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23.01.2024 | Online-Artikel

Update Pädiatrie

Weniger Antibiotika bei Atemwegsinfektionen – Phytopharmaka auf dem Vormarsch

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Das Verordnungsverhalten der Kinderärzte bei Atemwegsinfektionen wurde retrospektiv von Prof. Karel Kostev, Leiter der Epidemiologie von IQVIA Frankfurt und seinem Team analysiert. Das Ergebnis aus den rund 180 betrachteten pädiatrischen Praxen: In den vergangenen zehn Jahren ist die Anzahl der verschriebenen Antibiotika in der Kinderheilkunde deutlich gesunken. Gleichzeitig wurde vermehrt auf Phytopharmaka zurückgegriffen.

Bei Atemwegsinfektionen sind Antibiotika häufig wirkungslos, da sie zu 90 % viralen Ursprungs sind. Es ist inzwischen belegt, dass ein unkritischer Antibiotikaeinsatz sogar kontraproduktiv sein kann:

Antibiotika verändern das Mikrobiom [1] und schädigen die Immunabwehr [2], sodass z. B. Impfantworten in engem zeitlichem Zusammenhang mit einer Antibiotikagabe ausbleiben können. Auch in Hinblick auf die Entwicklung der Resistenzlage ist ein rationaler Antibiotikaeinsatz von großer Bedeutung: „Wenn wir das Ruder nicht drastisch herumreißen, wird diese Entwicklung dazu führen, dass wir im Jahr 2050 geschätzt zehn Millionen Todesfälle durch Infektionen mit multiresistenten Keimen sehen werden - das sind mehr als durch Krebs und Verkehrsunfälle zusammen“, zitierte Prof. Dr. Dr. André Gessner weltweite Hochrechnungen [4].

Dennoch werden Antibiotika zu häufig verschrieben. Nicht selten drängen Patientinnen und Patienten darauf, bei Erkältungssymptomen ein Antibiotikum verordnet zu bekommen. Das verwundert nicht, glaubten doch 31 Prozent der Befragten einer FORSA Umfrage, ein Antibiotikum wirke auch bei viralen Infekten [3]. Ein verbreiteter Irrglaube, dem in den Arztpraxen durch Aufklärung und umfassende Information entgegengewirkt werden kann. Aber haben die bisherigen Aufklärungskampagnen über den verantwortungsvollen Umgang mit Antibiotika das Verordnungsverhalten tatsächlich verändert? Diese Frage war bisher nicht eindeutig zu beantworten – insbesondere im Bereich der Pädiatrie. Hier fehlten bislang methodisch hochwertige Daten, u.a. zu Antibiotika- und Phytopharmaka-Verschreibungen bei akuten Infektionen der Atemwege.

Um diese Lücke zu schließen, führten Kostev und sein Team zu dieser Thematik eine retrospektive Datenstudie anhand der Disease Analyzer Datenbank von IQVIA durch.  In die Studie aufgenommen wurden Daten von 180 pädiatrischen deutschen Praxen aus den Jahren 2013, 2018 und 2022: Analysiert wurde jeweils die Verordnungshäufigkeit von Antibiotika bei >116.000 Kindern, bei welchen eine akuten Atemwegserkrankung (URI - Upper Respiratory Infection oder LRI - Lower Respiratory Infection) diagnostiziert wurde.
Zu den URIs zählten Infektionen Nasopharyngitis, Sinusitis, Pharyngitis, Tonsillitis, Laryngitis und Tracheitis sowie unspezifische virale Infektionen der oberen Atemwege, wohingegen eine akute Bronchitis einer LRI entsprach. Infektionen bakteriellen Ursprungs wurden nicht mit einbezogen. 

Die Ergebnisse der Studie im Überblick:

Abstieg der Antibiotika Verordnungen

Für alle Diagnosen zwischen 2013 und 2022 wurde insgesamt ein Rückgang der Verschreibungshäufigkeit von Antibiotika  verzeichnet (Gruppe 2-12 Jahre). Dieser Rückgang war sowohl für den Zeitraum von 2013 bis 2018 als auch von 2018 bis 2022 für alle analysierten Altersgruppen (2-5 Jahre und 6-12 Jahre) statistisch signifikant (Abb. 1). 
Eine detaillierte Betrachtung der einzelnen Diagnosen zeigt, dass dieser Rückgang bei Nasopharyngitis, Pharyngitis und Bronchitis sowohl für den Zeitraum von 2013 bis 2018 als auch von 2018 bis 2022 statistisch signifikant war.

Zeitgleicher Anstieg der Phytopharmaka Verordnungen

Zeitgleich wurden Kinder mit akuten Atemwegsinfekten signifikant häufiger mit Phytopharmaka therapiert. Zwischen 2013 und 2018 stieg die Verwendung von Phytopharmaka für alle Diagnosen signifikant an. Im zweiten Untersuchungszeitraum, von 2018 – 2022, ging die Verschreibungshäufigkeit von Phytopharmaka leicht zurück. In der Altersgruppe von 6-12 Jahren konnte in diesem Zeitraum ein Anstieg beobachtet werden (Abb. 2).

Die Studie von Kostev und seinem Team hat gezeigt, dass die Verschreibung von Antibiotika bei Kindern mit akuten Atemwegserkrankungen rückläufig ist. Zeitgleich sind Phytopharmaka immer häufiger das Therapeutikum der Wahl.

Hier geht’s zur Originalpublikation:

Karel Kostev, Louisa van den Boom, Christian Tanislav, Louis Jacob: Changes in the Prescription of Antibiotics and Phytopharmaceuticals in Children Treated for Acute Upper and Lower Respiratory Tract Infections in Pediatric Practices in Germany in 2013, 2018, and 2022. Antibiotics (Basel) 2023 Sep 28;12(10):1491. doi: 10.3390/antibiotics12101491. 

https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/37887192/

Quellen:
Kostev, K.; van den Boom, L.; Tanislav, C.; Jacob, L. Changes in the Prescription of Antibiotics and Phytopharmaceuticals in Children Treated for Acute Upper and Lower Respiratory Tract Infections in Pediatric Practices in Germany in 2013, 2018, and 2022. Antibiotics 2023, 12, 1491. https://doi.org/10.3390/ antibiotics12101491

https://www.iqvia.com/de-de/locations/germany/newsroom/2024/01/atemwegsinfektionen-bei-kindern


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Literatur

[1] Erttmann SF et al., Immunity 2022, 55:847–861.e10
[2] De Jong SE et al., Cell Host Microbe 2020, 28:169–179
[3] https://www.tk.de/presse/themen/arzneimittel/haut/weniger-antibiotika-bei-erkaeltungen-2155274?tkcm=ab (letzter Zugriff: 08.11.23)
[4] Mikrobiom: Vermeidung von Antibiotika-induzierten Schäden (Podcast) https://www.springermedizin.de/mikrobiom--vermeidung-von-antibiotika-induzierten-schaeden/26612640?searchResult=2.gessner&searchBackButton=true (letzter Zugriff: 19.01.24)

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