(177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan – Die erste Radioligandentherapie des Prostatakarzinoms

(177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan von Novartis verlängerte das progressionsfreie Überleben und das Gesamtüberleben stark vorbehandelter Patienten mit Prostata-spezifisches Membranantigen (PSMA)-positivem, metastasiertem, kastrationsresistentem Prostatakarzinom (mCRPC) nach Zugabe zu einer Standardtherapie. >>Mehr zum Galenus-von-Pergamon-Preis (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan wirkt durch DNA-schädigende Betastrahlung. Durch Bindung an das membranständige Tumorantigen und Internalisierung wird die Strahlung auf die lokale Umgebung beschränkt. Novartis × Das transmembranöse PSMA wird auf Prostatakarzinom (PCa)-Zellen verstärkt exprimiert und ist ein Biomarker für eine schlechte Prognose. Der Grad der Expression korreliert mit dem Tumorstadium. Bei 80 Prozent der Patienten mit PCa bzw. bei 87 Prozent der Männer mit kastrationsresistentem PCa wurde eine hochgradige PSMA-Expression nachgewiesen. Damit ist PSMA ein attraktives Ziel für eine spezifische Therapie. Der Radionuklid-Ligandenkomplex (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan (Pluvicto®) bindet spezifisch an das Tumorantigen PSMA. Die Bindung von (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan an PSMA-positive Tumorzellen setzt die Tumorzellen sowie deren Mikroumgebung einer lokalen, von Lutetium-177 (177Lu) ausgehenden Betastrahlung aus. Diese leitet in den betroffenen Zellen den programmierten Zelltod (Apoptose) ein. PSMA als diagnostisches Target PSMA kommt auch in gesunden Geweben vor, z. B. in Nieren oder Dünndarm, jedoch in sehr viel geringerer Konzentration als auf PCa-Zellen. Es lässt sich daher bei relativ guter Verträglichkeit als Target einer Radioligandentherapie nutzen. Auch die Diagnose von PCa anhand von PSMA ist möglich: Dazu wird ein PSMA-Ligand (Gozetotid) eingesetzt, an den der Positronenstrahler Gallium-68 (68Ga) gekoppelt ist. Zur präzisen Bildgebung lässt sich die 68Ga-asoziierte Positronenemission mittels Positronen-Emissions-Tomografie (PET) erfassen. Indiziert ist die 68Ga-PSMA-PET bei Verdacht auf ein biochemisches PCa-Rezidiv nach initial kurativer Therapie. In einer prospektiven Studie lokalisierte sie das PCa-Rezidiv mit hoher Genauigkeit bzw. Reproduzierbarkeit [1]. Zudem kann die 68Ga-PSMA-PET zum primären Staging von Patienten mit PCa mit hohem und mittlerem Risiko vor der initialen kurativen Therapie verwendet werden. Bei Patienten mit neu diagnostiziertem PCa detektierte die 68Ga-PSMA-PET/CT Lymphknotenmetastasen mit hoher Spezifität und moderater Sensitivität [2]. PSMA als therapeutisches Target Insbesondere dient die 68Ga-PSMA-PET zur Identifizierung der Patienten, die von einer Behandlung mit (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan profitieren können. Der Radionuklid-Ligandenkomplex wurde in der Europäischen Union im Dezember 2022 in Kombination mit einer Androgendeprivationstherapie (mit oder ohne Inhibition des Androgenrezeptor (AR)-Signalwegs) zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit einem progredienten PSMA-positiven mCRPC zugelassen, die zuvor mittels Inhibition des AR-Signalwegs und taxanbasierter Chemotherapie behandelt wurden. Seitdem ist er in Deutschland auch verfügbar. In der zulassungsrelevanten, offenen Phase-III-Studie wurden 831 mCRPC-Patienten im Verhältnis 2:1 zu einer Behandlung mit (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan (7,4 GBq alle sechs Wochen über vier bis sechs Zyklen) plus einer Standardtherapie oder einer Standardtherapie alleine randomisiert [3]. Die Standardtherapie wurde in beiden Armen bis zum Eintritt von Progression oder intolerablen Nebenwirkungen fortgesetzt. Zu den Einschlusskriterien gehörten ein positiver PSMA-Nachweis mittels 68Ga-PSMA-PET/CT und eine Vorbehandlung mit zumindest einem Inhibitor des AR-Signalwegs sowie mit ein bis zwei taxanbasierten Chemotherapien. Als ko-primäre Endpunkte wurden das (bildgebungsbasierte) progressionsfreie Überleben (PFS) sowie das Gesamtüberleben (OS) untersucht. Gesamtüberleben erhöht Laut Datenanalyse nach einem Follow-up von median 20,9 Monaten erzielte die (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan-Gruppe eine signifikante PFS-Verlängerung auf 8,7 Monate im Vergleich zu 3,4 Monaten in der Kontrollgruppe (Hazard Ratio [HR] 0,40; 99,2%-Konfidenzintervall [KI] 0,29–0,57; p < 0,001) [3]. Der OS-Vorteil der (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan-Gruppe betrug 15,3 versus 11,3 Monate (HR 0,62; 95%-KI 0,52–0,74; p < 0,001). Zudem erreichten Patienten mit messbaren Zielläsionen nach RECIST (Response Evaluation Criteria in Solid Tumors)-1.1-Kriterien unter (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan wesentlich häufiger eine komplette (9,2 Prozent versus 0,0 Prozent) oder partielle (41,8 Prozent versus 3,0 Prozent) Remission. In der Verumgruppe betrug die mediane Expositionsdauer gegenüber (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan 6,9 (0,3–10,2) Monate, gegenüber der Standardtherapie mit 7,6 (0,3–31,3) Monaten. Dagegen betrug die mediane Expositionsdauer gegenüber der Standardtherapie in der Kontrollgruppe lediglich 2,1 (0,0–26,0) Monate. Die häufigsten Nebenwirkungen bestanden unter (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan in Müdigkeit, Mundtrockenheit und Übelkeit. Nebenwirkungen vom Grad ≥ 3 traten häufiger auf als in der Kontrollgruppe (52,7 Prozent versus 38,0 Prozent), aber dieser Unterschied hatte keinen Einfluss auf die Lebensqualität. Bei 11,9 Prozent der Patienten führten die Nebenwirkungen zum Therapieabbruch. (spg) (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan induziert Apoptose (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan ist ein Ligand des Zellmembranproteins Prostata-spezifisches Membranantigen (PSMA), wobei Lutetium-177 (177Lu) ein therapeutisch wirksamer Betastrahler ist. Da Prostatakarzinomzellen PSMA in der Regel in hoher Konzentration exprimieren und (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan mit hoher Spezifität an PSMA bindet, reichert sich (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan auf der Oberfläche der Tumorzellen an. Von dort erreicht die von 177Lu ausgehende Betastrahlung die Zielzelle bzw. die Zellen der Mikroumgebung. Im Zellkern PSMA-positiver Tumorzellen verursacht die Betastrahlung DNA-Strangbrüche und leitet damit den programmierten Zelltod (Apoptose) ein. Die Bindung von (177Lu)Lutetiumvipivotidtetraxetan an PSMA initiiert zudem die Internalisierung des Membranproteins durch Endozytose. Im Zellinneren führt die Nähe zum Zellkern zu einer zusätzlichen Effektivitätssteigerung der Betastrahlung. Blockbuster-Schmiede mit umfassender Indikationskompetenz Branche: Novartis entstand 1996 aus dem Zusammenschluss der Schweizer Chemieunternehmen Ciba-Geigy und Sandoz. Die Geschichte der Vorgängerunternehmen reicht bis zu 250 Jahre weit zurück. In jüngerer Zeit hat Novartis sein Geschäft zunehmend auf die forschende Pharmalinie ausgerichtet: Nach Impfstoffen, Veterinär- und OTC-Produkten ist 2023 die Trennung von der Generikasparte Sandoz via Börsengang geplant. Schwerpunkte des patentgeschützten Portfolios sind Atemwegs- und Autoimmunerkrankungen, Augenheilkunde, Transplantationsmedizin, Entzündungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Nieren- und Stoffwechselerkrankungen, Muskel- und Skeletterkrankungen, ZNS, Krebs sowie Tropenkrankheiten. Weltweit arbeiten für Novartis 108.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in über 140 Ländern, davon rund 7.000 in Deutschland. Umsatz und Gewinn: Vergangenes Jahr hat der Konzern rund 50,5 Milliarden Dollar umgesetzt. Als Jahresüberschuss wurden aus regulärem Geschäft 7,0 Milliarden Dollar berichtet. F&E-Ausgaben: Die Investitionen in präklinische und klinische Produktentwicklungen betrugen zuletzt rund 10,0 Milliarden Dollar. Pipeline: Aktuell laufen mehr als 160 Studienprojekte zu rund 50 Indikationen, darunter allein 38 Projekte in der fortgeschrittenen Phase III. Mittelfristig (bis 2026) rechnet Novartis nach eigenen Angaben mit 20 Zulassungen neuer Wirkstoffe, die jeder für sich „das Potenzial haben, Blockbuster mit mindestens einer Milliarde Dollar Jahresumsatz zu werden“. Im Teilgebiet Radioligandentherapie und Präzisionsbildgebung befinden sich gegenwärtig mehr als 15 Projekte in der Entwicklung; insbesondere gegen Prostatakrebs, Glioblastome sowie neuroendokrine und multiple solide Tumore. (cw) Quelle: ÄrzteZeitung

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