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11.07.2016 | Allgemeine Notfallmedizin | Interview | Nachrichten

Achtung ab 2500 m Höhe

Zehn Fragen und Antworten zur Höhenmedizin

Interviewt wurde:
Dr. med. Jürgen Preimesberger

Erst auf See und jetzt in den Bergen – Der Allgemeinarzt und langjährige Kreuzfahrtschiffsarzt Dr. Jürgen Preimesberger begleitete als Expeditionsarzt eine 17-köpfige Gruppe zum 5898 m hohen Kilimanjaro. Im Interview teilt er mit uns seine gewonnenen Erfahrungen über die Höhenkrankheit.

Welche physiologischen Veränderungen treten bei Höhenaufenthalten auf?

Der wohl wichtigste Adaptionsvorgang bei einer Höhenexposition besteht in einer durch unmittelbare Hypoxie hervorgerufene Hyperventilation. Sie ist auf das Ansprechen peripherer Sauerstoffrezeptoren zurückzuführen und setzt nach Höhenexposition über 1500 m innerhalb von Sekunden ein. Nach etwa zwei Wochen erreicht sie ihre volle Ausprägung.

Daneben ist die sympathikotone Erhöhung des Herzminutenvolumens und der Herzfrequenz ein wichtiger Kompensationsmechanismus um die Sauerstoffversorgung zu erhalten. Nach zwei bis drei Wochen erfolgen eine Zunahme der roten Erythrozyten sowie ein Anstieg der Hämoglobinkonzentration im Sinne einer Höhenpolyglobulie. Die als Akklimationsprozess vermehrte Höhendiurese (vermehrte Urinausscheidung) hat ihren biologischer Sinn in einer Zunahme der Sauerstoffkapazität pro Volumeneinheit Blut.

Die Dauer der Akklimatisationsvorgänge ist genetisch bedingt und hängt zudem von der Aufstiegsgeschwindigkeit, der absolut erreichten Höhe, dem bewältigten Höhenunterschied, nicht jedoch vom Ausdauerzustand ab. Akklimatisationszeiten fungieren lediglich als Richtwerte: auf 4000 m etwa drei bis sechs Tage, auf 5000 m Höhe zwischen zwei bis vier Wochen.

Wie äußerst sich Höhenkrankheit und ab welcher Höhe tritt sie auf?

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen dem zerebralen Syndrom (akute Höhenkrankheit  „acut mountain sickness“ (AMS) und Höhenhirnödem „high altitude cerebral edema“ (HACE)) und dem pulmonalen Syndrom des Höhenlungenödems („high altitude pulmonary edema“ (HAPE)). Die häufigste Form der Höhenkrankheit ist die akute Höhenkrankheit mit Prävalenz von rund 30 bis 50%. Das individuelle Beschwerdebild bei der akuten Höhenkrankheit kann sich dabei in vielfältiger Weise präsentieren.

Als Leitsymptom der akuten Höhenkrankheit fungiert der Kopfschmerz, der typischerweise in der Schläfenregion auftritt und sich häufig nachts verstärkt.

Die Diagnose „akute Höhenkrankheit“ gilt als gesichert, wenn der Betroffene zusätzlich ein weiteres Symptom wie extreme Müdigkeit, Schwäche, Übelkeit, Apathie, periphere Ödeme oder eine verringerte 24 h-Stunden-Urinmenge unter einen Liter aufweist.
Anders als das klassische Lungenödem äußert sich das Höhenlungenödem nicht in Form von Rasselgeräuschen. Sondern zeigt sich durch plötzlichen Leistungsabfall, dem Leitsymptom, Tachypnoe bzw. Tachykardie, brennendem Druck hinter dem Brustbein, Orthopnoe, blutigem Husten sowie massivem Abfall der Sauerstoffsättigung. Es tritt oft in der zweiten Nacht in einer neuen Höhe bzw. in der vierten Nacht oberhalb von 2500 m völlig unabhängig von einer akuten Höhenkrankheit auf.

Das Höhenlungenödem ist die häufigste Todesursache im Höhentrekking bzw. Bergsteigen.

Als schwerste Form gilt das Höhenhirnödem, was häufig zum Tod führt. Es stellt eine generalisierte neurologische Störung dar. Neben dem Leitsymptom der Ataxie können starke Übelkeit, Erbrechen, Schwindel, Lichtscheue, Sehstörungen, Fieber und Bewusstseinsstörungen bis zum Koma auftreten.

Ab welcher Höhe kann man höhenkrank werden und wer ist besonders gefährdet?

Eine definierte Schwellenhöhe, ab welcher man höhenkrank wird, gibt es nicht. Grundsätzlich besteht eine Gefahr, wenn man unakklimatisiert in Höhen über 2500 m steigt. Bezüglich der Erkrankungshäufigkeit gibt es große individuelle, genetische Dispositionsunterschiede. Einheimische und Sherpa sind genauso anfällig für Höhenkrankheit wie wir. Neben der genetisch festgelegten Höhentauglichkeit gilt die Aufstiegsgeschwindigkeit als wichtigster Risikofaktor. Im Prinzip kann jeder höhenkrank werden, wenn er zu schnell und hoch genug steigt.

Welches Tempo sollte man wählen bzw. wie viele Höhenmeter sollte man täglich absolvieren?

Grundsätzlich sollte in jeder Höhe ein kompromisslos aerobes Gehtempo gewählt werden. Hilfreich ist die Einhaltung eines 1:2 Atemrhythmus, das heißt einen Schritt einatmen und zwei Schritte ausatmen.
Die Pulsobergrenze ist bei älteren Personen 120/Minute und bei jüngeren Personen 140/Minute. Da der Körper sich hauptsächlich während des Schlafens akklimatisieren kann, sollte oberhalb von 2000 bis 3000 m der tägliche Schlafhöhenunterschied 400 m nicht überschreiten.

Kann man sich körperlich speziell darauf vorbereiten oder prophylaktisch medikamentös etwas einnehmen?

Obwohl Höhentauglichkeit einer großen individuellen genetischen Disposition unterliegt, ist ein ausgezeichneter Ausdauertrainingszustand kein Garant für ein problemloses Aufsteigen in großen Höhen. Ein solider Trainingszustand nach erfolgter Akklimatisation ist aber erfolgsbestimmend. Für zum Beispiel eine Besteigung des Kilimanjaros sollte eine Grundlagenausdauer auf einer Minimalbasis von einem 120-minütigem Wochenumfang erworben werden.
Als medikamentöse Akklimatisationshilfe ist die prophylaktische Einnahme von Acetazolamid (Diamox) in einer Dosierung von 2 x 125 mg weit verbreitet. Es beschleunigt die Atmung in Ruhe und unter Belastung, senkt den Gehirndruck und verbessert die Sauerstoffversorgung des Gehirns. Diamox sollte vom ersten bis zwei Tage nach Erreichen der Zielhöhe eingenommen werden. Nach Beginn des Abstiegs kann der Carboanhydrasehemmer unproblematisch abgesetzt werden.

Welche medikamentösen Behandlungsmethoden der Höhenkrankheit sind möglich?

Ibuprofen und Naproxen eignen sich hervorragend zur Behandlung des sehr häufigen Höhenkopfschmerzes. Es sollte aber auf keinen Fall prophylaktisch eingenommen werden, da der Höhenkopfschmerz ein initiales Leitsymptom der Höhenkrankheit ist.
Beim Höhenlungenödem ist das Medikament der ersten Wahl der Kalziumantagonist Nifedipin, der wegen einer auftretenden Reflextachykardie nur in retardierter Form verabreicht werden soll. Nifedipin führt zu einer raschen Senkung des Lungengefäßdruckes und zu einem Anstieg der Sauerstoffsättigung.

Diamox ist als Notfallmedikament obsolent. Seine Einnahme ist rein prophylaktisch einzusetzen.

Dexamethason, ein potentes Kortikoid findet bei Verdacht auf Höhenhirnödem Verwendung. Es stabilisiert die Blut-Hirn-Schranke und zeigt bereits nach 20 Minuten Wirkung.
Bei schweren Formen der Höhenkrankheit kann man vor Abtransport (stets in aufrechter Lage) eine Tripletherapie aus Dexamethason, Nifedipin und Sauerstoff anwenden.
Der Abtransport in tiefere Lagen ist das Wichtigste, die zum Einsatz kommenden Medikamente stellen keine Alternativen dar und dienen lediglich zur lebensrettenden Überbrückung.

Sofortmaßnahmen bei allen Formen der Höhenkrankheit sind: Flaschensauerstoff oder Überdrucksack, Abstieg in tiefere Lagen, körperlicher Ruhe, Wärme und höhenspezifische Medikamente.

Gibt es apparative Möglichkeiten zur Behandlung der Höhenkrankheit?

Im Hochgebirge von Indien, Nepal und China werden seit geraumer Zeit Überdruckkammern von Militärs verwendet. Seit 1988 finden transportable Überdrucksäcke, sogenannte „Gamow-bags“ Verwendung, die sich durch Strapazierfähigkeit und gute Handlichkeit auszeichnen. Überdrucksäcke gelten als Alternative zu therapeutischem Sauerstoff. Das Funktionsprinzip basiert auf einer Verringerung des Kammerinnendruckes mittels einer Pumpe auf eine simulierte Höhe abhängig von der Ausgangshöhe. Der Patient verbleibt maximal zwei Stunden im Sack. Das Hauptproblem ist ein ausgeprägter Rebound-Effekt, denn der Therapieerfolg verschwindet bereits oft nach Verlassen des Überdrucksackes.

Wie weit muss abgestiegen bzw. abtransportiert werden?

Als Faustregel gilt möglichst bis zu jener Höhe, auf welcher der Patient zuvor die Nacht beschwerdefrei verbracht hat. Bei allen Formen der Höhenkrankheit vor allem aber beim Höhenlungenödem (HAPE) sollte der Abtransport immer mit aufrechtem Oberkörper, also nahezu in Sitzposition (mindestens 30 Grad Neigung) erfolgen. Dadurch wird der gefährliche Überdruck in den Lungengefäßen gesenkt.

Wann kann wieder aufgestiegen werden?

Ein langsamer Aufstieg ist unter Diamox (2 x 125 mg täglich) möglich, wenn die Symptome einer Höhenkrankheit nach einem Abstieg für mindestens einen Tag ohne Medikamente verschwunden sind.

Welche Ernährungsempfehlungen gibt es?

Die Ernährung sollte kohlenhydratreich, schmackhaft, gut gewürzt und leicht verdaulich sein. Mit zunehmender Höhe sollten Fette zugunsten von kohlenhydratreichen Speisen (70 %) reduziert werden. Während eines Aufenthaltes oberhalb von 5000 m erfolgt eine Verminderung des Körpergewichts von bis zu 10 % auch bei optimaler Akklimatisation und hochkalorischer Ernährung in Form von 70 % Fettverluste.
Der tägliche Flüssigkeitsbedarf oberhalb einer Höhe von 3000 m ist beträchtlich. Die optimale Trinkmenge gibt verlässlich und effektiv das eigene Durstgefühl an und beträgt zwischen zwei und drei Litern.

Die Abnahme der täglichen Urinmenge unter einem Liter, innerhalb von 24 Stunden, bei zunehmender Urinverfärbung gilt als bedenklich.

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