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07.04.2020 | COVID-19 | Nachrichten

Interview

Welche besonderen Risiken haben Krebspatienten während der Corona-Pandemie?

verfasst von: Wolfgang van den Bergh

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Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Versorgung von Tumor-Patienten können derzeit nur erahnt werden. Fakt ist: Es sollte genau abgewogen werden, ob im Falle einer COVID-19-Infektion die Therapie-Verschiebung eine echte Option darstellt, sagt der Hämatologe und Onkologe Professor Wolfgang Knauf im Gespräch mit der „Ärzte Zeitung“.

Ärzte Zeitung: Herr Professor Knauf, die weltweite Corona-Pandemie beherrscht die Medien – Angst und Verunsicherung sind groß. Wie gefährlich ist das Virus für Krebspatienten? Was sollten sie beachten?

Professor Wolfgang Knauf: Patientinnen und Patienten mit einer bösartigen Tumorerkrankung stellen tatsächlich eine besondere Gruppe innerhalb unserer Bevölkerung dar. Sie haben ein geschwächtes Immunsystem, sei es durch ihre Tumorerkrankung oder durch therapeutische Maßnahmen. Und ein geschwächtes Immunsystem macht anfällig für Infekte jeglicher Art. Damit sind wir bei der COVID-19-Problematik. Primär geht es um eine gute Selbsteinschätzung. Also beobachte ich bei mir grippeähnliche Symptome, die an Corona denken lassen – etwa Halskratzen, Kopf- und Gliederschmerzen und Fieber. Dann sollten sich Patienten fragen, ob sie kürzlich in einem Risikogebiet Kontakt mit Personen hatten, die mit dem Corona-Virus infiziert waren. Und schließlich sollten sie sich an die allgemeinen Empfehlungen halten: Abstand halten, Abstand halten, Abstand halten!

Was ist von der kontroversen Diskussion um Schutzmasken zu halten?

Ich bin schon der Meinung, dass Tumorpatienten Schutzmasken tragen sollten, wenn sie die eigenen vier Wände verlassen.

Zurück zur Praxis. Unter welchen Bedingungen können aktuell noch Face to Face-Kontakte stattfinden?

Zunächst sollte man hinterfragen, ob alle Kontakte wirklich notwendig sind. Wir haben in unserer Praxis viele persönliche Beratungen auf telefonische Kontakte umgestellt. Wir kennen die überwiegende Zahl unserer Patienten gut und können so abschätzen, ob ein solches Gespräch am Telefon möglich ist. Es gibt aber immer Situationen, wo man den direkten Kontakt braucht und auch da gilt innerhalb der Praxis, mindestens zwei Meter Abstand halten. Kommt es dann zu einer körperlichen Untersuchung, dann sind natürlich Mund- und Nasenmaske sowie Schutzkittel und Handschuhe erforderlich. Unter diesen Maßgaben sind selbstverständlich weiterhin Kontakte in der Praxis möglich. Entscheiden darüber tut immer ein Arzt.

Es ist die Rede davon, dass Therapien ausgesetzt oder verschoben werden können? Geht das so einfach?

Grundsätzlich sollte die zeitgerechte Therapie Vorrang haben und nur in besonderen Situationen verschoben oder auf unbestimmte Zeit ausgesetzt werden. Das kann man aber nicht bei allen Tumorerkrankungen machen. Ein Patient mit einem neu diagnostizierten hoch malignen Lymphom bedarf dringend der Therapie, das Gleiche gilt für ein neu diagnostiziertes kleinzelliges Bronchialkarzinom. Etwas anderes ist es allerdings, wenn sie in einem Therapie-Programm von insgesamt zwölf Zyklen bereits zehn abgeschlossen haben. Hier kann durchaus überlegt werden, den elften Zyklus um etwa ein bis zwei Wochen zu verschieben. Das hängt ganz individuell vom Zustand des Patienten ab, ob er Symptome zeigt, die auf eine COVID-19-Infektion schließen lassen, ob er vielleicht schon positiv getestet wurde oder ob er völlig symptomfrei ist. Bei symptomfreien Patienten sollte die Therapie auf jeden Fall durchgeführt werden.

Könnte ein Aufschub den gesamten Therapieerfolg gefährden oder sogar das Rezidiv-Risiko erhöhen?

Genau das muss immer wieder individuell abgewogen werden. Übrigens: Völlig unabhängig vom Corona-Virus haben wir immer wieder Situationen, wo wir Therapien um einige wenige Tage verschieben müssen, weil der Patient zum Beispiel einen harmlosen Infekt hat. Dennoch hat man bei vielen Erkrankungen nur einen relativ engen Zeitkorridor, in dem solche eher zeitsensiblen Therapien durchgezogen werden können.

Wird die Therapie fortgesetzt, dann gehört doch sicherlich auch die Medikation auf den Prüfstand, oder? Ich denke etwa an die Immuntherapie, bei der es im Einzelfall ja durchaus zu Lungenfunktionsstörungen kommen kann. Haben das Ihre Kollegen auf dem Schirm?

Davon bin ich überzeugt, dass das allen bewusst ist. Wir sollten ja immer davon ausgehen, dass jedes Medikament indiziert ist. Wir geben ja nicht unnötigerweise oder überflüssigerweise Medikamente. Daran ändert auch die Corona-Problematik nichts. Grundsätzlich gilt aber, dass Patienten mit einer vorgeschädigten Lunge oder einem schlechten Immunsystem, die zum Beispiel mit einem Checkpoint Inhibitor behandelt werden, ein etwas erhöhtes Risiko haben. Dann heißt es aber nicht, das Medikament einfach abzusetzen, sondern den Patienten intensiv zu monitoren, ihn gut zu beobachten und regelmäßig mit ihm Rücksprache zu nehmen.

Wenn ein Patient auf COVID-19 positiv getestet worden ist, was ist dann zu tun?

Wenn ein Patient positiv getestet worden ist, sollte zunächst die Schwere der Symptomatik abgeklärt werden. Handelt es sich um eine milde oder kaum wahrnehmbare Symptomatik oder gibt es erste Anzeichen für eine lebensbedrohliche Pneumonie? Dann sollte man sich überlegen, ob es medizinisch verantwortbar ist, die Therapie um 14 Tage zu verschieben. Wenn dann ein positiv getesteter Patient zu einer Chemotherapie in die Praxis kommen muss, dann sollte man das vorab mit dem Gesundheitsamt wegen spezieller Vorsichtsmaßnahmen absprechen. Dazu sollte man dann separate Zeitfenster in der Praxis freihalten. Ich möchte es noch einmal betonen: Die Positivität auf Corona kann kein 100-prozentiges K.O.-Kriterium für eine Therapie sein. Wenn ein Patient eine schwere Pneumonie hat, ist das selbstverständlich etwas anderes.

Bei Ihren Kollegen der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie habe ich den Satz gelesen, dass „bei den meisten, akut an Krebs erkrankten Patienten der Nutzen einer sinnvollen und geplanten Krebstherapie über dem Risiko einer möglichen Infektion mit dem Corona- Virus steht“. Würden Sie diesen Satz so unterschreiben?

Diesen Satz würde ich mit gutem Gewissen genauso unterschreiben. Man sollte sich die epidemiologischen Zahlen vor Augen halten, wie viele Menschen sind tatsächlich infiziert, wie viele davon sind Tumorpatienten und wie viele davon sind gerade in meiner Praxis? In den meisten Praxen gibt es längst ein ausgeklügeltes Sicherheitssystem mit den entsprechenden Schutzmaßnahmen. Will heißen: Die Gefahr, sich in einer Praxis zu infizieren, halte ich für extrem gering.

Professor Knauf, sie versorgen mit ihren etwa 600 niedergelassenen Fachärzten der Inneren Medizin mit dem Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie mehrere 100 000 Patienten. Was hören Sie aktuell aus den Praxen Ihrer BNHO-Kollegen?

Wir haben noch vor wenigen Tagen in einer Telefonkonferenz mit unseren regionalen Vorsitzenden darüber gesprochen, wie unterschiedlich die Situation in den Praxen nach Regionen ist. Allgemein kann man sagen, dass Therapien planmäßig fortgeführt werden. Neu ist, dass es zunehmend Überweisungen aus Kliniken gibt, die jetzt andere Schwerpunkte setzen müssen. Von dort werden Patienten zur Chemotherapie in unsere Praxen überwiesen. Dafür stehen wir bereit. Was allerdings immer noch von Region zu Region sehr heterogen ist, ist die Versorgung mit Schutzmaterialien. Da würden wir uns wünschen, dass es mit den jeweiligen Kassenärztlichen Vereinigungen etwas weniger holprig läuft. Ich denke aber, dass sich das bessern wird.

Vielen Dank für das Gespräch.

Zur Person – Professor Wolfgang Knauf

Aktuelle Position: Vorsitzender des Berufsverbands der Niedergelassenen Onkologen und Hämatologen in Deutschland (BNHO)

Ausbildung: Studium der Medizin von 1977 bis 1983 an den Universitäten Regensburg, Hamburg, Heidelberg und Freiburg; Promotion 1983 an der Uni Heidelberg; Ausbildung zum Arzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und internistische Onkologie an den Kliniken der Uni Heidelberg und der FU Berlin; Habilitation 1995; 2001 Ernennung zum Professor für Innere Medizin an der Freien Universität Berlin.

Karriere: Von 1997 bis 2003 Geschäftsführer des Tumorzentrums der FU Berlin; 1997 bis 2003 Geschäftsführer des dortigen Tumorzentrums; 2004 Eintritt in die Hämatologisch-Onkologische Gemeinschaftspraxis am Bethanien-Krankenhaus in Frankfurt/Main.

Quelle: Ärzte Zeitung

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