Diagnose- und Prognosehelfer der Zukunft?

Goldstandard zur Diagnose und Verlaufsbeurteilung bei der Multiplen Sklerose ist die Kombination evaluierter Kriterien in MRI, Klinik und Liquoruntersuchung. Da die Krankheitsverläufe stark variieren, ist eine zuverlässige Beurteilung der Krankheitsaktivität schwer. Mit der Einführung hoch wirksamer krankheitsmodifizierender Therapien wurde eine frühe Prognose noch wichtiger. Springen neue Laborparameter hier in die Bresche? Der Nachweis Oligoklonaler Banden (OCB) im Liquor wurde mit der Revision der McDonald-Kriterien 2017 als zusätzliches Merkmal zur Diagnose einer schubförmigen MS (RRMS) wiedereingeführt. Rubah Saadeh, Abteilung für Labormedizin und Pathologie, Mayo Clinic, Rochester, USA, wies auf einige Nachteile der OCB hin, die standardmäßig via Isoelektrische Fokussierung mit Immunoblot bestimmt werden. So sei die Auswertung rein qualitativ, letztlich subjektiv und die Ergebnisse variierten stark zwischen unterschiedlichen Labors. Ein viel versprechendes Potenzial als quantitative Messmethode und Alternative zu den OCB habe die Bestimmung von freien Kappa-Leichtketten (cKFLC) im Liquor. Saadeh stellte die Ergebnisse einer Studie vor, die im ersten Teil auf einer retrospektiven Kohorte mit 702 auf OCB Untersuchten und den entsprechenden Liquor-Serum-Probepaaren basierte. Die klinischen Befunde wurden von einem für die cKFLC-Werte verblindeten Neurologen dahingehend beurteilt, ob die Diagnosekriterien für eine demyelinisierende Erkrankung erfüllt sind. Das traf bei 12,5% der Untersuchten zu. Anhand der klinischen Befunde und den dazugehörigen cKFLC-Spiegel im Liquor wurde dann ein cKFLC-Grenzwert von 0,1 mg/dl ermittelt, bei dessen Überschreitung mit großer Wahrscheinlichkeit eine demyelinisierende Erkrankung vorliege. Im zweiten Teil der Studie wurde dieser Grenzwert an einer prospektiven Kohorte mit 657 Liquor-Serum-Probepaaren validiert. Die Sensitivität der cKFLC hinsichtlich der Detektion einer MS war mit der OCB (≥ 2 Banden) vergleichbar. In der prospektiven Kohorte lag die Sensitivität beider Methoden bei 75%. Auch die Spezifität zeigte keinen signifikanten Unterschied zwischen den beiden Methoden. Sie betrug 88% für die cKFLC und 90% für die OCB. Saadeh schließt daraus, dass die cKFLC in der MS-Diagnostik eine zuverlässige, schnellere und mit weniger Aufwand durchführbare Alternative zu den OCB darstellen. Was jung erhält, mildert die MS-Progression Biologisches Altern und Fortschreiten der krankheitsassoziierten Behinderung scheinen bei Menschen mit MS eng miteinander zusammenzuhängen. Das fanden Forschende der Universität San Francisco, USA, im Rahmen der EPIC-Kohortenstudie heraus, indem sie die Leukozyten-Telomerlänge in DNA-Proben von mehr als 500 Patienten mit MS oder klinisch isoliertem Syndrom (CIS) bestimmten. Kürzere Telomerlängen erwiesen sich dabei als unabhängiger Prädiktor für einen stärkeren Anstieg des EDSS-Wertes und ein schnelleres Fortschreiten der Hirnatrophie. Das galt auch nach Adjustierung unter anderem für das chronologische Alter. „Wir werten das als Hinweis darauf, dass das biologische Altern erheblich zum Fortschreiten der MS-assoziierten Neurodegeneration und Behinderung beiträgt“, resümierte Krysko. Zu den diskutieren Treibern zählten dabei unter anderem oxydativer Stress, der die Remyelinisierungskapazität reduziere, sowie Faktoren, die zu einer Dysregulation immunologischer Mechanismen beitragen. „Im Verdacht stehen auch bestimmte Begleiterkrankungen sowie ein ungesunder Lebensstil“, erklärte Krysko. Schau mir in die Augen... Bei etwa einem Drittel aller Personen, die von einem Radiologisch isolierten Syndrom (RIS) betroffen sind, tritt in den darauf folgenden fünf Jahren erstmalig ein klinisch fassbares Demyelinisierungsereignis auf. Dr. Angeliki Filippatou, Neurologische Abteilung, Johns Hopkins University, Baltimore, USA, betonte wie wichtig es sei, das Risiko für die Konversion in eine klinisch manifeste MS frühzeitig zu erkennen. In den letzten Jahren hätten sich folgende Risikofaktoren als besonders aussagekräftig erwiesen: Alter unter 37, männlich und spinale Läsionen. Dazu gäbe es einige Faktoren, die im Verdacht stehen, deren Einfluss auf das Konversionsrisiko aber noch nicht ausreichend quantifiziert werden kann: Liquorspezifische OCB und/oder erhöhter IgG-Index infratentorielle Läsionen Läsionen mit Gadolinium-Enhancement Schwangerschaft Neurofilament-Leichtketten (NfL) Verwandte mit MS Auch Auffälligkeiten in den visuell evozierten Potenzialen seien mit einem erhöhten Risiko assoziiert. „Die vordere Sehbahn ist bei MS besonders häufig von subklinischen Läsionen befallen“, führte Filippatou aus. Eine Optikusneuritis markiere bei bis zu einem Fünftel aller MS-Betroffenen den Beginn der Erkrankung und trete in etwa der Hälfte der Fälle im weiteren Verlauf auf. In fast allen Autopsien von MS-Erkrankten hätten sich demyelinisierende Plaques in den Sehnerven gezeigt. Empfehlung der Redaktion Neurologische Notfälle – Themenseite Status epilepticus, Schlaganfall oder aber auch Migräne zählen zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notärzte konfrontiert werden können. Empfehlungen für die Praxis aber auch aktuelle Nachrichten oder CME-Kurse finden Sie auf der Themenseite. Filippatou berichtete aus einer Studie, in der 30 Personen mit RIS und 60 gematchte gesunden Kontrollpersonen einer Optischen Kohärenztomografie (OCT) unterzogen wurden. Im Vergleich der beiden Gesamtgruppen zeigte die durchschnittliche Netzhautdicke keinen signifikanten Unterschied. Bei Personen mit RIS und im MRI detektierten spinalen oder infratentoriellen Läsionen waren jedoch die Ganglienzellschicht und die innere plexiforme Schicht (GCIP) der Retina dünner, sowohl im Vergleich zu Gesunden als auch im Vergleich zu RIS-Betroffenen ohne entsprechend lokalisierte Läsionen. Laut Multivarianzanalyse sind spinale oder infratentorielle Läsionen unabhängige Variablen, die bei RIS-Betroffenen signifikant mit einer dünneren GCIP assoziert sind (p = 0,04 für spinale Läsionen; p = 0,03 für infratentorielle Läsionen). „Möglicherweise kann die vergleichsweise einfach durchzuführende OCT als Surrogatparameter dienen, um frühzeitig jene RIS-Betroffenen zu erkennen, bei denen der axonale Verlust bereits stärker disseminiert ist“, folgert Filippatou. Um einen möglichen Einfluss dieses Parameters auf das Risiko für eine Konversion vom RIS zur MS abzuschätzen, seien aber noch prospektive Längsschnittstudien an größeren RIS-Kohorten notwendig. Erste Studie zum Serum-NfL bei RIS Der momentan wohl am stärksten beforschte Biomarker in der Neurologie und insbesondere in der MS-Forschung sind die Neurofilament Leichtketten (NfL) im Liquor und Serum. Obwohl dieser Marker eine sehr geringe Spezifität hat, da er praktisch bei axonalen Schädigungen jeglicher Ursache „anspringt“, vom Schlaganfall über das Schädelhirntrauma bis zu dementiellen und anderen neurodegenerativen Erkrankungen: Als Prognose- und Verlaufsmarker, sowie beim Therapiemonitoring könnte der hoch sensitive und leicht im Serum zu bestimmende Parameter zukünftig von großem Nutzen sein. Bis dahin sind allerdings noch weitere Evaluierungsstudien notwendig. Die hohe interindividuelle Varianz erschwert momentan noch die Definition von Referenzbereichen. Andererseits wurden in der jüngsten Vergangenheit eine Vielzahl von Studien vorgestellt, die eine enge Korrelation erhöhter NfL-Werte mit der neurodegenerativen Aktivität bei MS nahelegen. Prof. Eric Thouvenot, Neurologische Abteilung, Universitätsklinikum Nîmes, Frankreich, berichtete über die erste Studie zur Messung von Serum-NfL bei Personen mit RIS. 62 Patienten aus vier MS-Zentren nahmen daran teil. Die mittlere Nachbeobachtungszeit betrug 45 Monate. Die zu Beginn gemessenen Serum-NfL-Werte zeigten eine hohe Korrelation mit den zeitgleich bestimmten NfL-Werten im Liquor. Hohe NfL-Serumkonzentrationen waren mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für Zeichen einer gesteigerten Krankheitsaktivität im weiteren Verlauf assoziiert, das heißt für das Auftreten neuer MRI-Läsionen oder klinischer MS-Zeichen. Nur ein erhöhtes Liquor-NfL erwies sich als prädiktiv hinsichtlich einer Konversion der RIS in ein CIS. Auf ein erhöhtes Serum-NfL traf das nur dann zu, wenn im MRI gleichzeitig alle vier Barkhof-Kriterien erfüllt waren. Quelle: American Academy of Neurology Annual Meeting, 4.-10.5.2019, Philadelphia, USA Empfehlung der Redaktion AAN 2019 Kongressdossier zum Annual Meeting der American Academy of Neurology Gleich drei Antikörper haben sich in Studien zur Behandlung von Neuromyelitis optica bewährt und Poli-ähnliche Erkrankungen treten in den USA und Europa vermehrt auf. Informieren Sie sich im Kongressdossier des Annual Meeting der American Academy of Neurology über aktuelle Themen der Neurologie.

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