Multiple Sklerose: Welche Rolle spielt das Mikrobiom?

Die Zusammensetzung des Darmmikrobioms scheint einen erheblichen Einfluss auf das komplexe Gleichgewicht unseres Abwehrsystems zu haben. Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass sie auch eine wichtige Rolle bei der Entstehung und Aufrechterhaltung immunologischer Erkrankungen wie der Multiplen Sklerose spielt. „Wussten Sie schon, dass bei zwei beliebigen Menschen 99% der humanen DNA identisch ist, aber höchstens 10% der mikrobiellen DNA?“ So begann Prof. Helen Tremlett, Abteilung für Neurologie, Universität Vancouver, Kanada, ihren Vortrag über Mikrobiom und Multiple Sklerose. Angesichts der Tatsache, dass nur etwa die Hälfte der Zellen in einem menschlichen Organismus humanen Ursprungs seien, der Rest aber Mikroben, von denen sich mehr als 90% im Darm aufhalten, sei die hohe interindividuelle Diversität der Darmkeime umso erstaunlicher. Immunkonversion durch Darmbakterien? In jüngster Zeit fanden sich immer mehr Indizien dafür, dass die Zusammensetzung der intestinalen Mikrobenpopulation, der mikrobielle „Fingerabdruck“, einen erheblichen Einfluss auf das Immunsystem, auf immunologische Störungen wie Autoimmunerkrankungen und auf die Wirksamkeit der medikamentösen Behandlung dieser und anderer Erkrankungen − einschließlich Krebserkrankungen − hat. Bereits vor acht Jahren entdeckten Forschende am Max Planck Institut für Neurobiologie in Martinsried, Bayern, im murinen Modell der experimentellen Autoimmunenzephalitis (EAE), dass die Konversion des T-Zellsystems zur Autoreaktivität gegen Myelin die Einwirkung von Krankheitserregern aus der Umwelt als Auslöser nicht zwingend erfordert, sondern auch durch die Anwesenheit gewöhnlicher Darmkeimen zustande kommen kann [1]. Bei keimfreien Mäusen war es dagegen schwierig, das Modell der EAE überhaupt zu generieren, und die Tiere, bei denen das gelang, zeigten viel schwächere Autoimmunreaktionen als die mit Keimen besiedelten [2]. Mit der Übertragung der Darmkeime von MS-Patienten kann man bei vorher keimfreien Mäusen eine spontane EAE auslösen [3] und bei Mäusen mit EAE Krankheitsschübe induzieren [4]. Mehrere Verdächtige sind identifiziert „Kinder mit MS sind möglicherweise besonders gut geeignet, um die möglichen Zusammenhänge zwischen Erkrankung und Mikrobiom näher zu untersuchen“, erklärte Tremlett. Durch die relativ kurze bisherige Lebensspanne würden beispielsweise weniger potenziell störenden Kovariaten vorliegen, wie eine lange Exposition gegenüber Umweltfaktoren oder Medikamenten. Empfehlung der Redaktion Neurologische Notfälle – Themenseite Status epilepticus, Schlaganfall oder aber auch Migräne zählen zu den neurologischen Notfällen, mit denen Notärzte konfrontiert werden können. Empfehlungen für die Praxis aber auch aktuelle Nachrichten oder CME-Kurse finden Sie auf der Themenseite. Tremlett stellte aktuelle Ergebnisse aus einer eigenen Studie vor, in der das Stuhlmikrobiom bei Kindern und Jugendlichen mit neu diagnostizierter MS untersucht und mit dem Besiedlungsmuster bei gesunden Gleichaltrigen verglichen wurde. Das Durchschnittsalter der Teilnehmenden lag bei 12 Jahren. Die Zusammensetzung des Mikrobioms habe sich, so Tremlett, im Großen und Ganzen zwar als vergleichbar erwiesen, man habe aber individuell durchaus ein auffälliges „Herausstechen“ einzelner Keimstämme gefunden. So dominierten bei MS Patienten häufig Actinobacteria und Akkermansia muciniphila. Letzeres ist Tremlett zufolge der Keim, für den man in den bisherigen MS-Mikrobiomstudien mit der höchsten Übereinstimmung eine Dominanz bei MS-Patienten gefunden habe. Allerdings sei die Aussagekraft dieser relativ kleinen Querschnittsstudien begrenzt. Senken Fusobakterien die Schubrate? In der Längsschnittbeobachtung über 20 Monate fanden Tremlett und Mitforschende bei den jugendlichen MS-Patienten der beschriebenen Studie Assoziationen bestimmter Keime mit einem erhöhten Schubrisiko. So war die Abwesenheit von Fusobacteria mit einem mehr als dreifach erhöhten Schubrisiko assoziiert (adjustierte Hazard Ratio 3,3; 95% KI: 1,2-9,0; p = 0,024). Diese ebenfalls als vorläufig zu betrachtenden Ergebnisse würden nun in einer größeren nordamerikanischen Studie zum Mikrobiom bei Kindern mit MS überprüft. Quelle: American Academy of Neurology Annual Meeting, 4.-10.5.2019, Philadelphia, USA Empfehlung der Redaktion AAN 2019 Kongressdossier zum Annual Meeting der American Academy of Neurology Gleich drei Antikörper haben sich in Studien zur Behandlung von Neuromyelitis optica bewährt und Poli-ähnliche Erkrankungen treten in den USA und Europa vermehrt auf. Informieren Sie sich im Kongressdossier des Annual Meeting der American Academy of Neurology über aktuelle Themen der Neurologie.

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