ES-SCLC: Chemo-Immuntherapie im Behandlungsalltag angekommen

Die Chemoimmuntherapie mit Atezolizumab hat seit der Zulassung die Therapie des fortgeschrittenen kleinzelligen Lungenkarzinoms (ES-SCLC) nachhaltig verändert und ist heute als Erstlinientherapie etabliert [1]. Etwa 15% aller Lungenkrebserkrankungen entfallen auf das SCLC, das wegen seines raschen Wachstums und seiner frühen Metastasierungsneigung eine extrem schlechte Prognose hat [2]. Die Mehrheit der Betroffenen leidet bereits bei Diagnosestellung unter einer fortgeschrittenen Erkrankung, bei der sich der Tumor über beide Hälften des Thorax ausgebreitet und Metastasen gebildet hat [2, 3]. Zulassung durch IMpower133-Studie Mit der Einführung von Atezolizumab (Tecentriq®), das zusammen mit Carboplatin/Etoposid für die Erstlinientherapie des ES-SCLC indiziert ist, wurde 2019 nach über zwei Jahrzehnten ein therapeutischer Fortschritt bei dieser aggressiven und schwer zu behandelnden Form von Lungenkrebs erzielt [4]. Basis für die Zulassung von Atezolizumab als erstem Checkpoint-Inhibitor (CPI) in der Indikation ES-SCLC waren die Daten der randomisierten, offenen Phase-III-Studie IMpower133. Darin hatte sich das mediane Gesamtüberleben (OS) unter der Chemoimmuntherapie im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie signifikant von 10,3 auf 12,3 Monate verbessert (medianes Follow-up: 22,9 Monate; Hazard Ratio [HR] 0,76; 95%-Konfidenzintervall [KI] 0,60–0,95; p = 0,0154) [5]. Etabliert im Versorgungsalltag Aktuelle Registerdaten zum Lungenkarzinom haben unlängst gezeigt, dass die Chemoimmuntherapie mit Atezolizumab den vorherigen Therapiestandard Chemotherapie beim ES-SCLC innerhalb von kurzer Zeit abgelöst hat: Im Zeitraum von September 2019 bis Februar 2021 erhielten bereits etwa zwei Drittel der Erkrankten diese Therapieoption [6]. Obwohl die Patientinnen und Patienten im klinischen Alltag im Vergleich zur Studienpopulation der IMpower133-Studie älter waren, sich in einem schlechteren Allgemeinzustand befanden und eine höhere Rate an Hirnmetastasen aufwiesen, wurden mit der Chemoimmuntherapie beim medianen progressionsfreien Überleben (PFS) und beim OS vergleichbare Ergebnisse erzielt [6]. Onkopedia- und S3-Leitlinie zum Lungenkarzinom raten heute gleichlautend zur Chemoimmuntherapie beim ES-SCLC – auch beim Vorliegen von Hirnmetastasen [1, 7]. Immun-Monotherapie beim mNSCLC Monotherapie mit einem CPI bietet beim metastasierten nicht kleinzelligen Lungenkarzinom (mNSCLC) viele Vorteile. Neben der lang etablierten Testung der Programmed Cell-Death Ligand 1 (PD-L1)-Expression als Marker auf Tumorzellen (TC) ist auch die Quantifizierung auf den tumorinfiltrierenden Immunzellen (IC) entscheidend. Dies wurde anhand von Daten aus der IMpower110-Studie gezeigt: Über ein Drittel der Erkrankten mit hoher PD-L1-Expression (39%) zeigte ausschließlich auf den tumorinfiltrierenden IC eine hohe PD-L1-Expression von ≥10% (IC3) [8, 9]. Die Wirksamkeit der Immuntherapie mit einem CPI war jedoch unabhängig von der Lokalisation der PD-L1-Expression. Sie ist damit auch für Erkrankte mit einer PD-L1-Expression ≥10% auf IC, unabhängig vom TC-Status, gegeben. In beiden Gruppen – TC3 (PD-L1-Expression auf TC ≥50%) und IC3 – wurde ein medianer OS-Vorteil sowie ein vergleichbar positiver Trend beim PFS beobachtet [8, 9]. Atezolizumab ist der einzige CPI, der bei Erwachsenen mit mNSCLC zugelassen ist, deren Tumoren entweder eine PD-L1-Expression ≥50% der TC oder ≥10% der IC aufweisen [4]. Aktuell wird untersucht, ob eine CPI-Monotherapie auch unabhängig vom PD-L1-Status für Betroffene in Frage kommen kann, die für eine platinhaltige Chemotherapie ungeeignet sind [10–12]. Atezolizumab in der Adjuvanz Die adjuvante Krebsimmuntherapie mit Atezolizumab sichert den Operationserfolg bei Patientinnen und Patienten mit primär operablem NSCLC langfristig ab. In den UICC (Union for International Cancer Control)-Stadien I, II und IIIA, bei denen beim NSCLC ein kurativer Therapieanspruch besteht, ist die Operation die Standardbehandlung [13]. Allerdings entwickeln trotz frühzeitiger Diagnose und erfolgreicher Operation (R0-Resektion) bis zu 55% der Erkrankten ein Rezidiv, häufig handelt es sich dabei um Fernmetastasen [14]. Die (neo-)adjuvante Chemotherapie ändert an dieser Situation nur wenig: Sie erhöht die 5-Jahres-Überlebensrate lediglich um etwa vier bis fünf Prozent [15]. Langes krankheitsfreies Überleben Eine adjuvante Therapie mit Atezolizumab kann dazu beitragen, gute Operationsergebnisse langfristig zu erhalten. Dies hat die globale, offene und randomisierte Phase-III-Multizenterstudie IMpower010 gezeigt, in der Atezolizumab als adjuvante Monotherapie nach Chemotherapie im Vergleich zur bestmöglichen unterstützenden Behandlung (BSC) bei Patientinnen und Patienten mit vollständig reseziertem NSCLC der Stadien IB-IIIA, hohem Rezidivrisiko und hoher PD-L1-Expression (≥50% der TC) geprüft wurde [16]. Unter Atezolizumab verringerte sich das Risiko für ein Rezidiv, neu auftretendes NSCLC oder Tod (krankheitsfreies Überleben = DFS) gegenüber BSC um mehr als die Hälfte (unstratifizierte HR 0,43; 95%-KI 0,26–0,71). Insgesamt erlitten Erkrankte unter Atezolizumab nur halb so oft ein Rezidiv – sowohl lokoregionale Rückfälle als auch Fernmetastasen – wie unter BSC (22% versus 44%). Zudem war das Risiko der Bildung von Fernmetastasen im Atezolizumab-Arm im Vergleich zum BSC-Arm niedriger (9% versus 26%) [16]. Chance auf Heilung erhöhen Inzwischen konnte für die adjuvante Atezolizumab-Therapie neben dem DFS- auch ein OS-Vorteil gezeigt werden: Das Risiko zu versterben reduzierte sich gegenüber BSC bei Erkrankten mit hoher PD-L1-Expression (≥50% der TC) und ohne EGFRa- und ALKb-Alteration um 58% (HR 0,42; 95%-KI 0,23–0,78). Nach drei Jahren waren noch neun von zehn Behandelten am Leben [17]. Dieser Überlebensvorteil konnte konsistent über alle relevanten Subgruppen hinweg gezeigt werden (z. B. Stadium II und IIIA, Status des Lymphknotenbefalls) [18]. Ein Thema der Forschung ist, inwiefern auch Patientinnen und Patienten mit NSCLC [18] und Treiberalterationen wie ALK-Fusionen in operablen Stadien von einer adjuvanten, zielgerichteten Therapie profitieren können und ob eine Heilung auch hier erreicht werden kann. Aktuelle Studienergebnisse aus der Phase-III-Studie ALINA stützen diese These [19]. Neue Optionen zur Therapie von CUP In der Behandlung von Patientinnen und Patienten mit Krebserkrankungen mit unbekanntem Primärtumor (cancer of unknown primary, CUP) wurde seit Jahrzehnten nahezu kein Fortschritt erzielt, Behandlungsstandard ist nach wie vor die Chemotherapie [20, 21]. Erste Ergebnisse wurden auf dem Kongress der European Society for Medical Oncology (ESMO) 2023 präsentiert. Sie könnten die Therapie des CUP nachhaltig verändern und den Betroffenen neue Perspektiven bieten [22]. a EGFR: Epidermaler Wachstumsfaktorrezeptor b ALK: Anaplastische Lymphomkinase Zu den Pflichtangaben: go.roche.de/Tecentriq_PA Literatur https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-kleinzellig-sclc/@@guideline/html/index.html (letzter Zugriff: 03.10.23) Rudin CM et al., Nat Rev Dis Primers 2021, 7:3 Sathiyapalan A et al., Curr Oncol 2022, 29:9046–9065 Fachinformation Tecentriq®, Stand: August 2023 Horn L et al., N Engl J Med 2018, 379:2220–2229 Sebastian M et al., Ann Oncol 2022, 33 (Suppl 7):S12–52, Abstract 1542P https://www.leitlinien-programm-onkologie.de/fileadmin/user_upload/LL_Lungenkarzinom_Langversion_2.01.pdf (letzter Zugriff: 03.10.23) Herbst RS et al., N Engl J Med 2020, 383:1328–1339 Herbst RS et al., N Engl J Med 2021, 384:584–585 De Marinis F et al., Clin Lung Cancer 2015, 16:399–405 Lee SM et al., Lancet 2023, 402:451–463 Lee SM et al., Kongress der ESMO 2022, Paris, Frankreich, Präsentation LBA11 https://www.onkopedia.com/de/onkopedia/guidelines/lungenkarzinom-nicht-kleinzellig-nsclc/@@guideline/html/index.html#ID0EXZAG (letzter Zugriff: 04.10.23) Uramoto H, Tanaka F, Transl Lung Cancer Res 2014, 3:242–249 Artal Cortés Á et al., Transl Lung Cancer Res 2015, 4:191–197 Felip E et al., Ann Oncol 2022, 33 (Suppl 2):S71, Abstract 80O Felip E., WCLC 2022, Singapur, Präsentation PL03.09 Rittmeyer A et al., ESMO-Immunonkologiekongress 2022, Genf, Schweiz, Abstract 123P Solomon BJ et al., Kongress der ESMO 2023, Madrid, Spanien, Abstract #LBA2. Onkopedia-Leitlinie CUP-Syndrom – Krebserkrankungen mit unbekanntem Primärtumor, Stand: Juni 2023 Krämer A et al., Ann Oncol 2023, 34:228–246 Mileshkin L et al., Kongress der ESMO 2023, Madrid, Spanien, Proffered Paper Session, LBA16 Impressum „ES-SCLC: 5-Jahresdaten zur Chemo-Immuntherapie“ Literaturarbeit Bericht: Dr. Silke Wedekind, Frankfurt a. M. Aktualisierte Ausgabe des gedruckten Artikels Artikel gedruckt in Ärzte Zeitung Onkologie und Hämatologie 9, 17. November 2023 Mit freundlicher Unterstützung der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen Corporate Publishing (verantwortl. i. S. v. § 55 Abs. 2 RStV): Ulrike Hafner, Tiergartenstraße 17, 69121 Heidelberg Redaktion: Dr. Martin Zeeb Springer Medizin Verlag GmbH Heidelberger Platz 3 14197 Berlin Tel: 0800 7780 777 (kostenfrei) | +49 (0) 30 827 875 566 Fax: +49 (0) 30 827 875 570 E-Mail: kundenservice@springermedizin.de Die Springer Medizin Verlag GmbH ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Nature. 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