ERAS-Implementierung: Noch Luft nach oben!

Die ERAS-Leitlinie für die Thoraxchirurgie soll Komplikationen nach thoraxchirurgischen Eingriffen verringern und die Rekonvaleszenz beschleunigen [1]. Eine Umfrage zeigt, dass zwischen Anspruch und Wirklichkeit in Deutschland noch eine Lücke klafft. ERAS steht für Enhanced Recovery After Surgery und umfasst eine Vielzahl von perioperativen Maßnahmen wie z.B. Drainagemanagement, Schmerzmanagement oder Mobilisation. Gefordert ist eine Zusammenarbeit von Chirurgie/Anästhesie über Pflegedisziplinen bis hin zu Ernährungsberatung und Sozialdienst, erläuterte Prof. Dr. Johann Pratschke, Direktor der Chirurgischen Klinik der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Sein Mitarbeiter Marco Nicolas Andreas hatte eine Umfrage an deutschen thoraxchirurgischen Kliniken und Abteilungen durchgeführt, um die aktuelle Umsetzung der ERAS-Leitlinie zu untersuchen. Basis war der Email-Verteiler leitender Thoraxchirurginnen und -chirurgen der Deutschen Gesellschaft für Thoraxchirurgie. Prof. Pratschke diskutierte die Umfrageergebnisse anlässlich des Chirurgenkongresses 2022 in Leipzig. Abweichende Vorstellungen Zwei Drittel der Antwortenden erhoffte sich von ERAS eine Reduktion der allgemeinen und chirurgischen Komplikationen. Tatschlich zielen die ERAS-Empfehlungen auf eine Reduktion der allgemeinen Komplikationen, meinte Prof. Pratschke und betonte: Bei chirurgischen Komplikationen seien Operateurinnen und Operateure gefragt, die eigenen Techniken und Prozeduren zu optimieren. Nur 28% der Antwortenden gaben an, ein eigenes ERAS-Team zu haben und nur in zwei Einrichtungen gab es auch eine ERAS-Nurse. Eine speziell qualifizierte ERAS-Nurse ist nach Auffassung des Berliner Klinikdirektors aber der Schlüssel für den Erfolg des Programms. Das ERAS-Programm sieht ja die aktive Einbindung von Patientinnen und Patienten im ganzen Prozess vor. Diese Rolle zu vermitteln und entsprechend zu informieren, ist eine Kernaufgabe der ERAS-Nurse. Die entsprechende Instruktion nimmt eine halbe bis eine dreiviertel Stunde Zeit in Anspruch und ist im Alltag der Pflege sonst nicht zu leisten. Implementierung irgendwie Ebenfalls suboptimal ist laut Prof. Pratschke die Dokumentation im Rahmen von ERAS. 84,4% der Antwortenden gaben an, dass keine Datenbank existiere, um die ERAS-Maßnahmen zu erfassen. 87% verneinten die Messung der Adhärenz von Patientinnen und Patienten, nur 12,9% nutzten ein ERAS-Protokoll dazu. Fast durchweg erhielten sie nicht wie empfohlen ein ERAS-Tagebuch zur Festlegung und Dokumentation täglicher Ziele. 75% führten auch präoperativ keine Patientengespräche zur Information über die ERAS-Maßnahmen durch – eine Schlüsselaufgabe der häufig nicht etablierten ERAS-Nurse. Präoperative Maßnahmen Eine medikamentöse Thromboseprophylaxe erhielten bei der Hälfte der Umfrageteilnehmer alle Patientinnen und Patienten, bei weiteren 22% diejenigen mit erhöhtem Thromboserisiko. „Das ist ja schon unabhängig von ERAS bei uns weitgehend implementiert“, meinte Prof. Prathschke. Knapp 60% der Teilnehmenden führen nach eigenen Angaben auch prophylaktische Maßnahmen gegen postoperative Übelkeit und Erbrechen durch. Weniger gut versorgt waren sie mit hochkalorischen Drinks in der präoperativen Nüchternphase: Dieses „Carbloading“ gaben nur 15,6% der Antwortenden an. Die Nüchternphase umfasste bei 50% der Antwortenden eine Essenskarenz von 6 Stunden, Trinken war bis maximal 2 Stunden vor OP möglich. Intraoperative Maßnahmen Zwei Drittel der Teilnehmenden gab an, bei intracostalen Eingriffen einen VATS-Block einzusetzen, bei Thorakotomie auch eine Schmerztherapie per Periduralkatheter (PDK). Bei anatomischen Resektionen wird bei 84% eine Drainage gelegt, bei 12,5% aber auch keine. Prof Pratschke nannte einen niedrigen Sog von -2 cm H2O als förderlich, 75% der Antwortenden gaben allerdings an, standardmäßig einen Sog von mehr als -10 cm H2O einzustellen. Postoperative Maßnahmen Der Blasenkatheter wird bei mehr als der Hälfte der Teilnehmenden am ersten postoperativen Tag entfernt. „Wir versuchen das schon direkt postoperativ, um die Mobilisation am OP-Tag zu fördern“, erklärte Prof. Pratschke. Die Entfernung der Thoraxdrainage erfolgt meist orientiert an der Sekretionsmenge. Mehr als die Hälfte nannte eine Sekretion von < 200 ml/24 Stunden. Unabhängig von der Sekretionsmenge entfernten 22% der Teilnehmenden die Thoraxdrainage. Nach Lobektomie oder Segmentresektion entfernte die Hälfte der Antwortenden am ersten bis zweiten postoperativen Tag die Drainage. „Das ist ein gute Trend“, meinte Prof. Pratschke, „früher war das deutlich länger“. Opioid-basierte Schmerzmedikamente wurde bei fast jedem zweiten Teilnehmer der Umfrage bis zum Entfernen der Thoraxdrainage gegeben, über die Entlassung hinaus verordnen 22% der Antwortenden solche Medikamente. Fast alle richten sich nacheigene Angaben bei der postoperativen Schmerztherapie nach einem klinikinternen Standardprotokoll. „Das ist vorbildlich“, sagte Prof. Pratschke. Die Mobilisation ist ein wichtiger und nicht einfach umzusetzender Teil des ERAS-Programms, ergänzte er. 72% der Umfrageteilnehmenden gaben an, schon am OP-Tag auf Station damit zu beginnen, 6,3% sogar schon im Aufwachraum. Allerdings erfolgte die Mobilisierung bei fast 60% am ersten postoperativen Tag nur bis zur Bettkante. „Die ERAS sagt eigentlich, eine Mobilisation auf die Bettkante ist keine Mobilisation“, erklärte Prof. Prutschke. „Mobilisation ist, wenn sie neben dem Bett stehen, eine halbe Stunde auf dem Stuhl oder im Sessel sitzen oder bestenfalls auch mal über den Flur gehen.“ Resümee Die Implementierung der ERAS-Empfehlungen ist in Deutschland unterschiedlich weit vorangekommen, die Infrastruktur mit ERAS-Teams und ERAS-Nurses wenig etabliert. „Ich finde, das Programm verdient Beachtung und sollte weiter implementiert werden“, forderte Prof. Prutschke die Kolleginnen und Kollegen auf. Basierend auf: Symposium: Treffpunkt Thorax. 139. Deutscher Chirurgenkongress, Leipzig und online, 6. April 2022 DCK 2022 13.04.2022 | DCK 2022 | Nachrichten Schwangere mit Blinddarmentzündung: Keine Angst vor der Op.! 21.04.2022 | DCK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten Vorbereitet auf den Katastrophenfall: Berliner Notfallsiebe 12.04.2022 | DCK 2022 | Nachrichten Wie Operateure sich vor Röntgenstrahlen schützen können 18.04.2022 | DCK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten Auch Kaffeetanten dürfen ans Endoskop 19.04.2022 | DCK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten ERAS-Implementierung: Noch Luft nach oben! 22.04.2022 | DCK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten Karotisstenose: Warnzeichen Visusminderung 15.04.2022 | DCK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten Adipositas-Chirurgie: Nach dem Speck müssen auch die Falten weg 20.04.2022 | DCK 2022 | Kongressbericht | Nachrichten Deutlich weniger Notfallprozeduren während der Covid-19-Pandemie

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