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse ist auch dadurch eingeschränkt, dass nur ein Zentrum an der Studie beteiligt war. Und schließlich ist ein Verzerrungsrisiko nicht auszuschließen, welches darauf beruht, dass Patienten mit stärkeren Schmerzen eher zur Op. geneigt sein dürften als solche mit eher milden Beschwerden.

Entscheidung nicht zu lang hinauszögern

Schoenfeld und Kang empfehlen, die Patienten über den Zusammenhang zwischen Symptomdauer und Op.-Resultat aufzuklären und dann im Einvernehmen zu entscheiden. „Wenn der Patient nach einer angemessen langen Phase mit nichtoperativen Maßnahmen keine Besserung spürt, geht unsere Empfehlung eher Richtung Op.“, so die Experten. Zu lange dürfe man die Entscheidung aber offenbar nicht hinziehen: In einer Nachauswertung der SPORT-Studie hatte sich das Ergebnis sowohl bei operativem als auch bei konservativem Vorgehen verschlechtert, wenn der Patient zuvor seit einem halben Jahr oder länger unter Schmerzen gelitten hatte.

Bei welchen Patienten aber z. B. eine unmittelbare Operation von Vorteil sei und wie lange man das konservative Vorgehen maximal ausdehnen dürfe, bevor man sich doch noch zum Eingriff entschließe, bleibe nach wie vor offen.

*Spine Patient Outcomes Research Trial

Das Wichtigste in Kürze

Frage: Ist bei Patienten mit anhaltenden Ischiasschmerzen die minimalinvasive Diskektomie einer konservativen Therapie  überlegen?

Antwort: Bei Patienten, die seit mindestens vier Monaten unter Ischiasschmerzen litten, war eine zügige Op. mit geringeren Schmerzstärken nach einem halben Jahr verbunden.

Bedeutung: Patient mit chronischen Ischiasschmerzen profitieren offenbar von einem zeitnahen operativen Vorgehen.

Einschränkung: Nur ein klinisches Zentrum beteiligt; keine Angaben zum Ausmaß des Bandscheibenvorfalls und der Nervenkompression.


Literatur

Bailey CS et al. Surgery versus Conservative Care for Persistent Sciatica Lasting 4 to 12 Months. N Engl J Med 2020; 382: 1093-1102; https://doi.org/10.1056/NEJMoa1912658

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