Nach einer Impfung gegen SARS-CoV-2 haben Krebserkrankte, vor allem solche unter einer aktuellen Chemo- oder Anti-CD20-Antikörpertherapie, ein gegenüber der Allgemeinbevölkerung signifikant erhöhtes Risiko für Durchbruchinfektionen. Das bestätigt ein Forschungsteam aus Kanada. In ihrer Kohortenstudie schienen jedoch sowohl Betroffene mit soliden Tumoren als auch solche mit hämatologischen Neoplasien unabhängig vom Therapiestatus von einer Auffrischimpfung zu profitieren.
Das Wichtigste in Kürze zu dieser Studie finden Sie am Ende des Artikels.
Auch wenn die Impfung gegen COVID-19 bei Krebspatienten häufiger zu Durchbruchinfektionen führt als in der Allgemeinbevölkerung, sollte man ihnen diese Maßnahme, besonders auch die Auffrischimpfung, keinesfalls vorenthalten. Das fordert ein Team aus Kanada auf der Grundlage einer Bevölkerungsstudie mit insgesamt fast 1,5 Millionen Beteiligten. Darin war eine dritte Impfdosis sowohl bei Betroffenen mit soliden Tumoren als auch mit Krebs des blutbildenden Systems mit einer signifikanten Reduktion von Infektionen und schweren Verläufen assoziiert. Den Forschenden zufolge gibt es allerdings eine Ausnahme: Bei hämatologisch Erkrankten, die zum Zeitpunkt der Impfung eine Anti-CD20-Antikörpertherapie erhielten, bewirkte die dritte Dosis keinen zusätzlichen Schutz.
Studie mit fast 1,5 Millionen Impflingen
In der Studie wurden 289.400 Tumorpatienten (249.520 mit soliden und 39.880 mit hämatologischen Neoplasien), die mindestens zwei Dosen einer SARS-CoV-2-Impfung erhalten hatten, einer ebenfalls geimpften sowie nach Alter, Geschlecht und Art der Vakzine angepassten Kontrollgruppe ohne Krebs (n = 1.157.600) gegenübergestellt.
Als Impfdurchbruch galt eine PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektion, die frühestens zwei Wochen nach Erhalt der zweiten Impfdosis (überwiegend mRNA-Vakzine) aufgetreten war.
Impfdurchbrüche vor allem bei hämatologischen Tumoren
Am Ende der Nachbeobachtung (31. Dezember 2021) war es bei den Krebserkrankten in 3118 und bei den Kontrollen in 12.150 Fällen zu einem Impfdurchbruch gekommen. Die Wahrscheinlichkeit war damit bei den Tumorpatientinnen und -patienten signifikant, nämlich um relative 5% erhöht. Wie das Forscherteam um Dr. Inna Y. Gong von der Universität Toronto berichtet, war dies ganz klar den hämatologischen Tumoren geschuldet. Für daran Erkrankte ergab sich eine um 33% höhere Wahrscheinlichkeit für eine Durchbruchinfektion, für Betroffene mit soliden Tumoren dagegen war der Unterschied zur Kontrollgruppe gleich Null.
Dritte Dosis senkt das Risiko
Durch eine dritte Impfdosis ließ sich das Risiko einer Durchbruchinfektion in allen Gruppen deutlich mindern:
- bei den Krebserkrankten insgesamt um relative 42%,
- bei denjenigen mit soliden Tumoren um relative 44% und
- bei Betroffenen mit hämatologischen Neoplasien um relative 39%.
Von der Auffrischimpfung profitierten Patientinnen und Patienten mit einer hämatologischen Erkrankung sogar signifikant mehr als solche mit solidem Tumor (Hazard Ratio, HR 0,59).
Schutz vor schweren Verläufen
Als sekundäre Endpunkte betrachteten die Forschenden schwere Verläufe einer COVID-19-Erkrankung, damit zusammenhängende Notaufnahmen sowie mutmaßlich assoziierte Todesfälle (innerhalb eines Monats nach der SARS-CoV-2-Infektion). All diese waren bei den Krebserkrankten bis Ende März 2022 signifikant häufiger aufgetreten (HR 1,52, 1,28 bzw. 1,60). Für alle drei Endpunkte war die Risikoerhöhung vor allem auf hämatologische Tumoren zurückzuführen (HR 2,51, 2,54 bzw. 2,32). Die gute Nachricht: Auch diesbezüglich schien der Erhalt einer dritten Impfdosis zu schützen, und zwar Krebspatienten deutlich stärker als die Allgemeinbevölkerung (HR 0,44, 0,41 bzw. 0,39).
Ausnahme: Antikörpertherapie
Eine Gruppe, die besonders gefährdet war, einen Impfdurchbruch zu erleiden, waren hämatologisch Erkrankte, die zum Zeitpunkt der Impfung eine Anti-CD20-Antikörpertherapie erhielten (HR 1,88). Bei ihnen war das Risiko eines schweren Verlaufs siebenfach erhöht, das Sterberisiko gut sechsfach und das Risiko, in die Notaufnahme zukommen, sogar zwölffach. Laut Gong und ihrem Team ist das kaum verwunderlich, schließlich könne es nach der therapiebedingten B-Zell-Depletion zwischen neun und zwölf Monate dauern, bis sich das Immunsystem erholt habe. In dieser Zeit empfehlen die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen andere Maßnahmen zum Schutz vor COVID-19, unter anderem eine medikamentöse Präexpositionsprophylaxe. Eine dritte Impfdosis schien dieser speziellen Gruppe wenig zu bringen, damit war laut Gong et al. in der vorliegenden Studie kein Schutz vor schweren Verläufen assoziiert.
Etwas anders sah es bei hämatologischen Patienten unter einer Chemotherapie aus. Auch hier war zwar das Risiko eines Impfdurchbruchs um relative 63% erhöht, schwere Verläufe traten mit viermal, Todesfälle mit gut dreimal höherer Wahrscheinlichkeit als in der Kontrollgruppe auf. Allerdings schien diese Subgruppe von einer dritten Impfdosis zu profitieren.
Krebserkrankte für Auffrischimpfung priorisieren!
Für das Team ergibt sich die Schlussfolgerung, dass Krebspatientinnen und -patienten ‒ dazu werden explizit auch solche mit hämatologischen Tumoren gezählt ‒ unabhängig vom Therapiestatus für eine Auffrischimpfung, ggf. Präexpositionsprophylaxe sowie eine rasche antivirale Therapie zu priorisieren seien.
In Deutschland empfiehlt die STIKO seit dem 4. Februar 2021, dass „Patienten mit einer aktiven hämatologischen Erkrankung oder fortgeschrittenen soliden Tumorerkrankungen, die nicht in Remission sind, sowie Patienten unter aktueller systemischer Therapie mit hoher Priorität Anspruch auf eine Schutzimpfung haben“ (s. Stufenplan der STIKO). Die STIKO rät darüber hinaus explizit, auch Krebspatienten „vor, unter oder nach einer Chemotherapie, einer gezielten Therapie und/oder unter einer Therapie mit Immuncheckpointinhibitoren“ zu impfen.
Das Wichtigste in Kürze |
Frage: Assoziation einer COVID-19-Impfung mit Durchbruchinfektionen und Komplikationen bei Krebspatienten. Antwort: Krebspatienten hatten ein deutlich höheres Risiko für Impfdurchbrüche und schwere Verläufe einer SARS-CoV-2-Infektion als Personen ohne Krebs. Das galt insbesondere für Patientinnen und Patienten mit hämatologischen Erkrankungen sowie für solche, die aktuell eine Anti-CD20-Antikörpertherapie erhielten. Bis auf Letztere schienen alle Gruppen von einer dritten Impfdosis gegen COVID-19 zu profitieren. Bedeutung: Grundsätzlich sollten Krebspatientinnen und -patienten, auch solche unter einer laufenden Therapie und solche mit einer hämatologischen Erkrankung, mit Vorrang eine Schutzimpfung gegen SARS-CoV-2 erhalten. Eine Ausnahme bilden den Studiendaten zufolge hämatologisch Erkrankte, die aktuell mit Anti-CD20-Antikörpern behandelt werden. Einschränkung: Bevölkerungsstudie, retrospektiv; Verzerrungen durch nicht berücksichtigte Einflussfaktoren möglich; nur PCR-bestätigte SARS-CoV-2-Infektionen erfasst; gezielt gegen COVID-19 gerichtete Therapien nicht erfasst. |