Mehr Autoimmunerkrankungen nach COVID-19

Nach überstandener akuter SARS-CoV-2-Infektion besteht ein erhöhtes Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln. Das zeigt eine Auswertung der Daten von mehr als 640.000 in Deutschland gesetzlich Krankenversicherten, die an COVID-19 erkrankt waren. Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels. Es gibt bereits eine lange Liste von Beschwerden und Erkrankungen, die mit Post-COVID in Verbindung gebracht werden. Diese Liste muss wohl noch verlängert werden: Einer deutschen Studie zufolge ist in der postakuten Phase die Wahrscheinlichkeit für das Neuauftreten von Autoimmunleiden deutlich erhöht. Für die Studie, die ein Team, angeführt von Falko Tesch vom Zentrum für Evidenzbasierte Gesundheitsversorgung des Universitätsklinikums Dresden, jetzt als Vorabpublikation öffentlich gemacht hat, wurden die Daten von fast 39 Millionen gesetzlich Krankenversicherten ausgewertet. 641.704 Personen, die im Jahr 2020 eine PCR-bestätigte COVID-19-Diagnose hatten und sich im ersten Halbjahr 2021 nicht erneut infizierten, wurden bis Ende Juni 2021 nachbeobachtet. Jedem von ihnen wurden drei Versicherte gegenübergestellt, die in Alter, Geschlecht und Vorhandensein einer autoimmunen Erkrankung übereinstimmten. 43% mehr Neudiagnosen In den 3–15 Monaten nach der COVID-Diagnose bzw. dem entsprechenden Indexdatum betrug die Inzidenz von Autoimmunerkrankungen in der COVID-Gruppe 15,05 pro 1.000 Personenjahre (PJ), in der Kontrollgruppe nur 10,55 pro 1.000 PJ. Somit war das Inzidenzratenverhältnis (IRR) nach einer COVID-19-Erkrankung um 43% erhöht (IRR 1,43). Für alle Berechnungen waren weitere Vorerkrankungen, die Häufigkeit von Arztkontakten und der Verlauf der SARS-CoV-2-Infektion berücksichtigt worden. Bei COVID-Patienten und -Patientinnen mit vorbestehenden Autoimmunleiden traten in absoluten Zahlen mehr Neuerkrankungen auf als bei den nicht einschlägig vorbelasteten. Der Einfluss der SARS-CoV-2 Infektion auf dieses Risiko fiel bei ihnen jedoch schwächer aus, mit einer relativen Risikoerhöhung von 23% (IRR 1,23). Höhere Inzidenzen nach schweren COVID-Verläufen Im Einzelnen hat die Studiengruppe 64 Autoimmunerkrankungen erfasst, separat untersucht wurden nur die 30 Krankheiten, die mit mindestens 20 Fällen in der COVID-19-Gruppe vertreten waren. Unter den häufigen Autoimmunerkrankungen bestand das höchste Risiko für Hashimoto-Thyreoiditis, M. Basedow, rheumatoide Arthritis und Sjögren-Syndrom: Für sie wurden Risikozuwächse zwischen 41% und 44% verzeichnet. Die höchsten Steigerungsraten ergaben sich bei den seltenen Vaskulitiden mit Autoimmungenese, z. B. M. Wegener (IRR 2,51) und M. Behçet (IRR 2,42); auch das Risiko einer Sarkoidose war nach COVID-19 mehr als verdoppelt (IRR 2,14). Der Zusammenhang zwischen SARS-CoV-2-Infektion und Autoimmunerkrankung zeigte sich unabhängig von Alter und Geschlecht der Patienten – wenn auch Ältere und Frauen absolut betrachtet häufiger betroffen waren. Das Risiko eines Autoimmunleidens wuchs außerdem mit dem Schweregrad von COVID-19: Bei ambulanter Versorgung war es um den Faktor 1,38, bei stationärer bzw. intensivstationärer Behandlung um das 1,75- bzw. 2,28-Fache erhöht. Trigger der Autoimmunität? Dass nach Virusinfektionen vermehrt Autoimmunerkrankungen auftreten, ist auch für andere Viren beschrieben. Von SARS-CoV-2 Infektionen weiß man, dass sie bei einem Teil der Erkrankten persistierende Autoantikörper hervorrufen. An der Ausbildung von Autoimmunität können verschiedene Mechanismen beteiligt sein, etwa das Epitope Spreading, bei dem mit der Zeit immer mehr Epitope eines Antigens erkannt werden, oder die Bystander Activation, bei der unbeteiligte autoreaktive T-Zellen im Rahmen der Infektabwehr etwa durch Zytokine aktiviert werden. Trotzdem lässt sich die Kausalität des gefundenen Zusammenhangs nicht beweisen. Nicht auszuschließen ist außerdem ein Detektionsbias, der daraus resultiert, dass nach einer COVID-19-Erkrankung der Gesundheitszustand intensiver überwacht wird. Tesch und seine Mitforscherinnen und -forscher sprechen sich deswegen für weitere Studien aus, die die Verbindung von COVID-19 und Autoimmunerkrankungen überprüfen und den Mechanismen auf den Grund gehen. Das Wichtigste in Kürze Frage: Besteht ein Zusammenhang zwischen COVID-19 und dem Auftreten von Autoimmunerkrankungen? Antwort: Laut GKV-Daten ist das Risiko, eine Autoimmunerkrankung zu entwickeln, in den 3–15 Monaten nach einer SARS-CoV-2-Infektion um rund 40% erhöht. Einschränkung: Kein Kausalitätsnachweis, möglicher Detektionsbias.

Springer Medizin

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